Heinemann: Spryker EXCITE Recap, Farfetch Zahlen, Allegro IPO, Fressnapf wird Marktplatz

01:11:34

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Live im K5TV ging es diesmal zur Sache mit brandaktuellen Entwicklungen im E-Commerce Markt. Ob die Spryker EXCITE, die erste hybride E-Commerce Konferenz, den hohen Erwartungen gerecht werden konnte, besprechen wir ebenfalls. Florian Heinemann bewertet mit mir die Entwicklung bei Farfetch, die Zahlen des polnischen Marktplatzes Allegro und die Ambitionen von Fressnapf in Bezug auf Marktplätze. Florian ist eher angetan von der Farfetch Strategie während ich dem ganzen Treiben doch recht skeptisch gegenüber stehe.

Alexander Graf

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Man kann Farfetch nicht vorwerfen, dass sie dieses Versprechen (bisher) nicht erfüllen. Das kommt zwar zu Kosten der eigenen Rendite, aber aktuell führt das zu treuen Markenpartnern, weil sie relativ risikoarm Zusatzumsatz bekommen können. Die Case Studies im Börsenprospekt sind dazu sehr vielversprechend. Das kann in Zukunft aber nicht so bleiben, wenn Farfetch anfangen muss Geld zu verdienen.

Mein Fehler, ich ging davon aus, dass börsennotierte Unternehmen kurzfristig Geld verdienen müssen. Das ist aber offenbar nicht mehr so, wenn ausreichend Wachstumsphantasien bedient werden können.

Kassenzone-Spezial mit Florian Heinemann, Kassenzone-Stammgast von Project A Ventures

Seit bald einem Jahr ist Florian Heinemann von Project-A-Ventures bei Alex „unter Vertrag“ – als Kassenzone-Kommentator, der mit Alex in regelmäßig-unregelmäßigen Abständen das Marktgeschehen generell – und die Auftritte der Podcastgäste insbesondere – aus seiner Sicht als Investor bewertet. Dieses fünfte Heinemann-Spezial des Jahres 2020 ist zugleich ein Novum: Das erste der Reihe, das live im K5TV aufgenommen wurde. Themen: Die Marktplätze Farfetch und Allegro sowie der Möchtegern-Marktplatz Fressnapf. Zudem wird eine Bilanz der Spryker Excite gezogen. Auch dran: Die seit zwei Folgen obligatorische Rum-Verkostung…

„Offenbar liegt die Differenz in den von den Märkten wahrgenommen Visionen“

3:50

Alex: Der Aufnahmezeitpunkt ist zwar etwas früh am Tag, der Podcast wird aber erst heute Abend livegeschaltet. Daher, lieber Florian, wollen wir an unserem „Project One“-Rum nippen. Du hast den nämlich heute zum ersten Mal dabei. Hoffen wir mal, dass wir den Macher Thomas aus Schoby bald bei uns im Podcast haben! Sonst liegen heute vor uns vier Themen: Unsere erste Hybrid-Konferenz Spryker Excite; Farfetch als Fall aus dem E-Commerce Buch; der Börsengang von Amazon-Clone Allegro; das Marktplatz-Vorhaben von Fressnapf.

Fangen wir mit Excite an: Warst du auch eingewählt?

Florian: Zum Teil, ja. Ich habe mir ja den Vortrag von Boris sowie die Präsentation von Rose Bikes angeguckt.

Alex: Nach den Erfahrungen der letzten Monate hatten wir uns für ein hybrides Konzept entschieden – mit einem kleinen Live-Publikum in einem Kino vor Ort und vielen anderen zugeschaltet. Eine offene Frage war, wie sich die Herbstferien, in denen sich die meisten Bundesländer da befanden, auf die Beteiligung auswirken würden. Die Antwort: Der Effekt war positiv. Knapp 1.000 Leute haben parallel zugeschaut – und es hat alles technisch hervorragend funktioniert! Wir hatten drei Full-HD-Streams auf unserer Webseite! Die Resonanz, die ich auf Twitter und LinkedIn bekommen habe, war gut. Hast du das auch so wahrgenommen?

Florian: Ja, die Resonanz in den sozialen Netzwerken war stark – stärker sogar als bei Bits & Pretzels, die viel mehr Referenten haben (und teilweise in einer ganz anderen Kategorie). Was spannenderweise gar nicht zu mir durchgedrungen ist: Dmexco. Hätte ich das nicht im Kalender stehen gehabt, hätte ich das gar nicht wahrgenommen. Wenn du mal überlegst, dass da sich sonst 50.000 Menschen physisch hinbewegen… Das ist schon frappierend! Ich glaube, dass eine Lektion daraus ist: Man muss sich heutzutage überlegen, was parallel zu seiner Konferenz auf Social-Media stattfindet.

(Für Florian sind hier LinkedIn und Twitter essenziell. Nur ob Twitch der richtige Kanal für „harte B2B-Themen mit begrenztem Sex-Appeal“ sei, bezweifele er. Alex lässt das Fragezeichen stehen und geht erstmal darauf ein, was an Interaktivem gut funktioniert hat: ChatRoulette, zum Beispiel, die Speed-Dating-Webcam-App, die sich vom Geburtshelfer der Dickpics zu einem solidem B2B-Tool entwickelt habe. Bei Twitch, so Alex weiter, habe Sport-Kommentator Jonas Hummels mit Vincent Bönig von Spryker das Geschehen so witzig wie möglich kommentiert und damit rund 50 Zuschauer gehabt. Alex werde demnächst auch in die Twitch-Kommentator-Rolle schlüpfen…

Florian finde die Entwicklungen im Veranstaltungsbereich spannend: Wissensvermittlung online klappe. Nun gehe es darum, die Netzwerk-Komponente abzubilden. Löse man die Frage des sozialen Kontakts, könne man perspektivisch weitestgehend auf Präsenzveranstaltungen verzichten. Zudem lohne sich der Blick nach China: Dort werde für Events, die Florian als „Home Shopping Europe on steroids“ bezeichnet, Content vorproduziert, womit man die Resonanz über Wochen verlängere. Florian vergleicht das mit DMEXCO, wo viel guter Content entstehe, der dann aber auf sozialen Netzwerken kaum stattfinde. Da trete ein guter Redner wie Sir Martin Sorrell auf – und bekommt nachher auf YouTube bloß einige Tausend Views.

Thema Referenten: Was Alex besonders gelungen am Hybird-Konzept fand, war das Publikum, zu dem Redner sprechen konnte. Das gebe eine ganz andere Dynamik her, als wenn die Vorträge nur in die Kamera gehalten werden. Zudem mache die Begrenzung der Plätze diese heiß begehrt!)

15:00

Alex: Der Farfetch-Börsenkurs nähert sich wieder dem Ausgabepreis – zwischenzeitlich war der ja fast bei null angekommen! Aber dank der Pandemie geht es wieder aufwärts. Zur Einführung des Themas lese ich aber jetzt erstmal vor, wie sich Farfetch selber definiert. Denn nicht alle Hörer sind fashion addicts, die mit Hermes-Taschen rumrennen. Wir übrigens auch nicht!

Farfetch Limited is the leading global platform for the luxury fashion industry. Our mission is to be the global platform for luxury fashion, connecting creators, curators and consumers. (…) Today the Farfetch Marketplace connects customers in over 190 countries with items from more than 50 countries and over 1,300 of the world’s best brands, boutiques and depaatment stores.

Ein klassisches Marktplatz-Modell also, das sich des Inventars von Luxus-Boutiquen bedient und sie online für alle verfügbar macht. Dazu habe ich 2017 auf Kassenzone folgende Frage gestellt: Ist Farfetch das nächste Fab.com? Alle, die etwas länger im E-Commerce unterwegs sind, wissen schon: Fab.com ist eher abschreckendes Beipsiel als erfolgsversprechendes Vorbild! Meine Kernkritik: Wenn man ein Geschäftsmodell aufbaut, das auf sterbende Einzelhandelsstrukturen basiert – denn auch Luxusboutiquen sterben aus –, dann hat das für mich wenig Sinn.

Wie schätzt du das ein? Von Marktplatzmodellen habt ihr – nach Erfolgen wie Contorion und Tirendo – Abstand genommen. Bereut ihr jetzt diesen Schritt?

Florian: Bereuen? Nichts zu bereuen. Sind wir doch auch weiter im E-Commerce engagiert. So haben wir uns zum Beispiel vor rund drei Jahren an Lampenwelt als Private-Equity-Investor beteiligt – und sind mit der Entwicklung sehr zufrieden. Mein Kritikpunkt ist aber seit längerem gewesen, dass es relativ schwierig ist, im E-Commerce auf eine gewisse Flughöhe zu kommen. Daran halte ich weiter fest. Wer aber schon auf dieser Flughöhe ist, der kann kapitaleffizient Wachstum erzeugen – vor allem in Segmenten, in denen man sich klar von Amazon differenzieren kann. Deswegen haben wir uns vor kurzem als Private-Equity-Investor an Gartenhaus GmbH beteiligt: Komplexe Kaufprozesse, Service-Komponente.. Damit hebt man sich von Amazon ab.

Alex: Nachdem der Sebastian Arendt hier im Podcast war? Kann ich jetzt behaupten, dass ein Auftritt bei Kassenzone zu einem Investment von Project A führt?

Florian: Naja, so ein Investment machen wir dann immer mit Partnern zusammen – in diesem Fall 3E. Aber klar: Der Podcast-Auftritt hat seine Chancen nicht verhagelt!

Aber was halte ich generell von Farfetch als Marktplatzmodell? Das war ja die Frage. Man muss dazu sagen: Sie haben ihr Modell inzwischen deutlich angepasst. Aber so, wie sie ursprünglich aufgestellt waren, haben sie dasselbe Problem, wie alle anderen: Wie kriegst du die Leute wieder auf deine Seite? Das geht eigentlich nur, indem man eine sehr gute User-Experience anbietet und gute CRM-Maßnahmen macht. Denn Marktplätze haben über vieles andere wenig Kontrolle: Bestand, Preise, Darstellung. Zu Letzterem kann man zwar Regeln aufstellen, aber der Großteil der Inszenierung des Sortiments erfolgt eben bei den Anbietern auf dem Marktplatz. Das ist immer schwierig. Die Partner müssen mitmachen.

Farfetch hat versucht, das Problem dadurch zu lösen, dass nicht nur die Boutiquen, sondern auch die Modemarken auf dem Marktplatz verkaufen dürfen. Aber mit dieser Anpassung ändert man nichts an den Schwächen des Grundmodells – gerade in einem Markt mit brutalem Nachfrageüberhang. Denn hier kaufen sehr wenig Menschen die künstlich verknappten Produkte hochpreisiger Luxusmarken zu völlig irrationalen Preisen. Überhaupt die Fähigkeit, Produkte einer Marke in einer gewissen Tiefe und Breite anzubieten, reicht schon zum Erfolg – siehe Net A Porter oder MyTheresa. Beides basieren nicht unbedingt auf brillante E-Commerce-Nutzererlebnisse, sondern auf Markenzugang. Aber Farfetch hat nur den indirekten Zugang und bleibt darauf angewiesen, dass Boutiquen-Inhaber die Produkte besorgen und vernünftig einpflegen… Im Vergleich etwa zu MyTheresa sieht das nicht besonders überlegen aus.

(Da geht es ins E-Commerce-Einmaleins: Nur überlegene Modelle bringen eine hohe Wiederkaufrate, die wiederum über die Marketing-Kosten-Regression in die Profitabilität führt. Daher sei das irre hohe Umsatz-Multiple in der 9-Milliarden-Bewertung von Farfetch äußerst fragwürdig, so Florian. Bei Zalando etwa liege das Verhältnis Umsatz-Bewertung um einiges niedriger – und Zalando sei schon profitabel. Daraufhin gehen Alex und Florian die haarsträubenden Zahlen von Farfetch auf MarketWatch detailliert durch. Alex sieht sich – trotz zwischenzeitlicher Gespräche mit Luxushändlern wie Sagmeister, für die Farfetch funktioniere – in seiner ursprünglichen Einschätzung bestätigt.)

25:45

Alex: Aber du sagtest, Farfetch hat sein Modell angepasst. Was genau haben sie denn verändert?

Florian: Sie haben einen Marktplatz für Sportartikel namens Stadiumgoods gekauft. Stadiumgoods tritt auch als Hersteller auf und geht damit in Amazon-Manier gegen die reine Lehre, dass man als Marktplatz neutral sein muss. Zudem haben sie jetzt mit „Farfetch Drop“ jeden Mittwoch eine kampagnenartige Zusammenarbeit mit Marken, die neue Produkte enthüllen. Außerdem hat Farfetch die MGG-Group – Das ist für meine Begriff so etwas wie ein „LVMH für Arme“ – für rund $675 Millionen gekauft – und bekommt damit Zugriff auf eine Reihe von vergleichsweise jungen Designer-Marken.

Angesichts der Probleme als Marktplatz, das ich vorhin erläutert haben, finde ich den Gedanken schon mal überlegenswert, ein exklusives, einzigartiges Sortiment anzustreben. Dafür ist das aus dem Musik- oder Sneaker-Geschäft entlehnten Konzept des „Drops“, wo man viel Wirbel um ein neues Produkt erzeugt, potenziell geeignet. Es bleibt nur abzuwarten, ob das auch so im Luxussegment aufgeht.

(Diese Abkehr zeige aber,  dass das Kernmodell eben nicht gesund ist, so Alex – der noch andere Versuche Farfetch, in andere Geschäftsfelder vorzudringen, als Beweis auflistet. Was letztendlich bleibe? Mit den zwei großen Zukäufen Stadiumgoods und NGG hat Farfetch eine Milliarde Dollar ausgegeben, um einen eigenen Luxuskonzern aufzubauen. Konsequent wäre, das teure akquisitionskostenintensive Verlustgeschäft Marktplatz abzustoßen! Sonst werde Farfetch noch sehr lange auf sehr hohe Investitionen angewiesen sein. Florian teilt diese Einschätzung bezüglich des Kernmodells, ist aber etwas optimistischer in dem, was die neuen Initiativen angeht.

Es klingelt.)

31:50

Alex: Kommt die Post?

Florian: Ja, das ist die Post! Darf ich da ganz kurz ran?

Alex: So ist das in einem Live-Podcast!

(Alex überbrückt die Logistikpause mit dem Verweis auf die vielen bei Soundcloud in den Shownotes verlinkten Artikel zu Farfetch bei ExcitingCommerce.)

Florian: Das war lustigerweise ein vier Tage zu spätes DM-Paket.

(Florian erklärt dann noch einmal, worauf die Hoffnung aus dem Einstieg von Farfetch in exklusive Sortimente – „only on Farfetch“ – beruht. Die Ratio sehe vermutlich so aus: einzigartige Ware, um Aufsehen zu erregen und die Wiederkaufsrate nach oben zu treiben, damit auch das Marktplatzsystem profitabel wird. Ob die Rechnung aufgehe, müsse sich aber zeigen. Auch sei die Frage gestattet, ob eine Kooperation mit Marken nicht günstiger gewesen wäre, als teure Erwerbe. AboutYou zum Beispiel gehe den weniger kapitalintensiven Weg der Joint-Ventures mit Influencern. Hätte Farfetch nicht jungen Marken seine Leistungen anbieten, anstatt sie teuer aufzukaufen? Sich als einer der wenigen neutralen Luxus-Marktplätze als Partner für Marken zu präsentieren, sei nämlich gar nicht so blöd – zumal nicht, wie Farfetch angekündigt habe, in China, wo die vielen Luxuskäufer vor Corona eher auf Reisen nach Europa kauften und die jetzt übers Internet ihren Bedarf stellen müssen. Das, so Alex, gälte es dann zu beweisen. Bis dahin bleibe nur der derzeit schwindelerregend hohe Cash-Verbrauch.)

39:50

Alex: Wir sind also alles andere als 100% überzeugt, honorieren aber die strategischen Neuentwicklungen des letzten halben Jahres. Dadurch, dass der Aktienkurs sich wieder auf null erholt hat, kann Farfetch auch etwas mehr Geld aufnehmen. Wir machen bestimmt in einem Jahr einen Update dazu.

Florian: Wenn man eine – ganz relevante, total unterschätzte – Sache von Farfetch lernen kann, ist es die: Welche Bedeutung eine gute Erzählung mit Analysten und größeren Investoren als Adressaten für die Marktbewertung hat. Vergleichen wir das mit Zooplus: Wächst sehr gut, verbessert jeden KPI, aber die Bewertung dümpelt nur so dahin. Farfetch hat paar interessante Ansätze, aber wenig bewiesen – und ist dann mit so einem Multiple bewertet! Daran kann man den Unterschied von Storytelling festmachen.

Es ist ein generelles europäisches Problem: Bezogen auf die substanziellen Indikatoren fallen in Europa Multiples um einiges niedriger aus als im anglo-amerikanischen Bereich. Offenbar liegt die Differenz in den von den Märkten wahrgenommen Visionen. Der Knackpunkt ist: Dieses Storytelling ermöglicht den Unternehmen dort, an genug Geld zu kommen, um die Lücke zwischen Wahrnehmung und Substanz auch zu schließen! Dass das gelingt, ist die Wette, die man als Anleger eingehen muss. Ein spannender Gedanke – vor allem in unserem konservativen deutschen Kontext.

42:20

Alex: Stichwort „gutes Storytelling“: Das gelingt Allegro! Nach dem IPO ist das jetzt der größte Börsengelistete Konzern in Polen. Die meisten Hörer werden davon zwar nichts gehört haben, es gilt aber als „das Amazon Polens“. Ich lese mal aus dem IPO-Prospekt kurz vor, wie sie sich beschreiben: „Allegro is the go-to commerce platform for Polish consumers and has delivered strong revenue growth, profitability and cash flow at scale. The  Group  operates  the  leading  online  marketplace  in  Poland,  Allegro.pl,  and  the  leading  price  comparison  platform  in  Poland,  Ceneo.pl.“ Sie sind also nicht nur das Amazon, sondern auch das Idealo von Polen!

Zahlen: GMV/Außenumsatz liegt $7,5 Milliarden; Innenumsatz um $700 Millionen – davon EDBITDA $360 Millionen. Genau das Gegenteil von Farfetch also: Die sind schon riesig, wachsen solide und drucken wahrlich Geld. Sie sind jetzt mit diesen Zahlen an die Börse gegangen und haben damit zwischen 15 und 20 Milliarden Marktkapitalisierung erreicht.

Florian: Harte Euro, die Zahl!

Alex: Ja, Euro! Und man muss dazu wissen, dass Polen als E-Commerce-Markt so ungefähr die Größe von Bayern hat. Es ist also so, als ob wie ein bayerisches Amazon mit einer 20-Milliarden-Euro-Bewertung besprechen würden. Mega-spannender Case, also! Das ist so eine Art Null-Vergleich: Was passiert in einem Markt, in den Amazon bislang nicht reingegangen ist? Das Modell ist Amazon zu 100% nachgebaut – Lager, Logistik, sogar das Prime-Programm!

Wie findest du das, Florian?

Florian: Lustigerweise bin ich schon indirekt über einen Private-Equity-Fonds, an dem ich mich beteiligt habe, an Allegro beteiligt…

Alex: Ach, so ist er, der Heinemann! LP der LPs. Muss gar nicht mehr selber arbeiten!

Florian: Das ist alles noch ganz klein! Was zu Allegro spannend ist: Es war lange Zeit im Besitz von Naspers beziehungsweise Prosus. Prosus hat die Online-Beteiligungen und ist mit deutlich über 100 Milliarden an der Amsterdamer Börse gelistet. Vor vier oder fünf Jahren verkauften sie Allegro für rund 2,8 Milliarden an ein Konsortium aus Private-Equity-Firmen verkauft.

Naspers ist sehr schlau: Es besitzt OLX, ist an Tencent wesentlich beteiligt; ist also gerade im Bereich Schwellenmärkte und E-Commerce bewandert. Wenn die Allegro also an ein PE-Konsortium für 2,8 Milliarden verkauften, wird das sicherlich nicht zu günstig gewesen sein. Kohle brauchen sie auch keine so dringend. Das Allegro nun fünf Jahre später fast 20 Milliarden wert ist, fällt auf.

An sich ist Allegro ein super Model. Es ist so etwas wie Bol.com in den Niederlanden, obwohl es da Unterschiede darin gibt, wo genau die Aufteilung Handel/Marktplatz verläuft. Das hat man ja häufiger: Die Modelle sind nicht mehr sortenrein. Meinem Verständnis zufolge ist Allegro mehr Marktplatz. Wie dem auch sei: Man sieht, dass sich Amazon da sehr schwer tut, wenn ein Platzhirsch da ist – siehe den angekündigten Markteintritt in den Niederlanden.

Insofern kann ich mir schon vorstellen, dass es einen Player wie Allegro dauerhaft in Polen geben wird. Allerdings ist das schon sehr aggressiv bewertet. Und: 2019 vor dem Börsengang wurden Marketingkosten von rund 10% ausgewiesen, was vergleichbar mit Akteuren in eingeschwungenen Märkten ist – etwa Otto oder Zalando in Deutschland. Aber in den sechs Monaten vor dem Börsengang sind diese Kosten bei Allegro auf 15% hochgegangen: 50% Steigung der Marketingkostenquote also! Kann man mal machen, um mehr Kunden zu akquirieren. Aber ob die alle auch so viel kaufen? Zumal Allegro in Polen schon eine so brutal hohe Marktdurchdringung hat. Neukundenakquisition für Allegro in Polen passiert wohl nur noch zu sehr, sehr hohen Grenzkosten. Da muss man also fragen, ob das so schlau ist. Gleichzeitig sind auch die Logistikkosten sehr stark gestiegen – von 9% auf knapp 14% des Umsatzes. Das veranlasst einen also schon zur Frage, ob da nicht sehr viel window dressing in Vorbereitung auf den Börsengang betrieben wurde.

(Alex hat dazu eine Erklärung aus dem Bericht: Mit dem Prime-ähnliche Programm Smart für 49 Złoty im Jahr sei Allegro erst 2019 so richtig gestartet. Für umgerechnet nur 12 Euro im Jahr also können polnische Kunden so viele Pakete ohne Versandkosten bestellen, wie Amazon-Kunden in Deutschland für 79 Euro. Wenn wie im Geschäftsbericht aufgeführt noch dazu Missbrauch stattfinde – etwa dass Nachbarshaushalte mitbestellen – erzeuge das enorm hohe Kosten.

Das finde Alex – Pardon – nicht so smart. Ziel eines Treueprogramms sei es doch, Logistikkosten pro Bestellung dadurch zu senken, dass mehr bestellt wird. Und, wirft Florian ein, um sich Marketingkosten zu sparen: Die seien ja aber gestiegen! Logistikausgaben könnte nämlich effizienter ausfallen, als Marketing-Spend, so Florian weiter. Wenn beide auf einmal hochschnellen, werfe das Fragen auf.

Vielleicht ist das wie mit Farfetch, überlegt Alex: Man brauche eben glänzende Zahlen fürs Storytelling, um an der Börse an noch mehr Mittel zu kommen. Es gibt jedenfalls weitere Zahlen, die sehr beeindruckend sind: 43% der polnischen Konsumenten starteten ihre Produktsuche auf Allegro – eine ähnliche Quote wie bei Amazon in Deutschland.)

52:45

Alex: Die E-Commerce-Penetration in Polen ist nicht so hoch, wie in anderen Ländern, weswegen Allegro davon ausgeht, organisch mit dem Online-Handel mitwachsen zu können – ohne ganz viel in Marketing investieren zu müssen. Ein Punkt, der mir dabei auffällt: Die gibt es nur in Polen.

Florian: Sie waren mal in Tschechien. Das hat aber nicht funktioniert und sie haben verkauft. Auch in anderen osteuropäischen Märkten waren sie mal vertreten, aber alles wurde – ich glaube zu Zeiten von Naspers – verkauft.

Alex: Ich halte mal was in die Kamera: Sie haben bei Allegro eins zu eins das „Amazon flywheel“ geklaut! (Anmerkung der Redaktion: Seite 107 des Prospekts) Für diejenigen, die das E-Commerce Buch nicht gelesen haben: beste Auswahl, attraktivste Preise und schnellste Lieferung führen zu vielen treuen Kunden, die Händler anziehen, was wiederum zu mehr Auswahl führt. Eine sich verstärkende Spirale nach oben, also.

Allegro – und das hat mich fasziniert – haben das noch weiterentwickelt: Wenn man Kunden und Händlern finanzielle Dienstleistungen angedeihen lässt (etwa: Kauf auf Raten für Kunden, Vorfinanzierung für Händler), kann man die Spirale beschleunigen. Reinste E-Commerce-Lehre!

Spieltheorie jetzt. Morgen wacht Amazon auf und sagt: „Hm, Polen, doch ein ganz spannender Markt. Lager haben wir ja schon dort; jetzt machen wir einen aggressiven Markteintritt.“ Welche Effekte hätte das auf Allegro?

Florian: Vermutlich mehrere. Zum einen würden – wie überall, wo Amazon aufmacht – ganz allgemein die Kosten steigen. Amazon würde nämlich anfangen, seine Logistikstandards zu allgemeingültigen Mindeststandards zu machen. Auch deswegen ist Amazon bislang in vergleichsweise wenigen Märkten überhaupt aktiv: Weil sie sehr hohe Logistikstandards haben – Liefertreue, Same-Day usw. Wenn Amazon also in einen Markt reingeht, zwingt das alle anderen, wahnsinnig viel in Logistik zu investieren. Amazon hat übrigens eine steigende Logistikkostenquote! Investiert es doch nach wie vor brutal ins Liefererlebnis. Da ist es für ein Otto und ein Zalando nicht so einfach, mitzuhalten.

(FBA-ähnliche Anbindung für den eigenen Marktplatz anzubieten oder die Prime-Now-Nahraumlogistik von Amazon nachzubilden, falle anderen schwer. Und weiter geht es bei den Marketing-Kosten: Amazon treibe beim Markteintritt auch die Google-Adwords-Kosten in die Höhe, wie Allegro merken würde. Insgesamt würde Amazon treu dem Bezos’chen Motto “Your margin is my opportunity!“ auf die Profitabilität von Allegro drücken – wie auch die Konkurrenz von AboutYou oder Zalando, die sich jetzt schon für osteuropäische Märkte interessieren. Und wenn Tarek Müller den IPO-Prospekt von Allegro lese mit den sensationellen Zahlen, werde sein Interesse eher zunehmen…

Alex merkt abschließend an, dass Allegro zwar beeindruckende Zahlen habe, aber in einem saturierten, abgegrenzten Markt. Nach vorne raus habe Farfetch im Vergleich mehr Möglichkeiten. Florian stimmt zu: Um die Bewertung zu rechtfertigen, müsste es für Allegro noch besser laufen, als es ohnehin schon läuft. Die Wahrscheinlichkeit sei aber eher, dass es irgendwann schlechter läuft.)

1:00:50

Alex: Normalerweise bekommen die Leute beim „manager magazin“ ordentlich aufs Maul, aber Zooplus-Eigentümer Torsten Töller scheint da Freunde gefunden zu haben, die ihm folgende Überschrift samt Vorspann gegönnt haben: „Wir erfinden Fressnapf komplett neu: Auch Corona konnte das Wachstum der Kette für Tierbedarf nicht stoppen. Jetzt baut Gründer Torsten Toeller einen Marktplatz im Internet, der die digitale Konkurrenz stoppen soll. Der Hauptgegner heißt Amazon.“ Noch dazu ein schönes Bild mit Hund. Netter hätte es die „Bravo“ nicht drucken können!

Nichts gegen Torsten Töller – toller Typ. Nur hat er erzählt, dass der Digital-Anteil von Fressnapf bei gerade mal 5% liegt. Für 2020 heißt das: nur 150 Millionen Euro Umsatz online. Zum Vergleich: Zooplus liegt für 2020 schon bei 1,7 Milliarden! Aber jetzt kommt er und sagt so sinngemäß: „Ganz neue Strategie: Wir bauen einen Marktplatz! Wir wollen der Marktplatz rund um das Thema Haustier werden…“

Florian: Generell erst einmal: Corona hat dazu geführt, dass deutlich mehr Tiere angeschafft werden. Das hilft natürlich unmittelbar Torsten Töller und Fressnapf. Zudem: Der Anspruch, der da formuliert wird, muss ein Fressnapf haben. Das Unternehmen muss nämlich größer, besser werden wollen als Zooplus. Nur: Sie haben schon etwas länger diesen Anspruch – und bislang ist… überschaubar viel passiert.

(Online habe Fressnapf bislang höchstens mitgenommen, nicht mitgestaltet. Stecke Fressnapf mehrere Hundert Millionen Euro über mehrere Jahre rein, gebe es da eine Chance – aber nur eine Chance –, den erhobenen Anspruch auch einzulösen. Problematisch aus Florian’s Sicht: Der Großteil der stationären Läden betreiben Franchise-Nehmer.)

1:05:00

Alex: Bei mir kommt auch gerade eine DM-Lieferung an. Rede bitte weiter…

Florian: Da bin ich gespannt, ob das wirklich eine DM-Lieferung ist!

(Franchises nähmen prozentual teil an Online-Umsätzen aus ihrer Region, so Florian, um die sich daraus ergebenden Zielkonflikte für Fressnapf zu verdeutlichen. Allerdings könne Töller als alleiniger Eigentümer eben entscheiden, diesen teuren Weg mit der nötigen Ambition zu gehen. Florian sagt, er sei „gespannt“ – was sich eher nach „skeptisch“ anhört.

Alex untermauert das mit einem Zitat aus dem Artikel: Töller wolle 10-15 Millionen Euro mehr jährlich in Online investieren. Florian macht den Knackpunkt daran fest, dass AboutYou vieles früh erkannt und richtig umgesetzt habe – und trotzdem 300-400 Millionen Euro ausgeben musste, um profitabel zu werden. Ob Fressnapf das so kapitaleffizient hinkriegen würde – gegen etablierten, operativ-exzellenten Online-Gegner Zooplus? „10-15 Millionen Euro im Jahr? Ich würde es dann vermutlich eher lassen,“ sagt Florian abschließend.)

1:09:30

Alex: Meine Einschätzung: Fressnapf macht so wenig, da muss sich Zooplus keine Gedanken über einen stark wachsenden Gegner im Online-Bereich machen! Aber da steht ja schon der Jochen: Da geht diese Live-Sendung zu Ende!

(Wer hören möchte, was noch „nach Sendeschluss“ mit Jochen besprochen wurde – und ob Florian überhaupt seinen Rum angerührt hat –, der melde sich bei K5TV an.)

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