Das Jahr 2014 habe ich mit dem Artikel „Die Amazon Economy“ bei kassenzone.de begonnen und dieses Thema hat mich und damit die Kassenzone Texte geprägt wie kein anderes. In den letzten Monaten hat sich dieser Gedanke weiterentwickelt und an allen Ecken des Internets stößt man nun auf die Begrifflichkeit Gafa Ökonomie, die mir zum ersten Mal im Interview mit Matthias Schrader („Ohne Plan in die GAFA Ökonomie“) begegnet ist. In Kürze geht es darum, dass die großen Vier des Internets (Google, Amazon, Facebook & Apple) immer mehr Macht akkumulieren, weil sie den Zugang zum Kunden kontrollieren. Das führt zu ganz anderen Regeln beim Aufbau von Geschäften, die mit den Interessen der GAFAs kollidieren. Das Thema halte ich für so grundsätzlich, dass ich diesem gerne den Jahresstart 2016 bei kassenzone.de widme. Ich glaube damit lassen sich auch viele grundsätzliche Diskussionen in unserem Kommentarbereich besser lösen. Was bedeutet eigentlich GAFA Ökonomie?
In den Diskussionen zu GAFA Effekten fällt auf, dass es zwei Lager gibt. Das eine Lager verteidigt klassische betriebswirtschaftliche Werte (Rendite ist das Ziel) während man im GAFA Lager eher anstrebt Plattformen zu schaffen und Wachstum (Umsatz) als ultimatives Ziel versteht. Beide Sichten lassen sich nicht zusammenführen, die Diskussionen enden ohne Lösung. Das erinnert doch sehr stark an volkswirtschaftliche Diskussionen von Anhängern der klassischen Theorie und den Keynes Verfechtern (1. Semester Volkswirtschaftslehre). Die Anhänger der klassischen Theorie glauben an freie, unregulierte Märkte. Sie stützen sich in Summe auf das Saysche Theorem (Angebot schafft sich Nachfrage, ansonsten verschwindet es vom Markt). Die Keynes Anhänger glauben daran, dass Märkte reguliert werden können und müssen, insbesondere durch Eingriffe der Zentralbank. Ihre Argumentation ist die Grundlage moderner Zentralbankentscheidungen weltweit und legitimiert stark auch die Rolle des Staates in der Volkswirtschaft.
Beide Lager kommen bei ähnlichen Problemstellungen zu grundverschiedenen Handlungsempfehlungen, weshalb sie nicht miteinander diskutieren können. Sie denken in zwei unterschiedlichen Modellwelten und genau das erlebe ich gerade in der Diskussion um digitale Geschäftsmodelle. Anhänger der GAFA Ökonomie akzeptieren die Regeln der neuen Plattformen und damit auch den Fokus auf Wachstum statt kurzfristigen Ertrag. Anhänger der „analogen Ökonomie“ bestehen auf den klassischen Regeln (Renditefokus, DCF Gültigkeit, stabile Gleichgewichte) in der Unternehmensbewertung. Auch hier, und das sieht man an dem ein oder anderen Kassenzone Kommentarfeed, lassen sich zwischen den beiden Parteien keine Diskussionen führen bzw. die Argumentationen wird unschlüssig, wenn man die Annahmen beider Welten vermischt. Ich will damit auch gar nicht sagen, dass die eine oder andere Sicht richtig ist, nur muss man die Grundannahmen im Hinterkopf behalten. In der Fachwelt, aber auch in den Mainstream Medien gibt es für mich immer mehr Hinweise für die Akzeptanz der GAFA Ökonomie.
Florian Heinemann diskutiert im hörenswerten Podcast der Onlinemarketingrockstars über das Phänomen der „GAFAnomics“ aus Onlinemarketingsicht. Er vergleicht die Macht der GAFAs mit dem Finanzmarkt. Dort hätten wenige Banken weltweit die Kontrolle über den zentralen Wert, nämlich Geld. (Bei GAFA ist dieser Wert Kundenzugang) Andere nutzen dieses Ökosystem für sich sehr clever aus und bauen auf dieser Basis eigene Systeme, z.B. Goldman Sachs. Eine sehr spannende Sicht finde ich, weil ich ähnlich argumentiere, wenn es um neue E-Commerce Services wie Curated Shopping oder Whatsapp Commerce geht. Das sind für mich keine vertikalen Händler, sondern Services, die auf der Amazon/Zalando Infrastruktur aufsetzen (sollten). Update: Hierzu ergänzend ein Hinweis von Jochen Krisch aus den Kommentaren:
Nicht berücksichtigt ist, dass auch die großen Plattform-Player einem ständigen Wandel unterworfen sind, vor nicht allzu langer Zeit fielen noch Yahoo oder Ebay darunter, in den USA zählt man heute noch Microsoft hinzu, in ein paar Jahren könnten Uber oder hierzulande Zalando dazugehören. Wie bei Amazon sollte man sich vor einer Mythifizierung einzelner Anbieter oder Anbietergruppen hüten.
In der brandeins Ausgabe vom Dezember 2015 wurde eine der grundsätzlichen Prämissen der GAFA Ökonomie hinterfragt. Ist die zugrundeliegende Geschwindigkeit und ggf. Hektik gerechtfertigt?
Wachstum in der Hoffnung auf später folgende Profite ist zum Wert an sich geworden. Ob es richtig ist, etwas Großes zu bauen, das auch einen großen Impact hat? Da muss Robert Gentz keinen Moment überlegen: „Also – diese Frage stellen wir uns überhaupt nicht.“
Ein sehr schönes Portrait über Zalando und deren Wachstumsgeschichte. Das wird sich nächste Woche im Kassenzone Podcast mit Robert Gentz sicher wiederfinden.
Indirekt habe ich im Artikel „Die zweite Hälfte des Schachbretts“ schon über die GAFA Ökonomie geschrieben. Darin ging es um den in der brandeins untersuchten Faktor „Geschwindigkeit“ und wie man darauf reagiert. Die darin enthaltene Tabelle könnte auch die Spaltenüberschriften „Analog“ und „GAFA“ tragen.
Dot-Com Dogma [ANALOG] | Peter Thiel Dogma [GAFA] |
Make incremental advances | Risk boldness than triviality |
Stay lean and flexible | Better a bad plan than no plan |
Improve on the competition | Competition destroys profits |
Focus on product, not sales | Sales matter as much as products |
Untermauert wird die GAFA These auch von Om Malik im New Yorker, der von einer Art „The winner takes it all“ Ökonomie redet. Im konkreten Fall geht es um das Duell Uber vs. Lyft, welches Uber meines Erachtens schon lange entschieden hat.
In the course of nearly two decades of closely following (and writing about) Silicon Valley, I have seen products and markets go through three distinct phases. The first is when there is a new idea, product, service, or technology dreamed up by a clever person or group of people. For a brief while, that idea becomes popular, which leads to the emergence of dozens of imitators, funded in part by the venture community. Most of these companies die. When the dust settles, there are one or two or three players left standing. Rarely do you end up with true competition.
Man darf diese These nicht missverstehen und behaupten, dass in diesem Fall ja niemand mehr gegen Amazon antreten müsste. Ich glaube es macht keinen Sinn mehr einen Marktplatz aufbauen zu wollen in Ländern in denen Amazon das Spiel schon gewonnen hat, aber das heißt ja lange noch nicht, dass es nicht andere Konzepte geben wird über die gekauft wird. Dazu haben Jochen Krisch und Marcel Weiß in einem ihrer letzten Podcasts ausführlich gesprochen.
Was wären also Entscheidungen gemäß der GAFA Regeln? Die folgenden Beispiele sind vereinfacht und für extreme Formen sicher nicht gültig, aber für die Masse dürften die Aussagen passen:
#A Wir haben sehr viele Kontaktpunkte bei mittleren und großen (Handels-) Unternehmen, die das Geschäft an die nächste Generation übergeben. Diese sollen nun „online“ voranbringen.
In der analogen Entscheidungswelt würde man versuchen möglichst viele Prozesse zu digitalisieren, den Endkundenzugang über E-Commerce zu erreichen und Marktanteile in der E-Commerce Welt gewinnen. Die Unternehmen selbst haben sich idR nie als Plattformen verstanden, sondern meist als dominanter Anbieter in ihrer Nische und/oder Region. Erfahrungsgemäß dauert das Change Management in diesen Fällen mehrere Jahre und am Ende steht ein mittelguter Onlineshop. Die grundsätzliche Frage nach dem Plattformmodell wir oft nicht gestellt. Die Steuerung der Projekte erfolgen meist strikt nach kurzfristigen (max. 3 Jahre) ROI Regeln.
In der GAFA Welt müsste sich der „Erbe“ überlegen, ob das bisherige Geschäftsmodell noch Bestand haben kann bzw. ob es in eine Art Plattform überführt werden kann. Beweisen lässt sich das nicht, der Markt entsteht ja erst gerade oder muss geschaffen werden. In den meisten Fällen muss die Frage verneint werden und dann wäre es nur vernünftig das Geschäft profitabel kleinzumanagen und Investitionen außerhalb des Legacy Business vorzunehmen, ggf. auch nur in Amazon Aktien. Sollte sich doch eine Plattform schaffen lassen können, dann muss mit sehr viel Investment (Zeit, Menschen, Geld) dahin gesteuert werden. Hier reden wir bereits von sieben- bis achtstelligen Beträgen die aufgebracht werden müssen.
#B Noch spannender ist natürlich die Entscheidungskonstellation bei Konzernen, die nicht wie ein mittelständiges Unternehmen durchregiert werden können.
In der analogen Entscheidungswelt, und so handeln eigentlich fast alle Konzerne, wird man versuchen Risiken zu managen und Investitionen so zu verteilen, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das richtige Pferd setzt. Sie interpretieren die Aussagen von Clay Christensen (Disruptive Innovation) und Eric Ries (Lean Startup) in ihre Entscheidungsmodelle hinein. „Wir müssen disruptiver sein!“, „Innovationen sind Basis unseres Erfolgs!“, dabei beschreiben die beiden Autoren nur einen Hygienezustand der erreicht sein muss, um überhaupt investieren zu können.
In der GAFA Welt muss man es halten wir Mark Zuckerberg, der gesagt hat:
The biggest risk is not taking any risk… In a world that changing really quickly, the only strategy that is guaranteed to fail is not taking risks.
Risikomanagement, wie es Konzerne heute betreiben, wäre demnach nicht mehr möglich.
#C Wenn man gerade nicht Mittelständler oder Konzern ist kann man sich die Seiten ja oft aussuchen. Als Agentur z.B. oder als Dienstleister oder einfach nur als Startup.
Es spricht mE nichts dagegen Konzerne und andere bei ihrem analogen Entscheidungsweg zu unterstützen. „Kommt der Angriff der Großkonzerne?“ Von vielen Agenturen weiß ich aber, dass sie das Projektvorgehen bei ihren Kunden teilweise stark kritisieren und nur deshalb mitmachen, weil die Kunden es genauso wollen und auch bezahlen. Diese Unternehmen müssen sich dann fragen was nach dem Ende der Sackgasse kommt oder sie wetten darauf, dass ihre Kunden doch noch die Kurve kriegen. Genauso verhält es sich für Startups die sich z.B. als Service Layer im GAFA System sehen könnten, oder doch versuchen (meist aussichtlos) die Kunden direkt an sich zu binden, oder sie haben so viel Momentum, dass sie selber zum GAFA Alphabet gehören können oder wollen. Uber ist einer dieser Kandidaten.
Mit Spryker mussten wir uns diese Frage auch stellen. Die Nachfrage nach Upgrade Lösungen für alte ERP und Shopsysteme ist gewaltig. Wir könnten viel Geld verdienen, wenn wir „nur“ eine Software anbieten die man über die bestehende SAP (Version von 1993) und Intershop (Version von 2003) Struktur stülpen kann für ein schnelleres Frontend, mobile Seiten oder Multichannelfeatures usw. Daran glaube ich aber kein Stück, abgesehen davon dass solche Projekte technisch und organisatorisch kaum noch managebar sind. Wir haben uns bewusst für den GAFA Weg entschieden, mit dem etwas vereinfachten Claim „technology for catergory leaders“, also Unternehmen die für sich die Marktführerschaft beanspruchen oder anstreben und deren größtes Ziel Entwicklungsgeschwindigkeit ist. Der Markt ist (noch) deutlich kleiner als der ERP/Shop Update Markt, aber wie gesagt. Jeder muss selber entscheiden welche der Modellwelten passt. Richtig oder falsch gibt es hier nicht.
Stefan Hoffmeister hat sich auf seinem Blog vor ein paar Wochen lesenswerte Gedanken zur GAFA Ökonomie gemacht.
Wie bereits oben angedeutet, erobern die GAFAs nicht nur ihre ursprünglichen Kernmärkte, sondern breiten sich in nahezu jedem digitalen Segment und somit Lebensbereich aus.
Da würde ich mir auch als Bank ein paar Gedanken machen. Und ganz zum Schluss noch die Antwort auf die in dieser Woche am häufigsten gestellte Frage. Sind die 300-400 neu zu eröffnenden Amazon „Buchläden“ ein Hinweis auf die Besinnung zu den Werten des stationären Einzelhandels? Besser als hier wurde es nirgendwo erklärt. Marcel macht sich ausführlich Gedanken dazu.
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Fotoquelle: https://unsplash.com/matthewwiebe