Heinemann: Anker Bewertung, Thrasio Klone, VC Trends, Nachhaltigkeit & Agile Irony

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Florian Heinemann ist DER Kassenzone.de Podcast Stammgast. Er kommentiert monatlich die Entwicklungen am Markt und bespricht mit mir auch die Podgastgäste von Kassenzone. In dieser Folge geht es unter anderem um den Börsengang von Anker die Flut der Thrasio Klone und die Entwicklungen im Berliner VC Markt. So ganz nebenbei erläutern wir auch, wo es den besten Rum der Welt gibt, warum CrossEngage & GPredictive zusammen gehen, was an Agile Irony so lustig ist. Außerdem gibt es ein neues Format auf Twitter in dem wir neue, junge Geschäftsmodelle besprechen. Schaut mal rein.

Kassenzone-Spezial mit Florian Heinemann, Kassenzone-Stammgast von Project A Ventures

Seit Jahresanfang ist Florian Heinemann von Project-A-Ventures bei Alex „unter Vertrag“ – als Kassenzone-Kommentator, der monatlich mit Alex das Marktgeschehen generell und die Auftritte der Podcastgäste insbesondere aus seiner Sicht als Investor bewertet. In diesem dritten Heinemann-Spezial geht es um den Börsengang von Anker, das Konzept von Thrasio und die Entwicklungen im Berliner VC-Markt. Auch dran: Die Fusion von CrossEngage und GPredictive, „Agile Irony“ und der beste Rum der Welt…

„Wie oft haben wir die Position eines Amazon-Merchants analysiert? Die wird nicht besser.“

3:00

Alex: Im sehr von mir geschätzten „Doppelgänger“-Podcast trinken sie immer Wein. Aber Wein finde ich total langweilig, weshalb ich mir was Besseres überlegt habe: Florian, weißt du denn, wo der beste Rum der Welt herkommt?

Florian: Aus Jamaika vielleicht?

Alex: Nee, aus Schuby hier in Schleswig-Holstein: „Project One“ von Old Man Spirits. Sie gewinnen reihenweise Blind-Verkostungen und Auszeichnungen weltweit, sind zehn-, zwanzigfach prämiert. Da gönne ich mir gleich eines von – und vielleicht kann ich die Leute dort überzeugen, uns einen eigenen Blend für den Podcast zu mischen…

Florian: Muss ich das denn auch trinken?!

Alex: Komm, bist du beim Italiener nicht bei der Flasche Grappa mit dabei…?

Florian: Ehrlicherweise trinke ich nicht viel. Ich befürchte, hiernach könnten meine geistigen Fähigkeiten dramatisch abnehmen…

(Es wird eingeschenkt und die thematischen Gebiete des zu folgenden Podcasts abgesteckt.)

5:35

Alex: Heute wurde bekannt: CrossEngage und GPredictive fusionieren.

Florian: Wird dich freuen: GPredictive sind aus Hamburg.

Alex: Noch besser: Aus Kiel!

Florian: Aber Unternehmenssitz ist Hamburg. Jedenfalls kommen sie aus Norddeutschland! CrossEngage ist – genau wie Spryker auch – eine Firma aus unserem ersten Fond bei Project A. Sie betreiben eine customer data platform (CDP), die Unternehmen in die Lage versetzt, Kampagnen orchestriert über mehrere Kanäle auszuspielen. GPredictive versucht, Werbetreibenden künstliche Intelligenz einfach verfügbar zu machen, damit sie etwa den Kundenlebenszyklus vorhersagen können. Denn gerade solche Information sind oft für die Aussteuerung von Kampagnen entscheidend. Wenn der Kunde nämlich kurz davor ist, abzuspringen, ist es eben oft geboten, ihm was anzubieten. Daher ist der Zusammenschluss produktseitig eine sehr schöne Kombination. Hing doch das Produkt von CrossEngage bislang stark von der Intelligenz des Nutzers ab. Und bei GPredictive musste das Produkt Tool-seitig mit mehr Intelligenz versehen werden. Zudem hatten die beiden Firmen sowieso einige gemeinsame Kunden. Und da man mittlerweile eine gewisse Größenordnung einfach braucht, ergab der Zusammenschluss eben sehr viel Sinn.

Dazu haben wir beide Bestandsinvestoren – also wir bei Project A sowie Vorwerk und einige andere; für GPredictive die Target Partners aus München – ordentlich Geld in die Hand genommen. Wir schauen auch optimistisch in die Zukunft, da first-party data langfristig wichtig bleiben wird – zumal in Zeiten, in denen es wegen Datenschutzregelungen und der Einstellungen der Browser immer schwieriger wird, Anzeigen Cookie-basiert auszusteuern. Wir glauben also, dass beide Produkte recht gut im Trend liegen.

8:50

Alex: Anderes Thema – da bin ich im Netz fündig geworden: Weißt du eigentlich, wofür das Wort „agil“ in agile software development steht? Also: Woher „agil“ eigentlich kommt und was es eigentlich bedeutet?

Florian: Wenn du so fragst, werde ich es wahrscheinlich nicht wissen. „Flexbilität“?

Alex: Das ist deswegen lustig, weil Deloitte – Übrigens ein ganz tolles Unternehmen! – die Agile Landscape v.3 rausbrachte. Mir ist das letztens zugespielt worden. Das ist so eine Infografik im bekannten „U-Bahn-Karte-Format“, wie es das schon öfter gegeben hat – und es führt das Agile Manifesto wirklich ad absurdem. Da taumeln sich Hunderte Fachbegriffe rund um Agilität… Ich lese mal eine „U-Bahn-Strecke“ vor: Wir fahren auf der Linie „Large entersprise-scale scrum“ – Abkürzung LESS, ist klar – und los geht es an der Haltestelle „Organised by customer value“. Erster Halt: „Top down + Bottom up“. Nächster Halt: „Feature team adoption map“ – Achtung! Teilung in zwei Zugteile jeweils über „Multi-team design workshop“ beziehungsweise „Area Product Owner“… Ja, die großen Beratungen haben es auch bei Agile geschafft, das ganze Konzept auf den Kopf zu stellen…

Florian: Ich glaub‘, ich brauch‘ noch einen Schluck Rum!

(So hat Alex den Florian doch noch weichgeklöppelt. Während der güldne Nektar fließt, stellt Alex ein neues Format vor: Den Twitter-Pitch. Start-ups, die sich bei ihm auf Twitter melden und sich zu ihrem Geschäftsmodell ausfragen lassen, bekommen im Podcast dazu Feedback. Der erste: Sneaker-Reseller Kopensneakers, der Restpostenware über Auftritte auf einschlägige Marktplätze wiederverkauft. Alex‘ Frage an Florian: Wie soll ein eher opportunistischer Händler wie Kopensneakers wachsen? SEO sei ja heutzutage zu kostenintensiv. Wie es denn mit paar Influencern wäre, fragt Florian – flankiert von einem Newsletter? Auch Zuhörer seien herzlich eingeladen, sich auf den Twitter-Post mit Ideen zu melden, sagt Alex, damit die „Weisheit der Masse“ zum Zuge komme.)

13:40

Alex: VC-Trends: Florian, täglich landen ja Tausend Business-Plänen bei dir in der E-Mail-Inbox. In wie vielen davon geht es noch um Elektroroller? Oder haben im Zeichen der Corona-Krise Klopapierkonzepte gerade Oberwasser…?

Florian: Digitale Gesundheit liegt weiterhin im Trend. Regulatorisch ist auch einiges passiert: Telemedizin ist in Deutschland nicht nur zugelassen, sondern auch deutlich begünstigt worden. Und weil sich das Kundenverhalten in diese Richtung entwickelt, passiert hier gerade eine Menge. Also gibt es viele Investitionen in Digital Health und in Konzepte, die Daten intelligenter nutzen wollen, um Krankheiten besser zu verstehen.

Zudem sieht man nach wie vor vieles an der Schnittstelle von Industrie mit Digital. Unternehmen, die an der Digitalisierung von industriellen Wertschöpfungsketten arbeiten, haben auch eine gute Chance, Geld zu bekommen.

Und das, was ich gerade wahrnehme – und für ziemlich schlau halte – sind Investitionen rund ums Thema Nachhaltigkeit im Gebäudebereich. Das ist zwar wegen Corona in den Hintergrund gerückt, aber die EU hat unter Leitung von Ursula von der Leyen ein riesiges Paket rund um Energieeffizienz geschnürt: Da wird also eine Menge passieren in dem Bereich – und es gibt viele Start-ups, die sich da an verschiedensten Stellen gerade positionieren.

Darüber hinaus gibt es einen Bereich, der zwar keineswegs neu ist, bislang aber von vielen Wagniskapitalgebern – uns inklusive – eher links liegen gelassen worden ist: E-Sports.

(Es gebe auch einen in diesem Bereich spezialisierten Fond namens Bitkraft, führt Florian aus. Project A schaue sich gerade Gaming und E-Sports und werde da perspektivisch aktiv werden. Alex hält interessiert fest, dass Regierungsprogramme in bestimmten Themenfeldern durchaus zu höheren Deal-Flows führen. Florian bestätigt das: Gesamtgesellschaftlicher Rückenwind für das Thema eines Start-ups erhöhe stark dessen Wahrscheinlichkeit, Geld zu bekommen. Es sei auch gut, dass die Politik da lenkend tätig werden könne. Es dürfe nur bei der Gebäudeeffizienz sich nicht die leidige Solar-Geschichte wiederholen, wo ein ausgebauter Vorsprung wieder aufgegeben wurde. Es gebe auch eine „gewisse Renaissance“ für B2C-E-Commerce-Konzepte, so Florian. Er stehe allerdings deren langfristigen Aussichten gegenüber nach wie vor kritisch gegenüber. Der Versuch, das nächste AboutYou aufzubauen, sei durch Covid mitnichten erfolgsversprechender geworden.)

20:00

Alex: Ich bekomme sehr oft die Frage, ob ich nicht einen Angel/VC zu Thema XY kennte und ob ich nicht mal einen Kontakt vermitteln könnte. So hier zum Beispiel von einem Basti, der Feedback zu einem Food-Thema haben möchte. Das ist auch ganz spannend. Es geht um Beträge im fünf-bis-sechsstelligen Bereich. An wen sollte ich so etwas weiterleiten?

Florian: Ich versuche grundsätzlich alles, was ich reinbekomme, passend weiterzuleiten, wenn es nicht direkt für mich relevant ist. Food-bezogene Sachen würde ich an Christoph Maire, einen Angel und Investor in dem Bereich, der mit Atlantic Food Labs auch kleinere Investitionen tätigt. Ansonsten kann ich nur jedem raten, nachzulesen, wer die bekannten Investoren in seinem jeweiligen Vertical und seinem geographischen Gebiet sind. Es ist kein so großes Problem, relevant Ansprechpartner zu identifizieren. Schlimmstenfalls muss man für rund 150$ bei Crunchbase ein Premium-Konto holen.

22:20

Alex: Jetzt zum Anker-Börsengang! Der Spezialist für Powerbänke, Ladegeräte & Co. dürfte den meisten Hörern bekannt sein. Auch ich bin einer der vielen treuen Kunden des Unternehmens: gegründet 2011; liefert mittlerweile in über 100 Ländern; 2019 über 900 Millionen Dollar Umsatz. Jetzt sind sie in China an die Börse gegangen und haben eine Bewertung von sage und schreibe 8 – acht – Milliarden Dollar erreicht! Zynische Kommentare in einschlägigen Blogs sprechen von einer Blase. Ein Unternehmen, das vollkommen abhängig von einem einzigen Vertriebskanal ist – und das in einer Produktkategorie, in der man sich nicht großartig differenzieren kann…

Florian: Auch ich dachte: „Wahnsinn!“ Man muss festhalten, dass sie tatsächlich relativ viele Patente haben. Das sind auch gute Produkte – Die Powerbänke sind schon besser als der Durchschnitt. Dito die superschnellen Ladegeräte. Zudem betreiben sie bei Anker ernsthafte Forschung und Entwicklung. Und dennoch muss man sich fragen, ob diese Bewertung auch gerechtfertigt ist. Sie wachsen schon noch – aber nicht um mehrere 100% pro Jahr. Und so gut die Produkte sind, ist schon die Frage gerechtfertigt, wie einzigartig sie wirklich sind. Herausragende Luxusmarkenpositionierung à la LVMH, Apple ist da auch nicht zu erkennen. Insofern: Ja, das hat mich sehr gewundert. Was für eine EBIT-Marge kann man da erzielen? Relevant über 15%? Glaube ich nicht. Und einen besonderen strategischen Wert kann ich da auch nicht sehen – wie es etwa bei Demandware als Türöffner für Salesforce der Fall war.

Zudem kommt immer noch der Löwenanteil des Umsatzes über Amazon. Und wie oft haben wir die Position eines einzelnen Amazon-Merchants analysiert? Die wird nicht besser – und Amazon ist in der Vergangenheit mehrmals nicht gerade rücksichtsvoll mit Verkäufern auf seiner Plattform umgegangen… Gegen das Blasen-Urteil kann ich also kein ernsthaftes Argument finden.

(Alex zweifelt zudem die Bedeutung der rund tausend Patente an, die Anker angibt. Selbst ein „sterbendes“ Unternehmen wie Toshiba, das nun unter die Milliardenmarke gerutscht ist, meldet bis zu 2.000 Patente an – pro Jahr. Außerdem gingen gerade in China massenweise Unternehmen an die Börsen in Shanghai und Shenzhen: Das sei wie ein „Goldrausch“. Dazu komme, dass sich langfristig keine Nische sicher auf Amazon behaupten lasse. Florian unterstreicht in dem Kontext, wie Amazon unmittelbar durch Provision und mittelbar über „freiwillige“ Zusatzausgaben für Media oder Fulfilment by Amazon einen immer größeren Anteil des Verkaufserlöses einheimse. Vernichtend zum Abschluss merkt Alex an, dass Anker trotz herausgegebener Losung „Direktvertrieb“ noch keinen eigenen Weg an die Kunden gefunden habe. Florian stimmt ein: Das spreche nicht gerade für Markenstärke – und trinkt sein Glas auf Anker leer, um dem Unternehmen viel Glück zu wünschen.)

32:15

Alex: Thema Amazon: In den letzten Wochen geistert der Name Thrasio – wie spricht man das denn aus? „Träschio“?

Florian: „Thriesio“ habe ich mir sagen lassen.

Alex: Jedenfalls ein Unternehmen mit perfekter Gründerstory: Paar Leute aus den USA, die Amazon-Marken aufkaufen. Sie gehen zu Firmen, die in ihren Nischen die bestegerankten Produkte haben, geben ihnen den zwei-dreifachen Jahresumsatz und bauen die Produkte dann in ihre eigene Vermarktungsmaschinerie ein.

Dafür haben sie ganz viel Geld bekommen und sind damit das Unternehmen geworden, dass bislang am schnellsten zum Unicorn aufgestiegen ist. Angeblich haben sie um die 50 Marken und sind schon profitabel. Erste Einschätzung von mir: Ich rieche Lunte! Overselling. Dann gibt es schon die zahlreichen Klone…

Florian: Also:Wwir haben rund sechs Investments in Private-Equity-Bereich getätigt und dort gibt es häufig so eine buy-and-build-Strategie, wie Thrasio sie fährt: Ich nehme ein Unternehmen als Kern und darum gruppiere ich viele andere, um mein organisches Wachstum (das ich ja idealerweise habe) um anorganisches Wachstum zu ergänzen. Das ist ein Versuch, schneller auf eine gewisse Flughöhe zu kommen – und ist letztendlich eine Arbitrage, weil man günstig Gewinn oder Umsatz einkauft und in die eigene, bessere Infrastruktur steckt. Im besten Fall ergeben sich daraus Synergien und als größeres Unternehmen generiert man aus diesen Zukäufen Wert. Die Grundlogik ist also durchaus zutreffend.

Das ist aber aus meiner Sicht eher ein Fall für Private-Equity. Das ist ja vielmehr eine EBIT-Spiel als die Jagd nach exponentiellem Wachstum – mit entsprechenden Investitionsaussichten. Insofern kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum da eher VCs investiert haben. Sind wir Wagniskapitalgeber doch auf Hit-Businesses angewiesen. Und aus meiner Sicht ist Thrasio kein Hit. Nichtsdestotrotz funktioniert grundsätzlich die Logik, Marken auf eine professionelle Struktur zu ziehen – so in etwa, wie KW Commerce das macht.

(Florian erläutert, wie der erfolgreiche deutsche Amazon-Multimarkenhändler KW Commerce vorgeht. Und wenn die Leute von KW Commerce im vertraulichen Gespräch erzählen, wie schwierig es sei, bei Amazon vorne zu bleiben und profitabel zu sein, dann dürfe man die astronomische Bewertung für ein Modell wie Thracio ruhig in Frage stellen. Dazu komme auch hier – wie im Falle Anker – die Unwägbarkeiten von Amazon als Ökosystem.

Alex kann sich vorstellen, dass Thracio mit effizienten Strukturen aus den zugekauften Marken mehr Rendite rausholen kann – aber nur auf den Heimatmarkt USA begrenzt, weil sonst Marketing und Logistik pro Land zu teuer wären. Das wisse er aus seinen Erfahrungen im Aufbau von Europas größter Amazon-Agentur Factor-A, das später an Dept verkauft wurde. Aus seiner Sicht sei Thracio das Ergebnis vom zunehmenden Zwang zur Professionalisierung auf dem Amazon Marketplace gekloppelt mit dem vielen billigem Geld, das gerade im Umlauf ist. Florian ist derselben Meinung: Ein Blick auf Crunchbase zeige, das Thracio mit viel PE-Fremdkapital unterwegs sei. Da die Wachstumsaussichten begrenzt seien, seien weder Thracio noch die derzeit zahlreich am Markt vertretenen Nachmachen davon für VCs interessant. Florian unterstreicht: Wenn Project A Geld gebe, dann für den Aufbau von neuer Technologie innerhalb eines Unternehmens oder den Ausbau von neuen Märkten – nicht, damit es weitergereicht wird an Leute, die bestehende Assets verkaufen. Das sei nicht per se schlecht, aber nicht das, wofür sich Wagniskapitalgeber erwärmen sollten.)

47:50

Alex: Angenommen, wir beide hätten jetzt Zeit, Kohle und keinen Bock mehr auf Luxusjachts und Golfhotels: Wäre es für uns eine sinnvolle Beschäftigung, mit unserem Zugang zum Kapitalmarkt und unserem guten Netzwerk Amazon-Marken in Deutschland aufzukaufen?

Florian: Ich glaube, dass das grundsätzlich funktionieren kann – siehe KW Commerce. Die Frage ist, ob das zum jetzigen Zeitpunkt unser beinahe unendlich fließendes Geld sinnvoll anzulegen.

Alex: „Unendlich fließend…“

Florian: Das würde ich vermutlich verneinen. Warum? Weil wir den großen unkontrollierbaren Faktor Amazon haben. Bei Project A versuchen wir jedenfalls immer Geschäften zu vermeiden, wo man einen starken, potenziell irrational agierenden Einfluss hat, der ein komplettes Business zerlegen kann. Noch einmal: Amazon hat in der Vergangenheit nicht gerade vorbildlich gezeigt, wie hoch das Wohlbefinden seiner Händler auf der Agenda rangiert. Begebe ich mich in so ein Umfeld? Nein. Bei unseren besten Geschäften spielten die Makrotrends in unsere Richtung. Das scheint mir hier nicht der Fall zu sein.

Alex: Also sollten wir unser Geld vielleicht eher in die nächste Cloud-Daten-Plattform stecken, die mit einem Faktor von 300-bis-500 an der Börse gehandelt wird…? Aber heute wollen wir nicht über Snowflake reden.

Florian: Da scheint mir aber auf jeden Fall der Rückenwind zu wehen. Und deswegen würde ich an deiner Stelle die Millionen, die du mit dem Verkauf von Factor-A gemacht hast, nicht in den Aufkauf von Amazon-Marken investieren.

Alex: Ja, das würde gehen, aber es wäre sehr anstrengend, wenn man damit eine überproportionale Rendite einfahren wollte.

Florian: Und genau das ist oft das Missverständnis, wenn sich die Leute an VCs wie mich wenden. Die Frage ist ja nicht, ob das, was sie machen, grundsätzlich gut oder schlecht ist, ob es funktioniert oder nicht. Die relevante Frage für uns lautet eher: Ist das eine der acht bis zehn besten Investitionschancen, die sich uns in diesem Jahr auftun? Das ist die Maßgabe. Nicht: „Ist das Investment gut?“ Sondern: „Ist das Investment eins der besten zehn Investments?“

(Alex leitet das Gespräch in Richtung „Peak Amazon“, den letztens Florian ausgerufen habe. Florian: „Das warst doch du! Solche weitreichenden Aussagen können nicht von mir kommen!“ Alex schildert seine Argumentation: Amazon habe zunehmend Schwierigkeiten, seinen Plattform frei von Fake-Ware zu halten und seinen gigantischen Bestand schlüssig zu präsentieren. In einigen Verticals wüchsen mittlerweile Category-Killer wie Zalando, Thomann oder ManoMano schneller.)

52:50

Alex: Kommt Amazon so langsam an seinen Limit?

Florian: Corona hat Amazon wahnsinnig geholfen – nicht nur im Börsenkurs, sondern auch in puncto Wachstum…

Alex: … War aber Corona nicht das für Amazon, was die Wende für die Otto-Group war?

Florian: Du meinst: 17 Millionen neue Konsumenten, die plötzlich mit D-Mark ausgestattet waren?

Alex: Genau: Mit D-Mark – aber noch ohne Waschmaschine!

Florian: Klar, das weißt du alles. Bist ja doch im Osten geboren.

Alex: „Wir hatten nix! Zu arm für den Dreck unter den Fingernägeln!“

Florian: Die Grundsatzfrage ist jedenfalls folgende – und die haben wir heute schon angeschnitten: Bis Amazon kam, herrschte die Vorstellung, man müsse seine Kunden und Lieferanten partnerschaftlich behandeln, um mittelfristig erfolgreich sein zu können. Nun verhält sich Amazon dem Endkunden gegenüber sehr kundenorientiert: Der Kunde ist der klare Nordstern.

Am Rande: In einigen Kategorien ist Amazon aber mittlerweile überfordert, wenn es darum geht, dem Kunden wirklich das beste Produkt auszuspielen. Die Balance aus China-Ware und Amazon Sponsored Products einerseits und qualitativ guten Produkten andererseits ist aus dem Gleichgewicht gekommen.

Entscheidend ist aber: Mit seinen Merchants verhält sich Amazon alles andere als kooperativ. Jeder, der bei Amazon Produkte anbietet, kann davon berichten, wie man keine vernünftige Betreuung bekommt und aufgrund vermeintlicher Fehler in Sekundenschnelle rausfliegt. Ansprechpartner, um Probleme zu klären? Fehlanzeige! Das gilt übrigens nicht nur für irgendwelche kleine Verkäufer, sondern auch für größere Marken. Zum Beispiel werden sie gedrängt, nicht mehr als Seller mit eigener Preishoheit zu verkaufen, sondern direkt an Amazon als Vendor zu liefern.

Ist das ein nachhaltiges Verhalten?

So viel steht fest: Starke Marken sind in der Amazon-Welt nicht vorgesehen. Bei Amazon ist ja eher die Produktbewertung die Maßgabe für ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Das setzt aber voraus, dass diese Bewertungen gut funktionieren – was sie nicht immer tun, weil sie oft manipuliert werden.

Lässt also Amazon nicht viel Raum in Nischen für andere Spieler, die ein besseres Erlebnis anbieten?

Das ist letztlich deine These – und ich würde sie unterstützen. Gerade beratungsintensive Nischen und der B2B-Bereich – oder emotionaler Themen wie Mode – können von anderen besser bedient werden. Und gerade deswegen, weil Amazon auch noch dazu die Partner schlecht behandelt, die in diesen Nischen Produkte stellen sollen. Da versuchen AboutYou und Zalando einen anderen Ansatz.

(Gleichzeitig zwinge Amazon Konkurrenten wie AboutYou und Zalando dazu, einen hohen Aufwand zu betreiben, um ebenbürtige Preise und Leistungen wie same-day-delivery anzubieten. Amazon definiere nach wie vor die immer höher werdenden Standards und schmälere dadurch die Kapitaleffizienz, wenn Wettbewerber finanziert werden sollen. Aber grundsätzlich könne es bei all den Kategorien, in denen Amazon unterwegs sei – und bei all den Eigenmarken – zu einer Art imperial overstretch kommen. In einer zunehmend abenteuerlichen Analogie zur Geschichte des Fall des römischen Reiches werden die Chancen für Amazon, weiterhin den Handel zu dominieren, erörtert. Die beiden kommen zum Schluss: Peak Amazon sei – vor allem in dem, was Wachstum angeht – noch nicht erreicht; die These aber, das neben Amazon keiner eine Chance habe, dürfe als widerlegt gelten. Florian gibt zusätzlich zu bedenken, dass AWS astronomische Einnahmen generiere und dem Konzern es erlauben, Fehlinvestitionen zu tätigen und Margenschwäche auszugleichen. Und: Ob Jeff Bezos einen ähnlich guten Nachfolger finden werde, wie Steve Jobs es mit Tim Cook getan hat?)

1:03:15

Alex: Die letzte Hoffnung des kleinen Händlers – und die letzte Frage dieser Folge: Corona und Klimawandel führen uns die Bedeutung von Nachhaltigkeit vor Augen. Ergibt es Sinn, wieder über E-Commerce-Modelle nachzudenken, die Nachhaltigkeit zum Markenkern machen?

Florian: Da verweise ich auf die schon einzusehenden Börsenunterlagen der Firma Wish. Sie haben, glaube ich, letztes Jahr schon rund 15 Milliarden GMV gemacht…

Alex: Echt? Ich dachte eher im einstelligen Milliardenbereich. Prüfen wir vor der nächsten Folge.

Florian: Das wäre jedenfalls mehr als AboutYou und Zalando zusammen. Und dann kommen noch andere ähnliche Konzepte wie Joom und Shine, wobei chinesische Produkte direkt in die westliche Welt verkauft werden; AliExpress entwickelt sich auch ähnlich. Das sind die am stärksten wachsenden E-Commerce-Konzepte der letzten fünf Jahre. Und das sind eher Konzepte, die das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit sind.

(Billige Preise – aber keine Zertifikate, möglicherweise Schadstoffe usw. Damit erschlössen diese Händler eine neue Zielgruppe für E-Commerce: Einkommensschwache in den westlichen Ländern. Denn man vergesse gern, dass Amazon, AboutYou und Zalando eher für die Mittel- und Oberschicht da seien. In den vergangen fünf Jahren, konstatiert Florian, habe sich kein Konzept mit Nachhaltigkeit als vordergründiges Kaufargument fulminant entwickelt. Nachhaltigkeit allein erzeuge Studien zufolge eben keine Preis-Prämie beim Konsument. Florian würde sich das zwar anders wünschen. Es sei aber nüchtern besehen so. Alex fasst abschließend zusammen: „Nachhaltigkeit im E-Commerce muss man sich leisten wollen – frei nach dem Motto: Rettet den Wald! Esst mehr Spechte!“

Mehr Rum wird nicht ausgeschenkt.)

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