E-Food 2023 Ausblick mit Udo Kießlich: Flink, Wolt, EDEKA, LIDL…

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In der ersten Ausgabe der E-Food Folgen, haben wir uns den neuen Anbieter Oda aus Norwegen genau angeschaut. Fazit: Wir haben keinen echten USP gefunden, aber sonst machen sie ihren Job sehr gut. In der zweiten Folge besprechen wir warum Flink mit Wolt kooperiert, wohin die Reise für EDEKA und Lidl gehen kann und ob es immer noch schlau wäre heute in diesem Markt aktiv zu werden, wenn man auf absehbare Zeit mit dem Geschäftsmodell Geld verdienen will.

Andere nennen es „Die Hauptstadt“: Alex sagt zu Berlin „das E-Food-Bermuda-Dreieck“. Und mitten drin wohnt Udo „Foodo“ Kießlich, Dauergast bei Kassenzone und immer zur Stelle, wenn es darum geht, den neuesten Essenslieferdienst und den gerade online gegangenen Online-Supermarkt auszuprobieren – oder bestehende E-Food-Konzepte unter die analytische Lupe zu nehmen.

Im ersten Teil dieses aktuellen Updates mit Udo ging es um getrübte Investitionsaussichten generell sowie spezifisch um Picnic und Oda im Vergleich. Jetzt in der zweiten Rate widmen sich Alex und Udo dem Segment Quick-Commerce, den Discountern und der Demografie.

01:45     Vor einem Jahr im Januar 2022 ging Udo von einer E-Food-Marktgröße von rund 3 Milliarden Euro aus. Für das gerade zu Ende gegangene 2022 taxiert er den Online-LEH auf 3,7 bis 4 Milliarden Euro. Das Wachstum hält er damit für zwar deutlich abgeflacht, aber immer noch steil im Vergleich zu anderen E-Commerce-Verticals. Die tatsächliche Menge des online verkauften Essens wird allerdings kaum gestiegen sein: Das Umsatzwachstum kommt vorwiegend von der bei Lebensmitteln galoppierenden Inflation. Udo schildert, wie Preiserhöhungen seitens Produzenten und Großhändler durchgesetzt werden – nämlich ohne Kostentransparenz und eher nach dem Motto „Friss, Vogel, oder stirb!“ Lebensmittelhändler haben wenig Handhabe.

05:10     Wie verhält sich Preissensibilität zu E-Food-Affinität? An der Vorstellung, dass viele Menschen, die Lebensmittel online bestellen, über mehr Geld als der Durchschnitt verfügen und dieses gegen Zeit eintauschen, sei was dran, sagt Udo. Wer haushalten muss, kauft kleinere Warenkörbe (für die online Liefergebühren anfielen) und tut dies aus Kostengründen ohnehin eher beim Discounter.

Für den Online-LEH heißt das theoretisch, dass ihre Kundschaft Preiserhöhungen eher mitgeht. In der Realität aber weichen auch E-Food-Kunden wie alle Verbraucher durch die Bank auf günstigere Optionen aus. Übrigens achten nicht nur die notorisch ängstlichen und preisbewussten deutschen Konsumenten stärker auf ihre Ausgaben: Auch Ocado in Großbritannien bewegt sich höchstens seitwärts. Ganz Europa ist ja von den gestiegenen Lebensmittelpreisen und Reallohnverlusten betroffen.

Ergebnis: Selbst E-Food-Anbieter wie Koro, die von ernährungsbewussten und einkommensstarken Kunden leben, stellen ihr Marketing um und betonen Großpackungen und Einsparungen statt der Eigenschaften Vegan, Bio und Gesund.

11:00     Was heißt dieses ernüchternde Umfeld für die bislang starke Expansion im E-Food? Udo teilt in seiner Antwort in zwei Gruppen ein.

Erstens bestehende Anbieter: Bislang macht E-Food insgesamt Verluste. Hier wird auf Effizienz getrimmt (z. B. Marketingausgaben runtergefahren) und Expansionspläne auf Eis gelegt, weil Finanzierungsrunde magerer ausfallen. Knuspr pausiert den Ausbau in Deutschland; das norwegische Oda kommt erst einmal nur nach Berlin und nicht – wie geplant – auch ins Ruhrgebiet.

Zweitens neue Anbieter: Bei E-Food-Start-ups am Anfang ihrer Reise geht es nur noch ums nackte Überleben: Bringmann und GetFast haben aufgegeben, Gorillas hat notverkaufen müssen.

13:40     Wie war das denn genau mit Gorillas und Getir? Einigen Medienberichten zufolge machten die Gründer doch einen guten Exit, meint Alex. Udo schlüsselt auf, was es wirklich mit dem Verkauf an Getir gegen Anteile auf sich hat – und warum sich Zahlen aus dem Deal, die erstmal astronomisch anklingen, doch recht bescheiden ausnehmen. Da haben sich zwei strauchelnde Quick-Service-Anbieter was ausgekungelt. Fazit: 950 Millionen Euro wurde in Gorillas reingesteckt, 50 Millionen sind am Ende dabei rausgekommen.

17:25     Was heißt das für Quick-Service insgesamt? Liegt nun der Beweis vor, dass Ultra-Fast in Westeuropa auf die Dauer nicht funktioniert? Oder lag es nur am zum Teil fragwürdigen Geschäftsgebaren von Gorillas? Zwar rechnet Udo Anbietern wie Flink mehr Seriosität an. Aber erst in den nächsten 18 Monaten wird sich rausstellen, ob mit besseren Sortimentsstrategien und höheren Bons im Segment überhaupt Geld zu verdienen ist.

Flink spezifisch hat dank der Rewe-Beteiligung gute Einkaufskonditionen – und hat trotzdem zuletzt in Wien aufgegeben. Das dürfe man ruhig als Alarmsignal deuten, so Udo. Und Flink steht vor genau demselben Puzzle wie andere Quick-Anbieter: Wie hohe Service-Levels, hohe Standort-Kosten und steigende Mindestlöhne unter einen Hut bekommen? „Ich würde jetzt auch nicht mehr meine Hand ins Feuer legen, dass die nur noch weniger Quartale brauchen“: Bis zum Börsengang, Exit oder auch nur schwarzen Zahlen sei der Weg länger als selbst Udo vor anderthalb oder gar zwei Jahren annahm.

20:15     Was bringen Kooperationen und Konsolidierungen in diesem angespannten Markt? Udo rekapituliert das Abkommen zwischen Quick-Anbieter Flink und Holdienst Wolt. Perspektivisch will Wolt nämlich in Richtung Plattform- und Logistik-Anbieter und macht seine eigenen Darkstores zu. Flink bekommt im Gegenzug mehr Kunden, ohne das eigene Netz ausbauen zu müssen. „Es könnte ein Win-Win sein,“ so Udos Einschätzung. Einen ähnlichen Ansatz beobachtet er bei der Kooperation zwischen Lieferando und Getir – misst ihm aber geringer Erfolgschancen zu.

27:00     Bilden solche Zusammengänge den Auftakt zur „Super-App“? Soweit würde Udo nicht gehen. Auch Alex sieht in westlichen Ländern wenig Potenzial für eine einzelne App, in der man alle mögliche Produkte und Dienstleistungen bestellen kann. Die dafür notwendigen Scharen von verarmten Tagelöhnern, die sich wie in fern- oder mittelöstlichen Ländern für Getir & Co. verdingen, gibt es schlichtweg nicht. Stichwörter: Einkommensverteilung und Arbeitskräftemangel. Und Geld für weitere Expansion fehlt ja an allen Ecken und Enden.

30:00     Udo schildert noch einmal eingängig die herausfordernde Marktsituation. Für 2023 sind nicht nur Konsolidierungen und Kooperationen, sondern auch fehlende Folgefinanzierungen und Geschäftsaufgaben zu befürchten.

32:30     Auch im standfesten und convenience-starken US-Markt geht die Krise keineswegs spurlos an Quick-Anbietern wie Doordash und GoPuff vorbei. „Sturmhaube aufsetzen, effizienter werden (…) und dann hoffen, dass in 12-18 Monaten der Himmel wieder ein bisschen klarer aussieht,“ rät Udo.

34:00     Wie beeinflusst die Demographie eigentlich E-Food-Konzepte? Udo listete drei Faktoren auf: 1. Der anhaltende Zuzug in Ballungsräume; 2. Die Alterung der Gesellschaft; 3. Die starke Migration der letzten Jahre. Udo gibt sich gespannt, wie sich kulturelle Diversität auf die Markenkommunikation der kommenden Jahre auswirkt. Auch die Konsumgewohnheiten bei jüngeren Alterskohorten verändern sich rasant: Dadurch werden sich Ernährungspräferenzen verschieben – und schon Fleisch- und Milchersatzprodukte haben durch internationale Konsumentenschichten Aufwind erfahren.

38:55     Mit Blick auf die kommenden Jahren: Was würde Udo tun, wenn er der Geschäftsführer von Edeka wäre? Erst einmal würde er sich an seiner Beteiligung am aussichtstreichen E-Food-Anbieter Picnic erfreuen. Selbst bei allen Risiken habe man sich damit strategisch im Online-LEH abgesichert.

Wer aber Marktleiter im komplexen Gebilde Edeka ist, der stehe zwischen Baum und Borke: Eigene Online-Initiativen zu starten, sei zu schwierig; Teile vom eigenen Umsatz wandern aber ins Netz – was man ja indirekt mitfinanziert! Was man schon tun könne: wöchentliche Käseblatt abschaffen und auf WhatsApp-Marketing setzen! Am besten kommen Filialen in ländlichen Gegenden weg: Hier wird es ja (Alex, taper sein!) auf absehbare Zeit keinen Wettbewerb von Online-Vollsortimentern geben.

43:35    Die einzige langfristige E-Food-Hoffnung für Alex aus Udos Sicht: autonome Lieferfahrzeuge.

45:05     Und wenn Udo Lidl-Chef wäre? „Da hätte es mich interessiert, dass ALDI-Süd verkündet hat, dass es irgendwann dieses Jahr einen click-and-collect-Piloten geben soll.“ Außerdem würde es sich Gedanken machen, was passiert, wenn Picnic und Oda bundesweite Präsenz erreichen: Schließlich bieten sie Discounter-Preise an. Da wäre die Frage: Produziert die neue Konkurrenz nur Verluste und verschwindet bald wieder? Oder müssen wir da handeln?

Alex Ratschlag in letzterem Fall: Jetzt handeln! Wenn man jetzt Kunden in einer Lidl- oder ALDI-App bindet, sei das billiger, als sie zurückzugewinnen, wenn sie schon einmal bei Picnic gelandet sind.

47:45    Stellt die bestehende Filialstruktur der Supermärkte eine relevante Stärke im Aufbau vom Online-Geschäft dar? Kurzfristig schon, denkt Udo an. Wenn man nämlich mit einem kleinen Piloten ins E-Food steigen will, ist In-Store-Picking oder Click-&-Collect billiger als eine 150-Millionen-Fulfilment-Center. Mittelfristig funktioniere E-Food aus der Filiale aber überhaupt nicht, wie das Beispiel REWE zeige: „Die werden nicht ohne Grund sechs bis acht automatisierte Fulfilment-Center aufgebaut haben.“ Schließlich sei eine Filiale für Kundenverkehr konzipiert und irgendwann stellt sich die Frage, wer zuerst an der Wursttheke bedient wird. Möglicher Kompromiss (aber nur in geräumigeren Filialen): Weniger Fläche vorne, mehr Lager hinten.

51:25    Letzter Gedanke von Udo: Um im Fachkräftemangel als Arbeitgeber attraktiv dazustehen, müssen Lebensmittelhändler Online-Konzepte haben. Sonst denken potenzielle Bewerber zurecht, dass sie nicht zukunftsorientiert sind. Alex‘ Fazit: 2023 wird ein schweres Jahr.

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