Ein großer Traum für mich ist mit der Veröffentlichung des brandeins.de Interviews zum aktuellen Händlerdilemma wahrgeworden.Danke @brandeins! In dem Interview mit dem bezeichnenden Titel “leidergeschlossen.de” geht es um das hier so oft diskutierte Dilemma von Händlern und Herstellern die im E-Commerce so ihre Schwierigkeiten haben Fuß zu fassen oder weiter zu wachsen. Für geneigte Kassenzone Leser wahrscheinlich nichts neues, aber Frank Dahlmann hat dieses Thema im Interview sehr schön zusammengefasst. Auch die anderen Artikel in dieser Ausgabe sind lesenswert – also kaufen! Eine Aussage in dem Artikel würde ich aber gerne noch einmal erläutern, insbesondere weil diese nun mehrfach aufgegriffen wurde:
Was bedeutet das für die vielen anderen Händler?
Die dümpeln vor sich hin. Viele, auch sehr große Webshops, stagnieren oder haben sinkende Umsätze. Echte Aufsteiger gibt es fast nur in kleinen Nischen wie etwa dem Apothekenbedarf. Mittelfristig werden fast alle Händler, die unter 400 bis 500 Millionen Euro Umsatz liegen, Probleme bekommen.
Mit der konkreten Zahl (400-500m) möchte ich mich gar nicht aufhalten, es geht eher um die Perspektive. Aus meiner Sicht sind viele Online Händler sehr opportunistisch mit dem Markt gewachsen und in ihrer Kategorie (mit harter Arbeit) zu hohen Umsätzen gelangt. Das betrifft die größeren Consumer Electronic Händler wie notebooksbilliger und cyberport, aber auch kleinere Kategorien wie z.B. den Spielzeughändler mytoys. Offline Händler betrachten diese Unternehmen oft als “Best Practice” wenn es darum geht ihre Online Vision zu beschreiben. Ich sehe aber keinen Sinn mehr darin ein Geschäftsmodell in Zukunft daraus auszurichten, besonders viel Geld aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis zu erzielen und darauf zu hoffen, dass die Kunden oft genug wiederkommen (loyal sind) und ausreichend Skaleneffekte (Einkauf, Logistik, Marketing…) erzielt werden. Das Modell war vielleicht ok in den letzten Jahren, aber es reicht nicht mehr aus in den nächsten Jahren in der GAFA Ökonomie. An dieser Stelle übernehmen andere Geschäftsmodelle bzw. eine neue Generation von Händlern die Umsätze. Diese neue Generation gibt es ja schon ganz konkret mit Unternehmen wie kwcommerce und Kavaj, die Marktplätze für sich zu nutzen wissen oder Zalando, das selber einen Marktplatz erschafft. Und auch Jens von KW Commerce weiß jetzt schon, dass ihm 400-500m Umsatz bei Amazon nicht reichen werden, er muss sein Modell permanent neu erfinden – etwas was den meisten klassischen Händler nachweißlich nicht mehr gelingt. Dazu gehören leider auch die älteren Online Händler die nun über Filialen nachdenken (müssen).
Vor diesem Hintergrund ist die Perspektivendiskussion bei excitingcommerce (“Die gefährlichen Thesen des ECC”), die Amazon Einwände von Peter Höschl (“Amazon wird niemals 100% erreichen”) und natürlich die Reaktion des ECC selber (“Warum doch 90% der Händler verschwinden”) sehr spannend zu verfolgen. Ich glaube nicht das 90% der Händler verschwinden, aber sicherlich 90% der klassischen Handelsgeschäftsmodelle. Die Frage ist hier auch nicht “Ob” sondern nur “Wann”. Jochen hat aber Recht, wenn er sagt, dass man sich bezüglich der Motivation dieser Aussagen selber ein Bild machen muss.
Denn auch wenn gerade viele – mal mehr, mal weniger fundiert – versuchen, Zukunftsszenarien für die Branche zu entwickeln. Die Wahrheit hat niemand gepachtet. Und natürlich kann man über die Zukunft des Handels trefflich streiten (“Brand Eins: Wenn sich zwei über den Handel von morgen streiten“).
Ich kann die Multichannel & Crosschannel Diskussionen verstehen, aber ich finde sie irreführend. Kein Onlinegeschäftsmodell (z.B. notebooksbilliger) wird besser, wenn es Filialen betreibt, genauso hilft es einem stationären Händler wenig bis nix, wenn er einen Onlineshop betreibt (z.B. Kaufhof). Es heißt dann immer, dass dem Kunden die Kanäle egal sind. Ach nee! Dem Kunden ist es auch egal, wenn ein Unternehmen Crosschannel “denkt”. Wenn Preis, Angebot und Verfügbarkeit nicht stimmen, kauft er woanders ein. Da hilft auch der schönste Crosschannel Gutschein nix und ehrlich gesagt wissen das nach meiner Erfahrung auch die meisten Händler.
Was ich aber schon sehe ist, dass heute noch die “alten” Unternehmen den Markt dominieren. Online erklärt nur einen kleinen Teil des B2C und B2B Marktes und es gibt einen gigantischen Markt für die alten „Offline first“ Geschäftsmodelle. Wenn ich in diesem Markt ein sinnvolles Produkt sehen würde, dann hätte ich in dem Bereich etwas gegründet. Wenn man daran glaubt, dass “Mobile”, “Cloud”, “Multichannel”, “Engagement” & Co. in Zukunft die Kunden wieder zurückholen kann, dann muss man zwingend auf Lösungen wie Newstore setzen. Die bedienen genau diesen einen Traum, der auf so vielen Handelsveranstaltungen beschrieben wird.
Wir haben aber etwas anderes gegründet. Wir haben mit Spryker ein Unternehmen gegründet, dass von seinen Kunden verlangt Technologie als eigenes Asset zu verstehen. Das Unternehmen die Veranwtortung für Technologie aufzwingt. Wofür man ein Team aufbauen sollte. Womit man fundamental mit den ERP Verantwortlichen in die Diskussion über Prozesse und Schnittstellen gehen muss und all die schönen MS Visio Modelle zum eigenen SAP System ggf. doch in Frage zu stellen hat. Das ist ein sehr harter Pitch, aber einen an den ich selber glaube. Um die Frage direkt vorab zu beantworten: Natürlich kann man mit Spryker ein Multichannelhandelsmodell betreiben. Unser Einwand im Pitch ist dann aber: Warum sollte man das tun?
Diese und ähnliche Diskussionen gibt es in drei Wochen beim DCD in Hamburg auf der Bühne.