Shocked and surprised boy on the internet Lennart Paul (Warenausgang.com) hat sehr ausführlich hergeleitet, warum er den Kauf von Contorion.de durch die Hoffmann Gruppe so klug findet. Ich komme zum gleichen Ergebnis, allerdings mit ein paar anderen Input Variablen. Am Ende des Tages kauft sich Hoffmann ein super Team mit einem soliden Geschäftsmodell, und damit ca. 2-4 Jahre Vorsprung. Das ist locker 100m+ Euro für ein Milliarden Unternehmen wert. Klarer Verlierer hierbei: Würth. Diese beiden Einschätzungen könnte man nun als Szenegeschwafel ignorieren, weshalb wir spontan in Hamburg, Stuttgart und Berlin zu ein paar Hoffmann/Contorion Spezialausgaben des DCDnet geladen haben. Insgesamt haben an allen drei Terminen ca. 60 Leute teilgenommen und Lennart hat das Hamburger Event auch im Blog nachgezeichnet. In Hamburg haben 50% der Teilnehmer den Deal positiv bewertet, in Stuttgart und Berlin waren es schon 80%.

Die Teilnehmer waren oft langjährige Kassenzone.de & Warenausgang.com Leser und mE eher progressiv eingestellt. Insofern dürfte das nicht die „normale“ Marktmeinung widerspiegeln. Für mich war es aber besonders interessant zu erfahren für wie viel Diskussion und Bewegung der Deal geführt hat und natürlich ist das auch gut für Spryker, weil das auch die Basis für Contorions technischen Erfolg ist und mittlerweile viele weitere B2B Unternehmen (Takkt Gruppe, HILTI, A.T.U usw.) auf den Trichter gekommen sind, dass Spryker bei den eigenen Digitaloptionen wohl eine sehr gute Wahl ist.

Ich habe das direkt zum Anlass genommen, um Lennart mal wieder eine Stunde lang vor der Kassenzone.de Kamera zum B2B E-Commerce Markt zu befragen. Contorion selbst ist natürlich bei Spryker auf der DMEXCO zu Gast und setzt dann das Gespräch vor Ort mit Lennart fort. Hier geht es zur Anmeldung.

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Auch Betonmischer sind nicht so ganz erklärungsbedürftig, wie man es vielleicht annimmt“

(Der Podcast fängt mit einem Verweis auf die B2B-Sonderausgabe des Digital Commerce Days sowie auf die anhaltende Personalsuche bei Spryker und eTribes: Interessierte sollten sich auf jeden Fall melden.)

03:30

Alex: Die Hoffman-Gruppe erwirbt jetzt Contorion. Ein guter Anlass, um über B2B-E-Commerce zu reden. Wie ist die Stimmung da gerade?

Lennart: Gerade in Deutschland und gerade in den Bereichen MRO und Werkzeugen/Verbrauchsgüter hat die Übernahme von Contorion extrem viel Dynamik reingebracht in den letzten Wochen. Ich merke, dass die Warenausgang-Artikel deutlich häufiger aufgerufen werden. Allerdings ist schon seit 2011-2012 so etwas wie Aufbruchsstimmung da. Was wiederum typisch ist für den B2B-Bereich insgesamt: Ob Stahl- oder Werkzeughandel, ob Hersteller oder Verkäufer gibt es aber immer noch einen gewissen Phlegmatismus. So ist allen Beteiligten klar, dass sie die Probleme nicht einfach mal so innerhalb des Kerngeschäfts werden meistern können. Vor einem halben Jahr ist auch Amazon Business hierzulande eingestiegen. Die Dynamik nimmt alleine deswegen zu.

Alex: Inwieweit ist das mit dem B2C-Markt vergleichbar? Gefühlt hat man im Einzelhandel erst vor vier-fünf Jahren wirklich verstanden, dass so klassische Multichannel-Strategien nicht mehr ausreichen und dass E-Commerce eine komplett eigene Sparte ist. Zumal die strukturellen Probleme des stationären Einzelhandels erst durch Online-Handel sichtbar geworden sind. Heutzutage kommt kein Artikel mehr zum Thema Handel ohne Verweis auf das Sorgenkind Ladengeschäft aus. Wie ist das im B2B? Macht man sich hier auch Sorgen über die Zukunft der Handelsmodelle?

Lennart: Es ist schon so, dass die in der „Sandwich-Position“ in der Mitte – also der große Fachhandel – am Intensivsten Gedanken machen (oder sie sollten es zumindest tun). Je nach Branche und Größe funktioniert der Multichannel-Ansatz nämlich höchstens semi-gut. Die meisten B2B-Handelsstrukturen sind sehr granular: Der Werkzeughandel ist etwa mit 2.000-3.000 Fachhändlern in Deutschland vertreten. Da bringt einem Mutlichannel herzlich wenig, weil die Reichweite auch stationär sehr eingeschränkt ist.

Auf Herstellerseite machen sich viele Akteure jetzt Gedanken, wie sie durch die Digitalisierung einen direkten Kundenzugang bekommen – wie sie über Plattformen wie Amazon oder Mercateo einen besseren Kundenzugang einrichten und mehr Handelsmarge selbst mitnehmen können.

So sind die Bedrohungsszenarien für Hersteller und Händler jeweils sehr unterschiedlich. Für Letztere ist das Potenzial von Amazon deutlich unangenehmer. Herstellermarken bleiben mehr Handlungsräume offen. Zumal sich – mit Stefan Grimm von restposten.de gesprochen – der Produktzugang gerade demokratisiert: Wer gute Produkte hat, wird sich auf Plattformen wie Amazon langfristig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit durchsetzen. Paar Hersteller sind zwar gefährdet, aber es sieht generell für sie besser aus.

8:30

Alex: Ich habe das Gefühl, die Amazon-Business-Thematik wird im B2B nicht so ernst genommen, wie im B2C. Es wird nämlich – genau wie bei der Contorion-Gründung – gesagt: „Naja, das bedient möglicherweise ein sehr niedrigschwelliges Kaufinteresse für einfache Produkte ohne Service usw. Da werden aber auch in Zukunft keine Zementmischer gekauft werden. Für mein Geschäft nicht so dramatisch…“ Erlebst du das heute auch noch?

Lennart: Am Anfang wird Amazon Business versuchen, stark Commodity-Produkte zu verkaufen, weil es am einfachsten ist. Aber wenn ich als Full-Service-Händler diese Commodities eben verliere, dann verliere ich doch sehr schnell den Boden unter den Füßen. Von vielen wird das verstanden und das Thema entsprechend ernst genommen. Aber immer wieder gibt es Stimmen, die sagen – wenn Amazon Business Anfang Mai mal bekannt gibt, es habe allein in den ersten vier Monaten 10.000 Händler und 50.000 Kunden aggregiert – „50.000 Kunden? Das ist noch nichts.“

Dabei sollte man eher die Fünf-Jahres-Perspektive im Kopf haben. Und da geht es meiner Meinung nach sehr stark in Richtung Amazon Business. Denn gerade in der Beschaffung von nicht-erklärungsbedürftigen Produkten bietet es die größten Vorteile. Und damit öffnet sich Amazon die Möglichkeit, später vielleicht doch auch komplexere Produkte zu verkaufen.

10:40

Alex: Diese 5-10% des Sortiments, das bei Amazon Business verkauft wird, ist also als Einfallstor zu betrachten. Und wenn die Frequenz aus den Filialen weggeht, ist es eigentlich schon zu spät.

Vielleicht hilft es, den Markt ein wenig einzuteilen und zu schauen, was auf Hersteller, Fachhändler und andere Beteiligte wie den Großhandel zukommt. Fangen wir bei den Händlern an. Da gibt es viele Strukturen, aber wir nehmen denjenigen, der keine großen Eigenmarken hat und zwei-drei stationäre Flächen betreibt…

Lennart: Der regional begrenzte Händler hat erst einmal die Möglichkeit, online seine Reichweite massiv zu erhöhen. Der muss sich aber darüber im Klaren sein, dass er sein stationäres Kerngeschäft mittelfristig nur sehr schwer wird verteidigen können und deshalb neue Erlösströme erschließen muss. Allein deswegen ist es gar nicht so dumm, in den Online-Handel einzusteigen, selbst wenn er sehr begrenzte Ressourcen hat. Die Frage ist nur, wie lange es noch ausreichen wird, ein Geschäftsmodell zu haben, das rein auf Arbitrage mit Herstellermarken fußt. So ein Hersteller sollte also Richtung eigene Marken gehen – wobei das für kleinere Händler natürlich schwierig ist und es da eher Sinn ergibt, sich mit anderen zusammenzuschließen – und vor allem sich überlegen, wie er mehr Service-Komponenten reinbringt. Der hat den Vorteil, dass er vor Ort ist, und viele mechanische Dienstleistungen lokal anbieten kann. Also: Weg von der reinen Handelsdenke und hin zu mehr dienstleistungsorientierten Modellen.

Alex: Also beispielsweise so eine Art Baustellenservice mit dem Angebot, jede Maschine, die ausfällt, innerhalb von 24 Stunden zu reparieren?

Lennart: Genau. Da muss man sich Amazon und andere Herausforderer anschauen und sich fragen, was man schon heute machen kann, was Amazon noch gar nicht anbieten kann. Selbst ein Amazon hat ja Schwächen. In allem, was eher individuell und Service-lastig ist und außerhalb des Bereichs Logistik fällt, ist Amazon weder besonders stark noch hat es ein besonderes hohes Interesse, stark zu werden. Insofern, ja: So etwas wie defekte Maschinen auf einer Baustelle austauschen oder fehlende Produkte direkt dorthin liefern.

(Ebenfalls ein großes Thema auf dem Bau: Ausschreibungen. Hier könnten Händler etwa mit einem Ausfüll-Service ihre Kunden unterstützen. Aber zu viele Händler sähen so etwas noch als notwendiges Übel, Produkte zu verkaufen, statt Alleinstellungsmerkmal. Alex stimmt ein: Händler vom An- und Verkauf von Waren auf kreative Service-Lösungen zu bringen setzt eine Kompetenz voraus, die viele gar nicht haben und nicht entwickeln wollen. Auch fehlten kleineren Händlern schlichtweg die Ressourcen, solche neue Strukturen aufzubauen)

16:15

Alex: Gibt es schon eine Bereinigung in dem Markt?

Lennart: Klar. Vor allem kleine Händler, die es nicht geschafft haben, sich in einer Nische zu spezialisieren, verschwinden heute schon von der Bildfläche. Viele andere leben jetzt noch von altem Geld: Denen gehören zum Beispiel die Hallen rechts und links des Geschäfts im Gewerbegebiet und sie vermieten diese nun an andere. Oder sie zehren vom Verdienst früherer Tage. Oder sie leben noch vom Bestandsgeschäft, gewinnen aber kaum Neukunden. Mir fällt es ehrlich gesagt schwer, denen zu sagen: „So sieht jetzt die Erfolgsstrategie aus.“ Ich würde selbst heute keinen so kleinen Handel übernehmen wollen. Man muss eben eine gewisse Größe erreichen.

Selbst Mittelständler, die 100-300 Millionen Euro Umsätzen, tut sich verdammt schwer. Sie haben Hunderte Mitarbeiter, 20 Standorte, eine sehr große Kundenbasis und schaffen es nicht immer, die nötigen Schritte zu gehen. Einerseits mag das ein kulturelles Thema sein, andererseits ist aber eben auch eine Frage der notwendigen Investitionen. Viele haben auch jahrelang nichts investiert.

Für einen Vier-Mann-Betrieb… da… da bin ich auch ein bisschen ratlos, was man da machen soll.

18:25

Alex: Halten wir also fest: So widersinnig es klingen mag, muss der Händler ein Stück weit vom Handel unabhängig werden beziehungsweise darf nicht ausschließlich auf Handelserlösströme setzen. Schauen wir jetzt auf den zweiten Kandidaten: Den Hersteller. Was können Hersteller in dieser Situation tun? Und: Ist Hoffman eigentlich ein Hersteller?

Lennart: Hoffmann hat zwar zwei Eigenmarken und eine davon wird von Kunden als auf Augenhöhe mit Herstellermarken wahrgenommen. Es handelt sich aber de facto um einen Händler.

Alex: Und sind Hersteller von – sagen wir mal: – kleineren akkubetriebenen Geräte, die sich gut versenden lassen, stärker bedroht als die Hersteller von Betonmischern?

Lennart: Grundsätzlich ist es bei allem, was in einen Paket passt und von DHL oder DPD geliefert werden kann, potenziell schon einfacher anzugreifen. Aber auch Betonmischer sind jetzt nicht so ganz erklärungsbedürftig, wie man es vielleicht annehmen würde: Fast jeder, der so ein Ding benutzt, weiß ja, wie es funktioniert. Aber klar: Je unkomplizierter das Produkt, desto stärker ist es bedroht. Von der Größe sollten wir es aber nicht abhängig machen: Gerade bei Werkzeugen gibt es zum Beispiel Segmente wie Zerspanung. Da braucht man so kleine Fräsköpfe in Bohrer-Größe, die aber technisch hochkomplex sind: Wie sind sie beschichtet? Was haben sie für Standzeiten? Wie präzise schneiden sie? Das sind keine Produkte, die in Taiwan von der Maschine fallen und Amazon mit „Amazon Basic“ beschriftet werden könnten.

(Alex listet die Schwierigkeiten für Hersteller von Konsumgütern oder Modeartikeln im B2C-Segment auf: Wegen der zunehmenden Stärke Amazons müssten sich schnell Verhandlungskompetenzen aneignen. Dann kämen Rezensionsmanagement auf Marktplätzen und andere Themen dazu.)

22:25

Alex: Wie ist es bei B2B-Herstellern: Müssen sie – sollten sie – mit Amazon zusammenarbeiten?

Lennart: Egal aus welchem Bereich sie kommen, dürfen Hersteller das Thema nicht negieren. Viel eher sollten sie sich überlegen, wie sie von Amazon profitieren könnten. Dazu gehört es, sich zu überlegen: Verkaufen sich schon heute meine Produkte auf der Plattform, ohne dass ich darauf Einfluss habe? Wenn ja, dann muss ich mich für eine Strategie entscheiden. Da muss ich zwar nicht immer als Vendor direkt mit Amazon zusammenarbeiten – das ist nicht für jeden der richtige Weg – aber ich muss da die Chancen ergreifen und von dem Bedarf, der dort gebündelt wird, zu profitieren. Das ist in B2C schon seit zehn Jahren so. Es geht jetzt gerade im B2B los und wird in fünf Jahren definitiv der Fall sein.

Alex: Besteht dann aber nicht die Gefahr, dass die bestehenden Partner im Fachhandel sich sagen: „Der verkauft jetzt Produkt auf Amazon, die ich nicht mal im Sortiment habe – und das sogar günstiger als bei mir! Den liste ich jetzt aus!“

Lennart: Heute noch nicht – also nicht in der breiten Masse. Dadurch, dass Amazon gerade dabei ist, B2B-Anbieter auf die Plattform zu holen, läuft es eher in die andere Richtung. Aber klar, es passiert: Das beste Beispiel dafür ist, glaube ich, die Elektrowerkzeugbranche. Im traditionellen B2B-MRO-Werkzeughandel ist der Wettbewerb am höchsten und so ein Bosch oder Metabo oder Makita muss sich anders verhalten als ein Nischenhersteller begehrter Einzelteile. Da muss man sich strategisch fragen: Möchte ich derjenige sein, der diese Kämpfe mit Amazon ausficht? Oder möchte ich das Feld der Konkurrenz kampflos überlassen? Denn: Irgendeiner wird’s machen.

(Daraufhin geht es um die Bedrohung durch Alibaba und asiatische Händler und Hersteller, die gerade nach Europa expandieren: Hier drängen viele in den Markt und verkaufen schon heute günstig online.)

27:15

Alex: Aber das sind dann oft No-Names: Ist Marke im B2B-Handel relevant?

Lennart: In vielen Bereichen hat Marke sogar eine höhere Relevanz als im B2C. Das rührt zum einen daher, dass Präferenzen in Firmen vom Chef zum Angestellten weitergegeben werden. Das heißt nicht, dass sie unantastbar sind. Aber das, was gerade auf Plattformen groß gewordene neue Anbieter wie Anker & Co. so einem Hama oder Belkin auf Amazon und im Internet generell zufügen, wird einer Firma wie Fischer oder Knipex nicht so schnell und nicht so massiv passieren. Das Szenario ist zwar nicht unrealistisch. So große Markanteile wird eine neue Elektrowerkzeugmarke den Etablierten aber nicht in so einer Geschwindigkeit abjagen können.

(Alex zweifelt das an und führt dazu eine Anekdote aus seiner Handwerkertätigkeit auf. Zudem verweist Alex auf die Argumentation von Lennart vorhin zur Gefahr für Händler von niedrigschwelligen Einstiegsangebote. Gilt das vielleicht auch nicht für Hersteller? Beim Bohrer fängt es an und dann verliert die etablierte Marke immer andere Produktkategorien an Herausforderer… Lennart streitet diese Möglichkeit nicht ab, betont aber, dass die Branchen und Segmente im B2B viel komplizierter und die Kundenstämme um einiges vielfältiger sind. In einigen Subbranchen sei Markenbewusstsein kaum vorhanden, in anderen dafür schon.)

32:30

Alex: In Deutschland will Amazon Business schon 50.000 Accounts aufgebaut haben. Wird das genauso schnell wachsen wie in USA, wo es bereits einen Kundenstamm von insgesamt eine Million gibt? Bei durchschnittlich paar Tausend Umsatz pro Kunde sind wir da sehr schnell bei einer Milliarde an Umsatz…

Lennart: Also: Zumindest in meiner Filterblase spricht gerade jeder Hersteller mit Amazon und Amazon Business – spätestens seit Anfang dieses Jahres, aber teilweise schon länger.

Alex: Warum reden sie mit Amazon? Weil sie dort zunehmend Umsatz machen? Oder kommt Amazon zu ihnen?

Lennart: Da ist es sowohl Push als auch Pull. Der eine Trigger ist, dass Leute in diesen Unternehmen sitzen, die sehen, dass darin eine Chance besteht und daran partizipieren wollen. Auf der anderen Seite ist Amazon schlau genug zu verstehen, dass man in sehr vielen Branchen im B2B bestimmte Marken und Produktumfänge einfach listen muss, um Erfolg zu haben, und spricht die Unternehmen folglich an. Mir ist es beispielsweise nicht bekannt, dass es damals im B2C-Bereich Mitarbeiter bei Amazon gab, die hier über die Schwäbische Alb fahren und einen halben Tag bei einem Hersteller die Vorzüge von der Plattform erklärt hätten. Wenn es das etwa im Bereich Consumer Electronics gab, dann fand das in sehr eingeschränkter Form statt. Aber genau das passiert jetzt gerade im B2B.

35:35

Alex: Wie geht man mit dem Thema um, dass im Bereich B2B viel kompliziertere Business-Prozesse dem Kauf vorausgehen? Da geht es darum, welcher Kunde was bestellen darf – und wer bei dem Kunden hat das Recht, was zu bestellen. Und das nicht nur an einem, sondern an zehn Standorten! Sowie temporäre Standorte wie Baustellen… Es heißt immer wieder, das lasse sich online schwer abbilden.

Lennart: Das ist eine bloße Schutzbehauptung! Klar, wer denkt, er kann dynamische Kundenanforderungen mit einer Standardlösung abbilden, liegt falsch. Es macht für den Kunden da schnell keinen Spaß mehr. Aber es gibt eben genug Anbieter, die diese Anforderungen online abbilden können. Und zwar nicht nur so, dass es funktioniert, aber teilweise mit einer sehr hohen Usability versehen. Da muss man hinkommen. Es reicht halt nicht, einen Online-Shop zu haben: Wir sprechen hier ja über „B2B-E-Commerce“.

(Alex wendet ein, ein Spryker-basierter Online-Shop schaffe vieles. Genau daran macht Lennart fest, wie kompliziert die Anforderungen sind und wie individuell Schnittstellen und andere Lösungen gestaltet werden müssen – was ja mit Spryker bestens geht. Außerdem wird die Flexibilität bald zum Standard gehören: Spätestens in zehn Jahren – da sind sich beide einig – werden den Leuten in B2B-Handel die Kinnladen runterfallen, wenn sie darüber nachdenken, wie aufwändig viele Prozesse damals waren…)

39:50

Alex: Lass uns jetzt folgenden Case angehen: Ein etablierter Händler, der im Bereich IT schon viel investiert hat (Hoffmann) kauft sich ein Pure-Player (Contorion) – der übrigens mit Spryker skaliert hat. Du hast dich auf Warenausgang.com schon damit beschäftigt. Einige sagen, das war ein Schnäppchen. Andere sagen: 120 Millionen für einen noch nicht profitablen Händler ohne tollen Lagerbestand, der eigentlich nur aus einer Website und paar Kunden besteht? Totaler Wahnsinn! Du bewertest das auf jeden Fall positiv.

Lennart: Hoffman hat in den letzten Jahres sehr viel unternommen: Neuer Online-Shop, vermutlich große Fortschritte bei den Produktdaten. Das reicht aber leider nur, um die Lebensdauer des Kerngeschäfts ein wenig zu verlängern. Denn wir haben ja festgehalten, dass man sich überlegen muss, wo neben reinem Handel noch neue Erlösströme herkommen könnten. Und da hat sich Hoffman ein eingespieltes Team gekauft, das als Hub dienen kann, neue Geschäftsmodelle zu bauen und auszuprobieren.

Zudem sichert sich Hoffman neue Kunden: Die Gruppe ist von der Herkunft her industrielastig; Der Zugang zum Handwerkssegment fehlte. Sie haben sich auch einfach eine Menge Knowhow im Bereich Digital eingekauft: Online-Marketing, digitale CLV-Betrachtungen, Tech-Kompetenz – also: Technology-Ownership statt Lösungen von der Stange. Wie es übrigens aussieht, wenn Letzteres nicht vorhanden ist, sieht man am Konkurrenten Zoro. Und Contorion bringt auch noch dazu eine Riesendatenkompetenz mit. Das hat Hoffman alles auf einem Schlag bekommen. Zwar kann man sich das selber aufbauen, aber das kostet schon einen zweistelligen Millionen-Betrag und man muss seine 200-300 neue Mitarbeiter finden. Insofern rechtfertigt das für mich den hohen Preis.

(Anschließend geht es um Contorion im Detail. Alex beschreibt den Hergang von der Gründung zum Jetztstand und die Fähigkeiten des Unternehmens – und fragt, warum etablierte B2B-Handelsgruppen, die ja nicht doof sind, nicht längst schon da sind. Lennart führt dafür verfehlte Strategien sowie Probleme in der taktischen Umsetzung auf: Mitarbeiter seien jahrelang nicht incentiviert gewesen, an digitalen Entwicklungen wie Produktdatenpflege mitzuwirken. Contorion hatte aber keine andere Wahl. Alex fasst zusammen: Klassisches Legacy-vs-Greenfield-Dilemma.)

49:20

Alex: Bei Contorion hast du auch den Faktor Mitarbeiter angesprochen. Wie standortabhängig ist das? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich so ein Team von rund 200 Tech-Leuten beispielsweise hier in Stuttgart aufbauen könnte?

Lennart: Theoretisch geht das. Praktisch muss man massiv Geld in die Hand nehmen.

Alex: Was heißt denn „massiv“ und was ist der Unterschied zu einem Standort wie Berlin? Machen wir es an einem Produkt-Manager mit Datenverantwortung fest. Der kostet in Berlin 70.000 brutto. Wie viel mehr kostet er hier?

Lennart: Locker das Anderthalbfache, würde ich einfach mal so schätzen. Aber das Problem ist eigentlich, dass Nachfrage und Angebot hier so weit auseinanderklaffen – Nachfrage ist vermutlich wie in Berlin; angebotsseitig gibt es hier nur rund ein Zehntel der Jobsuchenden –, dass du dich als Arbeitgeber nur mit den Rahmenbedingungen profilieren kannst. Gehalt und sonstige finanzielle Kompensation sind da ein großer Hebel. Und man muss auch festhalten: In Berlin ist es heutzutage auch nicht mehr so einfach, so ein Team aufzubauen. Da stehen die guten Leute dort auch längst nicht mehr auf Straße rum und warten auf gute Angebote. Aber nach vorne raus ist Stuttgart nicht unattraktiv als Arbeitsmarkt: Hier gibt es Daimler, Bosch, Porsche, Breuninger – die gerade viel einstellen im Bereich E-Commerce – dann…

Alex: … die Köhler-Group!

Lennart: Dann gibt es auch noch rund Tausende mittelständische Unternehmen, die auch alle drei-bis-fünf Leute im Bereich Digital suchen.

(Bei der hohen Nachfrage, so Alex, bleibe es einem als Arbeitgeber nur noch, Leute umzuschulen. In der Motorentwicklung bei Daimler würden viele Leute bestimmt demnächst frei… Leider warte aber die Digitalisierung so lange nicht. Große Teams in Stuttgart, Frankfurt oder München aufzubauen, sei trotz der leergefegten Arbeitsmärkte und digitaler Stärke Berlins und Hamburgs möglich, betont Lennart, aber erfordere kreative Lösungen wie Acqui-Hire & Co. Außerdem reichten in vielen Unternehmen ein Team von vier-fünf Mitarbeitern zumindest für den Anfang aus, solange sie mit Budget und Verfügungen ausgestattet werden.

Alles aber zeitaufwändig, kontert Alex. Deswegen finde auch er die Contorion-Bewertung fair, weil Hoffmann damit viele Etappen übersprungen habe und das wertvollste Gut in er Digitalisierung Zeit sei. Danach fragt Alex Lennart, wie er das Markt-Echo wahrnehme. Lennart schildert geteilte Einschätzungen. Er glaube aber, solange Hoffmann keine allzu dumme Fehler macht, werde sich der Kauf auf jeden Fall mittel- bis langfristig lohnen.)

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