Heinemann: SPACs, PEAK Hellofresh, ETSY und Raoul Rossmanns Zukunftsperspektive

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Mit unserem Stammgast Florian Heinemann bespreche ich, wie wir schnell reich werden können mit Hilfe von SPACs oder ob wir lieber doch eine signierte MP3 vom Podcaszt per NFT verscherbeln sollten. Wir schauen uns danach die Zahlen von ETSY und Hellofresh and und bleiben bei letzterem weiterhin skeptisch. Als kleinen Bonus lese ich eine Seite aus dem neuen Buch Zukunftsrepublik vor. Wie sieht Raoul Rossmann die Innenstadt? Er hat auf jeden Fall eine sehr spannende Perspektive im Buch geteilt, die auch viel mit Amazon zu tun hat.

Kassenzone-Spezial mit Florian Heinemann, Kassenzone-Stammgast von Project A Ventures

Über ein Jahr ist es her, dass Alex Florian Heinemann von Project-A-Ventures als Kassenzone-Kommentator „unter Vertrag“ nahm. Seitdem ordnet er mit Alex in regelmäßig-unregelmäßigen Abständen und – wie Alex es anpreisend formuliert: – „messerscharf“ das Marktgeschehen generell und insbesondere die Aussichten für einzelne Unternehmen ein – immer aus seiner fachmännischer Sicht als Investor (Achtung: keine Anlageberatung!). In diesem zweiten Heinemann-Spezial des Jahres 2021 sehen sich Alex und Florian die zum Aufnahmezeitpunkt noch frisch veröffentlichten Zahlen der Firmen HelloFresh und Etsy an und überlegen, ob nicht auch sie mit den als „SPAC“ bekannten Börsenmäntel schnell reich werden können. Ein anderer D-Zug in Richtung ungeahnten Reichtum, auf den die beiden aufspringen könnten? Na, Kassenzone-Folgen als NFTs!

„HelloFresh lässt bei mir deutlich mehr Fragezeichen als Etsy!“

5:00

Alex: Florian, was spricht eigentlich dagegen, aus der MP3-Datei dieser Folge einen non-fungible token – kurz: NFT – zu machen und die höchstbietend zu versteigern…?

Florian: Hm. Ob wir damit einen Beitrag dazu leisten würden, die Welt besser zu machen – oder uns auch nur selber weiterbringen würden – wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln, Alex.

Alex: Aber wir könnten es ja doch so machen, dass wir uns mit deinem Partner Thies absprechen, damit er dafür erst einmal eine Million bietet. Allein dadurch würden wir viel Presse kriegen! Denn – ich sage es mal so: – ich verstehe nicht ganz genau, worum es sich mit NFTs eigentlich handelt, aber ich weiß trotzdem schon, dass der Gründer von Twitter 2,5 Millionen Dollar in Ethereum für den ersten Tweet als NFT einsackte! Öffentlichkeitswirksam ist das also allemal. Und wie ich bei t3n gelesen habe, macht auch Musiker Fynn Kliemann mit… Obwohl – oder gerade weil – ich da nicht ganz durchsteige, würde ich sagen: NFTs hören sich nach einer Lösung an für Probleme, die es noch nicht gibt.

Daher der Aufruf: Wenn ein Zuhörer uns vom Gegenteil überzeugen will, soll er uns gern etwas zukommen lassen und wir nehmen das gern in einer der kommenden Folgen auf!

Florian: Dazu sollten wir wohl mit Johann König sprechen! Hast ja letztens einen schönen Podcast mit ihm aufgenommen. Was ich daraus gelernt habe: Die Preissetzung im Kunstmarkt folgt nicht immer unbedingt substanziellen, nachvollzieh- und überprüfbaren Kriterien…

8:10

Alex: Bei unserer letzten Aufnahme sprachen wir nur kurz das Thema SPACs an. Auch hier bin ich gelinde gesagt nicht unbedingt vom Nutzen des Instruments überzeugt. Mir scheint’s, als ob jeder, der schon immer nie schnell genug Geld verdienen konnte, jetzt einen SPAC aufsetzt. Leere Börsenhüllen, die mit dem Überschuss an liquiden Mitteln am Markt befüllt werden? Kommt mir anrüchig vor.

Florian: Als „anrüchig“ würde ich special purpose acquistion companies nicht unbedingt bezeichnen. Die gibt es auch etwas länger und die Grundüberlegung hinter ihnen ist auch nachvollziehbar: Man hat Tech-Assets, die sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wahnsinnig schnell entwickelt haben, tendenziell aber länger auf den Börsengang warten; Investoren versuchen aber natürlich trotzdem an der Wertentwicklung zu partizipieren; also beschleunigen sie den Börsengang ein Stück weit dadurch, dass sie sich über SPACs in die Lage versetzen, den Firmen schnell zuzuführen.

Womit das Ganze steht und fällt: Wird es der Mehrheit diese SPACs gelingen, eigentlich börsentaugliche Investitionsziele zu identifizieren und durch Fusionen mit den Firmen diese an die Börse zu bringen – und mit der schnellen Zufuhr an Kapital die Entwicklung von ohnehin börsentauglichen Assets in der Entwicklung noch weiter zu beschleunigen. Und gelingt das zu Preisen, die durch die Substanz der Ziele in irgendeiner Form zu rechtfertigen sind? Wenn das so aufgeht, sind SPACs als positiv anzusehen.

Nur ist es so, dass meinem Kenntnisstand zufolge gerade in USA rund 200 SPACs mit jeweils deutlich mehr als 100 Millionen Dollar ausgestattet sind. Sagen wir mal, eine davon hat 250 Millionen Dollar eingesammelt. Damit können sie Firmen übernehmen, die zwei- oder dreimal größer sind – also im Prinzip unicorns. Gibt es aber 200 geeignete, qualitativ hochwertigen Übernahmeobjekte im Tech-Bereich?

Klar, man kann „Tech“ weitherzig auslegen – zum Beispiel Space-Tech: Da ging Raumtourismusanbieter Virgin Galactic mit Social Capital, dem SPAC von Palihapitiya, an die Börse. Auch in Bio-Tech passiert etwas. Das sind ja auch sehr kapitalintensive Bereiche. Aber trotzdem stellt sich die Frage, wie viele von den SPACs, die derzeit mit Geld auf Investitionsobjektsuche unterwegs sind, passende Assets finden.

Eine Sache ist wichtig: Finden die SPACs innerhalb zwei Jahre kein passendes Übernahmeobjekt, wird das Vehikel rückabgewickelt. Das eingesammelte Geld muss dann zurückfließen – und auf den Kosten für das Aufsetzen der SPAC bleibt der Initiator sitzen. Daher ist sein Anreiz, das Geld doch lieber halbwegs passend zu investieren, sehr hoch. Man kann sich schon die Frage stellen, ob sich diese Anreizsetzung nicht zu Lasten der Qualität auswirkt. Zumal deine Wahrscheinlichkeit als Fondsmanager, der einmal eine SPAC wieder abwickeln musste, in Zukunft wieder von Investoren Geld einsammeln zu können, nicht besonders hoch ist.

13:30

Alex: Wie funktioniert das Ganze genau? Angenommen, wir beide gründen so eine leere Börsenhülle – „HeinemannGraf SPAC“ – und wollen damit in Technologieunternehmen investieren. Dafür sammeln wir erst einmal 200 Millionen Euro ein und gehen an die Börse. Kann man uns dann schon sofort handeln, bevor wir überhaupt investiert haben? Dann würden diejenigen uns an der Börse kaufen, die daran glauben, dass der Graf und der Heinemann schon in der Lage sein werden, ein besonders gutes Objekt zu finden – richtig?

Florian: Meinem Verständnis zufolge: ja. Würde sich also ein Gerücht verbreiten, dass Heinemann und Graf an so einem heißen Ding dran sind und kurz vor Vertragsabschluss stehen, dann würde unser Kurs steigen. Aber richtig losgehen würde es wohl erst, wenn wir verkünden, dass wir jetzt für eine Milliarde ein Tech-Unternehmen…

Alex: … wie zum Beispiel Spryker!

Florian: … übernehmen.

Alex: Und dann könnte Spryker mit der vertrauenswürdigen Kombination Graf-Heinemann an die Börse gehen. Wir bekämen dafür 20% von Spryker.

(Wie genau so ein SPAC-Spryker-Deal aussehen würden – wer bekommt wieviel wovon –  legt Florian im Detail dar. Florian erklärt, dass deren SPAC nach Ankündigung erst einmal weitere Hundertmillionen einsammeln müsste, um Spryker für die zugesagte Milliarde auch übernehmen zu können. Allerdings keine 800 Millionen, denn nur ein Teil – vermutlich 25% – von Spryker würde im Zuge der Fusion tatsächlich an der Börse gelistet werden. Als Initiatoren würden die beiden aber schon am Ende über 20% der Anteile der fusionierten Firma vor Börsengang verfügen.

Warum aber würde Spryker mit HeinemannGraf SPAC und nicht mit einer Investmentbank wie Goldman Sachs an die Börse gehen wollen, fragt Alex. Ein SPAC, so Florian, tue mehr als nur Investorenkontakte und Börsenprospekte erstellen – nehme natürlich aber ebenfalls viel mehr. Heikler Punkt: Wann und wie fließen denn genau die 20% an die SPAC-Initiatoren? Florian referiert dazu ein Clubhouse-Gespräch, den er mit Inga Schwartig, Chief Investment Officer von einer der ersten deutschen SPACs Lakestar, geführt hat. An der Frage des Zeitpunkts erkenne man die Seriosität einer SPAC. Und da so viele SPACs um so wenig gute Objekte miteinander konkurrieren, sei auch zu erwarten, so Florian weiter, dass einige SPACs bald anböten, für niedrigere Anteile einzusteigen.

„Crazy Zeugs!“ resümiert Alex. Florian wiederholt: Seriöse SPACs könnten einen validen alternativen Weg zur Börse darstellen. Einige Firmen – wie etwa AirBnB – gingen aber auch ganz andere Wege wie direct listing, weil sie schlichtweg kein frisches Geld brauchten. Aber per SPAC sei nicht unbedingt eine schlechtere Variante als das oder der klassische Weg. Alex kündigt an, über die kommenden Folgen immer wieder auf die Entwicklung von SPAC-Werten und auf erfolgte Abschlüsse einzugehen.)

23:50

Alex: Nun zur ersten der zwei Firmen, auf die wir heute etwas tiefer eingehen möchten: Etsy. Im E-Commerce-Buch schrieb ich mit Holger Schneider vor drei Jahren dazu Folgendes: „Wenn wir danach gefragt werden, welche Geschäftsmodelle uns bekannt sind, die nicht von Amazon betroffen sind, dann ist Etsy ein Name, der uns besonders oft einfällt. Ein Marktplatz, der selbstgemachten Produkten die richtige Bühne bietet – das ist innovativ genug, und das ist nichts, was Amazon gut kann.“ Allerdings hatte ich noch paar Jahre davor – abgesehen von der strategischen Stärke in der Positionierung – bei Etsy einige „hausgemachte Probleme“ ausgemacht (nachlesen auf Kassenzone). Denn mehr Geld führt nicht dazu, dass man das Modell besser skalieren kann.

Jetzt auf die neuesten Zahlen geblickt: Wie schätzt du die Zahlen von Etsy ein?

Florian: Also, die 2020 Zahlen sind einfach gigantisch. Es ist aber natürlich die entscheidende Frage, ob der Corona-Boost 2021-2022 auch anhält – oder ob sich die dadurch ausgelöste gute Entwicklung zumindest zum Teil verstetigt. Was meine ich übrigens mit gigantisch? Etsy hat 2020 etwas über 10 Milliarden Dollar GMS gemacht (So bezeichnet Etsy Handelsvolumen; man nennt es sonst GMV). Wachstum dadurch: über 100%. Davon gab es 1,7 Milliarden Dollar Innenumsatz – also 17%, was schon eine Ansage ist. Das setzt sich zusammen aus Transaktionsprovision, Zahlungsgebühren und verschiedenen Dienstleistungen darum herum. Übrigens machten sie 23% EBIT auf diesen 1,7 Milliarden – fast 550 Millionen Dollar! Das ist alles sehr, sehr stark.

Was zeigt das? Wenn ein Marktplatz erstmal läuft, dann ist der in sich wahnsinnig resilient. Zudem hat der Etsy-Markplatz größtenteils unique inventory – eine starke Positionierung, also. In USA waren sie auch 2020 die viertmeistbesuchte E-Commerce-Seite. Allerdings kann man hier anmerken, dass der GMV an dieser Reichweite gemessen so beeindruckend eigentlich gar nicht war. Amazon hat da ganz andere Relationen. Wieder eine Stärke von den Etsy-Zahlen: 41% des GMV kommt aus dem Ausland. Insgesamt ist Etsy 100% gewachsen, aber außerhalb der USA 150% – insbesondere in Deutschland (gute 100%) und UK (fast 200%).

Eine Sache, die dafür spricht, dass es sich um eine nachhaltige Entwicklung handelt: habitual buyers ­– also: regelmäßige Käufer – haben um fast 160% zugelegt. Setzt sich der Trend fort, dass die Zahl der wiederkehrenden Kunden schneller wächst als der Umsatz insgesamt, dann ist das für Etsy ausgesprochen gut. Denn was wir immer wieder (nicht nur) in E-Commerce beobachten: Sind die Leute erst einmal in die Gewohnheit gekommen, eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, kommt es zu einer relativ starken Abhängigkeit. Das würde zu starkem, vor allem nachhaltigen Wachstum führen.

Noch etwas: 2020 gab es 81 Millionen Käufer, wovon die Hälfte Neukunden waren. Das ist ja auch gigantisch – und wurde mit einer relativ niedrigen Marketingkostenquote von knapp 5% des GMS erreicht. Das liegt deutlich unter den Werten von Zalando etwa oder AboutYou, die im Bereich 10% sind – auch Otto. Was in den Zahlen ebenfalls sehr interessant war: Etsy misst und berichtet die innovation velocity. Eine Messgröße: Wie oft macht das Produkt-Management-Team Experimente – und wozu führen sie?

(Florian führt ein Beispiel im Bericht auf, das darauf schließen lässt, dass der Suchalgorithmus durch A/B-Tests besser geworden ist. Davon könnten sich deutsche E-Commerce-Player eine Scheibe abschneiden: Experimente quantitativ und qualitativ als Kennzahlen nachverfolgen. Auch spannend aus Florians Sicht sei der Umgang von Etsy mit Kundenservice: In einem Jahr sei die Zahl der in Echtzeit-Hilfe per Chat oder Telefon beantworteten Anfragen von 26% auf 73%. Echtzeit-Support als Wachstumstreiber also. Weiterer Fortschritt, für den sich Florian erwärmen kann: Allein in Q4 luden Verkäufer 1,7 Millionen Produktvideos auf den Marktplatz hoch – eine Vervielfachung der 200.000 in Q2. Schlussbemerkung von einem hellauf begeisterten Florian: Etsy habe seine Wachstumstreiber gut im Griff. Und dann gebe es noch das Thema der Offsite-Ads: Etsy ermögliche es nämlich seinen Händlern, auch auf Drittseiten Anzeige zu schalten. Dadurch kamen 9% des GMS zustande. Sprich: Rund 1 Milliarde Euro Handelsvolumen generierten Verkäufer durch selbstbezahlte Anzeigen.)

33:50

Florian: Jetzt lass ich dich auch mal reden! Wie findest du Etsy?

Alex: Sagen wir es mal so: nicht nur du, auch die Börse findet Etsy gerade sehr gut. Anfang letztes Jahr lag der Aktienkurs bei rund 40 Dollar – und jetzt liegt der bei über 200! Das sind 26-27 Milliarden Dollar market capitalisation, sprich: knapp das Dreifache des Außen- und das Dreißigfache des Innenumsatzes. Das ist enorm. Und die Zahlen für 2020 sind ja auch beeindruckend.

Allerdings lese ich gern Berichten auf die Informationen zwischen den Zeilen. Eins, was man von den Zahlen abzinsen muss: das Maskengeschäft. 2020 hat Etsy 750 Millionen mit Masken umgesetzt! Selbst bei einer anhaltenden Pandemie sind es jetzt medizinischen Mundnasenschutzmasken, die gefragt sind. Das Geschäft war also einmalig.

Die Messzahl revenue per employee stieg auf rund 1,4 Millionen Dollar pro Mitarbeiter. Das ist extrem hoch – ein Spitzenwert sogar, der eigentlich eher von Software-Konzernen wie Google und Microsoft erreicht wird. Nur: Das sehe ich bei Etsy nicht. Das spricht also für mich eher dafür, dass die Aktivität heute schon sehr stark ausgereizt ist. Bei der Kostenseite würde ich kommendes Jahr also einen starken Kostenanstieg erwarten. Man braucht auf die Dauer viel mehr Mitarbeiter, um beispielsweise das Echtzeit-Service-Niveau anzubieten, das sie jetzt eingeführt haben. 2020 haben sie sich bestimmt stark verbiegen müssen, um dahinzukommen.

Was ich positiv sehe: Sie verdienen schon über 100 Million Dollar mit Gebühren für Dienstleistungen außerhalb des Marktplatzes. Das ist bereits sehr groß. Aber ich frage mich schon, wie die eingeschwungene Form von Etsy nach dem Sondereffekt Corona aussehen wird. Was ist, wenn die Leute wieder ihren normalen Hobbys nachgehen, wo sie Leute treffen und nicht eben auf Plattformen wie Etsy Materialien bestellen? Da werden sie mehr für Marketing ausgeben müssen, um die Kunden wieder vor den Rechner zu bringen!

Mittelfristig sehe ich also einen Rückgang in der derzeit extrem hohen Profitabilität. Renditen von 33% auf dem Innenumsatz? Das lässt sich so nicht halten! Ideen nach vorne raus gibt es wohl viele, aber letztendlich hat Etsy es mit vielen kleinen Marktplatzverkäufer zu tun. Das ist nicht wie im Enterprise-Geschäft, wo man pro Partner hohes Potenzial heben kann.

Langfristig bin ich aber schon der Meinung, dass das ein tolles Geschäft ist. Die Nische ist schwer anzugreifen – nicht nur für Amazon. Aber sie bleibt eine Nische. Daher wird Etsy viele weitere Experimente machen müssen, um weiter zu wachsen und zu skalieren. Vereinfacht gesagt: Alle, die selber Topflappen häkeln wollten, haben das jetzt gemacht. Worauf bringt Etsy die als Nächstes? Das heißt: Content auf die Plattform, Content monetarisieren, Gruppen zusammenbringen… Das Jahr war für Etsy einzigartig. Rosarote Aussichten sehe ich aber nicht.

Florian: In der Tat: Viele der Etsy-Produkte sind keine essenziellen Dinge. Insofern ist schon die Frage, ob die Leute weiterhin in dem Maße dabeibleiben. Eine spannende Information war allerdings, dass die Kategorien für Etsy im vergangenen Jahr wie folgt runtergebrochen werden homeware, home & furniture ($3,2 Mrd.), gefolgt von jewellery and personal accessories ($1,6 Mrd.), arts & crafts supplies ($1,2 Mrd.), apparel ($1 Mrd.), paper & party supplies ($0,4 Mrd.) und beauty & personal care ($0,2 Mrd.); Masken (rund $0,75 Mrd.) machten dann eine Sonderkategorie.

Besonders spannend daran: Home & Living ist mit über 3 Milliarden Dollar Umsatz rund sechsmal so groß wie Home24. Ebenfalls spannend: Im Bereich Beauty sind sie noch relativ klein. Das ist also ausbaufähig im guten Sinne. Es gibt auch viele weitere, viel kleinere Nischen, die sich Etsy – dessen Kategorien doch relativ kompakt sind – noch vorknöpfen könnte. Ich wäre mir also guter Dinge, dass da noch ziemlich viel Wachstum darin steckt.

41:35

Alex: Zudem gab es Zahlen von HelloFresh. Vorbereitungshalber bin ich dort Kunde geworden – wobei man fairerweise sagen muss, dass das auch die einzige Möglichkeit ist, sich Lebensmittel liefern zu lassen hier draußen auf dem Dorf!

Lass mich erstmal vorlesen, was ich damals mit Holger Schneider im E-Commerce-Buch dazu schrieb: „Ein sehr spannendes Unternehmen, das aus unserer Sicht die besten Chancen hat, neben Amazon den Lebensmittelmarkt aufzumischen. Das Wachstum musste bislang teuer erkauft werden – aber die vordefinierten Rezepte sind möglicherweise nur der Anfang.“ Und im selben Jahr schrieb ich zum Börsengang von HelloFresh auf Kassenzone einen Beitrag mit dem Titel „HelloFresh: Buy or sell?“, in welchem ich mich folgendermaßen äußerte: „Ich sehe es nicht ganz so schwarz wie Sven Schmidt, auch wenn das Prospekt nicht wirklich viel hergibt und einige Bereiche, wie z.B. die Entwicklung des Kundenstamms außerhalb der USA, mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben.“ Denn Sven Schmidt hatte damals darauf hingewiesen, wie wenig stabil die Neukundenkohorten in der Kategorie sein können und wie wenig klar es ist, ob sie jemals Geld abwerfen. Damals hatte HelloFresh auch gefühlt an jeder Pommesbude einen stehen, der fünf Gutscheine auf einmal aushändigte.

Jetzt war aber das Corona-Jahr: Was sagen die Zahlen für 2020?

Florian: Es war ein ordentliches Jahr! Fast vier Milliarden Umsatz! Und aufs Quartal gesehen wachsen sie 100%-ig an der Zahl der Bestellungen und an der Anzahl der Mahlzeiten noch stärker – was heißt, die Kunden nutzen HelloFresh intensiver. Die Umsatzerlöse hielten wachstumsmäßig Schritt. Dabei verteilt sich der Umsatz groß zur Hälfte auf USA und zur Hälfte auf den Rest der Welt. In USA sind sie um 100%, außerhalb um 140% gewachsen. Aus beiden melden sie eine ziemlich solide Rendite: EBITDA lag insgesamt bei 15%-18%.

Ich würde also sagen, dass die Kritik von Sven – instabile Kohorten mit viel churn, hohe Marketing- und Kundenreaktivierungskosten – zumindest im Corona-Jahr nicht gegolten hat. Auch das Argument, dass die Marge im Lebensmittelbereich schlicht zu klein sei, wurde widerlegt. HelloFresh betonte ja auch immer, dass sie weniger wegschmeißen mussten als Supermärkte (20%-30% der Frischware müssen entsorgt werden!), weil das Geschäft planbarer sei.

Fazit: Ein erfolgreiches 2020! Der Börsenwert ist auch über das Jahr hinweg auf rund 10 Milliarden gestiegen, was einer beinahe-Verdreifachung gleichkommt.

Alex: Und immer noch nur ein Drittel der market cap von Etsy! Nun zum Thema churn rate – wie lange bleiben die Kunden? Wie schnell verliert man sie. Laut Interpretation von HelloFresh gibt es aber gar keinen churn. Sondern sie teilen die Kunden in Typen ein. So gibt es den trialist, der erst einmal drei Boxen bestellt und dann keine mehr, den seasonal user, der mal im März und mal im Mai bestellt, sowie den occasional user, der fünfmal im Jahr zu verschiedenen Anlässen bestellt. Der vierte Typ ist natürlich der spannendste: der frequent user.

Was mich stutzig macht, ist allerdings nicht, dass es in der HelloFresh-Welt keinen churn gibt, sondern viel eher die Herleitung des EBITDAs. Sie versuchen nämlich die Kosten der Holding, die das US- und Europa-Geschäft zusammenbringt und woraus Boni an Mitarbeiter bezahlt werden, aus dem EBITDA herauszurechnen. Dabei summieren sich diese Kosten auf rund die Hälfte des EBITDAs! Diese Kosten müssen aber irgendwo erwirtschaftet werden und wir sprechen nicht von einer Dutzendmarkenholding, bei der sie schlecht zu allokieren wären. Nein, es handelt sich um ein stinknormales Geschäft in paar Regionen, aus dem sie die Kosten herausrechnen wollen, um die Rendite aufzuhübschen. Dabei ist es nicht so, dass der EBITDA negativ ausfallen würde, wenn sie wieder reingerechnet würden – aber eben deutlich geringer.

Ich wäre hier besonders zurückhaltend, weil sich sonst wenig zwischen 2019 und 2020 verbessert hat. Tolles Umsatzwachstum? Klar – im Corona-Jahr nicht verwunderlich! Marketingkosten nicht gestiegen? Wie hätte es anders kommen sollen in einem Jahr, in dem die Leute nicht auswärts essen und oft auch nicht gut einkaufen konnten? Dafür hätten sie eigentlich etwas mehr wachsen sollen.

Es handelt sich hier zudem um einen absoluten Corona-Effekt. Wenn die Leute wieder essen gehen können, dann werden sie das auch tun – und weniger bei HelloFresh kaufen. Dann werden die Marketingkosten steigen und das wird zulasten der Profitabilität gehen. Auf den echten EBITDA (also: vor Abzug der Holdingkosten!) gerechnet könnte das die Rendite zunichtemachen und den EBITDA wieder ins Negative rutschen lassen.

(Alex teile also die Meinung von Sven Schmidt. Interessantes Geschäftsmodell – aber mit vielen Schwachstellen. Neben Picnic oder Flaschenpost, die Kunden ebenfalls rund einmal die Woche beliefern wollen, habe HelloFresh weniger Möglichkeiten. Zumal – Das hat Alex aus dem Selbsttest gelernt – die Auswahl der Rezepte überschaubar und die Qualität schwankend sei: „Etwas besseres Kantinenessen.“ Der Großteil der Kunden werde also weiterhin als gelegentliche User verbleiben, die nur durch teure Gutscheinaktionen wieder zu aktivieren sind.

Florian wirft ein, dass selbst im Corona-Jahr mit sehr viel Rückenwind HelloFresh mit 12% immer noch vergleichsweise hohe Marketingkosten hatte; und im Jahr davor waren es 25%! Den beiden fällt auf, dass die Gutscheinkosten auch nicht zuzuordnen sind: Sind sie in den Marketingkosten drin oder werden die vom Umsatz schon abgezogen?

Alex fasst zusammen: Wenn man die Vor-Corona-Zahlen von 2019 als Basis nimmt und den Holdingkostenabzug rückgängig macht, arbeitete HelloFresh hart an der schwarzen Linie oder möglicherweise knapp darunter. Bei allen positiven Punkten – Lieferung nach Hause, Convenience usw. – könne Alex‘ Fazit nur lauten: 2020 war Peak-HelloFresh. Bis zur echten 10%-Marge sei es noch ein weiter weg. Florian führt den Abschnitt „Chancen“ aus dem Geschäftsbericht auf: HelloFresh setze auf weiter Internationalisierung und neue Marken. Auch Florian sieht Möglichkeiten in die Entwicklung von neuen Angeboten spezifisch für Veganer, für Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten usw. Auch durch Angebote für andere Mahlzeiten wie Frühstück oder Dessert wolle HelloFresh wachsen. Florian leuchtet es zwar ein, schließt sich aber Alex‘ Urteil an, dass er aus 2020 allein mehr erwartet hätte.)

57:25

Alex: Die Leute von HelloFresh waren auch in diversen Clubhouse-Sessions und haben ins Publikum gefragt, wer deren Dienst schon benutzt hatte und was man davon hielt. Für mich muss ich nach dem Selbsttest sagen: Den idealen Kunden – die Familie, die da mehrmals die Woche über mehrere Jahre bestellt – sehe ich nicht. Den Grund, warum es diesen Kunden so geben soll und er so handeln würde, hat man mir nicht vermitteln können. Ich sehe nach wie vor nur den gelegentlichen Nutzer.

Also: Spannendes Geschäft, super Jahr, tolles Team – HelloFresh lässt bei mir aber deutlich mehr Fragezeichen als Etsy! Aber vielleicht weniger fragwürdig als Wish, dessen Geschäftsbericht wir letztens so ziemlich zerpflückt haben…

Florian: … und zu Wish kommen wir bestimmt wieder in der nächsten Ausgabe! Sieht das Unternehmen die Börse doch nach wie vor sehr positiv! Und dann kommen so langsam die ersten Zahlen von AirBnB.

(Alex schließt mit einer Frage zu HelloFresh von Philipp Klöckner, auf die er mit Florian in der nächsten Ausgabe zurückkommen möchte…)

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