Warum scheitern Unternehmen wie REWE an der Digitalisierung? Darüber spreche ich mit Matthias Schrader, der bereits zum dritten Mal zu Gast im Kassenzone Podcast. Er ist Gründer der Agentur SinnerSchrader, Herausgeber des sensationellen Buchs „Transformationale Produkte“ und einer der Vordenker zum Thema Transformation, GAFA Ökonomie & Co. Wir sprechen darüber, warum Transformation meistens scheitert und welche Konzepte möglicherweise noch erfolgsversprechend sind. Matthias hat eine Menge Digitalisierungsprojekte (scheitern) gesehen und weiß wovon er redet. Er führt den Erfolg von solchen Projekten vor allem auf die CEO Ebene zurück und falls dort nicht die richtigen Leute am Werk sind, kann es nix werden. 

Eines der Themen im Interview ist auch die irrige Annahme, dass man mit besonders klugen Customer Journey Analysen die digitalen Versäumnisse der Vergangenheit aufholen kann. Das sieht Matthias ganz anders und liegt mit seiner Meinung aus meiner Sicht ganz richtig. Die nächste Gelegenheit diese Thesen vor Ort zu diskutieren, gibt es am 2. & 3. November in Stuttgart beim DCD B2B (noch 12 Tickets verfügbar). Viel Spass!

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Digitalisierung zum Festpreis mit Matthias Schrader, Gründer von SinnerSchrader

In einer weiteren Fortsetzung der Podcast-Serie mit Florian Heinemann zum Thema Digitalisierung zum Festpreis geht es mehr um gescheiterte Transformationen als um Erfolgsbeispiele. Auch Thema bei Alex und sein Gast Matthias: Welche Rolle Digital-Agenturen wie SinnerSchrader, die Matthias mit seinem damaligen Geschäftspartner Oliver Sinner gegründet hat, spielen können. Dazu spricht Matthias über sein Buch zu diesem Komplex, der im März 2017 erschien.

 „Es kommt nicht auf das Wie an, sondern darauf an, was ich eigentlich baue“

2:00

Alex: Als wir das letzte Mal zusammensaßen, wart ihr noch eigenständig. In der Zwischenzeit habt ihr an Accenture verkauft. Welche Änderungen hat das bei euch herbeigeführt? Wird nun eure Marke vereinnahmt?

Matthias: Dazu muss man einen Schritt zurückgehen: Warum haben wir überhaupt verkauft? Der gesamte Digitalagentur-Markt befindet sich zur Zeit in einer gewissen Konsolidierung. Bei den Kunden, für die wir arbeiten, sind die Digitalbudgets geradezu explodiert. Da ist es wichtig, dass wir auch in Zukunft ein strategischer Dienstleister sind. Da wollten wir nicht nach zwanzig Jahren Geschäftsaufbau zurück in den Mittelstand müssen, sondern weiterhin in den großen DAX-Konzernen unterwegs sein.

Alex: Wird man denn selbst mit euren 500 Leuten irgendwann zu klein für DAX-Konzerne?

Matthias: Ja. Uns wurde gebeten, 200 bis 300 Leute einzustellen, sonst würden wir rausfliegen. Wir haben das nicht gemacht – und flogen nach 15 Jahren Kundenbeziehung tatsächlich raus. Das war sehr bitter. Die Anforderungen in Sachen Backend-Integration sowie Globalisierung und Skalierung der Anwendungen steigen brutal. Man sieht das übrigens an den berühmt-berüchtigten Multi-Agentur-Rankings. Wir sind in wenigen Jahren von Platz Drei über Sechs auf Neun runter – und das, obwohl wir jedes Jahr um rund 15% gewachsen sind. Das ist das maximale Wachstum, das man im Dienstleistungsgeschäft organisch und gesund erreichen kann.

Alex: Wer ist dann schneller gewachsen und wie haben sie das erreicht? Oder wer hat sich da reinkonsolidiert?

Matthias: Sehr viele Tech-Unternehmen sind durch Fusionen rein: MGM, Waltech usw. Zudem geben die Integratoren gerade Gas: Vor fünf oder zehn Jahren dachte man, das würden eher so die klassischen Werbenetzwerke und die großen unabhängigen deutschen Werbeagenturen sein. Schließlich verstanden sie sich bereits auf Digital. Aber sie haben den Einstieg in die richtigen digitalen Großprojekte nicht geschafft. So sind es heute die Integratoren, die die Multimedia- oder Internet-Agentur-Rankings bestimmen.

Das ist übrigens international noch stärker ausgeprägt. Wenn man sich bei AdAge die zehn größten Digitalagenturen der USA anguckt, dann kommt an erster Stelle Accenture, Nummer Zwei ist Deloitte. Dann kommen IBM und so etwas wie Wunderman. Die Agentur Sapient, die über Jahre die Rankings angeführt hat, ist jetzt erst auf dem ersten oder zweiten Platz. Dabei muss ich betonen, dass sie in Deutschland noch den ersten Platz einnehmen.

5:55

Alex: Heute haben wir eigentlich zwei Themen. Zum einen hast du in unserem letzten Podcast vom Unterschied zwischen Elektrifizierung und Digitalisierung gesprochen. Die Begrifflichkeiten hast du geprägt und ich verwende diese Gegenüberstellung nun seitdem immer wieder als Erkläransatz. Der zweite Punkt ist dein Buch „Transformationale Produkte“.

Zum ersteren Thema hast du vor zwei Jahren gesagt, dass viele Konzerne auf die Digitalisierung erst einmal mit der Silicon-Valley-Tour reagierten – die ja mittlerweile durch die Berlin-Tour ersetzt wurde. Dann tun sie die falschen Dinge. Oder sie tun die richtigen Dinge, aber tun sie mit falscher Absicht insofern, als sie einfach ihre Prozesse elektrifizieren und das bestehende Geschäftsmodell behalten wollen – was nicht reichen wird.

Vor zwei Jahren haben wir den Podcast mit einem Appell beendet, mehr zu wagen. Ist dieser Appell in der Zwischenzeit angekommen?

Matthias: Ich glaube, das mit der Elektrifizierung ist nicht mehr das Wesentliche. Mittlerweile wurde verstanden, dass die Verlängerung von bestehenden Prozesse in das Digitalzeitalter hinein nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Die Unternehmen wissen nun, dass es mehr darum gehen muss, vom User-Experience und Customer-Centricity her zu denken.

Was man trotzdem beobachtet: Dieser Ansatz wird noch sehr „unternehmensberaterisch“ umgesetzt. Es wird in Dutzenden von Projekten in Großkonzernen in Deutschland erst einmal eine Customer-Journey-Analyse gemacht. Da werden so Leitz-Ordner produziert, an welchen Touchpoints heute digitaler Kontakt mit Konsumenten stattfindet und wie man da optimalerweise aussehen soll… Nun: Das kann man irgendwie alles machen und sogar den einen oder anderen Punkt zur Optimierung identifizieren. Aber letztendlich ist dieser Ansatz für mich komisch.

Man stelle sich mal vor, man würde in der Haut von Mark Zuckerberg oder einem der Google-Gründer stecken. Und dann würde man versuchen, so ein Produkt wie Google oder Facebook dadurch zu entwickeln und zu optimieren, dass man eine Customer-Journey-Analyse macht: „Wann suchen die Leute eigentlich bei Google? Von zu Hause, von der S-Bahn oder von der Toilette aus?“

9:20

Alex: Meinst du denn, dass Facebook und Google keine Customer-Journey-Analyse machen?

Matthias: Nein, machen sie nicht, da bin ich fest davon überzeugt. Habe ich doch nie einen von Facebook oder Google kennengelernt, der das macht! Aber das ist eine Geschichte, die man methodisch sehr gut aufbereiten kann, weshalb sich ganze Beraterstäbe wochen- und monatelang damit beschäftigen können.

Die Schwierigkeit drin ist: Wie baue ich denn eigentlich ein digitales Produkt, das wirklich Value hat für den Nutzer – und auch für das Unternehmen? Das sagt sich so leicht daher: „Wir brauchen ein tolles digitales Produkt mit einer zehnmal besseren User-Experience und einem nachhaltigen Geschäftsmodell.“ Aber wie das konkret gehen soll…

(Matthias beschreibt, wie diese Frage der Anlass war, das Buch zu schreiben.)

12:15

Alex: Ohne jetzt Namen zu nennen: Wie gehen Konzerne klassischerweise vor, wenn das Geschäftsmodell ganz offenkundig bedroht ist? Einige Unternehmen gehen da sehr radikal vor: Hoffman hat Contorion gekauft, weil der CEO nicht glaubt, dass das bestehende Geschäft in zwei-drei Jahren noch relevante Erlösbeiträge liefert. Oder wollen dich einige Kunden gleich als CIO engagieren?

Matthias: Nein, das Angebot habe ich noch nicht bekommen…

Alex: Interessant. Ich werde ja immer nach guten CIO-Kandidaten gefragt!

Matthias: Das aktuelle Vorgehen ist jedenfalls noch deutlich geprägt von einer Mischung aus Elektrifizierung und User-Experience. Letzteres ist ja ein Wort, das gerade extrem stark von der Industrie gepushed wird. Unternehmen wie etwa Adobe setzten darauf und sagen: Wenn die User-Experience stimmt, kommt der Erlösstrom von alleine. Das ist, finde ich, bannig zu kurz gesprochen.

Alex: Das heißt für dich, dass die „User-Experience“ nun die „Kanalexzellenz“ abgelöst hat.

Matthias: Das könnte man so formulieren. Es ist auf jeden Fall das neue Buzzword. Und klar ist: User-Experience ist zwar wichtig, stellt aber lediglich einen Hygiene-Faktor dar. Sie ist aber nicht bestimmend, ob ich ein gutes digitales Produkt habe. Diese Produkte zu bauen, das ist der eigentliche Schmerz. Und deswegen wird immer versucht, das zu vermeiden. Das Unterfangen muss mit Risikobereitschaft versehen werden.

Und was sind dann eigentlich diese digitalen Produkte? Sie sind extrem stark auf Endnutzer zugeschnitten und üben damit eine disruptive Kraft auf die eigene Organisation aus, weil die Organisation eines Großkonzerns eben nicht auf den Konsumenten ausgerichtet ist. Da habe ich meine klassischen Silos wie Vertrieb & Marketing, IT, Produktentwicklung usw. je nach Branche. Wie kriege ich die wieder dahin, sich auf den Endnutzer zu fokussieren? Da müssen alle wieder kooperieren. Und das ist extrem schwer. So wird zugekauft oder neu gegründet, weil das in den bestehenden Strukturen nicht geht.

15:20

Alex: Aber so machen das letztendlich auch Google, Amazon, Facebook & Co., weil man den eigentlichen Kern selbst eines GAFA-Unternehmens nicht transformieren kann. Auch sie lösen vieles über Acqui-Hires, um Themen dazu zu kaufen, oder lagern neue Themen in neue Teams aus. Diese digitalen Unternehmen haben gelernt, dass ihr bestehendes Geschäftsmodell eine bestimmte Halbwertzeit hat: Hätte Google 2011 nicht Android gekauft, wären sie wahrscheinlich nicht mehr Teil des GAFA-Alphabets. Das wissen sie – und so handeln sie auch.

So ist eigentlich nicht so ganz falsch, wenn auch deutsche Konzerne sehen, dass sie das nicht binnen etablierter Strukturen weiterkommen, um dann neue Themenfelder entsprechend aus der Organisation rauslösen. Oder siehst du das anders?

Matthias: Klar, man hat immer Legacy-Probleme: Jedes Mal, dass du CTRL + S drückst, hast du Legacy geschafft. Das ist immer so. Aber man muss auch sehen, dass die GAFAs mehrheitlich Software-Unternehmen sind, die noch über einen funktionierenden Kern verfügen. So haben sie ganz einfache Vorteile wie: einen Log-in. Dahinter verbirgt sich ebenfalls ein Lock-in, weil damit vernünftige, nachgefragte Services angeboten werden können, die an Alltagrelevanz gewonnen haben. Von diesem Sprungbrett aus – von den fünf Minuten am Tag, in denen jemand über Google sucht – ist es zwar alles andere als leicht, aber immerhin möglich, mehr abzudecken. An Search hat Google erstmal GoogleMaps drangehängt, dann Android und GooglePlay. Genauso macht es auch Apple. Sie haben nämlich den funktionierenden Software-Kern und eine Engineer-Culture die es ihnen ermöglicht, immer wieder in andere Bereiche und andere Services einzudringen. Denn ein Produkt ist ein Service – und ein Service in unserer Welt wird jetzt durch Software ausgedrückt.

So haben es Software-Firmen viel leichter als unsere traditionellen Kunden: Sie sind Airlines, Automobilhersteller o. Ä. und denken immer noch in ihrer Branchenlogik. Ihnen fehlt damit diese Chamäleonhaftigkeit, die Software-Unternehmen kennzeichnet. „Ich bin Software: Und jetzt wo alles Software wird, springe ich in diese Branchen rein.“

(Daraufhin möchte Alex wissen, warum dieser Software-Kern nicht bei Unternehmen wie Yahoo und AOL gereicht hat. Es wird debattiert, ob sie wirklich Software-Firmen waren, oder doch nicht Netzanbieter – und ob die GAFAs wirklich anders sind und besser geschützt, oder ob ihnen dasselbe Schicksal ereilen könnte. Zum Software-Kern und Ingenieurskultur brauche man auch noch einen gehörigen Schuss Paranoia.)

20:25

Alex: Eine Frage dazu aus unserer WhatsApp-Gruppe: Heißt die übergeordnete Relevanz von Software denn, dass man die Entwicklung nicht mehr an eine Agentur wie deine outsourcen soll? Oder leiht ihr den Kunden Leute aus, damit sie die Kompetenz selbst aufbauen kann und sie kaufen die euch nach einem Jahr ab?

Matthias: Dieses Spannungsfeld zwischen In- und Outsourcing wird es immer geben. Wenn man die Unternehmen fragen würde, würden die meisten – glaube ich – sagen, dass sie die Kompetenz am liebsten intern hätten. Aber die Wirklichkeit ist, dass wir einen riesigen Talentmangel im Markt erleben, und die Unternehmen müssen sehen, wie sie es gebacken kriegen. So gibt es alle Schattierungen von digitalen Fabriken mit eigenen Mitarbeitern, Freelancern und vielleicht auch strategische Vendoren, die Mannschaften zur Verfügung stellen, bis hin zu Joint Ventures und komplettem Outsourcing.

Das ist alles zulässig, weil die Firmen einfach handeln müssen. Sie müssen einerseits elektrifizieren und andererseits neue Wetten aufbauen, die bestimmte im Unternehmen vorhandene Kapazitäten hebeln, aber noch nicht am Markt erprobt sind. Das kann man nicht alles gleichzeitig mit eigenen Mitarbeitern machen. So outsourcen die die langweiligen Sachen, damit sie das Spannende im Haus machen. Oder sie machen es umgekehrt, weil ihnen dazu das passende Personal noch fehlt: Und wenn die Wette aufgeht, können sie das Team nachher insourcen.

(Matthias gibt als Beispiel für Letzteres den Aufbau von REWE Online. Als klar wurde, das Amazon Fresh kommen würde, wurde REWE Online wieder ins Unternehmen geholt, damit es als strategisches Thema schnell groß aufgezogen werden konnte. Da habe der Dienstleister beste Arbeit geleistet: Einem Konzern den Weg in ein neues Geschäftsfeld zeitig geebnet.

Alex fragt Matthias nach seinen Empfehlungen für Mittelständler abseits der deutschen Digitalzentren: Sollen sie Acqui-Hire versuchen? Externe Teams in Berlin und Hamburg aufbauen? Aufträge fremdvergeben? Viele seien ratlos. Ein wichtiger erster Schritt sei, antwortet Matthias, zwei oder drei patente Marktexperten in das Unternehmen zu holen, um die Vorgehensweise fachkundig zu definieren. Denn es gebe ja keine Faustregel, was Unternehmen wann in welcher Größe und mit welchen Absichten tun sollten.)

27:20

Alex: Aber für alle Unternehmen, die in der Bredouille sind, hast du immerhin eine Lösung parat: Dein Buch. Ich habe es gelesen – und rezensiert! Deiner Meinung nach passt das Thema – transformationale Produkte – nicht in so einen zweiseitigen Gastartikel in „Horizont“. Was ist aber dein Rezept?

Matthias: Es gibt erst einmal eine ganze Reihe von Thesen, die sich meiner Ansicht nach in den letzten zwanzig Jahren validiert haben. Das ist das eine: Wie baue ich eine erfolgreiches digitales Produkt? Dahinter steht die Idee, dass digitale Transformation in Unternehmen nicht dadurch zu lösen ist, dass sich organisatorisch und kulturell was verändert. Denn die Vorstellung gibt es (etwas zugespitzt): „Wir arbeiten jetzt alle per Scrum, sind agil und kleben unsere Wände mit Post-its zu. Dann schaffen wir den Sprung zum nächsten GAFA.“ Das ist Quatsch. Es sterben eh 99,x % aller Start-ups, aber auch sie haben alle gearbeitet wie die Unternehmen in Silicon Valley und Berlin. So kommt es nicht auf das Wie an, sondern darauf an, was ich eigentlich baue.

(Daraufhin wiederholt Matthias das Mantra, dass Produkt heute ein Service sei, der dem Endkunden einen Nutzen bringt. Alex fasst zusammen, dass die Arbeitskultur keine Ursache sei, sondern Effekt. Eine Transformation über einen Kulturwandel schaffen zu wollen, führe ins Leere.)          

30:20

Alex: Erklärst du denn im Buch, wie man eigentlich so ein transformationales Produkt baut?

Matthias: Ja, das ist so ein Playbook. Es wird erklärt, was die Eigenschaften von transformationalen Produkten sind. Dazu gehe ich auf die Interaktion zwischen User-Experience auf der einen und Bild/Marketing auf der anderen Seite ein: Wie vertreiben sich eigentlich solche Produkte? Wie kommen sie in den Markt? Was hat es mit der Plattform-Ökonomie auf sich? So arbeite ich erst einmal deskriptiv, um diese Produkte und ihren Kontext zu beschreiben. Das eine Dekodierung von den erfolgreichen Produkten, die wir heute sehen, ob bei GAFA, Netflix, Booking.com oder LinkedIn.

Auf der anderen Seite geht es um Handlungsanweisungen: Wie baue ich solche Produkte? Welche Rahmenbedingungen müssen stimmen, wie setzte ich diese Produktteams auf? Das ist keine kulturelle Neudefinition der gesamten Organisation, wohlgemerkt. Das sind schlussendlich kleine, übersichtliche Produktteams, die an den Ideen und Thesen arbeiten. Wie sind sie aufgebaut? Wie geht crossfunktionales Arbeiten aus Designern, Beratern und Software-Entwicklern? Wie lege ich Stage-Gates fest, um zu wissen, wann ich die Entwicklung doch abbrechen muss, weil das Produkt wahrscheinlich nicht die Überlebenschancen meines Unternehmens positiv beeinflussen wird.

So ist es kein Buch, das verspricht: „Wenn Sie das lesen und eins zu eins umsetzen, kommt ein transformationales Produkt raus!“ Sondern es beschreibt, wie eine Organisation verschiedene Wetten bauen kann – also sich mit parallelen Teams eine Produktpipeline aufbauen kann.

(Um zu verdeutlichen, wie gering die Chancen für ein erfolgreiches transformationales Produkt stehen – und wie wenig herkömmliche Instrumente wie Customer-Journey-Analysen zu einem Zustandekommen dessen beitragen – beruft sich Matthias auf des Platons Höhlengleichnis.)

34:20

Alex: Wie kommst du denn zu deinen Wetten? Nehmen wir den 500-Millionen-Euro Mittelständler, der im Bereich B2B C-Teile herstellt. Er ist Zulieferer für weiterverarbeitende Industriewerke. Er hat gemerkt: Bald wird die Digitalisierung vermutlich auch ihn treffen. Er muss ja irgendetwas tun: Wie findet er seine Wetten?

Matthias: Ich fange immer beim Nutzer an: In diesem Fall die B2B-Kunden dieses Zulieferers. Welche Probleme hat der Nutzer? Wie ist sein Alltag heute? Wo drückt bei ihm der Schuh? Dann gewinnt man Erkenntnisse, wie man dem Nutzer helfen und seinen Alltag einfacher machen kann.

Das lustige ist: Diese Art von Produkt- und Servce-Design gibt es seit Jahren schon. Es ist bereits erprobt. Insofern liegt die Schwierigkeit nicht darin, auf die Idee zu kommen, sondern darin, eine nachhaltige Pipeline an Ideen aufzubauen. Die Ideation- und Workshop-Prozesse, die es heute gibt, scheinen sich damit zufrieden zu geben, dass man einen Hack-a-thon zu Alexa macht und dann einen neuen Voice-Skill hat. Aber da wird Innovation nur simuliert. Man muss vielmehr in einer kritischen Breite und Menge anfangen, echte Probleme von echten Menschen zu lösen. Und wenn man Kandidaten für Produkte hat, muss man in den nächsten Schritte gucken, ob auch eine Geschäftsidee dahintersteckt. Man muss sich die Frage stellen: Erhöhe ich die Überlebenschance meines Unternehmens dadurch, dass ich diesen Service anbiete? Wenn ja, dann baut man Prototype und MVPs und versucht, das Produkt in einem Markt zum Laufen zu bringen. Davon muss man fünf oder sechs Stück in der Entwicklung haben. Das ist kein Thema, das losgelöst läuft. Ich habe nicht die eine Silberkugel, die ich abschießen kann.

(Alex will wissen, wo genau im Unternehmen dann Produktteams ansässig sind. Matthias sagt, es sei gerade das Schöne an der Herangehensweise, dass so Produktteams überall im Unternehmen und vor allem abseits bestehende Silos entstehen kann. Danach geht er über die Steuerung dieser Teams ins Detail: Interessant sei nämlich die Frage, wer spezifisch die Produktwetten verantwortet.)

41:15

Alex: Das Buch ist jetzt seit März 2017 draußen: Gab es schon das erste transformationale Produkt, das nach deinem Rezept gebaut wurde?

Matthias: Keine Ahnung. Ich weiß von keinem.

Alex: Ich dachte, vielleicht würde man das mal als Rückmeldung in einer Rezension lesen?

(Alex guckt kurz bei Amazon nach, wie viele Rezensionen das sind: Erst zehn! Auch bei seinem E-Commerce-Buch sei die Rezensenten-Quote erschreckend niedrig. Sie geben einen gemeinsamen Appell an Besitzer von Rezensionsexemplaren raus, die jeweiligen Werke auch wirklich zu rezensieren.)

42:50

Alex: Ein Problem, dass du mit der Entwicklung von transformationalen Produkten ansprichst: Es kann keiner vorab wissen, ob sie funktionieren, aber sie brauchen signifikant Ressourcen. Gibt es einen Königsweg, das Problem zu umgehen? Oder einfach Pech gehabt?

Matthias: Pech gehabt!

(Diese Antwort müsse Alex, sagt er, seinen Kunden auch größtenteils geben. Zum Ende des Podcasts hin geht es darum, dass viele Unternehmen nach wie vor die Digitalisierung zu managen versuchen würden – vor allem mit KPIs: Zusatzumsatz, Neukundenanzahl, Mitarbeiter. Ob es doch Best-Practice-Fälle von Unternehmen gibt, die in der Digitalisierung gut vorankommen? Axel Springer und Otto wolle Alex nicht gelten lassen, weil sie seiner Meinung nach schon die erste Hürde der Digitalisierung genommen haben. Wie sehe es im Industrie-Bereich aus? Schlecht, antwortet Matthias, weswegen er das Buch geschrieben habe und an Accenture verkauft habe, um größeres zu wagen. Nicht mal die einfachsten Hygiene-Faktoren wie Single-Sign-On seien in der Automobil-Industrie, der Versicherungswirtschaft, im B2B-Bereich usw. umgesetzt. Die Zeit renne den Protagonisten davon.

Ganz zum Schluss geht es um Fireball als Beispiel dafür, wie ein traditionelles Unternehmen – in dem Fall Bertelsmann – sogar ein funktionierendes neues digitales Geschäft um die Jahrtausendwende eingestellt habe. Da könne einem Angst um den Standort Deutschland erfassen.)

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