Seit ca. zwei Jahren ist Thomann.de immer wieder Thema in den Kassenzone.de Podcasts. Mit fast einer Milliarde Umsatz dominiert Thomann.de seine Nische und muss weder Amazon noch Alibaba fürchten. Sie haben enorm treue Kunden, sehr starke USPs und eine faszinierende Geschichte wie sie dorthin gekommen sind wo sie heute stehen. Sven ist schon seit langem ein Teil dieser Geschichte und würzt das Gespräch mit vielen tollen Details. Besonders spannend für mich ist seine Sicht auf die Weiterentwicklung von Thomann.de zum Marktplatz, auf die vielen Nischenseiten die noch vom Team betreut werden, der Anteil der Eigenmarken und vieles mehr. Auch sein Verständnis von E-Commerce Technologie, deckt sich 1:1 mit den Learnings von Spryker. Mit Standard (-technologie) gewinnt man auch im Musikbusiness keinen Blumentopf mehr. Hörpflicht für E-Commerce Experten, weil „wir“ von Thomann noch eine Menge lernen können.

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Erfolg in der Plattformökonomie mit Sven Schoderböck, Vice-President E-Commerce bei Thomann

Dank einer Sortimentskompetenz, die ihresgleichen sucht, und einem vorausschauenden Umgang mit E-Commerce ist Thomann der lebende Beweis dafür, dass es in der Plattformökonomie nicht nur ein Leben, sondern sogar sehr attraktive Zukunftsperspektiven abseits von Amazon gibt. In dieser lang ersehnten Folge darf Alex endlich mal in allen Einzelheiten erfahren, wie Thomann – ein Unternehmen, dass er oft genug als Beispiel für eine erfolgreiche Online-Strategie aufführt –  zur Position der beneidenswerten Stärke gekommen ist, die es heute einnimmt. Denn Sven steht ihm mit seinen 24 Jahren beim Anbieter von Musikinstrumenten und Audiotechnik auskunftsfreudig und bis in die Detailebene Rede und Antwort.

„Wir führen bereits alles, was sinnvoll ist.“

2:25

Alex: Kannst du uns zu Beginn ein paar Eckpunkte wie Mitarbeiterzahl, Umsatz, Märkte geben?

Sven: Thomann fing als klassisches Musikhaus in der Nähe vom fränkischen Bamberg an, aber inzwischen machen wir 96% unseres Umsatzes mit E-Commerce. Dieses Jahr wollen wir die Milliarde knacken. Außer in UK sind wir in ganz Europa Marktführer und weltweit sind wir der größte Versender für Musikinstrumente sowie Licht- und Tontechnik. Wir beschäftigen knapp 1.400 Festangestellte und jede Menge freie Redakteure, Übersetzer und Vertreter anderer Berufsfelder.

Alex: Wer kauft denn bei euch was?

Sven: Unsere Kundschaft reicht von Musikschülern – etwa wenn die Oma ihrem Enkelkind was zu Weihnachten kaufen möchte – bis zu Kreuzfahrtanbietern, die professionelle Installationen auf Schiffen benötigen sowie Messen, Stadthallen, Theatern… Dabei sind die Übergänge zwischen privaten und geschäftlichen Kunden fließend. So ein Tennisverein hat meistens irgendjemand, der sich um eine Anlage kümmert für Feste und so weiter. Musiker brauchen Instrumente und manche davon spielen in einer Hobby-Band, während andere hauptberuflich von der Musik leben. Auch du brauchst Mikrofon und Kamera-Equipment für diese Podcasts!

Alex: Wenn ich die Geschichte richtig kenne hatte der Herr Thomann ein kleines Musikgeschäft in Treppendorf in der Nähe von Bamberg und fing eben genauso früh wie konsequent an, online zu verkaufen.

Sven: Genau richtig. Wir sind eine 150-Seelen-Dorf und musste immer ein bisschen weiter nach Kundschaft suchen. Als ich damals 1996 anfing, hatten wir noch so etwas wie ein Einzugsgebiet, aber wir waren schon bayernweit recht erfolgreich. Wir versendeten Flyer mit der Post, um an Kunden zu kommen. Erst mit dem E-Commerce konnten wir dann überregional wachsen.

Alex: 96% E-Commerce – also 4% stationär bei euch im Treppendorfer Laden?

Sven: Ja. Wir haben viele Kunden, die einmal im Jahr mit der Band oder mit der ganzen Kapelle vorbeikommen, aber immer noch Leute aus der Gegend, die einfach vorbeischauen. Der Laden ist sehr groß: Im Prinzip ist es unsere eigene Universität, an der wir unsere Fachkräfte ausbilden. Er wird auch permanent erweitert. Der nächste Neubau steht bevor: Da soll eine YouTube-Fläche dazukommen. Der Laden ist auch Teil unserer Identität. Wenn viele Leute an Thomann denken, denken sie daran, obwohl sie nie dort waren; er ist auch der Mittelpunkt für unsere Social-Media-Aktivitäten.

(Alex erzählt, wie er im Laufe seiner Podcaster-Entwicklung  auf Thomann aufmerksam wurde. Besonders beeindruckt habe ihn die Sortimentsbreite und -tiefe sowie die schnelle telefonische Erreichbarkeit eines Kundenberaters. Der Podcast werde gerade auf einem Aufnahmegerät aufgenommen aus der ersten Ausstattung, die er sich von Thomann holte. Sven erzählt, wie die Mitarbeiter im Ladengeschäft und Call-Center durchrotieren, damit immer Spezialisten vorhanden sind. Die Beratung finde auch in mehreren europäischen Sprachen statt.)

8:00

Alex: Rückblickend: Wie wurdet ihr zum Marktführer? Wart ihr einfach als Erste präsent? Ich denke nämlich an Sport Tiedje aus Schleswig – nun einer der größten Sportgerätehändler Europas: Sie waren halt zuerst im Internet!

Sven: Wir waren weder die Ersten noch die Größten. Aber in unserer DNA war es schon immer, uns möglichst außerhalb unserer Region zu orientieren. Und wir waren immer sehr kundenzentriert. Der Gründer Ernst Thomann lässt auch alles Geld in der Firma; es wird alles reinvestiert. Wir haben keine Titel, kaum Hierarchie. Der Kunde stand immer im Mittelpunkt und dadurch sind wir gewachsen. Die ersten zehn Jahre haben wir auch nicht groß links und rechts geschaut – bis irgendwann mal die ersten Preise ins Haus geflattert sind.

Man muss auch sagen: Wir sind eine Hobbybranche, weshalb der Wettbewerb nicht so pickelhart war wie in anderen Branchen. Es sind sehr viele, die – wie ich – ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. So waren einige nur begrenzt bereit, Risiken einzugehen oder sich selbst für den Job aufzuopfern. Das Ergebnis war, dass wir relativ schnell viele unserer Wettbewerber hinter uns gelassen haben und orientierten uns nur nach dem Kunden: Was ist für ihn wichtig? Logistikdienstleistungen, Service, IT und Content. Darauf haben wir uns ausgerichtet.

Alex: Wie groß ist den eigentlich euer Markt?

Sven: Man spricht immer in Deutschland von knapp einer Milliarde und europaweit von vier bis fünf Milliarden – für Musikinstrumente. Da ist professionelles Audio und Ausstattung für Kinos und Theater noch nicht dabei.

Alex: Rund 25% Marktanteil also? Was Fielmann in der Optikerbranche ist, seid ihr im Musikhandel?

Sven: Das kann man so sagen. Unser Markt ist sonst stark fragmentiert mit einem sehr segmentierten Sortiment. In einigen Kategorien haben wir also sicherlich über 80% Marktanteil in Deutschland und 40%-50% in Europa, während wir in anderen – etwa Notenhefte oder akustische Klavier – einen deutlichen niedrigeren haben.

12:00

Alex: Wie sprecht ihr Kunden an? Früher hat man für jede Nische eine eigene Domain aufgebaut – „klavier.org“ – samt Foren usw.

Sven: Seit 2006 verfolgen wir eine Plattform-Strategie: thomann.de ist unser Online-Shop. Da geht es darum, Kunden zu beraten und zu konvertieren. Wir holen die Kunden aber vorher auf anderen Websites ab, wo wir ihnen die Möglichkeit bieten, sich zu informieren oder zu inspirieren. Wir betreiben pianoo.de zum Beispiel für Klaviere. Von den 15 wichtigsten Musikerwebseiten in Deutschland gehören uns 15. Zudem haben wir seit letztem Jahr eine Tochterfirma in Frankreich, die für uns Musikerwebseiten betreibt. Wir sind eben in einem Nischenmarkt und um Kunden zu erreichen, können wir nicht bereit streuen. Deswegen setzen wir jetzt auch auf Social-Media-Kanäle und YouTube.

Alex: Wie seid ihr intern aufgestellt in Bezug auf das Thema Digital? Meine Faustregel ist ja, dass erfolgreiche Firmen im Endkundengeschäft einen Mitarbeiter pro 2-4 Millionen Euro Umsatz beschäftigen. Nach der Logik würdet ihr 300 bis 500 Leute fürs Digitale beschäftigen…?

Sven: Wäre schön, ist aber nicht so! Bei uns ist E-Commerce im Marketingbereich angesiedelt. Vieles läuft aber wegen des Fachkräftemangels in Treppendorf anderswo. So sitzen viele meiner Leute an anderen Standorten – etwa hier in Hamburg.

Alex: Stimmt. Ich war überrascht, als ich fragte, ob wir mal ein Treffen hier im Hamburger Studio hinbekommen würden und du gesagt hast: „Ja, klar, ich arbeite ja in Hamburg!“

Sven: Unser Hauptsitz in Treppendorf ist nicht megadigital. Klar, unser Call-Center ist da und die haben es den ganzen Tag mit Kunden aus dem Netz zu tun. Aber die Idee ist immer gewesen, dass sich die Leute, die sich mit Equipment auskennen, mit Equipment arbeiten, dass sich die Leute, die sich mit Ein- und Verkauf auskennen, sich darum kümmern, und dass sich die Logistiker der Logistik widmen. Und ich mit meinem Team von 150 plus Freelancer kümmere mich um alles, was digital ist. Das heißt: Wir entwickeln die Website, den Webshop, die App; wir verwalten auch die Websites außen rum und stellen dafür den Content zur Verfügung; wir betreiben auch das Online-Marketing – Zwar haben wir hier paar Sachen extern vergeben, versuchen aber möglichst viel noch im Haus zu machen.

(Sven geht auf Anfrage ins Detail: Grafik mit 15 Leuten in Hamburg, Moible-Site-Entwicklung in Berlin, 15 Mitarbeiter in UX in Erlangen… Übersetzer und Social-Media-Redakteure gebe es quer über Europa verteilt. Frankreich sei ein besonderer Schwerpunkt und daher anders aufgestellt.)

17:55

Alex: Wie ist euer Shop technisch aufgestellt?

Sven: Am Anfang gab es eine Warenwirtschaft an unserem Hauptsitz. Darauf habe ich immer wieder Dinge angedockt: Logistiksysteme, damit wir Versand anbieten können, und dann eben die Website für E-Commerce; danach kamen immer wieder verschiedene Tools. Unser Store ist ein klassischer PHP-Webshop; die App läuft auf React; die Datenbank dahinter ist SQL bzw. das Datawarehouse BigQuery. Das ist alles Eigenentwicklung mit relativ wenig Komponenten von der Stange.

Alex: Ihr habt also damals mit Versand über einen Katalog angefangen?

Sven: Das Waren Deals-Flyer! Unsere Website war gleich unser erster Katalog. Auf dem Flyer waren anfangs 400 Produkte darauf, zum Schluss waren es 2000. Wir haben ihn – „Hot deals!“ – erst letztes Jahr eingestampft.

Alex: Aber ist ein Flyer mit 2000 Produkten nicht doch ein Katalog?

Sven: Der hat nur 12 Seiten.

Alex: Wie ging das denn?

Sven: Es ging. Wobei natürlich vieles tabellarisch war und nicht alles brauchte ein Bild: Ein Kabel, fünf Längen, fünf Farben sind zusammen 20 Artikelnummern. Stammkunden, die etwa eine bestimmte Farbe wollten, kannten die Nummer auch auswendig. Wir verschickten bis zu 10 Millionen Exemplare über ganz Europa und sie wurden dann überall von Musikern in Studios mitgenommen. Jetzt sind die Zeiten vorbei.

(Alex spricht Sven auf seine Gliederung Shop-Marktplatz-Plattform an. Erstere erzielten Erlöse mit Handelsmarge und trügen das volle Warenrisiko, während Letztere von Gebühren für Dienstleistungen lebten und es überhaupt nicht mehr mit Warenrisiko zu tun hätten. Von außen, so Alex, sehe es nach Shop, also nach Handelsmodell aus: Ware ein- und wieder verkaufen und dabei das volle Warenrisiko eingehen – „E-Commerce 1.0“. Sven bejaht.)

21:50

Alex: Stellt ihr auch Produkte unter einer Eigenmarke her?

Sven: Wir haben 29 Eigenmarken in fast allen Kategorien, um das Sortiment nach unten abzurunden und Margensicherung zu betreiben. Die Umfänge werden von namenhaften Herstellern produziert – größtenteils aus Asien. Wir können ihnen die Stückzahlen bieten, um attraktiv zu sein. Dadurch, dass wir auf die Fabriken Zugriff haben, hat es sich vor rund 10 Jahren für uns angeboten, eine Massenmarkttochter zu gründen, die wir inzwischen als Joint-Venture mit einer Partnerfirma betreiben. Damit bedienen wir ALDI, Lidl & Co., aber auch Otto ist dabei gewesen.

Alex: In diesen Non-Food-Auslagen bei ALDI sieht man meistens so Gartenwerkzeuge und Krimskrams. Was verkauft ihr dort: Keyboards? Schlagzeug?

Sven: Alles. Wobei sie Schlagzeug wieder haben bleiben lassen, weil es logistisch kompliziert ist. Aber Keyboards, Mundharmonikas, Lichtequipment… Wir hatten einmal einen Deal mit 200 akustischen Klavieren – Ob das ALDI oder Lidl war, weiß ich nicht mehr so recht. Die haben jedenfalls einfach ausprobiert, ob so etwas geht.

(Danach lässt sich Alex von Sven die Kundengruppen etwas genauer durchdeklinieren: Solomusiker, die selbständig arbeiten oder Hobby-Gitarristen; Veranstaltungstechniker sowie größere Firmen; Rundfunkanstalten und Podcaster.)

26:25

Alex: Nehmen wir den Gitarristen, der auch mal im Hotel auftritt. Wie oft kommt er denn zu euch?

Sven: In der Regel mehrfach im Jahr. Der kommt ja mit nur einer Gitarre nicht klar, sondern braucht eher vier – und dazu eine Menge Geräte (Verkabelung, Audiointerface am Computer um aufzunehmen usw.). Wenn er nebenbei singt oder einen Sänger hat, dann braucht er ein Mikro. Es ist extrem selten, dass ein Gitarrist nur eine Gitarre und einen Gitarrenkoffer braucht. Zudem will er sich ab und an belohnen. Das ist wie professionelle Fotografen: Sie könnten alle Honorare dafür ausgeben, die Welt zu bereisen; vielen macht es aber mehr Spaß, sich neues Equipment zu holen – selbst wenn die Bilder dadurch nicht unbedingt besser werden.

Alex: Ich merke es an mir selber: Ich gucke auch immer wieder bei euch rein. Zudem habt ihr viele Bewertungen – auch für Spezialgeräte –, was in der Plattformökonomie ein wichtiges Gut ist. Amazon mag die Artikel listen, hat aber dafür keine Bewertungen.

Aber müsstet ihr eigentlich nicht wie Amazon zum Marktplatz werden? Denn vielleicht gibt es für unseren Gitarristen 50 mögliche Akustikgeräte, wovon es sich aber für euch vom Warenrisiko her nicht lohnt, mehr als fünf auf Lager zu haben? Ihr könntet ja so einem Hersteller wie Yamaha anbieten, euren Webshop als „Regalverlängerung“ zu benutzen…

Sven: Ganz ehrlich: Das ist zu politisch. Wie weit darf ich ausholen?

Alex: Sehr weit!

Sven: Erst einmal: Wir sind eine Rock-‘n‘-Roll-Branche. Will heißen: Keine Verträge! Man könnte es auch so sagen: Wir sind ein bisschen unprofessionell. Wenn du irgendetwas in professioneller Qualität anbieten willst, musst du es selbst machen: Die meisten Hersteller wären jetzt nicht in der Lage – sagen wir mal –, einen korrekt verpackten Versand nach Finnland zu garantieren. Deshalb übernehmen wir das volle Risiko und bauen ein Lager nach dem anderen. Selbst wenn wir etwas nur einmal im Jahr verkaufen, wollen wir es selber auf Lager haben. Wir trauen unseren Lieferanten nicht wirklich.

Der zweite Grund ist, dass wir unseren Kunden einen einheitlichen Service anbieten wollen. Und Versand nach Schweden und Spanien gleichermaßen lohnt sich nur, wenn wir Ware konsolidieren können, sprich: Der Kunde kauft verschiedene Sachen und kriegt sie in einer Box. Alles andere würde sich über mehrere Tausend Kilometer nicht lohnen.

Und dann ist, drittens, der Laden: Wenn du bei uns ein grünes Häkchen siehst, kannst du dich sofort ins Auto setzen und zu uns nach Treppendorf fahren, um es auszuprobieren.

Der vierte Punkt, der gegen einen Marktplatz-Ansatz spricht: Wir sehen nicht so viel Potenzial in der Erweiterung unseres Sortiments, weil wir bereits alles führen, was sinnvoll ist.

(Gäbe es Geräte von einem Hersteller, die sich wirklich nur alle paar Jahren – wenn überhaupt – verkauften, würde man eher mit Kommission arbeiten, als einen Marktplatz aufbauen, so Sven abschließend. Aber nur sehr wenige Produkte würden lange herumliegen und „wirklich nerven“.)

32:10

Alex: Anderer denkbarer Erlösstrom – wie etwa bei AboutYou und Zalando: Man baut einen Teil der Seite zur Werbeplattform um. „Lieber Tommy Hilfiger, wenn du deine neue Sommerkollektion besonders gut darstellen willst, kannst du so einen Banner kaufen und für die ersten fünf Produkte Ads schalten…“ Ist so etwas für euch vorstellbar? Als neue Marke – „Graf Saxofon“ – würde ich wegen eurer Marktbekanntheit bestimmt dafür zahlen wollen, bei euch in der Kategorie Saxofon hoch zu rangieren.

Sven: Wir haben ja relativ viele externe Kanäle, auf denen du Banner kaufen kannst. Auch wir selbst nutzen sie sehr gerne für unsere Eigenmarken. Auf Thomann.de gibt es so etwas zwar noch nicht. Ich denke aber, dass wir früher oder später ein wie auch immer geartetes Anzeigenprodukt anbieten werden.

Was wir nie – nie, nie! – machen werden: Ranking verkaufen. Du wirst bei uns nie ein promoted Angebot sehen, bevor du das findest, was du suchst. Wir wollen dem Kunden nicht die Auswahl seiner Ausstattung erschweren. Für dich als Podcaster ist es schon nicht so ganz einfach, aus der Distanz aus 50 möglichen Mikros das ausfindig zu machen, was für dich relevant ist. Wenn wir dir nicht das Produkt zuerst zeigen, was am häufigsten verkauft und am besten bewertet wird, machen wir es dir nicht leichter. Da hilft es uns nicht, 50 Euro von irgendeinem D-Lieferanten zu kassieren, weil du dann vielleicht gar nicht kaufst.

(Sven schildert die Gefahr anhand des versuchten Kaufes einer Nike-Jogginghose auf Amazon: Die sechs ersten Suchergebnisse waren nicht von Nike; insgesamt waren 29 Einträge auf Seite Eins nicht von Nike. Für Amazon Kunden „Kacke“, so das vernichtende Urteil von Sven. Alex stimmt zu und referiert die „PeakAmazon“-Debatte vergangenen Jahres, die genau solche Punkte aufgriff.

Anderes Thema: Warum es auf Thomann.de keine Podcast-Landing-Page gebe, so Alex. Wie viele Leute ihn schon angeschrieben hätten, was er nutze, wie er aufnehme, ob er schneide… Müsste Thomann nicht viel mehr Content spezifisch für diese mittlerweile riesige Nische anbieten? Das sei auch ein wunder Punkt, gesteht Sven ein. Daran werde aber gearbeitet.)

37:50

Alex: Zusammenfassung des Geschäftsmodells bisher: Im Wesentlichen verdient ihr über die Produktmarge Geld und Werbedienstleistungen bietet ihr ebenfalls über euer Netzwerk an. Der dritte Punkt, der mich interessieren würde: Aftersales. Ich habe kürzlich mit Joel Kaczmarek und Jochen Krisch darüber gesprochen, wie das Second-Hand-Geschäft in der Luxus-Mode an den Marken vorbei stattfindet: Sie können weder daran verdienen noch Markenpflege betreiben.

Wenn ich Sachen aus meiner Ausstattung austausche, denke ich als alter eBay-Kleinanzeigen-Fan: „Wie kann ich diesen Headset wiederverkaufen, wo der neue von Sennheiser doch so teuer war?“ Eigentlich müsste ich bei euch auf der Seite einen „Produkt wieder einstellen“-Knopf finden. So ist der Amazon-Marktplatz ja auch ursprünglich entstanden. Ist so etwas vorstellbar?

Sven: Nein. Wir haben seit immer einen Kleinanzeigen-Bereich auf unserer Website und betreiben auch separat Marktplätze für Gebrauchtwaren. Aber in unserem Sortiment auf Thomann.de möchte ich das alles – offen gestanden – nicht sehen: Allein die ganzen unverkäuflichen Deko-Artikel aus China, die wir führen müssen, sind für mich schon Schmutz: ich möchte nicht dem Kunden auch noch fünf-Jahre-alte Sachen zeigen, nur weil ein anderer sie gerade wieder loswerden will.

Das ist auch kein Geschäftsmodell für uns, weil wir die Mehrwertsteuer verlangen müssten, wenn es über uns liefe; wenn es aber den Kunden laufen sollte, können wir die Sicherheit nicht gewährleisten. Da ist es mir lieber, dass die Kunden dann einen dafür vorgesehenen Marktplatz oder unseren Kleinanzeigenbereich aufsuchen.

(Zudem gebe es wenig Kategorien, in denen Gebrauchtware gesucht werde. Viele Produkte würden nämlich so lange genutzt, dass es dann viele bessere Produkte gibt, bis sie von ihrem Besitzer aussortiert werden. Bei einigen Kategorien wie Bässe funktionierten Foren sehr gut, ergänzt Sven, weil sich Kunden dort kennten und vertrauten. In die Abwicklung mische sich Thomann aber nicht ein. Mehrfache Versuche hätten gezeigt: Das sei nicht Thomanns Bier. Marktplatz oder Plattform zu sein, nur um Marktplatz oder Plattform zu sein, bringe nichts, so Sven weiter, bevor er wieder auf seinen versuchten Hosenkauf bei Amazon zu sprechen kommt.)

45:15

Alex: Müsst ihr nicht aufpassen, dass ihr auch in Einstiegssegmenten konkurrenzfähig bleibt, damit die kleinen Hobbymusiker nicht anfangen, ihren Bedarf bei Amazon zu decken?

Sven: Absolut. Wir haben allerdings ein gutes Verhältnis zu Amazon und sind auch ein großer Amazon-Pay-Kunde. Der Support von Amazon ist großartig. Zwar sind wir mit ihnen im Wettbewerbsverhältnis, aber der Wettbewerb ist fair. Klar ist: Wir versuchen, unsere Marktanteile zu behalten und Amazon versucht, uns mit allen Mitteln daraus zu verdrängen – sowie sie es mit anderen Branchen geschafft haben. Aber es läuft alles gesittet ab.

Mittlerweile werden viele Einsteiger-Musikinstrumente über Amazon verkauft. Das kriegen wir über paar Ecken mit, aber die Mengen sind derzeit klein und es handelt sich um einen kleinen Bruchteil unseres Sortiments. Die Kunden sind erwachsen und mündig. Wenn wir nicht gut genug sind, dann kaufen sie woanders: Wenn Amazon besser ist, kaufen sie dort.

Alex: Warum kaufen sie denn bei euch? Was ist aus deiner Sicht euer USP? Produktauswahl, Such- und Filterkompetenz, Bewertungen, Preise…?

Sven: Es ist schwer, einen USP zu nennen. Viel machen unsere Eigenmarken aus, weil viele Produkte bei uns einfach konkurrenzlos günstig sind. Unsere schnelle und zuverlässige Lieferung ist auch ausschlaggebend. Und unser Service, wenn etwas schiefläuft, ist entscheidend: Es ist immer jemand für dich erreichbar und alles wird möglichst kulant gelöst. Gegenüber Amazon kommt dann die Breit und Tiefe unseres Sortiments zum Tragen – sowie die Inhalte und die Bewertungen.

48:40

Alex: ist für euch nicht verlockend, in angrenzende Bereiche einzudringen? Ich meine, mit eurer Reichweite könntet ihr bestimmt eine bundesweite Kette an von Thomann ausgestatteten Studios für Podcaster und Musiker auslasten.

Sven: Wir wollen beim Handel bleiben. Wir erweitern unser Sortiment, soweit es sich noch lohnt. Wir machen aber kein Geld mit Ratenkauf, Finanzierung, oder Versicherung; mit Anzeigen verdienen wir nur extern in begrenztem Umfang Geld. Unser Kerngeschäft hat für uns nach wie vor Priorität. Damit sind wir auch immer gut gefahren und wir stehen jetzt nicht unter Druck: Wir haben weder Aktienbesitzer noch Investoren und müssen uns nicht jedes Jahr übertrumpfen. Wir brauchen nur so viel Geld, wie unser eigenes Wachstum frisst – und damit sind wir alle glücklich.

(So eine Einstellung sei selten geworden, kommentiert Alex, bevor es zum Ende hin um die Zukunftsaussichten für diesen Weg geht: Ob der Audiomarkt noch insgesamt wachse? Und ob in dieser fragmentierte Bereich Konsolidierung passiert sei – oder noch anstehe – weil es stationäre Musikhändler immer schwerer haben? Sven erklärt, dass der Markt wächst – und warum. Zum Thema Konsolidierung: Der nächstgroße Wettbewerber zum Beinahe-Milliarden-Händler Thomann mache 100 Millionen und danach gehe es steil bergab. Es folgt ein kurzer Ausflug zum US-Markt, bevor Alex zum Schluss die Fäden des Gespräches zusammenbindet – und Sven Gelegenheit gibt, auf offene Stellen aufmerksam zu machen.)

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