Wie verkauft man Kunst? Mit Johann König

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Einen echten Galeristen im Podcast hatte ich noch nie, schon gar nicht einem mit diesem Renomee und eigener Wikipedia Seite. Johann König ist allen Kunstsammlern und Kennern in Deutschland ein Begriff. Er ist mit seinen Aktivitäten per Instagram und Co. sicher auch einer der innovativsten Galeristen im Land. Im Podcast erzählt er mir wie sein Geschäft funktioniert, welche Rolle der Onlinekanal schon spielt und wie man „supergraf Bilder“ vermarkten würde. Wir entwickeln sogar eine Idee exklusiv für Kunstsammler im Kassenzone Podcast. Mir hat das Gespräch sehr geholfen, um den Kunstmarkt besser zu verstehen. Ich bin weder Sammler, noch Kenner, aber die irrationalen Elemente des Marktes sind sehr spannend, wie man beim NFT Hype neulich erleben konnte.

Kunsthandel mit Johann König, Unternehmer und Kunstvermittler

Oscar Wilde nannte Kunst „die stärkste Form von Individualismus“, Wilhelm Busch huldigte ihr als „Verzierung der Welt“. Fakt ist wohl: Sie liegt im Auge des Betrachters. Umso spannender ist es, mit einem so renommierten Galeristen wie Johann König zu erörtern, wie sich der Kunstmarkt definieren lässt, wie die Preisfindung vonstattengeht und wie Galerien die Online-Welt für sich nutzen können. Johann zog mit Anfang 20 nach Berlin, gründete noch im selben Jahr eine Galerie für zeitgenössische Kunst und avancierte zum „Popstar unter den Galeristen“. Das erklärte Ziel des „Unternehmer und Kunstvermittler“, wie er sich mittlerweile selbst bezeichnet, besteht darin, Kunst zu vermitteln und Menschen die Berührungsangst zu nehmen. Zu diesem Zwecke nutzt er praktisch alles, was ihm in die Hände fällt: Er hat einen eigenen Instagram-Kanal, gibt ein Magazin heraus und unterhält sich in seinem eigenen Podcast in regelmäßigen Abständen mit Menschen aus der Szene.

„Das Tolle an Kunst ist: Man muss sich nicht auskennen!“

03:35

Alex: Ich würde zuerst gerne verstehen, wie man eigentlich den „Kunstmarkt“ absteckt. Gehören die Produkte, die Lumas verkauft, zum Beispiel auch dazu – oder sind die zu niedrigschwellig für den Begriff „Kunst“? Und wie viel wird in Deutschland mit Kunst umgesetzt?

Johann: Ich persönlich würde Lumas am äußeren Rand des Mainstreams verorten, und näher an der Dekoration als an der Kunst. Trotzdem sind die Produkte im weitesten Sinne Teil des Kunstmarkts, weil das den Leuten so vermittelt wird und weil die Motivation für die kaufenden Kunden eben doch eine künstlerische Auseinandersetzung ist. Bezüglich des Umsatzes im Kunsthandel gibt es keine genauen Zahlen, aber man geht so von 1 Milliarde Euro aus. Das umfasst Galerien – mit 700 Millionen – und Auktionshäuser.

Alex: In Deutschland oder in Europa?

Johann: In Deutschland.

Alex: Auf wie viele Galerien teilen sich diese 700 Millionen auf?

Johann: Dazu hat das Institut für Strategieentwicklung erst kürzlich eine Studie veröffentlicht. Die kommen zu dem Ergebnis, dass fünf Prozent aller Galerien 50 Prozent des gesamten Umsatzes verantworten. Mir kommt das aber zu viel vor.

Alex: Und du gehörst hoffentlich zu diesen fünf Prozent?

Johann: Wir gehören definitiv zu diesen fünf Prozent, ja. Wir machen jährlich um die 20, 25 Millionen Euro Umsatz.

05:20

Alex: Bevor wir über die Online-Welt und den Weg eurer Kunden sprechen, würde ich gerne mehr über eure Arbeit erfahren. Ihr habt 2012 in Berlin eine ausgemusterte Kirche gepachtet und dort eure Galerie eröffnet. Anders als bei einer Kik-Filiale oder einer REWE-Abholstation gibt es für so einen Standort höchstwahrscheinlich keine öffentlichen Daten, die aussagen, wie hoch der Umsatz dort ist. Wie geht man so ein Geschäftsmodell an und inwieweit lassen sich solche unternehmerischen Schritte in der Kunstwelt planen?

Johann: Du hast recht, es ist nicht so einfach zu projizieren. Es ist eigentlich gar nicht so verkehrt, unser Modell mit Lumas zu vergleichen, die kennen wahrscheinlich viele. Die verkaufen ihre Produkte in Top-Innenstadtlagen, bei hohen Gewerbemieten und quasi neben anderen Konsumgüterläden auf höherem Premiumniveau. Bei uns ist es hingegen so: Wir sitzen in einer Kirche im Stil der brutalistischen Nachkriegsmoderne mitten in Berlin, in Kreuzberg. Das ist zwar der geografische Mittelpunkt der Stadt, aber eben überhaupt kein Stadtzentrum, und gut zu erreichen, aber trotzdem ab vom Schuss. Und wir haben 25 Parkplätze vor der Tür, die ein irres Plus sind, auch wenn ich sie gar nicht gesehen habe, als ich die Immobilie erworben habe. Aber vor allem ist es ein wirklich unglaubliches Erlebnis und eine unvergessliche Erfahrung, die man macht, wenn man unsere Galerie besucht.

Sie ist ein sehr, sehr besonderer Raum: Man kommt rein und steht erst einmal im Buchladen und Souvenirshop. Geradezu befindet sich die ehemalige Kapelle, in der früher gebetet wurde. Es gibt keine weißen Wände, wie man sie sonst aus Galerien oder Museen kennt. Stattdessen sind es alles Ziegelmauern aus Trümmersteinen aus dem Zweiten Weltkrieg. Nach innen ist die Kirche ein sehr konzeptuelles, Hoffnung ausstrahlendes Gebäude. Nach außen erinnert sie eher an einen Hochbunker.

Dann kommt man in den ersten Stock. Dort befindet sich ein riesiger Ausstellungsraum, den wir so erst geschaffen haben, indem wir den Raum in der Kirche in zwei Teile geteilt haben. Und dann gibt es einen zweiten Bereich, im Erdgeschoss, hinter der Bücherwand. Dort bieten wir Kunstwerke von den von uns vertretenen Künstlerinnen und Künstlern an, und arbeiten aus dem Sekundärmarkt heraus, das heißt aus dem Handel, dem Bestand. Dafür haben wir acht Sales-Leute, die die Künstler – also quasi unsere „Produzenten“ – betreuen und unsere Kunden beraten.

(Mit ihren insgesamt 40 Mitarbeitern beeindruckt die König Galerie nicht nur räumlich, sondern auch personell. Üblich sind eher zwischen drei und fünf Mitarbeiter. Gemeinsam mit den Künstlern selbst besetzen Galerien den Primärmarkt, wobei Galerien quasi in Kommission verkaufen. Damit ist zumindest dieser Teil des Marktes „praktisch fälschungssicher“, argumentiert Johann. Der Sekundärmarkt ist indes vom freien Handel bestimmt, indem, wie bereits angedeutet, „gebrauchte Kunst“ verkauft wird.)

10:30

Alex: Angenommen, ich werde jetzt Künstler bei euch, und mache irgendetwas besonders Schönes – Fotos, Drohnenfotos oder Installationen – wie findet die Preisfindung zwischen uns statt?

Johann: Sagen wir, du malst. Da können sich alle etwas drunter vorstellen. Der Fotomarkt stagniert derzeit sehr, beziehungsweise schwächelt.

Alex: Okay, ich bin jetzt Maler und mache zehn Werke im Jahr …

Johann: Da muss ich direkt einhaken! So eine Verpflichtung gibt es gar nicht. Natürlich gibt es eine Quasi-Exklusivvereinbarung, aber keine bindenden Vertretungsverträge wie ich ihn zum Beispiel mit meiner Agentin geschlossen habe. Ich entdecke deine Kunst also für mich, finde sie spannend und lade dich ein, eine Ausstellung bei uns zu machen. Dann ist eigentlich klar, dass du nicht gleichzeitig noch mit jemand anderem zusammenarbeitest, beziehungsweise würdest du das naturgemäß mit mir besprechen. Das ist eine lose Vereinbarung – und davon gibt es interessanterweise viele im Kunstmarkt: geltende Regeln, die keiner bespricht. Das ist auch das größte Problem an unserem Markt. Wie alle Luxusmärkte boomt die Kunst – an einigen Stellen; sie stagniert aber an anderen. Was an der mangelnden Transparenz liegt.

Ich würde dir jedenfalls im Gespräch ein relativ günstiges Anfangsangebot machen, sagen wir 4.000 Euro für eine 150 x 100 Zentimeter große Leinwand. Das ergibt sich in der Regel aus einem Schlüssel: 150 Zentimeter + 100 Zentimeter x ein Faktor. Aber das machen wir dann gemeinsam, und vielleicht hast du ja auch selber schon Erfahrung damit, deine Werke zu verkaufen. Das ist sowieso der erste Rat, den ich Künstlern gebe: Wartet nicht darauf, dass irgendeiner kommt, sondern nehmt euer Glück selber in die Hand!

Dann ist es mein Job, deine Arbeiten gut zu platzieren. In dieser Situation agiert eine Galerie wie ein Angel Investor, von dem man weiß, dass er zuvor neun von zehn Nägel auf den Kopf getroffen hat. Ich kann mir daraufhin aussuchen, an wen ich deine Bilder verkaufe, und das ist eben auch das Verrückte am Kunstmarkt: Wir können uns praktisch aussuchen, an wen wir für wie viel verkaufen.

Alex: Und wenn du auch wieder zu 4.000 Euro verkaufst, wie viel kommt davon bei mir an?

Johann: 50 Prozent. Das ist der marktübliche Anteil. Da verhandeln wir auch nicht.

14:40

Alex: Bei Spryker gibt es festgelegte multiples, wie Umsatz, Umsatzverteilung, Wachstum, und darauf gibt es dann einen Hebel, der über die Bewertung von Kunden entscheidet. Welche Anhaltspunkte könntest du denn für meine „Supergraf-Bilder“ haben? Wie kommen diese 4.000 Euro genau zustande?

Johann: Die legen der Künstler und der Galerist gemeinsam fest. Wie an der Börse, geht es dabei um die Zukunft. Bei einem talentierten Maler ist die Qualität auf jeden Fall ein gewichtiger Faktor – die liegt dann selbstverständlich im Auge des Betrachters und der Experten, die auf seine Werke schauen oder meinen, Experten zu sein. Außerdem gibt es natürlich mich als Galerie, die dich vertritt. Das spielt auch eine große Rolle. Da schauen private wie auch institutionelle Sammler genau hin, ob der Supergraf auch wirklich vom König vertreten wird oder einfach mal kurz für eine Ausstellung angeheuert wurde. Und dann muss man auch immer schauen, wie einzigartig die Supergraf-Bilder sind oder ob sie vielleicht nichts anderes sind als Reproduktionen der Arbeiten deines Professors oder von jemand anderem, der gerade im Trend ist. Außerdem spielen Output und Käuferreputation eine Rolle. Wenn schon einige Supergraf-Bilder von namhaften Sammlern wie dem Museum of Modern Art oder Kunden gekauft wurden, die sonst eher Werke aus anderen Sparten kaufen, dann geht’s ab.

Alex: Also ist relativ viel Ungeplantes dabei, vieles hängt von Mundpropaganda ab. Hätte ich Erfolg, würde ich aber automatisch andere Künstler verdrängen, oder?

Johann: Nee, das ist nicht so. Der Kunstmarkt der Galerien folgt zwar schon dem Prinzip „The winner takes it all“, aber bei der Kunstproduktion herrscht kein Entweder-oder. Da gibt es kein Limit. Es gibt nur nicht so viel, was als relevant angesehen wird. Schließlich ist es immer eine Frage des Vertrauens: Wem – welchem Künstler oder welcher Galerie – vertrauen die Leute ihr Geld an? In unserem Beispiel wäre der Supergraf mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem „beginner-Markt“ zu finden, und dort herrschen natürlich andere Bedingungen als unter renommierten Künstlern mit belastbarem Zweitmarkt.

(Es liegt auf der Hand, dass der Ottonormalverbraucher wenig Berührungspunkte mit dem Kunstbetrieb hat. Deshalb fragt Alex, inwieweit zum Beispiel ein Film wie das deutsche Drama „Werk ohne Autor“ diese Welt realistisch darstellt. In Vorbereitung auf seine Hauptrolle war Schauspieler Tom Schilling bei Anselm Reyle – seines Zeichens Professor und einer von Johanns Künstlern – in die Lehre gegangen, um das Leben und Arbeiten an Kunsthochschulen nachvollziehen zu können. Doch dort begegnete er nicht etwa über alles erhabenen Genies, sondern zukünftigen Superunternehmern, meint Johann, die vor allem eins sein müssen: kritikfähig.)

23:00

Alex: Normalerweise sitzen mir Händler von Produkten gegenüber, die austauschbarer und weniger emotional und stattdessen rationaler sind als Kunst. Deshalb versuche ich jetzt einmal, deine bisherigen Äußerungen auf unsere typischen Kassenzone-Fragen herunterzubrechen. Die erste lautet ja immer: Woher kommt der Kunde? Du als Einzel- beziehungsweise Zwischenhändler, wie gelangst du an Kunden?

Johann: Es stimmt, wir werden auch formal als Einzelhändler geführt. So konnten wir zu Corona-Zeiten immerhin auch länger offenbleiben als Museen! Aber schlussendlich werben wir mit Auktionshäusern wie Ketterer in Deutschland um dieselben Kunden. Dafür gehen wir zum Beispiel auf Messen und andere internationale Verkaufsausstellungen, wie die Art Basel in Basel, Hongkong und Miami. Da zahlt man übrigens zwischen 500 und 1.000 Euro pro Quadratmeter an Standgebühren. Dort hinzufliegen und jedes Mal die ganze Kunst mitzunehmen, nur, um sie dann wieder nach Europa zu verkaufen, ist aber ziemlich umweltschädlich. Deshalb haben wir auch schon vor Corona damit begonnen, uns alternative Konzepte zu überlegen, wie Pop-up-Projekte mit Partnern oder weitere Galerien – etwa in London, Tokio und Seoul an besonderen Orten in den Städten.

Währenddessen holen wir uns die Kunden auch weiterhin über Websites oder soziale Medien. Außerdem erleben wir interessanterweise eine Menge Walk-ins, und genau deshalb setzen wir uns gerade intensiv mit upselling und cross-selling auseinander und suchen einen Leiter für unser Vertriebsteam, der unsere Bemühungen in geordnete Bahnen lenkt. Statt unbedingt Neukunden zu gewinnen, sehen wir unsere Hauptaufgabe derzeit aber eigentlich eher darin, besser mit unseren Bestandskunden umzugehen. Wir haben nämlich mehr Kunden als wir bearbeiten können.

Alex: Von wie vielen Kunden reden wir da?

Johann: Bisher hatten wir insgesamt 1.500 kaufende Kunden. Aber davon sind bei weitem nicht alle zu jeder Zeit aktiv. Das Kunstsammeln geschieht eher in Phasen.

27:25

Alex: Dann steht ihr im Grunde vor ähnlichen Herausforderungen wie ein B2B-Händler: Ihr müsst alles über eure Kunden wissen und dieses Wissen in einer Art Datenbank aufbereiten, um es effektiv nutzen zu können.

Johann: Ja, genau. Das ist unser Ziel, unseren Kundensupport datengestützt zu betreiben. In dieser Datenbank würde dann stehen: „Interessiert sich für das und das, hat das und das schon gekauft, wollte damals das und das kaufen und hat’s nicht bekommen, war bei dem und dem und dem Event mit dabei“, und jetzt versuchen wir abzubilden, mit wem ein Kunde noch so verbandelt ist. Denn häufig bilden sich Kohorten. Angenommen, ein anderer Kunde interessiert sich für ähnliche Werke wie du. Oft genug gibt es aber eben nur eines. Dann muss ich imstande sein, zu entscheiden, wen von euch beiden ich priorisiere.

Außerdem nützt uns solches Wissen auch in unseren Online-Aktivitäten. Wir wollen in Zukunft unser gesamtes Merchandise, aber auch die Unikatkunst, die bis zu 500.000 Euro kostet, online anbieten. Gar nicht unbedingt, weil wir glauben, dass sie online konvertiert, sondern weil wir uns denken: Wer geht schon in eine Galerie und lässt sich dort einfach mal alles zeigen – absolut alles, was zum Verkauf steht? Das macht ja niemand. Aber online ist das ohne weiteres möglich. Deshalb suchen wir auch die Nähe zu deinem Bereich.

32:35

Alex: Sind eure Kunden sehr loyal oder eher sprunghaft, sodass sie durchaus auch einmal zu irgendeinem hippen Galeristen überlaufen, wenn der nur im richtigen Moment anruft und ihnen eine bessere Value Proposition verspricht?

Johann: Unsere Kunden sind an sich sehr loyal. Etwas, das aber oft passiert, ist, dass sie denselben Künstler bei einer anderen Galerie kaufen, zum Beispiel in New York. Dieser Fall kann eintreten, wenn ein Künstler nicht viel produziert und seine Werke bei uns ausverkauft sind.

Alex: Okay. Trotzdem ist jeder eurer 1.500 Kunden sehr wertvoll für euch, weil er im Schnitt viel Geld  ausgibt und eher loyal ist. Der Deckungsbeitrag, den ihr erwirtschaftet, ist ja signifikant und entspricht der klassischen Handelsmarge …

Johann: Genau. Man kann unsere Kunden mit Uhrensammlern vergleichen. Jeder Uhrensammler hat seinen Juwelier. Dieser wiederum gewährt natürlich vorrangig seinen Stammkunden Zugriff auf limitierte oder schwer zu erwerbende Uhren. Wenn dann aber – irgendwo – die Patek kommt, die ein Kunde schon immer haben wollte, dann geht der ohne Frage dorthin, wo das Stück ist. Dann ist ihm die Loyalität zu seinem Juwelier sowas von egal, denn er will ja unbedingt diese Uhr haben. Das ist bei uns im Geschäft auch so und vollkommen in Ordnung. Man muss immer nach den Werken gehen und nicht nach irgendeiner persönlichen Bindung.

(In dieser Antwort klingt durch: Ein Kunstkauf macht vor allem dann Sinn, wenn dem Käufer etwas an dem Stück liegt. Da ist es schlussendlich egal, wie oder wo er das Werk erwirbt. Auf Instagram zum Beispiel mündet jede zehnte private Nachricht an Johann in einem Verkauf. Für den Kreis, in dem sich Johann bewegt, sind trotzdem bei weitem nicht alle Verkaufsausstellungen relevant. Ein verhältnismäßig objektiver Faktor im Kunstgeschäft ist die Anlageklasse, in die die präsentierten und zum Verkauf stehenden Werke fallen.)

39:00

Alex: Ich glaube es war die New York Times, in der ich letztens eine spannende Statistik gesehen habe. Dort wurde aufgezeigt, dass durch die Corona-bedingte Arbeitslosigkeit in den USA 40 bis 60 Milliarden Euro Gehaltseinbußen entstanden sind, aber gleichzeitig durch diverse Stimulusmaßnahmen 1.200 Milliarden mehr zur Verfügung stehen, die die Leute ausgeben können. Die Kohorte, die am stärksten von dieser Entwicklung profitiert hat, waren die Supervermögenden. Die Milliardäre, unter denen ja auch viele Kunstsammler sind, sind im letzten Jahr sehr viel reicher geworden. Ich als naiver Betrachter dieser Szene würde jetzt annehmen, dass das einen massiven Ansturm auf die Standardwerte ausgelöst hat, über die du verfügst. War das so, sind bei dir die Telefone heiß gelaufen?

Johann: Das Problem bei dieser Sache sind Angebot und Nachfrage. Es gibt nicht genug hochwertiges Angebot. Und genau da kommen die Connaisseure ins Spiel, und deshalb ist das Ganze wahrscheinlich auch für viele Leute so spannend: Man kann sich durch Kunst verwirklichen und Dinge vor anderen für sich entdecken. So kann man als early adopter zum eigenen Vorteil investieren, zum Beispiel indem man Werkphasen erkennt, die der Markt vielleicht noch gar nicht bevorzugt.

Es gibt gemeinhin zwei Gründe, Kunst zu sammeln. Ich gebe dir mal ein paar Beispiele: Kenneth Griffin, der Chief Executive Officer von Citadel LLC, der ist Sammler bei uns. Der ist mit gigantischen Summen in Kunst investiert. Mike Krieger hingegen, der Entwickler von Instagram, der versteht Kunst nicht in erster Linie als Asset und diskutiert über ein Kunstwerk, das 5.000 Euro kostet, genauso leidenschaftlich wie über eines, das 500.000 Euro kostet. Der ehemalige Öl-Händler Andy Hall wiederum kauft nur Kunst von unterrepräsentierten Künstlerinnen und Künstlern und erkennt auf diese Weise Talente, die der restliche Markt eben noch nicht erkannt hat.

44:30

Alex: Letzteres ähnelt dem stock picking am Aktienmarkt. Lass uns mal Mike Krieger und Andrew Hall einander gegenübersetzen: Ist es dann wirklich so, dass derjenige, der sich aus einer reinen Emotion heraus damit befasst, wie Mike Krieger, in der Wertentwicklung schlechter läuft, sodass er Werke zum oder auch deutlich unter dem Einstiegspreis wiederverkaufen muss, als der professionelle Sammler, der sich auf bestimmte Themen konzentriert und stock picking betreibt?

Johann: Das kommt ein bisschen darauf an… Da gibt es Beispiele von-bis: Da war mal ein Sammler aus Bottrop, der erst einmal auf Flohmärkten im Osten alte Fotografien aufgekauft hat – um die Sammlung später für 3 Millionen DM ans Getty Museum zu verkaufen. Mit den Erlösen investierte er dann in „richtige“ Kunst.

Wenn man auf Top-End-Niveau kauft, kann man an sich nicht viel falsch machen und durchaus gigantische Renditen erzielen, aber genau messen kann das niemand. Es gab sogar Fälle, wo Galleristen um Millionen zu hoch abrechneten, aber argumentierten, den Kunden sei deswegen kein Schaden entstanden, weil der Wert des Werkes dann weit über dem zuvielkassierten Betrag lag! Umgekehrt liegt auch ein Andy Hall nicht immer richtig. Der kauft auch mal Positionen, die nicht so gut laufen. Aber solange es für ihn zu einem bestimmten Punkt Sinn ergibt, wird es auch in seiner Sammlung immer Sinn machen, egal ob oder zu welchem Preis er es dann wieder verkaufen könnte. Denn was Kunst wirklich schafft, egal, wie der Markt aussieht, ist: Sie macht das Leben besser.

Deshalb versuchen wir die Leute auch über so viele verschiedene Kanäle zu erreichen: Nicht, weil wir glauben, dass die dann alle Kunst kaufen würden. Sondern weil die Kunst in unserem Leben gerade nicht den Stellenwert hat, den sie haben sollte, so wie die Musik oder die Literatur. Ein Grund dafür ist sicher, dass sehr viele Leute annehmen, man müsse sich mit Kunst auskennen. Das Tolle an Kunst ist aber: Das spielt überhaupt gar keine Rolle! Man muss ja auch keine Literaturwissenschaften studiert haben, um ein Buch zu lesen.

Alex: Der Unterschied ist aber, dass mich das Buch 25 Euro kostet, während ich für ein Kunstwerk 25.000 Euro hinlegen müsste. Da gibt es also schon eine Hürde.

Johann: Na, du kannst ja aber ins Museum gehen und es dir anschauen! Man muss ja nicht gleich alles kaufen.

49:50

Alex: Die letzte Frage, die noch brennt: Die Online-Frage! Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kaufprozess komplett online abläuft – also sagen wir mal: angefangen auf deinem Instagram-Kanal von jemanden, den du nicht kennst, ohne vor Ort Besichtigung? So nach dem Motto: „Oh, das Supergraf-Bild hat 5.000 Likes. Ich kaufe das!“ Dann geht der Kunde in den Online-Shop, zückt die Kreditkarte und ihr verschickt das Bild…

Johann: Supergraf-Bilder würde ich erst nicht online zum Verkauf anbieten! Dem Supergraf muss ich ja erst einmal seine Karriere aufbauen. Umgekehrt wird also ein Schuh daraus: Ich würde mir aussuchen, wer ein Supergraf überhaupt kaufen darf! Dann kann er ja auch davon ausgehen, dass das Bild seinen Wert behält – das es also ein echtes Investment ist. Ich verkaufe also auch nicht an jemanden, von dem ich weiß, dass er es sofort wieder verkauft. Daher würde ich das Bild online reinstellen – aber nicht zum Verkauf, sondern um zu sehen, wer sich dafür interessiert und mit wem ich es zu tun habe.

Alex: Oder du machst es so: Erst, wer schon fünfmal bei dir gekauft hat, darf das Bild auch kaufen.

Johann: Das ist auch mein Online-Plan. Bloß: Ich versuche das gerade bei Shopify abzubilden. Vielleicht bietest du mir im Nachgang eine Umsonst-E-Commerce-Beratung…

(Alex fasst zusammen: eher ein irrationaler Kauf, von dem man sich jetzt nicht unbedingt Anlageerfolg versprechen soll. Wer aus der „aufstrebenden Kassenzone-Hörerschaft“ trotzdem in Kunst investieren möchte, die zudem auch noch „Supergraf-approved“ ist, der dürfte im Abschluss dieser Folge seine Chance wittern, als Alex mit Johann einen exklusiven Deal vereinbart. Also: Ohren spitzen und reinhören!)

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