Aufsichtsräte und Digitalisierung? Rainer Hillebrand & Nils Seebach

51:56

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Bisher sind Aufsichtsräte in Sachen Digitalisierung kaum in Erscheinung getreten. Im Gegenteil sogar, ihnen wird nachgesagt die Vorstandsetagen falsch zu besetzen, weil ihnen digitale Kompetenz fehlt. Das mag in vielen Fällen sogar stimmmen, bei unseren Gästen Nils Seebach und Rainer Hillebrand ist das definitiv falsch. Rainer hat maßgeblich dazu beigetragen die Otto Gruppe in seiner aktiven Zeit in Richtung Digitalkonzern zu verwandeln und mein Serial Co-Founder Nils sprüht nur so vor Digitalkompetenz die er nun auch als Aufsichtsrat in verschiedenen Unternehmen verbreitet. Mit beiden spreche ich über die Herausforderungen bei dieser Rolle im Thema Digitalisierung.

Alexander Graf

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Aufsichtsräte digital mit Rainer Hillebrand und Nils Seebach

Rainer Hillebrand war Vorstand der Otto Gruppe und amtiert jetzt als Aufsichtsratsvorsitzender bei Vorwerk; im Aufsichtsrat der Commerzbank ist er ebenfalls aktiv. Nils Seebach sitzt – neben seiner Eigenschaft als Alex‘ Mitgründer schlechthin – auch bei mehreren Unternehmen im Aufsichtsrat, unter anderem beim Pharmagroßhändler Phoenix. Aber wie werden die Mitglieder von Aufsichtsräten gefunden? Was passiert in den Sitzungen? Wie können Aufsichtsräte bei der Digitalisierung helfen? Basiswissen über diese wichtigen, aber oft verkannten Gremien mischt sich mit leidenschaftlichen Plädoyers für mehr Mut in der Besetzung der Mandate – und etwas mehr Demut seitens der bereits digital Bewanderten…

„Da geht es um mehr als nur Kaffee trinken und Brötchen essen.“

2:45

Alex: Stellt euch bitte mal für die Hörer, die euch nicht schon kennen, erst einmal vor!

Rainer: Rainer Hillebrand mein Name und ich befinde mich im Augenblick im „Unruhestand“. Mein Leben ist durch zwei wesentliche Arbeitgeber geprägt worden: Erst einmal war ich 14 Jahre bei der Bundeswehr – davon siebeneinhalb Jahre an der Uni. Danach war ich 30 Jahre bei Otto – die letzten 20 Jahre davon im Vorstand. Als stellvertretender Vorstandsvorsitzender habe ich die digitale Transformation der Otto Gruppe vom größten Katalogversender der Welt bis zu einem der größten Online-Händler verantwortet.

Alex: Und „Unruhestand“ heißt, dass du nicht mehr beim Unternehmen tätig bist, sondern jetzt nach deinem Ausscheiden dort deine Erfahrung weitergibst?

Rainer: Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, das, was ich glaube zu können und das was andere verlangen in Einklang zu bringen: So sitze ich in einigen Bei- und Aufsichtsräten und bin auch bei einem Private-Equity-Unternehmen als Senior Advisor tätig.

Alex: Nils, bitte…

Nils: Ich habe ja mit Tarek Müller und mit dir meine Sporen gesammelt. Wir haben zusammen zahlreiche Unternehmen gegründet: Factor-A, Spryker, Etribes – bei letzterem bin ich operativ tätig. Bei dieser Digitalberatung kümmere ich mich einerseits um die internen Strukturen und andererseits um Sales & Marketing. Parallel dazu sitze ich im Aufsichtsrat von einigen Unternehmen, die ich bei der digitalen Transformation unterstütze.

Alex: Wie würdet ihr die Aufgabe eines Aufsichtsrats beschreiben?

Rainer: Ich verstehe mich als Sparringspartner für die Unternehmensführung. Gleichzeitig achte ich sehr darauf, ob das, was von ihr unternommen wird, auch angemessen ist. Es gibt also sowohl eine Beratungs- als auch eine Kontrollfunktion.

Nils: Das sehe ich ähnlich. Ich habe es sehr oft mit Familienunternehmen zu tun, sodass ich mich frage: Was erwartet der Familienunternehmer von jemanden externen? Wie kann ich helfen, für die Inhaberfamilie nicht nur Wert zu erhalten, sondern auch aufzubauen? Was ich an Mandaten bei Familienunternehmen übrigens sehr schätze: Die langfristige Denkweise. Es geht nicht nur um den nächsten Quartalsbericht.

(Alex erklärt die Motivation für den Podcast: In den letzten Jahren habe sich die Einsicht gestärkt, dass die Digitalisierung ganz oben anfange. So ist der Ruf nach mehr digitalen Kompetenzen in Vorstandsetagen und Aufsichtsräten immer lauter geworden.)

6:35

Alex: Fehlt in Deutschland digitale Kompetenz in den Aufsichtsräten?

Nils: Aus meiner Sicht: Ja, leider in großem Stil. In dieser digitalen Transformation, Revolution – was auch immer man sie nennen möchte – werden die Annahmen, die es den Unternehmen erst überhaupt befähigt haben, in ‚Aufsichtsratsgröße‘ zu kommen, erschüttert. Die Unternehmen wurden 30-40 Jahre lang von sehr qualifizierten Managern zu ihrer heutigen Größe aufgebaut: Diese Menschen sitzen nun in den Aufsichtsräten und versuchen, ihre Leitplanken an die nächste Generation von Manager weiterzugeben. Diese Leitplanken haben aber gar keinen Wert mehr, weil sich die Situation drastisch verändert hat.

Die Frage ist also: Nach welchen Maßstäben stufen Aufsichtsräte Umstände als Risiko oder als Chance ein, als Akiva oder Passiva sozusagen? Aufsichtsräte mit digital versierten Mitgliedern führen solche Diskussion auf der Basis von ganz anderen Grundsätzen. Beispiel stationäre Geschäfte: Stellen sie einen asset dar – oder doch eher eine liability? Von mir kriegt man immer zu hören, dass sie auf jeden Fall als Risikofaktor einzustufen sind. Von anderen Aufsichtsräten wird man aber was anderes vernehmen: „Das sind eine unserer größten Stärken!“

Rainer: Dem stimmt ich 100% zu! Per se kann Digitalkompetenz ohnehin nie schaden. Dann kommt es darauf an, um was für ein Unternehmen es sich handelt, in welcher Branche es tätig ist und in welchem Entwicklungsstadium es sich befindet. Es gibt zwar Unternehmen, die schon über genug Digitalkompetenz verfügen. Generell braucht man aber davon mehr. Vor allem fehlt es oft in Unternehmensführungen an Digitalkompetenz. Ein Aufsichtsrat muss ja selber keine Konzepte entwickeln. Er muss nur die richtigen Fragen stellen!

In vielen Unternehmen ist es leider so: Demjenigen, der am besten mit einem Handy umgehen kann, hat ein Titelschild umgehängt bekommen und heißt jetzt ‚Digital Was-weiß-ich‘, ist aber deutlich unterhalb des Vorstands angesiedelt…

(Alex fragt nach den Möglichkeiten eines Aufsichtsrats, wenn das Unternehmen noch so darauf ist, dass der ‚Chief Information Officer‘ an den EDV-Leiter berichtet und eine verkorkste Multichannel-Strategie umsetzen muss. Vermutlich, schiebt er nach, würden solche Unternehmen den Aufsichtsrat ohnehin nicht mit digitalen Kompetenzen ausstatten.
Rainer: In Familienunternehmen sorgten langfristig denkende Chefs dafür, das digital versierte Aufsichtsratsmitglieder über die Einhaltung und Umsetzung von sinnvollen Plänen wachen. In börsennotierten Konzernen komme dem Aufsichtsratsvorsitzenden diese Rolle zu. Er müsse dafür Sorge tragen, dass die nötige Digitalkompetenz überall angesiedelt werde – und notfalls personelle Entscheidungen treffen, wenn sich mit dem Vorstand ein Richtungsstreit ergibt.
Nils: Aufsichtsräte entschieden über die Vergütung der Vorstände. Sie müssten also unter anderem über die Boni-Struktur versuchen, um die mit digitalen Initiativen einhergehende Risikobereitschaft zu belohnen – oder zumindest nicht abzustrafen. Zudem müssten sie bei Eigentümern und Gesellschaftern bei Veränderungsvorhaben für realistische Ziele werben: „Sie können nicht erwarten, dass wir binnen drei Monaten 100% Online-Bestellungen haben!“)

14:10

Alex: Wie wird man denn Aufsichtsrat? Rainer: Wie bist du nach der aktiven Zeit bei Otto dazu gekommen?

Rainer: Otto hatte nach meiner Pensionierung wohl das Bedürfnis, weiterhin mit mir zusammenzuarbeiten – und hat mich in den Aufsichtsrat berufen. Bei der Commerzbank ist es dadurch entstanden, dass sich der neue Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank Gedanken gemacht hat, wie er die angestoßene Digitaltransformation aus dem Aufsichtsrat heraus begleiten konnte – und fragte seine privaten Kontakte, ob sie jemanden kennten, der ein größeres Unternehmen digital transformiert hat. Da fiel mein Name. Bei Vorwerk kam das über eine Personalberaterin zustande, die beauftragt worden war, gezielt jemanden zu suchen, der schon mal bei einer digitalen Transformation dabei war.

Es ist übrigens ein Unterschied, ob man Bei- oder Aufsichtsrat ist in einem Unternehmen, der sich in den ersten Schritten der digitalen Transformation befindet oder bei einem, das schon durch und durch digital ist. Nils, du hast ja vorhin Tarek erwähnt: Ich habe ihn begleiten dürfen, wie er den Beirat für AboutYou aufgebaut hat. Der hat natürlich von sich aus wie kaum ein anderer Digitalkompetenz! Dann hatte ich ja meine Fähigkeiten in Transformation. Dazu kamen Florian Heinemann von Project A und Christian Leybold von e.ventures. Das war natürlich eine sehr digitale Umgebung.

Alex: Wie viel Wissen kann man beispielsweise von der Otto-Transformation dann bei der Commerzbank anwenden? Was davon ist generalisierbar?

Rainer: Auf der Detailebene, im Maschinenraum des jeweiligen Unternehmen ist es meistens nicht sehr vergleichbar. Ich glaube aber, dass die Herausforderung, Dinge in der Wertschöpfungskette zu verändern, überall gleich ist. Die Fragen: Was will ich erreichen? Wie komme ich dahin? Wie passe ich meine technische Infrastruktur an? Wie Fähigkeiten müssen meine Mitarbeiter haben? Diese Fragen und viele mehr stellen sich jedem. Eine Frage, die übrigens sehr oft vernachlässigt wird: Wie ist eigentlich unsere Unternehmenskultur?

(Alex referiert kurz die Geschichten von e.ventures und Project A, in denen die Otto-Gruppe eine tragende Rolle spielte: Eine Blaupause für andere Unternehmen? Rainer rät von ‚one-size-fits-all‘ ab. Hintergedanke war für Otto damals, ein Gefühl für die digitale Welt zu bekommen und eine Art ‚Seismograf‘ aufzustellen. Denn das, was in den Start-ups hochkomme, bahne sich später sein Weg in andere Bereiche der Wirtschaft: „Früh zu erkennen, was los ist, um sich rechtzeitig darauf einzustellen.“ Das müssten alle Unternehmen machen. Nicht jedes Unternehmen müsse aber dazu unbedingt eigene Ventures gründen. Für manchen reiche einfach ein regelmäßiges Trendmonitoring von einem kompetenten Ansprechpartner – wie zum Beispiel Etribes!)

20:40

Alex: Nils, gleiche Frage an dich: Wie wird man – wie wurdest du – Aufsichtsrat?

Nils: Also meistens hat man eine Beziehung zum principal – zur Familie, der das Unternehmen gehört etwa. Da gibt es ein Vertrauensverhältnis und oft sind das Leute, die bei einem investiert haben und Erfolge gesehen haben. Dann wollen sie wissen: „Mensch, wie habt ihr denn Spryker aufgebaut?“ Dann ist es fast eine natürlich Progression, dass man gebeten wird, sich in Portfoliounternehmen entsprechende Themen näher anzugucken. Oder, genau wie von Rainer geschildert, gibt es den klassischen Weg: Ein Headhunter ruft an. In dem Fall bewirbt man sich dann ganz normal und es gibt Lebensläufe, Vorstellungsgespräche.

Alex: Du bringst im Gegensatz zu Rainer mit der Otto-Digitalisierung viel operatives Wissen aus dem Aufbau von digitalen Unternehmen auf. Ist deine Rolle als Aufsichtsrat entsprechend „operativer“ im Sinne von: „Nils, das und das machen wir gerade. Guckst du, ob das so richtig ist?“

Nils: In der Tat bin ich relativ operativ tätig. Ich wende da immer die Drei-Säulen-Modell der Digitalisierung an. Erster Schritt: Digitalisierung des Kerngeschäfts. Das heißt, ich frage ganz blöd: „Habt ihr noch eine Faxbestellung? Abschalten!“ Zweiter Schritt: Aufbau von neuen Aktivitäten, die nah am Kerngeschäft – aber konsequent digital gedacht – sind. Dritter Schritt: Komplett neue digitale Geschäftsmodelle, um voraussichtlich wegbrechende Umsätze im Kerngeschäft im Zuge der Digitalisierung auszugleichen. Das könnte dann so etwas wie der Aufbau von Project A sein. Innerhalb dieser drei Säulen bin ich durchaus bereit, mit dem Management tief einzusteigen. Dieser operative Schwerpunkt ergibt sich unter anderem daraus, dass die Unternehmen, die ich mit aufgebaut habe, klein angefangen sind.

24:10

Alex: Bei der Besetzung eines Aufsichtsrats geht es natürlich sehr um Vertrauen. Ein Vorwurf, den man dabei öfter hört: „Die Headhunter schöpfen immer aus denselben Kreisen! Wie soll da frischer Wind wehen?“ Mein Gefühl ist, dass das eher auf die DAX-Konzerne zutrifft, die tatsächlich sehr vernetzt sind. Seht ihr das ähnlich? Oder gibt es jetzt mehr Konzerne, die mal außerhalb von DACH oder in anderen Branche nach Querdenkern für ihre Gremien suchen?

Nils: Es geht nicht nur um Vertrauen, sondern um Verständnis. Ein Problem, das Headhunter haben: Die finden Leute, die digital ganz gut sind – die aber in die Aufsichtsratssitzungen in Hoody reinstürmen, auf den Tisch hauen und sagen: „Ihr seid alle bescheuert! Ihr müsst das digital ganz anders machen!“ Da hat man jemanden, der digitale Kompetenzen mitbringt, aber das Aufsichtsratsmandat nicht verstanden hat. Die Rolle ist ja, im gemeinsamen Diskurs etwas zu entwickeln, was das Unternehmen besser aufstellt. Die armen Headhunter! Sie sind leicht überfordert mit der Aufgabe, jemanden zu finden, der diese Mittlerrolle spielen kann. Man braucht ja jemanden, der zwar digital etwas aufgebaut hat, aber Respekt für das mühsam aufgebaute Althergebrachte übrig hat und das erfolgreich digitalisieren will. Es gibt Personalvermittler, die sich auf diese Gratwanderung verstehen: Das sind eher die kleineren Boutiquen in der Branche, die ein gutes digitales Netzwerk haben. Allerdings fehlt denen oft der Kontakt zu den Aufsichtsräten…

Rainer: Nils, das hast du perfekt beschrieben. Genauso gestaltet sich die Herausforderung. Es wird ja im Aufsichtsrat keine händische SEO-Optimierung gemacht! Da muss der digitale Aufsichtsrat zwar Verständnis dafür mitbringen, welche Tools gängig sind. Ein Hoody-Träger, der das alles direkt in den Sitzungen anpacken will, ist aber fehl am Platz. Es gibt eben nicht sehr viele Menschen, die ein tiefgreifendes Wissen übers digitalen Geschäft mit Management-Erfahrung beziehungsweise einem Verständnis von Führungsaufgaben kombinieren.

Dann hängt es von einem selber ab, wie ernst man diese Aufgabe nimmt. Eine Aufsichts- oder Beiratstätigkeit ist viel Arbeit, wenn man da richtig einsteigt: Man muss sich vorbereiten und gerade bei Unternehmen, die mitten in der Transformation stecken, gibt es mehr als zwei Sitzungen im Jahr – und dabei geht es um mehr als nur Kaffee trinken und Brötchen essen. Dann ist viel Nachbereitung. Nur reingehen, um Sitzungsgeld zu kassieren oder um jemanden einen Gefallen zu tun? Nein! Ich habe genug Mandate abgelehnt – auch von guten Freunden oder Geschäftspartnern – weil ich das Gefühl hatte, die wollten einen Vertrauten – einen Buddy – haben. Aber wer mich in seinen Rat reinnimmt, der kann sich darauf verlassen, dass ich meine Meinung sage! Man soll sich grundsätzlich Expertise holen, nicht Vertraute.

Allerdings geht es ja ein Stück weit um Vertrauen – und der Kreis von Menschen, die man kennt und die digitale Expertise haben, ist klein. Das sind dann immer dieselben. Deshalb haben einige Unternehmen so etwas wie einen „Digitalrat“ gegründet: Der tauscht sich dann mit dem Aufsichtsrat aus. Das ist eigentlich eine ganz elegante Lösung.

(Diese Aufteilung nimmt Alex zum Anlass, die beiden zu ihrer Meinung über „Digital-Ressorts“ unterhalb der Vorstandsebene auszufragen. Sei das Fernhalten von Digital aus den Kernstrukturen nicht etwas zu 2000er-Jahre? Man schreibe ja mittlerweile 2020. Rainer: Ein Digital-Ressort sei besser als gar nichts, sei aber nicht optimal. So dauere es zu lange, etwas im Unternehmen zu verändern. Zudem sei das Signal falsch: Wolle ein Unternehmen wirklich den Weg der Digitalisierung gehen, so müsse das erkennbar in der Führungsriege und in den Strukturen verankert sein. Zudem brauche entweder der Aufsichtsrat- oder der Vorstandsvorsitzende den absoluten Willen zur digitalen Transformation gegen teils erhebliche Widerstände: Die Führungstagungen bei Otto die letzten 20 Jahre lang seien ja nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen. Aber Michael Otto hatte ihm aufgetragen, den Konzern „online-fähig“ zu machen und stärkte ihm immer wieder den Rücken.
Nils pflichtet Rainer bei. Zwar findet er ein Digital-Ressort für die operativen Aufgaben in einigen Kontexten eine gute Lösung. Aber das Duo Aufsichtsratsvorsitzender und Vorstandsvorsitzender müssten die Digitalisierung vorantreiben und klar machen, dass digitale Einheiten keine Feigenblattfunktion sind. Dann gebe es gewissermaßen einen Ansprechpartner für Digitales. Das befreie beispielsweise den Finanzleiter aber nicht von der Aufgabe, seine Buchhaltung zu digitalisieren. Gerade in Corona-Zeiten zeige sich, dass Papier-Buchführung und weitgehend analoger Vertrieb Risikofaktoren sind – Digital-Ressort hin oder her.
Rainer dazu: Letztendlich gehe es in Vorständen immer um das Verschieben von nicht beliebig ausbaubaren Budgets. Ein Digital-Ressort alleine könne nicht die Schlagkraft entwickeln, Ressourcen in Richtung Digitalisierung und Ausbau von digitalen Geschäftsmodellen zu leiten.)

37:30

Alex: Rainer, du hast gerade zum Spaß gesagt, das SEO nicht in der Vorstandsetage stattfindet. Ich kann mich allerdings gut erinnern, dass wir damals 2008 mit Tarek SEO-Workshops für den Otto-Vorstand veranstaltet haben, um zu zeigen, was die Rolle von Google ist! Nicht jeder hat unseren Schlüssen zugestimmt. Die Karawane zieht aber immer weiter. Mittlerweile sind wir bei TikTok & Co. Welche Chancen hat eigentlich ein durchschnittlicher Finanz- oder Beschaffungsvorstand in einer Bank, in einem Handelsunternehmen, oder in der Industrie so aufzuholen, dass er sein Ressort auch wirklich digitalisieren kann? Ist der Zug abgefahren? 

Nils: Achtung, kontroverse Aussage: Man darf nicht auf die Arroganz der Digitalleute reinfallen! Die Menschen, die man in Vorständen und Aufsichtsräten trifft, sind ja gestandene Manager. Sie sind sehr fleißig und extrem gut in dem, was sie tun; sie entwickeln sich auch weiter. Sie haben also alle Voraussetzungen, neue Konzepte zu durchdringen. Die Frage ist dann immer nur, ob sie gegen die Leitplanken anarbeiten. Frage also: Kann man ein Unternehmen erfolgreich digitalisieren? Antwort: Ein klares Ja! Aber man muss die richtigen Impulse setzen und über die Leitplanken reden.

Jetzt hat man auch viel bessere Vorlagen dafür. Denn früher in der Digitalisierung musste man fast jeden Satz anfangen mit „Ich glaube, das…“ Jetzt kann man sagen: „Wir wissen, dass… Das sind die Zahlen dazu, guck die dir mal an und übertrag sie auf dein Geschäftsmodell.“ Man führt also die Diskussion mit den Managern. Können Sie die einmal beschlossene Digitalisierung dann selber exekutieren? Ja! Das kommt zwar immer auf die einzelne Person an, wir müssen aber jetzt nicht in allen deutschen Unternehmen komplett die Vorstandsetagen austauschen. Mit wem wollte man die denn alles ersetzen? Und die sitzen da nicht aus Zufall! Die haben was geleistet.

Alex: Rainer, wie siehst du das? Blickst du auch so hoffnungsvoll in die Zukunft oder hast du zu viele Fälle erlebt, in denen die Lernkurve nicht mehr ansteigen wollte?

Rainer: Klar, es gibt immer die ganz hoffnungslosen Fälle – wo das Problem im Wesentlichen darin liegt, dass diese Leute einfach nicht mehr willens und bereit sind, zu lernen. Denn die wesentliche Aufgabe eines Managers ist für mich: Neugier. Man muss sehen wollen, was links und rechts von einem passiert und davon lernen wollen.

Bei Otto haben wir mit der gesamten Vorstandsebene – Michael Otto inklusive – fast jährliche Reisen ins Valley veranstaltet, um jedes Mal mit 10-15 Start-ups zu sprechen. Es ging in erster Linie darum, sich einen Eindruck zu verschaffen, von dem was da eigentlich passiert und Ideen mit nach Hause zu nehmen.

Der zweite wesentliche Aspekt ist: Das Wissen einer Organisation liegt nicht geballt im Vorstand, sondern im operativen Geschäft. Bei der Bundeswehr muss der Offizier ja am schnellsten laufen und am besten schießen können – aber so funktioniert das heute nicht mehr.

(Alex sagt, er habe beim Bund folgendes gelernt: Wer mitmacht, verliert die Übersicht!Rainer stimmt schmunzelnd zu: Als Führungskraft ist man heute eher Dirigent oder Netzwerker als Maschinenarbeiter. Insofern könne ja ein Finanzvorstand Digitales lernen und umsetzen, solange er noch die dafür notwendige Neugier habe und seine Organisation dazu befähige, Neues umzusetzen.)

42:45

Alex: In der digitalen Transformation ist es ja so, dass man Neues wagen muss – und dass einiges davon schief geht. Die Misserfolge sieht man, bevor man die Erfolge ausmachen kann. Gibt es in den Vorständen und Aufsichtsräten in Deutschland ausreichend Geduld dafür? Kann man Finanzvorstände genug Budget entlocken, damit nicht alle neuen Projekte gestoppt werden müssen, wenn sie nicht sofort funktionieren?

Rainer: Man muss immer die Frage stellen: Was ist eigentlich die Alternative?! Das mit der Geduld ist ja meiner Meinung nach eher umgekehrt: Wir lassen uns zu viel Zeit! Wenn ich es will, muss ich nämlich investieren. Und wenn ich nicht investiere, bin ich auf Dauer tot. Vielleicht ist das ein Vorteil bei Familienunternehmen in dieser Zeit: Sie zeichnen sich durch einen etwas längerfristigen Horizont aus. Sie ertragen das besser, dass sie sich noch in der Investmentphase befinden, als Manager in einem Unternehmen, das dem shareholder-value-Prinzip verpflichtet ist.

Nils: Ich glaube, dass Familienunternehmen in der digitalen Transformation unglaublich gut positioniert sind – vorausgesetzt, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen. Die Frage ist immer, ob eine Unternehmensführung auf Bestandswahrung gepolt – Dividenden ausschütten! – oder mit Bestandsaufbau beauftragt ist. Digitalisierung ist immer Bestandsaufbau, immer auf zu neuen Ufern mit dem Ziel, das Unternehmen in die nächste Generation zu führen. In Familienunternehmen sitzen heute teilweise noch die Gründer mit am Tisch. Sie haben Werte, anhand derer sie die Firma aufgebaut haben – und auf diese Werte kann man sich zurückbesinnen. Bei der Gründung wurden nämlich auch mal Risiken eingegangen. Und die Digitalisierung ist nichts anderes als eine Neugründung eines bereits bestehendes Geschäftsmodells. Das kann man in Familienunternehmen besser diskutieren. Sie haben dann auch einen längeren Atem.

Zumal – Rainer, um noch einmal deinen Punkt aufzugreifen – es wirklich alternativlos ist. Wenn man in einem Aufsichtsrat noch diskutieren muss, ob es Alternative zur Digitalisierung gibt, würde ich sagen: „Leute, wir sehen uns in fünf Jahren! Bis dahin wird sich die Frage geklärt haben! Tschüss!“ Selber diskutieren tue ich das nicht mehr. Viel zu anstrengend!

(Alex fragt, wo man als Aufsichtsrat mit dem Vorstand auf digitale Bildungsreise hinfahren soll: Silicon Valley noch oder direkt ab nach China? Rainer plädiert für ein Sowohl-als-auch.)

48:00

Alex: Letzte Frage: In welchem Unternehmen würdet ihr gerne Aufsichtsrat sein beziehungsweise Mäuschen spielen? Jeder darf zwei auswählen!

Nils: Hm… schwierige Frage! Also, wenn ich es wirklich ganz frei aussuchen dürfte, wo ich Mäuschen spiele, dann Amazon. Ich bin so ein riesiger Jeff-Bezos-Fan: Da wäre ich bei allen Diskussionen von Amazon gern dabei! In Sachen ‚steile Lernkurve‘ käme man da auf seine Kosten – oder vielleicht sogar mehr bei Alibaba. Ich würde gern erfahren, wie viele Entscheidungen, die da gefällt werden, bewusste sind – und wie viele einfach zufällig getroffen werden. Wenn es darum ginge, irgendwo richtig auf dem Tisch zu hauen, würde ich gern bei den Automobilkonzernen im Aufsichtsrat den Hoody-tragenden Punk spielen!

Rainer: Mäuschen spielen? Entweder Amazon oder Alphabet. Gestaltungsaufgabe? Ein richtig großes Familienunternehmen. Sonst würde ich gern die Bundesregierung beraten. Das, was da gerade passiert, wird Deutschland nämlich nicht gerecht!

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