Podcast mit Spryker Chef Boris Lokschin, Review 2020 und Ausblick 2021++

01:07:15

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Direkt zum Jahreswechsel habe ich mit meinem Co-Founder und Co-CEO Boris Lokschin nutze ich die Gelegenheit genutzt, um zu reflektieren was alles bei uns und unseren Kunden passiert ist. Highlight zum Ende des Jahres war natürlich die Finanzierungsrunde über die wir auch im Detail sprechen. Zur Finanzierungsrunde selbst, haben ich vor ein paar Wochen schon etwas geschrieben. Mittlerweile sind wir mitten im Wachstumsmodus und stellen pro Tag 1-2 neue Leute, überall auf der Welt. Das ist noch weit weg von den 2.800 Leuten pro Tag, die Amazon in der zweiten Jahreshälfte 2020 eingestellt hat, aber trotzdem macht mich die Performance des ganzen Teams sehr stolz. Ein Highlight im Februar war die Auszeichnung von Gartner als führende Marktplatzlösung für ambitionierte Kunden, also für all diejenigen des es nicht mehr reicht auf Amazon zu verkaufen, sondern die selbst ein Amazon in ihrer Kategorie (B2B & B2C) aufbauen wollen.

Spryker Jahresrückblick 2020 mit Boris Lokschin, Mitgründer und Co-CEO von Spryker Systems

Wie in Vorjahren ließen Alex und Boris Ende 2020 das Jahr Revue passieren – und es war gleich in mehrfacher Hinsicht ein durchaus außergewöhnliches, das mit einer Finanzierungsrunde von über 130 Millionen Dollar zu Ende ging. Sind die Jungs damit reich geworden? Legen sie nun 2021 die Füße hoch? Alex prescht jedenfalls mit einem eigenen Mini-Projekt vor, worum es aber in diesem Spryker nur am Rande geht. Denn wie in den vier anderen Folgen bislang mit Boris bisher werden Produkt, Projekte und Partnerlandschaft von Spryker sowie Fragen zur fulminanten Finanzierungsrunde in diesem ‚Gipfeltreffen‘ zwischen den zwei CEOs so transparent, wie es nur geht, besprochen.

„Wir haben ganz viel Spannendes und Sinnvolles vor mit dem Geld, das man uns anvertraut hat.“

4:00

Alex: Bevor wir auf die Fragen zur Finanzierung und zu unseren Plänen für 2021 eingehen – etwa die häufig gestellte Frage, ob wir überhaupt noch arbeiten müssen! –, blicken wir erst einmal aufs Jahr 2020 zurück. Was hat uns eigentlich das Jahr über so beschäftigt?

Boris: Für ziemlich jeden auf der Welt ist das Jahr 2020 nicht nach Plan gelaufen. Auch wenn der Bereich Commerce-Tech insgesamt zu den Corona-Gewinnern gehört, stellen wir da auch keine Ausnahme: So sind wir mit sehr ambitionierten Plänen ins Jahr gestartet – Wir wollten ein dreistelliges Wachstum erreichen und hatten uns dafür die passenden Verticals und Länder zurechtgelegt – und mussten schnell einsehen, dass das alles ganz anders werden würde.

Wir mussten uns also auf eine geänderte Lage einstellen. Nur war das Problem am Anfang, das man nicht wusste, genau worauf man sich einzustellen hatte und wie lange bestimmte Umstände anhalten würden. „Auf Sicht fahren“ war da erwartungsgemäß die Devise.

Über Corona hinaus war das Jahr von exponentiellem Wachstum und Produkt-Innovationen geprägt. So sind wir dann auch mit den Software-Umsätzen dreistellig gewachsen und haben Oktober mit Excite unseren ersten großen Spryker summit veranstaltet. Zudem gab es viel Spannendes in unserem Cloud-Umfeld und bei den Themen Marktplatz und unifiied commerce –zum Beispiel click & collect.

Alles in allem ein sehr bewegendes Jahr – von Wachstum und Innovation getrieben – aber ein Jahr in dem zwei- oder dreimal neu gedacht werden musste.

7:15

Alex: Wenn ich mich recht entsinne, war eine Stelle, an der wir Corona-bedingt umdenken mussten, die Event-Planung. Wir hatten uns für die vielen Konferenzen wie die InternetWorld für einen sechsstelligen Betrag einen nagelneuen, wiederverwendbaren Stand bauen lassen… Im Tagesgeschäft hatte ich mit den ständigen Überlegungen, ob und unter welchen Bedingungen Messen und Treffen stattfinden, viel zu tun. Gab es für dich ein zentrales Erlebnis, das für die Rekonfiguration ausschlaggebend war?

Boris: Kurz vor dem ersten Lockdown wurde es mir klar, dass es sich um Krise handelt, die nicht bloß in Wochen zu messen sein würde. Mit ein bisschen „zu Hause sitzen und nicht so häufig ins Büro gehen“ würde es nicht getan werden. Dann kamen die ersten Hochrechnungen von der Welthandelsbank, von der EZB und bald von allen großen Beratungen, wie viele Hunderte Millionen Jobs vernichtet werden und wie steil die Bruttoinlandsprodukte nach unten schnellen könnten. Ab da haben wir schnell und resolut gehandelt.

Wenn ich jetzt im Nachhinein unsere Reaktion an dem messe, was ich woanders sehe, glaube ich, dass es uns gut gelungen ist. Auch heute noch liest man, wie die und die Firma total stolz darauf ist, alle mit einem Laptop ausgestattet und ins Homeoffice gebracht zu haben: Wir schreiben Dezember 2020! Bei uns war das Arbeiten von zu Hause aus ohnehin gang und gäbe und wir waren schon immer international verteilt. Aber wir haben uns überlegt: „Welche Annahmen für dieses Jahr ändern sich jetzt? Welche Branchen – und welche Kunden – werden wahrscheinlich profitieren? Und welche Kunden werden ihre Bemühungen in Sachen digitale Transformation jetzt noch stärker forcieren wollen? In was investieren wir jetzt wirklich? Und wie stellen wir uns so auf, dass unsere Mitarbeiter geschützt sind und unsere Produktivität nicht abnimmt? Welche neue Methoden brauchen wir, um Teams über längere Zeit effektiv aus der Ferne zu steuern.

10:50

Alex: Haben wir hier etwas gelernt, was auch für die Zeit nach Corona Bestand haben wird?

Boris: Ja, das sind sehr viele und sehr nachhaltige Dinge. Was wir gesehen haben: Die Effektivität und Produktivität ist auch im remote scenario hoch – teilweise sogar höher! Die erste Zeit, in der viele sehen mussten, wie sie so Herausforderungen wie Kinderbetreuung und Schule zu Hause meistern, war am Schwierigsten. Da gab es auch hier und da einen Mangel an Ausrüstung der die Mitarbeiter hatten keinen guten Arbeitsplatz zu Hause. Aber sobald das geklärt war, war die Produktivität sehr hoch – insbesondere im Sales-&-Marketing-Team, wo Reisetage und zeitraubende Workshops entfielen. Viele haben dann genauso viel geschafft, waren aber mehr mit ihren Partnern, Kindern und Haustieren zu Hause. Das war im Sinne des work-life-balance.

Ab Januar werde ich übrigens mit unserer Personalchefin Elise unser new-work-Konzept auf LinkedIn in einer wöchentliche erscheinenden Artikelserie teilen. Wie denken wir so Themen wie Büros, Arbeitszeit & Co. neu? Und zwar komplett neu, wie es nur ganz wenige auf der Welt derzeit tun.

Alex: Sven Schmitt hat sich letztens im OMR-Podcast als starker Verfechter des Arbeitens in Büros gezeigt – Tenor: „Alle, die sich dem Homeoffice Trend hinbegeben müssen leben, demnächst von einem Produktmanager auf Malaysia ersetzt zu werden, der zum halben Preis arbeitet!“ Dann gibt es Konzerne, die der Meinung sind, kreatives Arbeiten sei zu Hause kaum möglich und alle zurück in die Büros ordern… Verfolgt du diese Diskussion?

Boris: Mit dem Thema beschäftigen wir uns – also ich und Elise – sehr viel. Wir machen uns Gedanken, wie man eine Arbeitsumgebung schaffen kann, die das Beste aus Arbeiten vor Ort und mobilem Arbeiten verbindet. Ich gehe die These von Sven nicht mit. Dass jemand 5km weiter die gleiche Tätigkeit verrichtet, die er sonst bei uns vor Ort verrichtet hätte, erachte ich für unwichtig. Die Arbeitnehmer werden dafür weder dümmer noch weniger kreativ.

Grundsätzlich leben wir in einer globalisierten Welt: Mit unseren 250 Mitarbeitern haben wir 40 Nationen und mit maximaler geografischer Verteilung. Wir suchen ja auch immer weltweit das beste Talent – und nach Corona umso mehr, weil die Anforderung, an einen unserer Standorte zu gehen, weggefallen ist. Wir suchen remote first und haben jetzt Leute in Chile, Schweden, Hong Kong eingestellt… Wenn dort der beste Marketing-Operations-Manager oder Software-Entwickler nun einmal sitzt, dann ist das halt so. Das ist nichts, was Homeoffice-bedingt ist.

Wo ich schon einverstanden bin: Man muss Konzepte erfinden, wie die Menschen ihre Zeit effektiv benutzen können, wenn sie schon zusammengekommen. Das ist also nicht mehr in die Firma zu gehen, um stumpf am Schreibtisch E-Mails zu beantworten. Da liegt kein Mehrwert drin. Nach dem ersten Lockdown im Sommer haben wir aber natürlich erlebt, wie viel cooler das gemeinsame, kreative Arbeiten am Whiteboard ist, wenn alle in einem Raum sind. Sind wir Menschen doch social animals am Ende. Und ich glaube, das ist die Zukunft. Deswegen denken wir unser neues Büro, dass wir Februar in Berlin eröffnen, auch ganz anders.

(Weniger Arbeitsplätze, die über eine App zu buchen sind und über 80% der Fläche für Interaktionen, Meetings usw. Alex fügt hinzu, dass geografische Einschränkungen jedweder auf der Suche nach den Allerbesten nur hinderlich seien – und kann sich nicht mehr vorstellen, morgens zu unchristlichen Uhrzeiten aufzustehen, nur um für einen Dreiviertelstundentermin irgendwo hinzufliegen.)

16:45

Alex: Viele unserer Kunden sind naturgemäß im E-Commerce oder bauen mit uns gerade ihre Lösungen dafür auf. Wie hast du sie so erlebt in der Corona-Zeit?

Boris: Eins vorweg: Bei den langen Vertriebszyklen, die wir haben – also 4-6 Monaten Minimum – muss ich schon festhalten, dass unser starkes Wachstum zum großen Teil auf gute Vorarbeit aus 2019 zurückzuführen ist.

Woran man eher Corona-Effekte festmachen kann ist die Pipeline: Wie schnell füllt sie sich mit neuen Anfragen? Und wie schnell fließen die Interessenten durch die Pipeline? Und da haben wir eine exponentielle positive Entwicklung gesehen. Extrem hohen Zulauf hatten wir vor allem als dem B2B-Bereich: Das war ein sehr zäher Bereich, in dem Corona jetzt den Digitalisierungsprozess locker um zwei bis drei Jahre beschleunigt hat: schnellere Entscheidungen, schnellere Verteilung von Ressourcen, schnellere Freigabe von Budgets – und mehr Bereitschaft, um MVP auszuprobieren und time-to-market zu verkürzen. Wir haben ja den Begriff CVP – corona-viable product – geprägt. Da waren nämlich Unternehmen auf einmal bereit, Apps und Funktionalitäten rauszubringen, die sie sich vorher nie getraut hatten. Der Druck war einfach so hart, weil gewohnte Vertriebskanäle fehlten.

Auf unsere bestehende Kundenbasis gab es natürlich auch Corona-Effekte. Wir haben schnell klare Risikomanagement-Richtlinien etabliert und uns auf beinahe tägliche Basis angeguckt, wie sich die Situation auf einzelne Bestandskunden auswirkt. Da haben wir Gespräche aus Customer-Support-Teams mit Branchenanalysen und Finanzkennzahlen kombiniert. Da hat man schon gesehen – und hier muss ich leider etwas pauschal werden –, dass die Branchen und Kunden, die ohnehin schon am Kämpfen waren und keinen ausreichend hohen digitalen Anteil hatten, die auch viele Risiken hatten wie Immobilien & Co. – die hat es viel härter getroffen als schlanke Geschäftsmodelle mit einem hohen digitalen Anteil. Da ist die Schere, die schon davor da war, schneller auseinander gegangen.

(Alex pflichtet Boris hier bei. Die Krise habe bei Investoren den Blick dafür geschärft – und auch für die Vorzüge von E-Commerce-Infrastruktur-Anbieter wie Shopify, BitCommerce und, ja, eben Spryker. So leitet Alex den thematischen Übergang zur zwei Wochen zurückliegende Finanzierungsrunde ein: Spryker gab am 17. Dezember bekannt, in einer vom US-Investor aus dem Silicon Valley TCV bei einer Series C 130 Millionen Dollar eingenommen zu haben. Damit stieg die Bewertung des Unternehmens auf 500 Millionen Euro.

Vor allem auf Alex‘ LinkedIn-Post zum Thema gab es viele Rückfragen. Mit einer davon räumen die beiden sofort auf: Das Geld ist wirklich fast ausschließlich ins Unternehmen geflossen – sie haben nicht einfach Anteile verkauft und das Geld selber eingesackt. Solche „secondaries“ habe es nur zu einem „homöopathischen Teil“ gegeben, so Boris. So wird das Geld Spryker für den Ausbau – etwa in die Anheuerung neuer Mitarbeiter – zur Verfügung stehen.)

24:10

Alex: Einige haben uns gefragt, wie schwierig es war, neue Investoren zu finden?

Boris: Es war nicht schwierig insofern als es an Interesse am Modell Spryker nie gefehlt hat. Wir waren – und sind weiterhin – konstant mit Investoren im Gespräch. Es meldeten sich auch welche direkt nach Bekanntgabe der neuen Runde, wo eigentlich klar sein dürfte, dass man nicht sofort frisches Geld braucht…

Erstens: Cloud, SaaS, recurring revenue – Das alles steht hoch im Kurs. Umso mehr, da jetzt Geld aus der Realwirtschaft in auf einmal als sichere Häfen wahrgenommene, zukunftsfähige Modelle fließt. Zweitens kommt dazu, dass man kein besonders begabter Branchenanalyst sein muss, um zu erkennen, dass der Anteil von Commerce (also nicht nur E-Commerce, sondern auch Transaktionen in B2B, perspektivisch IoT usw.) an der Wirtschaft zunimmt. Da gibt es noch sehr viele Branchen, die im Gegensatz etwa zu Mode oder Elektronik noch Digitale-Transaktionsanteile im unteren einstelligen Bereich aufweisen: der Lebensmitteleinzelhandel, zum Beispiel, oder Maschinenbau. Da ist viel Raum nach oben. Drittens ist unser Modell leicht auf andere Länder zu übertragen. Und dann Punkten wir mit einem guten Team, einem tollen Produkt und vieles mehr. Investoreninteresse hat es also immer gegeben.

So war eigentlich der Plan, jetzt in Q1 und Q2 auf einige der „Wollen wir nicht einen Kaffee trinken gehen…?“-Gesuche einzugehen und neues Geld aufzutreiben. Aber der Druck von einigen der weltweit größten Fonds, doch noch vor einer erneuten großen Runde Investitionen aufzunehmen, war spürbar. Und wenn man zu einer guten Bewertung einen angesehenen Partner aufnehmen kann, spart man sich unter Umständen ein halbes Jahr bei der Internationalisierung.

Alex: Wichtig zu verstehen dabei: In unserer Phase geht es nicht mehr darum, einen Pitchdeck aufzumachen und Spryker zu erklären. Die Investoren verstehen das Modell und kennen uns zum Teil seit Jahren. Sie können uns schon einordnen und uns mit Mitbewerbern im Segment vergleichen.

Für uns kam es darauf an, den richtigen Partner für unsere Pläne zu finden – nämlich die US-Expansion. Welche Rolle spielt aus deiner Sicht der US-Markt für Software-Unternehmen?

Boris: Eine zentrale! Allein deswegen, weil es sich um den weltweit größten Enterprise-Software-Markt handelt. Zudem ist er deutlich homogener als der aus vielen EU-Mitgliedsstaaten und Ländern bestehendem europäischen Markt. Er zeichnet sich auch durch eine vergleichsweise hohe Zahlungsbereitschaft aus: Wir pitchen dann dort value based – sprechen also mehr, über den Mehrwert den wir liefern, als über Features (wie es vor allem in Deutschland oft der Fall ist). Es ist einfach der relevantester Markt – und 10% unserer Umsätze kommen schon jetzt daher. Was beachtlich ist, da wir bislang eher opportunistisch dort unterwegs waren und noch nicht richtig investiert hatte.

(Mit der neuen Finanzspritze werde sich das schnell ändern: Personell, marketingtechnisch und in Bezug auf Partnerschaften wird Spryker ab sofort in die USA groß aufschlagen – „positive-aggressiv, wie wir das in Europa gemacht haben“. Daher sei die Wahl auf TCV gefallen, da dieser Partner nicht nur mit Geld, sondern auch mit Kontakten im Markt aushelfen könne. Zudem sende die Kooperation mit einem renommierten Investor wie TCV das richtige Signal an potenziellen Mitarbeiter und Kunden in den USA. Weiterer Vorteil: Es handele sich bei TCV um einen Partner mit Erfahrung im Commerce-Tech-Umfeld. Davon gebe es, so Boris weiter, nicht allzu viele. Man merke in den Gesprächen, dass viele Investoren zwar von Spryker angetan sind, sich aber eher auf B2C-Modelle verstehen. „Geld,“ so fasst Boris zusammen, „ist eigentlich das allerkleinste Problem.“ Die Investoren müssten daher weitere Mehrwerte bieten, um mit den Anlagezielunternehmen ins Geschäft zu kommen. Im TCV-Team säßen Enterprise-Experten wie der ehemalige Geschäftsführer von ATG, Bob Burke, der von nun an Sitzungen der Spryker-Geschäftsführung mit seinen extrem tiefen Marktverständnis bereichern werde. Alex zählt einige Firmen auf, die TCV schon investiert habe: AirBnB, Facebook, Flixbus, LinkedIn, Netflix.)

32:35

Alex: Eine weitere Frage, die mir auf mein LinkedIn-Post zur Finanzierung gestellt worden ist, geht ungefähr so: „Die Investoren geben sehr viel Geld. Bestimmen sie jetzt, was bei Spryker zu tun ist?“ Welche Rolle nehmen sie denn fortan bei uns ein?

Boris: Kurze Antwort: Nein, sie bestimmen jetzt nicht den operativen Ablauf. Investieren sie ja doch deswegen in uns, weil sie daran glauben, dass wir die Mittel effektiv einsetzen können. Bei uns gibt es ja auch bereits Management-Strukturen: CEOs, CFO, CTO usw. Da drüber gibt es dann das Board, so eine Art Aufsichtsrat – und dort sind Anteilseigner vertreten. In unserem Fall sitzen wir beide als Vertreter der Gründer drin. Dann haben wir Thies Sander, Gesellschafter von unserem Gründungsinvestor Project A, David Klein von One Peak aus London, dem großen Investor der letzten Runde. Jetzt kommt Gopi Vaddi von TCV dazu sowie Bob Burke als Beobachter. Die Beobachter sind nicht stimmberechtigt, liefern aber fachlichen Input. Martin Moran, Salesforce-Veteran, leitet das Gremium.

Sie sind alle dafür da, um sich die Geschäftsentwicklung anzugucken und haben bei strategischen Richtungsentscheidungen wie Akquisitionen, Investitionen oder weiteren Finanzierungsrunden ein Wort mitzureden. Das ist aber kein operatives Gremium, das etwa entscheidet, wen wir einstellen oder welches Feature wir bauen.

(Eine andere Frage eher praktischer Natur greift Alex auf: Was macht man zu Niedrig- bis Negativzinsseiten mit 130 Millionen Euro? Bis man die Mittel sinnvoll ausgeben kann, würden doch Strafzinsen bei der Bank fällig, oder? Boris sagt, er vertraue auf den Spryker-CFO, sich zu dieser Herausforderungen schlaue Gedanken gemacht zu haben. Denn es stimme schon: Banken ließen es nicht länger zu, dass Millionen Euro auf Geschäftskonten herumliegen. Wobei mit der Silicon Valley Bank, die Spryker in den USA unterstützen werde, die Bedingungen anders als mit deutschen Geldinstituten seien.)

37:55

Alex: Über WhatsApp hat mich eine Zuhörerin gefragt, ob wir durch die secondaries reich geworden sind. Für mich kann ich das direkt verneinen! Reich geworden bin ich dadurch nicht – zumindest nicht cash-seitig. Wie sieht es bei dir aus?

Boris: Spannende Frage. Du und ich haben ja keine secondaries in dieser Runde gemacht, also ist die einfachste Antwort: „Nein.“ Es ist ja kein Geld in unsere Tasche gewandert. Wir sind aber auch nicht primär monetär incentiviert. Haben wir doch beide vor Spryker Firmen gegründet und Exits hingelegt. Wir müssen also Spryker jetzt nicht für unseren persönlichen wirtschaftlichen Erfolg optimieren.

Es gibt auch noch eine ganze Menge zu erreichen. Vor Spryker hat es auch schon mehrere große, erfolgreiche Commerce-Tech-Unternehmen gegeben – viele aus Deutschland, wie Intershop seinerzeit, Demandware, Hybris, Shopify (der Gründer ist ja Deutscher). Die Erfolgswahrscheinlichkeit in diesem Segment – zumal mit dem, ich behaupte einfach mal: weltbesten Commerce-Team, wie wir das derzeit haben – sind einfach sehr groß. Der wirtschaftliche Erfolge wird dann für alle Anteilseigner kommen. Das Ziel dieser Runde war es aber nicht, uns persönlich zu bereichern und dann Lobster auf der Jacht zu essen! Wir haben ganz viel Spannendes und Sinnvolles vor mit dem Geld, das man uns anvertraut hat.

Alex: Andere sehr häufig gestellte Frage: Was ist der nächste Schritt? Schon der Exit oder IPO? Von außen gesehen ist das immer spannend: „Wann wird es denn verkauft“?

Boris: Auf der Zeitachse liegen weder Exit noch IPO-Pläne. Gut: Du und ich haben unsere Firmen sonst immer gebootstrapped und haben uns bei Spryker bewusst für Wagniskapital entschieden, um schneller mehr parallel ausprobieren und aufbauen zu können – getreu unserem internen Motto „Time is the most important KPI“. Dann ist aber klar, dass man als venture-capital-backed company irgendwann seinen Investoren einen Ertrag liefern muss. Da ist ja keine große Überraschung: Dir ist auch klar, dass wir keinen Mittelständler bauen, dessen Büroschlüssel du deinen Kindern eines Tages in die Hand drückst…

Alex: Wir haben ja auch kein Büro mehr so wirklich!

Boris: … oder ihnen die Zoom-Codes übergibst! Die Gelegenheit, jetzt global zu expandieren, ist da: USA, UK, Nordics, aber auch im Nahen und Mittleren Osten. Das heißt: Unsere Pläne derzeit beziehen sich eher auf Produkt, nicht auf Exit oder IPO. Unser Anspruch ist es, das weltweit führende Unternehmen in unserer Kategorie zu werden. Da werden wir sehen, wie weit unsere heutigen Mittel reichen und ob wir noch mehr aufnehmen. Der Zeitpunkt, um über einen Exit nachzudenken, wird auch kommen. Der ist aber ganz bestimmt nicht heute.

(Themenwechsel. Spryker unterscheidet zwischen SaaS – software as a service – und PaaS, platform as a service. Alex bittet Boris, den Unterschied zu erklären. Einen tue die beiden Modelle, dass sie auf Cloud-Infrastruktur basieren und man als Kunde die Betriebssysteme dafür benutzen kann und nicht selber vor Ort installieren und betreiben muss. Man zahle dem Software-Unternehmen lediglich eine monatliche Nutzungsgebühr und habe stets die aktuellste Version im Einsatz. Während aber bei SaaS-Modellen die Anwendung größtenteils verschlossen seien und nicht zu erweitern sind, versuche Spryker mit dem PaaP-Ansatz mehr Raum für Eigenentwicklungen anzubieten, ohne auf die Vorteile von SaaS zu verzichten. Vor allem bei Geschäftsmodellen, die deutlich komplexere sind als etwa Online-Modehandel, müsse Software nämlich deutlich anpassbarer sein. Für Spryker gehe es also darum, genau den richtigen Grat zwischen Standardanwendung einerseits, um nicht hundert Mal für hundert Kunden Strukturen neu bauen zu müssen und so kostenseitige und technische Synergien zu ermöglichen, und Flexibilität andererseits, damit Kunden ihre Geschäftsmodelle – etwa in Voice oder mit Marktplatz-Ansätzen – zufriedenstellend abbilden könnten.)

48:00

Alex: Ich weiß, dass wir sehr viel über den Gartner-Begriff „packaged business capbility“ gesprochen haben. Wie definieren wir das? Wo kommen microservices an ihre Grenzen?

Boris: Im Großen und Ganzen gesehen hat der Markt in den letzten Jahren gelernt, dass monolithische Systeme nicht gut sind. Keiner möchte mehr für teuer Geld einen großen Batzen Code kaufen. Jeder hat verstanden, dass Modularität – „Welche Bauteile aus dem Lego-Set möchte ich nutzen? Wie stelle ich sie zusammen?“ – der Weg nach vorne ist.

In diesem Kontext fallen oft die Begriffe „best of breed“ and „best of suite“. Letzteres, das war die Strategie von vieler in der vorgehenden Commerce-Tech-Generation wie Oracle, SAP oder Salesforce. Die Idee war, den Kunden ganz zu ownen – also ihm mit einer Commerce-Lösung, einer Content-Lösung, einem PIM-System, einer Bestellungsabwicklung und einem Backend abzudecken… Dann habe ich den Kunden in meinem großen, eigenen Universum, sprich: lock-in effect.

Der Markt hat aber gelernt, dass die versprochenen Vorteil von der integrierten Landschaft real nicht existieren. Die zusammengekauften Lösung sind selten so gut integriert, wie versprochen. Als Kunde hat man dann nicht mehr die Möglichkeit, einen „best of breed“-Ansatz zu verfolgen – also, die jeweils beste Lösung für jeden Bereich auszuwählen. Der Kunde möchte aber eigentlich immer nur die besten Commerce-Lösung, nur das beste CMS und das beste PIM usw.

Viele haben daraus den falschen Schluss gezogen, dass – wenn man nicht in so einem monolithischen Geflecht nicht gefangen werden möchte – sich einem nur einzige Möglichkeit öffnet: Alles kleinteilig in microservices zu schneiden. Das ist aber auch Quatsch! Alles pro Version einzeln einzukaufen, kann auch nicht die Lösung sein. Die meisten Organisation sind auch kaum in der Lage, die sich daraus ergebende Breite an Anforderungen zu managen und fortwährend neue Lösungen auszurollen und zu testen. Die konzeptionellen Vorteile von Microservices können nur wirklich große Spieler wie ein Zalando wirklich heben. Die Allermeisten bekommen nur die Nachteile: hohe Komplexität, hohe Kosten.

Das packaged business capability-Konzept (PBC) Gartner ist der Versuch eines Mittelwegs – ähnlich wie unserer PaaS-Ansatz bei Spryker den Mittelweg zwischen Vor-Ort-Installation und SaaS darstellt. So sollen PBCs wie Microservices einzel einsetzbare Lösungen sein – mit APIs und Zugang zur Datenschicht – nur etwas größer, nicht so granular runtergebrochen. Daher so verpackt („packaged“), dass sie im Geschäftsleben sinnvoll sind.

(Dieser Ansatz erleichtere das Gespräch mit Kunden, so Boris zusammenfassend, weil man wieder über Fähigkeiten und nicht über Versionen von einzelnen Modulen rede.)

52:45

Alex: Viele unserer Kunden verfolgen gerade den click-&-collect-Ansatz. Nun ist Kassenzone nicht gerade dafür bekannt, der größter Verfechter von click & collect zu sein…

Boris: Ich mag den Begriff auch nicht und spreche lieber von „unified commerce“ – und so nennen wir die Suite, die wir dazu gelauncht haben. Das ist übrigens ein spannender Corona-Effekt: Die Verbesserung von direct-to-consumer-Modellen mit Spryker waren eigentlich ein Ziel für später im Jahr gewesen, das wir dann unter dem Eindruck der Pandemie vorgezogen haben. Viele unserer Partner hatten ja quasi über Nacht ihren Kundenzugang verloren und baten uns, schnell Modelle wie click and collect oder kontaktlose Übergabe (in USA oft „kerbside pick-up“ genannt) zu unterstützen. Da haben wir reagiert und die Unified Commerce Suite schnell ausgerollt, damit namenhaften Unternehmen etwa im Food und Automotive diese dann einsetzen konnten. Zudem muss man auch sehen, dass click & collect in Bereichen wie der Lebensmitteleinzelhandel auch jenseits von Corona gut funktionieren kann. Man muss es nur schlau angehen.

Ich bin mir jedenfalls froh, dass wir jetzt mit B2B, B2C, D2C und jetzt Enterprise-Marketplace die breiteste Geschäftsmodellabdeckung in der Commerce-Landschaft haben werden!

(Alex freut sich, dass Gartner gerade dabei sei, den Begriff „fusion teams“ zu prägen. Damals bei Project A hage man so mit dem Vorläufer von Spryker so gearbeitet, dass Business-Leute zusammen mit den Developern entschieden hätten, wie Prozesse designt werden sollten und das direkt an der Software umgesetzt hätten. In monolithischen System müsse so etwas wochenlange geplant werden. Schön, dass es jetzt einen schnittigen Begriff für die Vorgehensweise gebe!

55:45

Alex: Eine weitere Frage, die ich jetzt oft gestellt bekommen habe: Benutzen wir das eingesammelte Geld auch, um die Software weiterzuentwickeln, oder geht jetzt alles in die Expansion?

Boris: Klar, die Frage hat man mich auch oft gestellt: „Warum braucht ihr eigentlich so viel Geld? Wollt ihr etwa jemanden aufkaufen?“ Primär geht es schon um die Expansion. Ich werde zwar jetzt nicht hier weit und breit herunterbrechen, wofür wir das alles ausgeben, aber ein Großteil fließt eben dahin. Eine Besonderheit von Enterprise-Software ist ja, dass man bei so langen Vertriebszyklen von rund sechs Monaten sehr viel vorfinanzieren muss: So lange muss man durchhalten, bis man – im positiven Fall – einen Abschluss hat und anfängt, mit dem Kunden Geld zu verdienen. Dazu kommt, dass wir, um in Lead-Generierung und top-funnel-Marketing weitere Fortschritte zu machen, Infrastruktur aufbauen und Leute einstellen müssen. Das dauert aber alles locker ein Jahr und wir wollen ja mehrere Märkte auf einmal angehen: UK, Nordics, Ost-Europa, Middle East. Das ist eben kapitalintensiv.

Aber wir haben auch fürs kommende Jahr superspannende Pläne rund um Bereiche wie Marktplatz Cloud, Appstore (dazu habe ich einiges in meiner Keynote auf der Excite erzählt) – und gehen auch ein paar Initiativen an, die wir noch nicht benennen. So werden wir unser Product-Engineering-Team mehr als verdoppeln. Am Ende des Tages entscheidet ja die Qualität des Produkts! Und für unsere zunehmend großen und global agierenden Partner müssen wir immer höheren Anforderungen an Leistung, Skalierbarkeit und Sicherheit gerecht werden – also nicht nur den funktionalen Anforderungen!

(Alex möchte mit Boris kurz die Bedeutung der US-Expansion vorsorglich ins rechte Licht rücken: Der US-Markt sei zwar jetzt der Fokus, aber eben nicht unter Ausschluss anderer Märkte. Boris dekliniert die Möglichkeiten eines Markteintritts, wozu ja auch einfach das Warten auf Anfragen gehöre (‚reaktiv‘). Spryker müsse nicht überall mit großer Präsenz überall vor Ort sein – man dürfe sich ja auch nicht überheben. Zumal jeder Markt – selbst Nachbarmärkte wie Benelux – immer ihre Besonderheiten haben. Mit der Zahl der gleichzeitigen proaktiven Marktgänge sollte man es daher nicht übertreiben! In einigen asiatischen Ländern, unter anderen China, arbeite Spryker etwa mit Partnern gut zusammen und werde daher erst einmal keine eigenen Strukturen aufbauen.)

1:01:00

Alex: Es ist wichtig zu verstehen, dass man in unserem B2B-Segment kein Geld für Google- und Facebook-Werbung einsammeln muss – oder etwa um eine große Autoflotte aufzubauen. Vielmehr stecken wir das Geld in Köpfe – sei es für den Aufbau des Produktes an sich, sei es für Vertriebsmaßnahme in Zeichen der Expansion in die USA und andere Märkte.

Das führt mich zu einer weiteren häufig gestellten Frage: Wie groß wird die Belegschaft 2021 werden? Aktuell sind wir 250 – und haben 100 Posten offen!

Boris: Ich sage es mal so: Bis wir uns Ende 2021 hier im Podcast wieder sprechen, sind die 100 Leute auf jeden Fall eingestellt. Das ist die absolute Untergrenze! Man muss gucken, was der Markt hergibt. Aber mit unserem new-work-Modell erleichtern wir uns die Anwerbung und eröffnen wir uns den Zugang zu mehr Top-Talenten weltweit. Das geht auch alles schneller, weil die Leute nicht erst umziehen müssen, sondern sofort einsatzbereit sind – teilweise in Ländern, in denen man nicht drei oder sechs Monate Kündigungsfrist hat! Ich schätze also mal, dass wir über die kommenden 12 Monate rund 150 Mitarbeiter dazubekommen.

(Alex bereut, dass es Corona-bedingt vermutlich in vielen Fällen dazukommen wird, dass sie die Neuzugänge bei Spryker erst 2022 persönlich kennenlernen werden. Boris freut sich trotzdem auf das Jahr 2021: Neue Talente weltweit, USA-Expansion… Es gehe schlichtweg darum, einen category-leader aufzubauen – und man habe dazu das beste Team und die richtigen Partner. Zudem freue er sich auf die Ergebnisse der „geheimen R&D-Projekte“, die, wenn sie so wie geplant auf die Straße gebracht werden können, sich als gamechanger erweisen könnten.)

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