Ich bekomme sehr oft Feedback zu den Case Studies aus dem E-Commerce Buch. Dabei sind die Inhalte aufgrund des Platzmangels oft stark gekürzt und bewusst vereinfacht. An dieser Stelle möchte ich daher die Vorlage aufgreifen und bestehende sowie neue Case Studies zur Diskussion bringen. In dieser Reihe habe ich bisher Bonobos, ULTA, Zappos und Stitchfix betrachtet. Heute möchte ich genauer auf Farfetch schauen, einem Unternehmen das bald mit 5 Mrd.+ Bewertung an die Börse soll und sich aufgemacht hat den Handel zu revolutionieren. Ohne die Spannung aus dem Artikel zu nehmen, erinnert mich vieles bei Farfetch an Fab.com und die hatten kurz in ihrer Hochphase auch nur sehr wenig Lob („Die Fab.com Blase„) von Kassenzone zu erwarten. Das Material für die Analyse wird von eTribes bereitgestellt – eine der führenden Digitalberatungen in Deutschland. Viele von euch kennen eTribes bereits aus den vielen Knut Digital Studien.
Was genau macht Farfetch?
Farfetch ist heute aus der Sicht vieler Stakholder (Farfetch Team, Journalisten, Investoren, Boutiqen) das Poster-Child für E-Commerce-Innovation in der High Fashion Branche. Als Online-Marktplatz für Designermode verbindet das Modell High Fashion Boutiquen aus aller Welt mit dem Endkunden. Ohne eigenen Warenbestand bedient sich der Marktplatz dabei ausschließlich der Artikel, die in den kooperierenden Boutiquen vorrätig sind. Also quasi das Omichannel Modell schlechthin. So wie es Net-A-Porter geschafft hat, 350 Designermarken für den Onlinehandel zu gewinnen, so hat Farfetch 300 Boutiquen für sein Modell gewonnen, mit über 1000 Marken. Größer, schneller, besser klingt aus fast allen Berichten zu Farfetch. Das hat natürlich seinen Preis und das Unternehmen macht quasi jährlich mit einer neuen Finanzierungsrunde von sich hören
Die Gründungsgeschichte hat schon den ein oder anderen PR Check erlebt und klingt fast zu schön:
Der Gründer José Neves verbindet die Fashion und Tech Welt besonders medienwirksam: Enkel eines Schuhfabrikbesitzers in Portugal, modebewusst, smart, leidenschaftlicher Coder seit dem 8. Lebensjahr. Als Gründer einer Designer-Schuhmarke in London hatte Neves seinen Aha-Moment, wie er ihn selber beschreibt, und die Idee zu Farfetch war geboren:
“Why do you have Forty Five Ten, one of the most beautiful stores in the world, in Dallas? The inventory that was picked with so much love and attention is just sitting there, and put to work for only 10 hours a day for such a limited geography, when it’s relevant to the whole world. That was my “aha!” moment.“
Die Idee: Boutiquen wie Forty Five Ten in Dallas könnten ihr Inventar auf seinem Onlineshop anbieten und somit Kunden in aller Welt erreichen. 2008 ging er dann mit den ersten 35 Boutiquen online. Investoren konnte er vorerst nicht gewinnen und finanzierte die Idee vorerst selbst aus Privatvermögen und seinen Modeunternehmen. Die erste externe Finanzierungsrunde konnte er 2 Jahre später einsammeln und ist seitdem im Dauer-Fundraising, wo eine Runde die nächste jagt. Bisher konnten ca. 700 Millionen Dollar eingesammelt werden und die aktuellsten Gerüchte sprechen von einem Börsengang mit einer 5 Milliarden Dollar Bewertung. Mit dem Geld hat Farfetch u.a. eine Boutique gekauft, die es technisch hochrüsten möchten. OMG!
Weitere Fakten:
- 2014: $300 Mio GMV – ca $75 Mio Innenumsatz
- 2015: $500 Mio GMV – ca $125 Mio Innenumsatz
- 2016: $800 Mio GMV – ca $200 Mio Innenumsatz
- Bis heute nicht profitabel
- 1000 Mitarbeiter in 9 Locations
- 300 Boutiquen, 1000 Marken
- laut Similarweb sind die Kunden sehr verteilt, mit ca 20% Traffic aus den USA, 10% aus Russland
Was macht das Geschäftsmodell besonders?
Die PR Story ist recht klar: Farfetch macht das Inventar von hochwertigen Boutiquen auf einer Plattform zugänglich und verdient Geld ohne das Bestandsrisiko tragen zu können. Auf dem Papier eine Win-Win Situation, bei der Farfetch 25% Kommision auf die Umsätze kassiert. (kein Mindestumsatz, keine Setupgebühr) Die Durchschnittsorder liegt wohl bei 700 Dollar.
We’re like OpenTable for boutiques — they know every empty table, we know every shoe that is sitting on every shelf unsold. We know how much offline is moving and how much online is moving. And just by making your physical inventory available 24-7 to a global audience, you massively boost your economics. […] once we connect a boutique to the platform, we account for about 45 percent of sales.
Wie bei jedem guten E-Commerce der frühen 2000er Jahre hat sich auf Farfetch die Omnichannelbrille aufgesetzt und verspricht den reibungslosen Einkauf über alle Kanäle. Das dürfte ein recht teurer Spaß für Farfetch sein und leider erfährt man nicht wie viele Kunden das nutzen. (interne Anmerkung der Redaktion: wahrscheinlich fast keiner)
[We…] deploy services like ‘click and collect,’ which allows customers to buy items from any Farfetch boutique and pick them up, try them on and return them over the counter at any store in the network. […] From day one, we were in stores with software that synchronised inventory and allowed us to manage online orders. But how do you extend that? Multi-channel CRM, point of sale, in-store analytics, payments…. Then there’s some gimmick-y stuff, which I’m not a big fan of, but maybe one day we’ll make it work, like digital mirrors and stuff like that. […] We want to become the world’s omnichannel platform
2016 kam zu dem Online-Marktplatz ein weiterer Geschäftsbereich hinzu, welcher Farfetch noch mehr als Plattform und digitaler Leader im High Fashion Einflussnehmer positioniert: Farfetch Black & White ist eine Art Whitelabel Lösung für eigene Webshops von Designermarken. Vogue beschreibt das ganze so:
“The collaboration is the first online destination to be created by Farfetch’s new Farfetch Black and White business, a new arm of the brand that was set up late last year to give the e-tailer the capacity to support monobrand online platforms. In doing so it can offer luxury brands access to its technological advances (such as customer support, click and collect, international payments and return in-store options) within an independent environment.”
Das Modell ist naheliegend, weil die Zusammenarbeit mit den Brands aus meiner Sicht mehr Zukunftsaussichten hat als die mit den unter Druck stehenden Boutiquen, aber es führt zu heftigen Zielkonflikten. Darauf angesprochen kann man von Farfetch nur ausweichende, bullshitbingo Antworten lesen.
On whether adding mono-brand stores to the Farfetch marketplace would eat into sales at boutique partners, Neves said: “What brands make available for wholesale is often different from what brands have at retail. But if both [channels] have the same product in the same size, we’ve developed an algorithm that is very balanced [and will determine how the sale is allocated]. We exposed this algorithm to our boutiques two months ago to give them a chance to comment and, obviously, we’ve negotiated with the brands as well.”
Unabhängig von diesem Zielkonflikt frage ich mich auch, was Farfetch in diesem Teil des Geschäftsmodells besser machen will als Yoox. Yoox ist deutlich größer als Farfetch, steuert aber aufgrund seiner Börsennotierung das Unternehmen auf Profitabilität aus.
Eine der spannensten Entwicklungen zu Farfetch ist sicherlich das Investment vom chinesischen JD, die ca. 400 Millionen Dollar in das Unternehmen gesteckt hat, um die Luxus Marken auf die eigenen Plattform zu bekommen.
2017 China ambitions JD.com Inc (JD.O), China’s No.2 e-commerce firm, said it would invest $397 million in fashion retailer Farfetch UK Ltd to expand its luxury offerings, amid fierce competition with Alibaba Group (BABA.N) for China’s high-end retail market. […] The deal comes as JD is looking to broaden its offering of luxury and branded consumer goods, heating up the competition with its largest domestic rival Alibaba that has expanded heavily into branded goods with its online marketplace Tmall.
Wie ist das alles nun zu bewerten?
In den einschlägigen Medien wird vor allem das Plattformargument wiederholt. Quasi so eine Art Amazon für Luxusmarken.
#1 Farfetch ist eine Tech Company statt Retailer sagt der Gründer. Das ist übrigens das gleiche Argument wie man es von Fab.com kurz vor dem Kollaps hören konnte und die Anzahl der Entwickler ist ein sehr sehr wackeliger KPI.
We have a hundred engineers. We will have 200 by the end of this year. It’s a huge investment. No brand can convince the CEO to hire 200 engineers. If you’re on the $1 billion mark, you can do it, but it takes commitment and many of these companies are publicly traded. How will the market react when they say they will have two quarters of negative results because they plan to invest heavily online?
#2 Fast Company spricht von Farfetch als Partner der Marken und sieht erhebliche Netzwerkeffekte. Ehrlicherweise haben viele Marken in der Tat erheblichen Nachholbedarf bei der Digitalisierung, aber auch bei denen hat mittlerweile der letzte CEO verstanden, dass man das Thema nicht an einen Partner wie Farfetch outsourcen kann.
Though department stores and digital-native outlets throw cash into search engine optimization and digital marketing, most independent retailers will never match the big players in that realm. For the boutique owner, therefore, Farfetch offers a way to crack the Internet.
#3 Econsultancy sieht auf das Plattformmodell und Auswahl vorne:
What is Farfetch’s USP in relation to other luxury retailers like Net-a-Porter and Style.com? It’s mainly breadth and selection, because we have over 500 boutiques around the world contributing to the site as well as over 200 brands. We have more product, sometimes even more than a brand’s own website, and we have more variety of product. For example, you’ll have a buyer in Toyko, a buyer in Paris and a buyer in New York – all from the same brand – so instead of having maybe six or seven selections, you might have 30 or 40. For a consumer it is amazing because they can actually shop and style a certain brand or designer, rather than having a limited number of pieces.
#4 Sogar Farfetch selbst erliegt dem Helfersyndrom und kümmert sich mehr um die Marken als um die Kunden, indem es sich ein “Stores of the future” Konzept leistet. Die Idee ist hier nicht, nun auch ambitioniert offline mit eigenen Stores zu expandieren, es geht vielmehr um ein Test- und Showcase-Umfeld. Ziel ist vielmehr, Boutiquen und Marken mit zukunftsgerichteten Ideen und Technologien für eine komplett digitalisierte Stationär-Strategie auszustatten. Oder wie es bösartige Stimmen sagen, beschleunigte Sterbehilfe.
From fitting rooms equipped with photo booths to mannequins with screens on their foreheads, most in-store technology has been gimmicky stuff that’s more likely to drive short-term PR than actual sales. By contrast, Farfetch’s Store of the Future aims to dramatically improve retail productivity by capturing invaluable customer data and enhancing human interactions between shoppers and sales associates.
#5 Mareike, meine langjährige Kollegin, geheime Kraft hinter dem E-Commerce Buch und Analystin zu diesem Beitrag sagt:
Farfetch hat gezeigt, dass High Fashion im richtigen Modell sowohl auf Supplier- als auch auf Kundenseite online funktionieren kann. Keine einfache Aufgabe, vor der sich vor allem die Marken selbst viele Jahre gescheut haben. Die erste Berührung mit Farfetch hatte ich 2012 bei e.ventures, die sich damals an der Series B Runde beteiligten. Damals, obwohl noch Underdog, war Farfetch schon sehr erfolgreich in der Akquise von Boutiquen und Marken, die sich traditionell eher aus der digitalen User Experience fernhielten und vor allem mit Marktplätzen nichts zu tun haben wollten. Das finde ich bis heute beeindruckend und noch hat ihnen das keiner nachgemacht. Eins der Geheimnisse ist hier glaube ich, dass erstens die Knappheit und Exklusivität der Produkte erhalten blieb. Es war weiterhin das exklusive (=seltene, knappe) Designerkleid, das der Kunden in Frankreich extra aus einer Boutique aus Hong Kong bestellte, weil es eben so exklusiv ist. Zweitens schafft es Farfetch von Anfang an, durch hervorragenden Content und sehr erfolgreiche Kommunikation eine Hochwertigkeit im Auge des Kunden herzustellen, zu der sich Marken und Boutiquen zugehörig fühlen. Diese Markenbeziehungen sind aus meiner Sicht nicht so schnell zu kopieren. Spannend finde ich auch die technologische und prozess-seitige Abwicklung der Logistik. Hochpreisige Artikel von Estland nach Saudi-Arabien mit vorbezahlten Importzöllen, und dieses dann in New York in einer ganz anderen Boutique retournieren. Hut ab, dass das klappt, auch wenn ich mir vorstellen kann, dass hier Customer Service und Kulanz einiges abfangen müssen. Wie weit sich die Plattform-Ambitionen in den Bereichen Marken-Onlineshops und Offline-Technologien auszahlen ist abzuwarten. Aber sicher extrem spannend zu beobachten, denn die Beziehung zu den Boutiquen ist da und das Luxussegment ist erfahrungsgemäß besonders experimentierfreudig, um dem Kunden das beste, modernste Einkaufserlebnis zu bieten.
Mein Fazit
Aus meiner Sicht sind Modelle á la Farfetch eine Relikt der E-Commerce Euphorie von 2008-2012. Anders als myfab, fab.com und groupon ist es aber in einem Markt aktiv, der aufgrund seiner eigenen Regeln die Digitalisierung ein paar Jahre länger aussitzen konnte. Viele Bausteine im Farfetch Modell sind nicht stabil und dürften in den nächsten Jahren erheblich unter Druck geraten. Mittlerweile sind auch die Top Lagen davon nicht mehr ausgenommen und die Boutiquen dürften nicht mehr als ein Steigbügelhalter für den Aufbau des eigenen Plattformgeschäfts gewesen sein. Ich habe in den letzten Jahren nicht ein B2C Modell gesehen das erfolgreich ohne 100% auf den Endkunden fokussiert zu sein. Bei Farfetch sind Marken und Boutiquen aber noch immer im Fokus. Das dürfte sich bald rächen. Die Bewertung der ist aber unterschiedlich für die einzelnen Akteure.
- Bestehende Investoren: Ich glaube die Story ist gut genug, um an die Börse gehen zu können und wenn die Haltefrist der Aktien kurz genug ist, könnten alle Investoren mit einem Ertrag aus dem Geschäft rausgehen.
- Marken: Den Luxusmarken mit denen ich Kontakt habe ist der Shift sehr sehr klar und momentan kommt Farfetch sehr gelegen, um die Amazon Optionen etwas zu parken. Die technischen Fähigkeiten von Farfetch sind aber bei weitem nicht ausreichend, um die Marken wirklich voranzubringen. Insofern wird es sicherlich die ein oder andere Marke geben, die sich von Farfetch das Onlinegeschäft betreiben lässt, bis selber genug Kompetenz aufgebaut worden ist.
- Farfetch: Muss hoffen, dass die Börse die Story glaubt und die Boutiquen langsamer aus dem Markt ausscheiden als das Eigengeschäft wächst. Das bestehende Geschäftsmodell ist endlich, das Service Geschäft für die Marken ist endlich und der Future Store ist ein PR Gag. Da ist also noch viel „Luft“ nach oben.
- Kunden: Den Kunden ist Farfetch doch vollkommen egal. Die wollen offensichtlich nur die entsprechenden Marken haben und aktuell kann Farfetch das für einige Kunden scheinbar am besten leisten.
In Summe bin ich bei dem Modell sehr skeptisch und finde viele Parallelen zu fab.com. Die Frage für mich ist auch wie gut Farfetch die Investitionen von JD einsetzen kann, und ob es der Firma damit gelingt schneller zu wachsen. Durch die albernen Multichannelprojekte und hunderte von Boutiquen sieht das alles nicht nach Skalierung für mich aus. Es sind zu viele Stakeholder mit teilweise gegensätzlichen Zielen in dem Ökosystem aktiv. Das spricht ganz klar gegen ein beschleunigtes Wachstum. Und die zukunftsfähigen Themen, die ich bei einer Plattform begrüßen würde kann ich bei Farfetch nicht sehen. Aber vielleicht sehe ich das auch alles zu schwarz und freue mich auf eure Meinung!
Der nächste Kandidat für die Kassenzone Analyse ist übrigens Etsy/Dawanda. Danach stehen die Hut Group & Alibaba auf dem Programm. Auch dafür wird das Analysematerial von eTribes bereitgestellt – eine der führenden Digitalberatungen in Deutschland. Viele von euch kennen eTribes bereits aus den vielen Knut Digital Studien. Weitere Vorschläge für neue Analyseziele gibt es im Whatsapp Kanal.