Kevin ist bockigToll, super, endlich, richtig so! So oder ähnlich klingt es nach der Ankündigung von Birkenstock nicht mehr direkt an die europäischen Amazon Plattformen zu verkaufen. Kaum eine Markenentscheidung ist in 2017 so stark von den Medien aufgegriffen wird. Es ist fast so, als würden „Alle“ darauf warten, dass es Amazon mal so richtig gezeigt wird. Ich mag da etwas voreingenommen sein, aber mir fällt es sehr schwer die Entscheidung als Kaufmann zu begründen. Aus Sicht eines kleinen bockigen Kindes („Kevin“) ist die Entscheidung natürlich spitzenmäßig. „Mensch, nun haben wir es Amazon aber mal gezeigt.“ Ich möchte dabei gar nicht falsch verstanden werden, Amazon hat enorme Probleme auf vielen Ebenen, aber das hält sie scheinbar nicht auf zu wachsen.

  • Amazon behandelt die meisten Händler wie bessere Logistikhelfer und tauscht diese nach Belieben aus. Groß frisst klein. Schnell frisst langsam. Schnelle Große gewinnen usw. Am Ende bleibt ggf. nur noch Amazon. „1×1 der Plattformökonimie
  • Amazons Fokus liegt auf den Kunden und erst dann kommen die Markenhersteller. Diese befinden sich in einem nicht lösbaren Gefangenendilemma.
  • Die Werkzeuge von Amazon pfeifen heute technisch oft auf dem letzten Loch. Dazu gehören die Werkzeuge, um Fälschungen und Abzocke zu verhindern. „Amazons Limit
  • Amazon hat aber in den letzten Jahren auch mehr für die Endkunden getan, als alle B2C Händler zusammen. Das geht in der Diskussion um sterbende Innenstädte und Steuersparmodelle oft unter.

In der Zeit wird die Entscheidung Birkenstocks noch recht entspannt gesehen. Amazon wird es wohl verkraften, und Birkenstock ist ja ohnehin eher eine Marke des stationären Handels. Na dann….

Birkenstock kann das verkraften, denn den Großteil seines Umsatzes macht das Unternehmen aus Neuwied gar nicht übers Netz, sondern in Läden und Kaufhäusern. Und über andere Onlinehändler werden seine Sandalen auch künftig auf Amazon erhältlich sein.

Auch im Artikel der Zeit wird der Vorwurf der massiven Fälschungsschwemme auf Amazon betrachtet und dort kommt man zu dem Fazit, dass Amazon auch nur Teil eines großen Hase & Igel Spiels ist. In der Süddeutschen Zeit sieht man das etwas kritischer und wirft Amazon entsprechende Versäumnisse vor.

Konkret richten sich die Vorwürfe gegen den „Marketplace“ von Amazon, eine Art digitaler Flohmarkt, auf dem es beinahe alles zu kaufen gibt: von der Handyhülle bis zur Kühltruhe. Weil die Produkte von Drittanbietern offeriert werden, ist Amazon im rechtlichen Sinne nicht der Verkäufer. Birkenstock wirft dem US-Konzern jedoch vor, trotz mehrmaliger Beschwerden nichts gegen die Fake-Birkenstocks unternommen zu haben. Amazon erklärt dazu, der Verkauf von gefälschten Produkten sei untersagt. „Wir entfernen Produkte, die gegen unsere Teilnahmebedingung verstoßen, sobald wir Kenntnis davon erlangen und ergreifen entsprechende Maßnahmen gegenüber dem Verkäufer“.

Amazon hat sicherlich auch kein Interesse daran, dass dort Fake Produkte verkauft werden und hat diverse Werkzeuge im Einsatz, um das zu verhindern. Die umfassenden Klagen von Herstellern & Händlern deren Amazon Konto aufgrund von angeblichen Produktfälschungen gesperrt wird, zeugen davon. Mark Steier hat sich das bei Wortfilter etwas genauer angeschaut.

Möchte man dennoch Kritik an Amazons Infringement-Prozess üben, dann wäre das mit Sicherheit der Umstand, dass dieser stark automatisiert und ohne oder nur mit wenig ‚manueller‘ Überprüfung und Kommunikation passiert. Fazit: Amazon bietet den Rechteinhabern einen umfangreichen Schutz an und dieser wirkt teilweise sogar so stark, dass Händler sich ungerechtfertigt Markenverstößen gegenüberstehen sehen.

Das Manager-Magazin hat versucht den Mechanismus besser zu verstehen, und hat dabei leider etwas zu oberflächlich recherchiert.

Anders als im stationären Handel haben Markenhersteller auf Amazon keine Kontrolle darüber, wer ihre Waren anbietet. Bei Ladengeschäften kann ein Unternehmen sich darauf beschränken, seine Waren über bestimmte Händler anzubieten. Bei Amazon hingegen können auch Drittanbieter, die in keiner direkten Beziehung zum Hersteller stehen, dessen Markenprodukte anbieten. Zudem werden in Amazons Lagerhäusern alle Produkte, die den gleichen Barcode tragen, gleichberechtigt gelagert, egal, ob sie vom Hersteller oder von einem Drittanbieter geliefert wurden.

Das stimmt grundsätzlich, aber mittlerweile nutzen viele Hersteller andere Werkzeuge, um den Verkauf ihrer (ggf. gefälschten) Produkte von anderen Händler zu unterbinden. Das bekannteste davon dürfte der Brand Gating Mechnismus von Amazon sein, bei dem der Hersteller manuell andere Händler für den Verkauf auf Amazon zulassen können. Ein willkommenes Werkzeug für einige Hersteller, die ihre selektiven Vertriebsverträge bisher nicht ausreichend umgestalten konnten, um auch die Onlinekanäle entsprechend zu steuern. Über diese Mechanismen kann man sich aus Händlersicht durchaus aufregen, aber Amazon versucht eher den Herstellern durchaus entgegenzukommen. Die Gefahr, dass man Kunden durch den Verkauf gefälschter Produkte verliert ist durchaus real, wenn man dem Kommentarbereich im entsprechenden welt.de Beitrag glauben möchte.

Die Frage ist nun, ob Birkenstock nicht anders hätte handeln können. Aus meiner Sicht bringt der Rückzug aus von Amazon nichts und Marc Aufzug von Factor-A, einer Agentur die sehr viele große Brands auf Amazon vertritt, hat das auch gut zusammengefasst, als ich mit ihm dazu in dieser Woche gesprochen habe.

Ich kann die Enttäuschung von Birkenstock gut nachvollziehen, aber die Entscheidung ist falsch. Mit einem Rückzug gibt Birkenstock lediglich seine Einflussnahme auf – die Marke
wird nach wie vor auf Amazon stattfinden und vom Kunden dort auch nachgefragt werden. Die Qualität der Markendarstellung und die Sichtbarkeit werden durch die Beendigung der direkten Lieferbeziehung leiden. Da auch nicht zu erkennen ist, dass das Fake-Problem dadurch gelöst wird, sehe ich nur Nachteile. Der Rückzug wird der Marke Birkenstock schaden – finanziell und in der Kundenwahrnehmung.

Die heutige Sichtbarkeit von Birkenstock auf Amazon ist gewaltig. Sie sind eine der Top Brands, gemessen an den Einblendungen in den Suchen und den Abverkäufen. Ein Screenshot aus der Factor A Suite setzt die Birkenstock Sichtbarkeit in Vergleich mit Geox. Zieht sich Birkenstock zurück, verlagert sich der Umsatz auf Birkenstock Händler (auf Amazon) und andere Marken. Der stationäre Kanal geht mit hoher Sicherheit leer aus.

Kurze Erläuterung zum Index:  „Der factor-a Visibility Index durchleuchtet für über 17 Mio. Suchbegriffe die Auffindbarkeit der Suchergebnisse auf Amazon, setzt diese in Beziehung zueinander und erlaubt so einen relativen Vergleich der Sichtbarkeit und Bedeutung von Marken auf Amazon

Man stelle sich vor, dass Adidas sich aus dem Google Index zurückzieht, weil sie nicht damit zufrieden sind wie die eigene Webseite neben den ganzen Trittbrettfahrern angezeigt wird. Ich gönne Birkenstock durchaus den Moment der Genugtuung, aber leider ist damit der Marke gar nicht geholfen und ein echter Ansporn für andere Marken es Birkenstock nachzumachen ist aus meiner Sicht nicht entstanden. Ich gehe davon aus, dass Birkenstock in absehbarer Zeit wieder selbst an Amazon verkauft und dann die verlorenen Sichtbarkeit umso teurer bezahlen muss. Vielleicht hilft ein Blick zurück in den Januar 2017 als Birkenstock seine Geschäftsbeziehung mit Amazon.com (aktuell geht es um die europäischen Amazon Plattformen) medienwirksam gekündigt hat und seine Händler dazu angehalten an ebenso zu verfahren. Nun kann sich ein Jahr später jeder selbst ein Bild davon machen, ob das Birkenstock Sortiment aus Amazon.com ausgedünnt wurde. Kleiner Spoiler: Nein.

 

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