Ist Amazon zu schlagen? Ruppert Bodmeier

55:24

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Amazon kann sein Produktversprechen kaum noch erfüllen, zu groß sind die Herausforderungen durch über 700 Mio. gelistete Produkte. Diese These ist im Rahmen der K5 2019 entstanden und trotzdem ist Amazon seitdem sehr stark gewachsen. Das macht aber nix, sagt unser Gast Ruppert Bodmeier, der als einer der bekanntesten E-Commerce Experten in Deutschland viele spannende Argumente zusammengetragen hat. Steht Amazon also wirklich vor seinem Nokia Moment? Wir haben die Folge kurz vor Weihnachten 2020 aufgenommen, also noch vor den letzten Quartalszahlen, die wie fast jedes Jahr wieder mal überragend ausgefallen sind. Trotzdem bleibt Ruppert bei seiner Meinung, dass man daraus keine ewige Dominanz von Amazon ableiten kann.

Alexander Graf

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Peak Amazon(?) mit Ruppert Bodmeier, CEO & Co-Founder von Disrooptive

Bei der K5-Konferenz 2019 formulierte Jochen Krisch eine damals beinahe ketzerische Frage: Hat Amazon seinen Zenit überschritten? Prompt entfachte sich die Kontroverse und seitdem sind überzeugende Argumente dafür immer wieder auf die Realität eines noch stärker wachsenden Titans gestoßen. Zudem: Seit besagter K5 hat einiges geändert. Die 2020er Ausgabe der Branchenkonferenz wurde ja digital abgehalten und die dafür verantwortliche Corona-Krise hat Amazon noch schnelleres Wachstum beschert…

Und doch steht die Frage nach wie vor im Raum: Erlebt Bezos‘ Konzern gerade seinen „Nokia-Moment“`? Also die Zeit, in der Kritikpunkte von noch glänzenden Zahlen beiseitegeschoben werden, um sich später mit umso mehr Wucht als berechtigt zu erweisen. Oder geht es etwa eher um einen „eBay-Moment“, ab dem der Konzern womöglich in die Stagnation geht? Oder ein „Microsoft-Moment“? Beispiele aus der Zeitgeschichte gibt es nämlich reichlich, wie allmächtige Monopolisten schnell alt aussehen können. Darüber spricht Alex mit E-Commerce-Experte Ruppert Bodmeier von der Innovations-Plattform disrooptive, der einige spannende Argumente für die These Peak-Amazon zu begründen weiß.

„Das Unternehmen hat jetzt eine offene Flanke, wie ich sie lange nicht für möglich hielt.“

5:00

Alex: Damit die Hörer wissen, mit wem sie es zu tun haben: Du bist Digitalberater, stimmt‘s?

Ruppert: Naja, Berater ist immer so ein böses Wort…

Alex: Die Menschen brauchen Schubladen! Üblicherweise sitzen hier Menschen aus den Schablonen „Händler“ oder „Hersteller“. Du bist also eine Ausnahme. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir uns das erste Mal vor rund zehn Jahren bei yalook kennengelernt – also beim damals aufstrebenden super-innovativen Geschäftsmodell der Otto Gruppe…

Ruppert: Genau. Dort war ich eben für die Innovationsthemen zuständig.

Alex: Zwar hat yalook nicht überlebt, aber viele Leute aus dem Team haben dann doch eine beeindruckende Karriere hingelegt. Sven Bernhardt ist jetzt bei Breuninger zum Beispiel. Und viele aus dem Kassenzone/Exciting-Commerce-Kosmos sehen und hören dich öfter mal: Bei K5TV trittst du auf und du bist ein gefeierter Keynote-Speaker. Was uns unterscheidet: Wo ich dazu tendiere, schwarz zu sehen und den Untergang auszurufen, siehst du die Dinge oft positiver.

Umso interessanter also, dich jetzt zum Thema Amazon auszufragen! Zunächst mal: Wie informierst du dich über den Konzern? Woher willst du wissen, dass Amazon an einer Weggabelung steht, von der aus es auch nach unten gehen kann?

Ruppert: Was ich mir überhaupt nicht anschaue: Finanzkennzahlen! Wenn du wissen willst, wo die Achillesferse eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines Unternehmens sein könnte, sind sie meiner Meinung nach einfach nicht aussagekräftig. Gibt es doch genug Beispiele, in denen Firmen nur eine ausgesprochen kurze Zeit brauchten, um vom erfolgreichsten Geschäftsjahr aller Zeiten zur Insolvenz zu kommen.

Schauen wir uns Nokia an. Das erfolgreichste Geschäftsjahr war 2008. Nach Finanzkennzahlen sollte das blühend weitergehen. Aber fünf Jahre später mussten sie schon die ganze Sparte Handys verkaufen. Oder Blackberry: Rekordzahlen 2009, Markteinbruch um 99% bis 2013. Oder DVD-Verleihgeschäft Blockbuster: Rekordjahr 2004, Insolvenz bereits 2010. Der Zeitrahmen zwischen „erfolgreichstem Jahr der Firmengeschichte“ und „echtem substanziellem Problem“ kann als unter Umständen sehr kurz ausfallen.

Will man also wissen, ob einem Unternehmen möglicherweise so etwas bevorsteht, muss man als erstes aufs Produkt schauen. Nokia war im Vergleich zu Apple mit dem iPhone produkttechnisch einfach hinterher. Das schlug sich aber erst später in den Finanzkennzahlen durch. Meine These ist also: Das Urversprechen Amazons – „Es funktioniert einfach“ – hat Risse bekommen; das Unternehmen hat mittlerweile eine offene Flanke, wie ich sie ehrlich gesagt noch vor zwei Jahre nicht für möglich hielt.

So bin ich optimistisch, dass wir heute vielleicht die ersten Schritte erleben in Richtung einer E-Commerce-Welt, die nicht vollständig im Seattler Schatten steht und in der es deutlich vielfältiger zugeht.

9:00

Alex: Lass uns aber trotzdem zunächst einmal doch noch auf die Zahlen schauen. Ich sage es mal so: Juni 2019 fragte auch ich „Peak Amazon?“, um dann schon unter den Eindruck der Q3-Zahlen im Dezember 2019 „Oder nun etwa doch nicht?“ fragen zu müssen. Ich meine: alle Indikatoren gehen nach oben! Sie verdienen in wirklich allen Bereichen sehr viel noch Geld! Und wachsen sehr stark!

Und das war nur der Stand 2019. Wenn wir uns dann noch die Kennzahlen von Q3 2020 zum Vergleich ansehen… Nettoumsätze massiv gestiegen! Wachstum zum Vorjahrsquartal 37%! Fast 100 Milliarden Euro Umsatz! Sie verdienen mittlerweile Geld – so viel, dass sie es nicht alles wieder für neue Lagerbauten ausgeben (vielleicht gar nicht ausgeben *können*). Sie stellen 2.500 Menschen ein – pro Tag! Oder der Rohertrag: Aus 3 Milliarden Dollar Q3 2019 werden 6 Milliarden Q3 2020.

Das gibt den Kritiker der These „Peak Amazon“ viel Rückenwind. Mein Einwand zudem: „Kann ja alles sein, was du sagst. Es gibt aber keine richtige Alternative!“ Wenn man ganz viel bestellen will – etwa zu Weihnachten –, bestellt man dann schon den Großteil bei Amazon.

Das sind alles so Indikatoren, die nicht auf den Fall Nokia passen… Das letzte Gerät, dass ich von Nokia hatte, war so ein aufklappbarer Vorläufer vom Smartphone. In der Analogie: Ist Amazon eher Nokia 2006 (also: noch ziemlich stark) oder Nokia 2008 (wo es dann echte Alternativen gab). 2006 würde ich eher gelten lassen.

Ruppert: Die Kennzahlen sind schon der Wahnsinn, klar. Die Kritiker der These „Peak Amazon“ haben nicht nur Rückenwind: Sie haben eine sehr bequeme Flughöhe und können gemütlich eine Pirouette drehen! Natürlich ist Amazon kein Nokia. Ich will nur die Sensibilität dafür entwickeln, dass Kennzahlen in die Irre leiten können. Da wende ich den Vergleich mit Nokia an.

Eine inhaltliche Analogie sehe ich eher darin, dass Amazon gerade einen „eBay-Moment“ erlebt. Für mich ist Amazon eher Status „eBay Anfang der 2000er“. Denn viele der Sachen, die Amazon heute stark machen, dürfte es eigentlich nicht geben. Die gibt es aber, weil eBay damals von Quartalserfolg zu Quartalserfolg geeilt ist und dabei ständig am Gebührenrad gedreht haben. Als Amazon nämlich seinen Marktplatz gestartet hat, war er super-unattraktiv. Da hat aber eBay permanent auf Quartal optimiert und hier noch mal eine Gebühr und dann da noch eine eingeführt – bis eine Schwelle erreicht war, an der Amazon plötzlich attraktiv wurde. Und jetzt ist es Amazon, das das Margenrad dreht!

Wo drehen sie? Klar, am Marktplatz. Da haben sie kein Warenrisiko, sacken Provision ein und haben eh den Traffic – den sie nur noch monetarisieren müssen. Dann kommt das Marketing: an sponsored recommendations und dergleichen verdienen sie prächtig. Aber: So wie damals eBay zerstören sie dadurch ihr Versprechen. Das ist nämlich: „Wir bieten eine einfache Möglichkeit, Produkte zu verkaufen und daran auch Geld zu verdienen“. Finanziell ist das Vorgehen Amazons nachvollziehbar. Fürs Kundenerlebnis ist es schlecht: Plötzlich hast du Verdopplungen in den Ergebnissen, findest dasselbe Produkte zehnmal. Und dann die ganzen Geschichten, wie chinesische Hersteller die Produkte anderer bewusst nieder- oder die eigenen Produkte hochbwerten…

(Durch die Unübersichtlichkeit komme es auch zu zersplitterte Logistik – eine Bestellung, vier Lieferungen – und vielem unangenehmen mehr. Amazon drehe nicht nur das monetäre Rad, sondern überdrehe es mittlerweile. Dadurch habe das Urversprechen der Marke Amazon seine Risse bekommen. Das seien allerdings alles derzeit bloß anfängliche Erscheinungen, so Ruppert weiter. Und Alternativen fehlten noch in der Tat, räumt er ein.

Alex führt die Zahlen noch einmal ins Feld. Amazon wachse ja täglich um mehrere Hundert Millionen Dollar – trotz der Schwächen wie der mittlerweile vollgespammten Suche. Alex gibt dem Kritikpunkt nämlich vollumfänglich statt: Das customer experience bei Amazon werde schon schlechter. Zwar sei es noch nicht auf Wish-Niveau angekommen, aber die Suche- und Produktdatenqualität habe deutlich abgenommen. Das führe aber alles – so das zentrale Argument von Alex gegen die These Peak „Amazon“ – nicht dazu, dass weniger bestellt wird.)

18:30

Alex: Bei Nokia gab es einen fatalen Verdränger: Smartphones. Abgesehen davon hatte jeder, der ein Handy brauchte, schon eins. Im E-Commerce haben wir aber nach wie vor einen Wachstumsmarkt – angetrieben durch die relative Schwäche des stationären Einzelhandels, bei dem 90% des Marktes noch liegt. Viele der stationäre Geschäftsmodelle haben aber Probleme, den Sprung in die Online-Zeit zu schaffen.

So gibt es noch viel natürliches Wachstum – und zwar nicht nur für Amazon! Auch für Otto, Thomann oder Notebooksbilliger gibt es Potenzial. Das heißt für mich: Ja, Amazon verliert möglicherweise Kunden – oder vielmehr: einzelne Transaktionen an anspruchsvolle Kunden wie uns. Auch ich kaufe vieles nicht mehr bei Amazon, weil es einfach nicht mehr so funktioniert, wie ich das brauche. Aber das kann Amazon egal sein. Ich sehe kein Risiko, dass allein deswegen die Zahlen bei Amazon einbrechen, weil es noch den Faktor „stationären Handel“ und damit noch reichlich Wachstumspotenzial übrig gibt. Das gab es weder in der Nokia-Welt, weil der Markt für Handys schon gesättigt war, noch in der eBay-Welt, wo alle schon ein eBay-Konto hatten.

Ruppert: Wenn das Handelsmodelle so bleibt, wie es heute ist, dann – da gebe ich dir vollkommen recht – wird es für Amazon so weitergehen. Der Kuchen ist gigantisch und Amazon kann sich davon noch sehr viel abschneiden. Aber: Das Modell, wie heute E-Commerce gemacht wird, ist in den 90ern erfunden worden und hat sich seitdem nicht fundamental weiterentwickelt.

Es sind also andere E-Commerce-Modelle notwendig, die es heute noch nicht gibt. Ich sehe aber in Corona eine Art positiven Schock für alternative E-Commerce-Modelle. Warum? In den letzten Jahren war es eigentlich ziemlich irrational – jedenfalls unsexy – geworden, in Online-Handelsmodelle zu investieren. Konnte und wollte man doch nicht gegen so einen Spieler wie Amazon anstinken. Weil die großen börsennotierten E-Commerce-Player aber durch Corona zu großen Gewinnern wurden, ist sind Online-Handelsmodelle derzeit wieder attraktive Investment-Ziele.

Es werden also wieder Gelder dafür bereitgestellt. Gleichzeitig ist aber jedem klar, dass es keinen Sinn ergibt, Amazon noch einmal bauen zu wollen. Das heißt: Investitionsbereitschaft – aber für neue Modelle. So gehe ich davon aus, dass wir alternative Modelle sehen werden, die heute gegründet werden oder gerade gegründet worden sind.

Wie bekämpft man übrigens so ein Monopol wie Amazon? Mit relativen Marktanteilen. Nehmen wir Microsoft als klassisches Beispiel. Das ist ja ein gigantischer Monopolist in Desktop-Betriebssystemen, von dem man sich vor 15 Jahren auch nicht hätte vorstellen können, dass er irgendwo angreifbar ist. Andere haben aber den Markt dadurch erweitert, dass sie diverser wurden. Vor zehn Jahren gehörte der Betriebssystemmarkt zu 90% Microsoft: Heute sind es nur noch 20-30%. Wie ist das möglich? Weil der Betriebssystemmarkt vielfältiger geworden ist: iOS, Android und andere sind dazugekommen und haben Microsoft screen time weggenommen. So ist der Markt insgesamt durch Erweiterungen größer geworden – Microsoft wurden aber dabei Marktanteile weggenommen.

Darin liegt meine Hoffnung für die Zukunft. Und übrigens: Wir reden hier nur über Hoffnungen!

(So sehe Ruppert die Möglichkeit, dass es in zehn Jahren rückblickend heißen wird: „Ja, Corona war ein Boost für Amazon, aber gleichzeitig auch ein Wendepunkt.“ Amazon müsse man nicht „kleinstutzen“: Man müsse das enorme Wachstumspotenzial in andere Modelle leiten. Daran müsse aber die ganze Branche arbeiten. Nur das Modell von Amazon schlechter als Amazon zu machen, wie derzeit der Fall sei, reiche natürlich nicht aus.)

23:55

Alex: Dann wollen wir mal neue Modelle „in die Glaskugel“ pressen, um zu sehen, ob sie diese Markterweiterung hinbekommen. Letztens im Podcast mit Florian Heinemann haben wir Wish.com besprochen. Das Unternehmen strebt gerade mit einer Bewertung von über 10 Milliarden Dollar an die Börse.

Wish hat das Einkaufen neu erfunden, indem es radikal auf mobile Schnittstellen gesetzt und die Devise ausgerufen hat, dass der Kunde nicht mehr auf der Plattform suchen, sondern von ihr inspiriert werden soll. Denn die zum Teil stimmige Kritik des herkömmlichen E-Commerce: bislang rein transaktionale Bedarfsdeckung mit wenig bis gar keiner Bedarfserweckung. Ausweislich des Börsenprospektes schafft es Wish nun, 70% der Käufe durch Inspiration der Kunden zu generieren. Nur: Das Kunststück allein scheint nicht auszureichen, denn die sonstigen Zahlen von Wish (Deckungsbeiträge, user churn rates, Marketing- und Kundenakquisitionskosten) sind desaströs.

Andere Ansätze aus den letzten Jahren, die eher in Richtung Nachhaltigkeit und Fairness gehen – die in den Ländern sitzen, die sie bedienen und sich mehr am dortigen Steueraufkommen beteiligen – ja, auch diese müssen sich warm anziehen, wenn Amazon Einzug hält. Selbst ein Bol.com, das in den Niederlanden dominant ist, gute Preise anbietet und in einigen Städten sogar in unter zwei Stunden liefert, hat ein Problem, wenn Amazon mit Asia-Ware eindringt und dem Kunden das Gefühl vermittelt, alles noch günstiger bekommen zu können.

Was ich sagen will – und was mir in deiner Argumentation fehlt: Es gab jetzt schon zehn Jahre mit Amazon! Und da hat sich nichts entwickelt, was einer echten Alternative gleichkäme. eBay: Immer noch groß, hat sich aber – wie du treffend beschreibst – zu Tode optimiert und hinkt meilenweit hinterher. AliExpress: Gehandelt als Alternative, bisher in Europa noch nicht relevant. Rakuten: Hat’s probiert, ist gerade eingestellt worden.

Ruppert, zeig uns doch die paar Beispiele, die relevant sind!

27:10

Ruppert: Gerne. Zwar hasse ich Wish: Niemand braucht Zugang zu Ein-Euro-Schrott! Aber was sie bei Wish gesehen haben: Sie treten nicht nur gegen Amazon an. Sie haben sich das Verhalten der Konsumenten angeguckt: Im Fernsehen läuft „Top Model“ oder so – und was daddele ich parallel? Facebook, Twitter – aber nicht Amazon. Wish? Kann man schon daddeln. Vom Zugang und von der Aufbereitung konkurrieren sie also eher mit Katzenvideos als mit Amazon. Das ist der einzige Aspekt, den ich an Wish spannend finde: Sie haben verstanden, wie sie etwas Unterhaltung reinbringen. Aber nur das anders zu machen, als Amazon, ist zu wenig. Auch Rakuten und viele andere.

Um ein Beispiel zu nehmen, wie man vieles richtig macht: KellerSports mit KellerSmiles. Das ist ein Treueprogramm, das aber nicht den Kauf belohnt, sondern das Sportmachen. Die Punkte, die du sammelst, kannst du dann bei Keller einlösen. So vernetzen sich über die App alle Menschen, die in Deutschland Sport machen. Sie wird zu einer Plattform, über die die Leute gegeneinander antreten können, Herausforderungen annehmen, und sich tracken können. Da kann einer, der in Hamburg um die Alster rennt, gegen jemanden antreten, der in München im Englischen Garten läuft. Das sind die Zugänge, die wir brauchen. Das sind Alternativen, wo man im Alltag der Menschen stattfindet. Die Hauptmotivation, zu KellerSports zu gehen: Ich möchte Sport machen! Und als Händler muss du jetzt stattfinden, wenn die Leute Sport machen – also viel weiter vorne in der Wertschöpfungskette. Da, wo die Motivation entsteht und nicht erst beim Sortiment. Das E-Commerce-Modell darf eigentlich nur noch die Abfertigung sein.

(So sieht Ruppert in zehn Jahren den Online-Shop von KellerSports als sekundär zu KellerSmiles. Da wird das richtige Wachstum stattfinden. Das verstehe Ruppert unter Markterweiterung und Diversifikation. Von solchen Modellen brauche man viel mehr: Dann werde Amazon zum „Karstadt des E-Commerces“ werden.)

31:50

Alex: Muss denn Amazon Angst vor KellerSmiles haben? Also in dem Sinne, dass die ganzen Sport-Schuhe, die derzeit bei Amazon verkauft werden, dorthin abwandern?

Ruppert: Ich sehe das als „Fischschwarm“. Mir fällt es nämlich schwer zu glauben, dass es in Zukunft einen großen Player geben wird, der Amazon ersetzen wird. Vielmehr werden es eine große Vielzahl an Playern sein, die an den Brotkrümeln zupfen, die Amazon immer wieder in den Teich schmeißt. Das heißt: Ein KellerSports wird einen Teilaspekt des Bereichs Sport aus Amazon rauszupfen, weil sie zu richtigen Sportlern den besseren Zugang haben.

Das sieht man auch am Beispiel Google. Einmal stand Google ultimativ für das Thema Suche. Dann kam aber Amazon und hat ihm die Produktsuche weggenommen. Jetzt hat Booking.com sehr gut Chancen, Google die Suche für Hotellerie wegzunehmen. So zupfen alle an Google und es wird immer einen Ticken kleiner.

So sehe ich das bei Amazon: Keller zupft bei Sport, Thomann bei Musik – und da braucht es dann andere, die in anderen Kategorien ebenfalls zupfen. Die Summe dieser Spieler wird Amazon kleinhalten – nicht ein einzelner Challenger.

(Weiter geht’s mit Vergleichen. Das Entstehen neuer Player sei ein „Spotify-Moment“. Die Schweden hätten gegen Giganten wie Apple wachsen können, weil sie einfach eine genauere, detailliertere Arbeit machten. iTunes verkaufe dir dein Lieblingsalbum. Spotify analysiere aber dazu noch die Beats und Melodien, um dir bessere Empfehlungen machen zu können. Wollen also Wayfair oder XXXLutz gegen Amazon bestehen, so müssten sie ganz andere Datenschätze heranschaffen, als Amazon sie je haben wird. Wie finde man beispielsweise raus, wie die Wohnung des Kunden aussieht? Obi – ein Kunde von Ruppert bei Disrooptive – gehe hier mit neuen digitalen Services wie einem digitalen Gartenpflege-Planer vor. Da müsse man in der Tiefe der Daten nach der Zukunft schürfen.

Gerade beim Beispiel Obi ist Alex skeptisch. Seit längerem betreibe Obi Content-Commerce à la „Wie schraube ich meine Schraube richtig ein?“. Das sei auch ein relevanter Teil der Customer-Journey. Bloß: Sobald man eine Schraube schnell brauche, liege Amazon nach wie vor doch irgendwie näher. Die Amazon-App habe man halt installiert, die Webseite gespeichert – oder man kauft da beinahe täglich ein und kommt erst gar nicht auf Obi.

Ruppert macht die Rechnung in ‚Reizpunkten‘ auf: Zur Nutzung von GoogleMaps habe man sechs Mal am Tag Gelegenheit – zur Nutzung von Zalando sechsmal im Jahr. Denn so oft kaufe der Durchschnittskunde beim Modehändler ausweichlich dessen Geschäftsbericht. Daher werde der Erfolg von „HeyObi!“ davon abhängen, ob das Angebot es schaffe, jeden Tag mit dem Kunden in Kontakt zu bleiben. Content-Commerce reiche hier nicht: Auf Präsenz im Alltag komme es an. Auch deswegen der Name „HeyObi!“: Perspektivisch könne der Zugang wie über Alexa oder „Hey Google“ erfolgen. Man stehe mit der App ganz am Anfang.)

40:35

Alex: Ruppert, wie kaufst du denn online ein? Wenn wir uns gemeinsam in dein Amazon-Konto einloggen: Wie viele Käufe sehe ich denn da im Jahr 2020?

Ruppert: Viel zu viele!

Alex: 50? 100?

Ruppert: Ich lese sehr viel und kaufe unfassbar viele E-Bücher. Da bin ich im Kindle-Kosmos gefangen. Da siehst du also wahrscheinlich 60 Bücher im Jahr. Bei anderen Sachen – Mode etwa – siehst du in meinem Amazon-Konto allerdings gar keine Bestellungen. Und für Audio und Musik bin ich bei Thomann. Bei Brettspielen (wovon ich Fan bin) bin ich zu Nischenplayern abgewandert. Da will ich nicht von mir auf andere schließen. Ich sage es aber mal so: Bei bestimmten Themen bietet mir Amazon einfach den besten Zugang.

Alex: Du hast viel Audiotechnik: Wo kaufst du denn Akkus?

Ruppert: Auch Thomann.

Alex: Auch ganz handelsübliche AA- und AAA-Akkus?

Ruppert: Halt dich fest: Die kaufe ich stationär!

Alex: Akkus kaufst du Stationär?!

Ruppert: Ich wohne auf St. Pauli: Wie weit muss ich denn zum nächsten Drogisten gehen? Klar, wenn man wie du bei Eckernförde wohnt…

42:15

Alex: Wann könnte, glaubst du, der Umsatz-Peak bei Amazon erreicht sein? Ich sehe für die kommenden fünf Jahre das Wachstum bei Amazon nicht abreißen – und das, obwohl die Probleme, die du beschreibst, durchaus reell sind: die Produktsuche ist nicht mehr das, was sie mal war; die Lieferqualität nimmt zusehends ab. Ich bekomme momentan jeden Tag einen anderen Fahrer mit dem privaten PKW… Es ist total spannend, zu sehen, wer da alles vom Amazon-Lager Rendsburg mittlerweile Pakte ausfährt! Aber die Verschiebung Stationär-zu-Online wird sich in den nächsten Jahren nicht verlangsamen und Amazon ist nun mal eben der größte Marktplatz. Da sehe ich diesen „Peak“ einfach noch nicht.

Ruppert: Mein Horizont sind zehn Jahre. 2000 war die Kernfrage: Bestellt man überhaupt online? 2010: Kauft man Mode oder Möbel online? Da ging es E-Commerce darum, dass was beim Kauf von Büchern online erlernt worden war, auch bei Mode anzuwenden. Da ist das ganze Modell über einen Zeitraum von rund 10 Jahren entwickelt worden. Nun überleg mal zurück, was im Zeitraum bis 2010 alles entstanden ist: Zalando als Alternative für Mode zum Beispiel.

Für das Jahrzehnt 2020 bis 2030 wird der Hauptfokus sein: Kauft man alternativ zu Amazon? Und wie? Ich glaube also, dass wir am Wendepunkt stehen. Alles Zukunftsthesen, natürlich! Die nächsten Jahre – da bin ich bei dir – wird Amazon auch weiterhin gigantisch wachsen. Danach wird es eher wie eBay sein: Also, dass Amazon der Schwung fehlt und es anfängt, zu stagnieren.

Eins ist übrigens klar: Du und ich sind ja in der Altersklasse 30, 40! Die Leute, die heute noch eine 1 oder 2 davor haben – etwa die Nichten von meiner Freundin – halten Amazon jetzt schon für Steinzeit. Die kapieren das ganze Konzept nicht! Die sind ganz anders unterwegs und lassen sich ganz anders berieseln.

Alex: Instagram-Commerce also?

Ruppert: Das sind nur die ersten Anzeichen! Wer heute 20 ist, wird in 20 Jahren nicht so einkaufen, wie du und ich es jetzt tun. Und am Ende wird es Amazon mit so einem massiven Online-Shop nicht anders gehen, als es einigen Händlern derzeit geht: Das kriegst du nicht alles sofort auf links gedreht! Man kann auch nicht um eine Plattform wie Amazon endlos alternativen Zugang um alternativen Zugang darum herumbauen: Irgendwann ist eine gewisse Komplexitätsstufe erreicht, bei der das nicht geht. Das ist jetzt bereits komplex mit Amazon Video, Amazon Musik und dem klassischen Amazon-Shop! Wie viele Zugänge kannst du noch hinzufügen?! Das ist im Grunde der Horizont, den ich sehe.

(Ansätze für Alternativen könne man heute schon erkennen. Wichtig sei, diese dann auf eine ausreichende Qualitätsebene zu bringen und zu skalieren, so Ruppert abschließend. Einen Wendepunkt will Alex ausgemacht haben: Es wird nicht mehr krampfhaft gefragt, ob ein Modell „Amazon-sicher“ ist. Die Beweislast habe sich umgekehrt: Warum würde etwa ein zufriedener Thomann-Kunde zu Amazon gehen?)

47:40

Alex: Wie sieht es bei dir im Umfeld aus? Ist Amazon nach wie vor eine Offenbarung? Oder gibt es da schon die ersten Stimmen, die sagen, dass es ihnen dort zu unübersichtlich geworden ist?

Ruppert: Man muss nüchtern feststellen, dass Amazon nach wie vor eine Offenbarung darstellt! Kommen viele doch vom stationären Einkauf! Und Corona-bedingt machen sie gerade ganz positive Erfahrungen: „Oh, ich kann alles bei Amazon bestellen!“ Meine Eltern sind jetzt zu wahren Online-Shopping-Enthusiasten geworden – und werden auf Amazon getrimmt. Wie fortschrittlich und zukunftsfest das ist, bereits ältere Leute als Neukunden zu gewinnen, steht auf einem anderen Blatt…

(Was das jedenfalls zeige: Wenn es möglich ist, dass der Papa von Ruppert von Stift und Fernseher auf Tablet und Mediathek umstellt, sind die Möglichkeiten, den Leuten anderes Kundenverhalten anzutrainieren, fast unbegrenzt. Da sei aber natürlich seitens des Handels Kreativität gefragt. Nur Amazon, bloß in schlechter, oder Halbneues wie Wish, reiche da nicht.

Alex versucht, das Gespräch zusammenzufassen. Die Analogie zu eBay gefällt ihm am besten: Amazon wird in zehn Jahren auf jeden Fall noch da und noch riesengroß sein; ob Alex da noch seine täglichen Bestellungen aufgibt, sei aber keineswegs sicher. Wann genau der Umsatz-Peak erreicht sein wird? Könne man nicht seriös absehen. Der Leistungs-Peak sei aber jetzt schon da: Amazon erfüllt nicht mehr sein Produktversprechen. Es sei aber immer noch sehr viel besser als viele andere. Die Chancen für alternative Modelle seien nie so groß wie heute, fügt Alex hinzu – nur seien er und Ruppert selbst in ihrer Eigenschaft als Experten noch nicht in der Lage, konkreter als in anekdotischen Ansätzen zu beschreiben, wie diese Alternativen denn aussehen sollen.

Ruppert ergänzt zum Schluss: Peak-Amazon sei nichts, worauf man hoffen soll. Man müsse aktiv daran arbeiten. Amazon sei eine gigantische Mauer, in der man mit tausenden täglichen Hammerschlägen Risse für seine Stemmeisen schlagen müsse. Die ersten Risse seien aber jetzt da. Alex schließt mit dem Hinweis ab, dass Peak-Amazon keine Hoffnung für den stationären Handel mit seiner „mediokren Expertise“ verheiße. Die neuen Herausforderer werden Online-DNA haben.)


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