Warum wächst TEMU so schnell in den USA und in Europa? Ist es nur das nächste WISH? Kann man wirklich Schuhe für 2,66 $ aus China in Deutschland anbieten? Wer zahlt eigentlich für die ganze Logistik. Wir schauen hinter die Kulissen von TEMU und sind dank der guten Vorbereitung des monthly Heinemann Analysten besser vorbereitet als jemals zuvor. Flobo hilft uns mit seiner China Expertise den Markt besser zu verstehen und leitet gut her wie die Lage dort aus Herstellersicht ist. Fazit: TEMU ist gekommen, um zu bleiben.
Im ihm zur Ehre getauften „Monthly Heinemann“ ordnet Florian Heinemann von Project-A-Ventures in (ebenfalls dem Namen entsprechend) lose monatlichen Abständen das generelle Marktgeschehen und die Aussichten für einzelne E-Commerce- und Tech-Werte ein. Dabei spricht Florian mit Alex immer aus seiner fachmännischen Sicht als Investor (Achtung: keine Anlageberatung!). In dieser Folge lassen sich die beiden einmal wieder in Sachen Schnellmode beraten: Nachdem sie Dezember 2022 das damals noch neue Phänomen Shein mit Teo Pham und Stefan Wenzel auf den Grund gingen, sehen sie sich in dieser Folge mit Fernost-Produktentwicklungs-Experte Florian „Flobo“ Berger von Donkey Products den ähnlich auftretenden Anbieter Temu näher an.
01:10 Die Firma von Flobo lässt unter anderem für große Marken wie BMW oder Karls Erdbeerhof Lifestyle-Produkte vorwiegend in Asien herstellen, nach Europa bringen und zertifizieren. Donkey Products verkauft auch unter der eigenen Marke – Zu einer gewissen Bekanntheit haben es ihre Holzlaptop-Kreidetafel sowie die einfarbige Winkekatze gebracht. Kein geeigneterer Gesprächspartner also, um Florian und Alex Antwort auf ihre Frage zu geben, wie Temu es bloß schafft, in Fernost produzierte Schuhe oder Rucksäcke für $2 in USA oder Europa anzubieten!
Flobo gibt schnell Entwarnung: Das sind Lockvogelangebote. Kein Hexenwerk, kein geheimnisvolles Geschäftsmodell, das man noch nicht verstanden hat. Temu macht gerade in Europa ein „Eröffnungsangebot“: Sportschuhe mit einem angeblichen UVP von 36,99€ für 2,23€. Alex lässt sich von Flobo Material-, Produktions- und Transportkosten durchrechnen. Er kommt Pi mal Daumen zum Ergebnis, dass die Schuhe nicht unter 8 $/€ ab Werk zu haben sein können. Selbst dadurch, dass das manufacturer-to-consumer-Konzept von Temu die Handelsstufen zwischen Fabrik und Konsumenten ausspart, ergibt sich also hier ein satter Verlust.
10:10 Müssen Zalando, AboutYou & Co. vor so aggressiver Konkurrenz Angst haben, Florian? Temu sei „schon eine relevante Bedrohung“ – vor allem im unteren Preissegment. Und selbst wenn diese Tochterfirma von Pinduoduo kein langfristiges Geschäftsmodell haben sollte, könnten allein schon die enormen Investitionssummen, die sie im Versuch, westliche Märkte zu erobern, aufzuwenden bereit ist, erheblichen Preisdruck ausüben und das Konsumverhalten ändern. Horrorszenario: Der Wettbewerb wird durch die Markteintritte der Direktversender aus Asien dauerhaft unprofitabler.
14:50 Wie sind eigentlich die Logistikkosten? Im Container von Fernost nach Deutschland kostet der einzelne Schuhkarton kaum 0,50 €, rechnet Flobo vor. Wo es interessant wird: die letzte Meile. Bekommt der Kunde das Paket direkt aus China oder von einem Zwischenlager? Durch Untergrenzen fallen in USA und Europa im Übrigen für billige Warensendungen kaum Zölle an. Ergebnis: Selbst nach Ende der stark subventionierten „Eröffnungsangebote“ wird Temu Sportschuhe für 15,00 € anstatt 40,00 € anbieten können. Dieser Schuh wird übrigens keine schlechtere Qualität haben, als einer mit einem dreistelligen Preisschild von Adidas oder Nike. Die produzierende Fabriken sind dieselben. „Das einzige was fehlt,“ so Flobo, „ist die Marke“.
18:00 Es wird gerade gemutmaßt, Zalando könnte AboutYou übernehmen wollen. Wäre es aber nicht sinnvoller, sich nach einem Zukauf umzusehen, mit dem man es Temu gleichtun und die Wertschöpfungskette weiter hinaufgehen kann? „Beides wahrscheinlich,“ so Florian. Konsolidierung im europäischen Markt einerseits ergebe zu den derzeitigen günstigen Börsenkursen Sinn – und AboutYou mache einiges besser als Zalando. Sollte sich andererseits das Modell Direktimporte dauerhaft verfestigten, so wäre hier eine strategische Übernahme eine Möglichkeit, sich für das neue Marktumfeld zu wappnen. Risiko dabei: die eigene Kundschaft mit einer Billigtochter zu kannibalisieren.
24:45 Ob billig auf Temu oder teurer auf Zalando: Die Ware, macht Flobo noch einmal deutlich, komme sowieso alles aus China – auch die höherwertigen Sachen. „Wir haben eine wahnsinnige Abhängigkeit von dem Land!“ Selbst wenn man in Europa wieder produzieren wollte, fehlte mittlerweile schon das Know-How.
Alex dekliniert drei Phasen des China-Handels durch: 1. Made in China: Herstellung dort, Verkauf und Vermarktung hier. 2. Sold by China: Herstellung und – durch Alibaba und Amazon Marketplace – Verkauf dort 3. Marketed by China: Nun passieren auf Temu und Shein alle drei Schritte in China.
27:40 Auch Plattformen wie Zalando haben durch ihre Marktplatz- und Eigenmarkenansätze immer weitere Teile der Wertschöpfungskette nach Asien verlagert, so Alex. Florian macht einen entscheidenden Unterschied in der Produktlogik von Shein und Temu aus: Sie legen keine starre Kollektionen auf, sondern testen fortwährend Kleinstmengen Kleidungsstücke und lassen datengetrieben nur das, was sich gut verkauft, in größerer Auflage produzieren. Neben Aussparung von Handelsstufen sei das der Sinn hinter dem direkten Gang zum Hersteller. „Es hält ja jetzt niemand Zalando davon ab, das auch zu tun!“ Shein und Temu hätten hier hürdensenkende Pionierarbeit geleistet.
35:45 Was ist denn der Unterschied zwischen Shein und Temu? Shein ist vorwiegend vertikal integriert, währende Temu mit den Händlern von der in China sehr erfolgreichen Plattform Pinduoduo zusammenarbeitet. Temu hat also weniger Warenrisiko. Shein hat einen direkten Zugang zu rund 3.000 Fabriken – von den vermutlich Zehntausenden, die in China Mode produzieren, so Flobo, der von seinen schwindelerregenden Erlebnissen auf XXL-Produktmessen in Fernost berichtet: „Wir laufen 25-30 Kilometer am Tag.“ Und diese Produzenten wollten selbstverständlich gern direkt an den Konsumenten im Westen.
42:50 Erste Schritte machte hier Alibaba mit AliExpress – vor einiger Zeit schon und nicht ohne Erfolg. Florian fragt sich, warum Alibaba die Plattform nicht stärker in Richtung Shein und Temu entwickelt hat – und was jetzt die Reaktion sein wird? „Ist das nicht Trendyol?“ fragt Alex. Oder hat Alibaba nicht vielmehr hier einfach einen entscheidenden Social-Commerce-Trend verschlafen? „Alibaba ist mittlerweile auch 20 Jahre alt“ – und sei vermutlich nicht mehr in der Lage, WeChat und TikTok so zu hebeln, wie Pinduoduo das tut.
47:00 Besteht nicht die Gefahr, dass Temu nur Hype ist, der später in sich zusammenfällt wie Alex und Florians Lieblings-Fail Wish? Da stimmten Versprechen und tatsächliches Kundenerlebnis überhaupt ja nicht überein. Auch so bei Temu? Flobo hat eine Testbestellung aufgegeben – 12 Produkte, wovon vier schon kaputt ankamen – erst nach 14 Tagen in einer Sendung aus Frankfurt, wohin Retouren auch zurückgehen sollen. Warenwert angeblich 198,00 €; Preis mit Rabatten 87,00 € bei kostenlosem Versand.
Insgesamt günstig, aber schon teuer für die schlechte Qualität. Fazit: „Es hat einfach überhaupt keinen Spaß gemacht.“ Derzeit würden sich viele Kunden wohl enttäuscht wieder abwenden und für bessere Qualität wieder bei Amazon, Zalando und Otto bestellen. Aber: „Ich bin mir auch sicher, die kriegen das in Griff.“ Im Gegensatz zu Wish sei Temu nämlich ein durch und durch chinesisches Unternehmen, das wohl eine höhere Motivation – sowie politische Unterstützung – genießt.
54:55 Wie lange kann Temu durchhalten, um die Profitabilität zu erreichen? Mutterkonzern Pinduoduo weist jedenfalls eine hohe Rendite aus und ist einer der wenigen chinesischen E-Commerce-Anbieter, deren Börsenkurs noch gestiegen ist. Reserven für die Quersubvention in Richtung Temu seien also wohl ausreichende vorhanden.
Alex rechnet Temu gute Chancen aus, einen Kundenstamm von einigen Millionen aufzubauen und datengetrieben diesen immer bessere Empfehlungen zu machen, eine hohe Kauffrequenz zu erzielen und irgendwann Geld zu verdienen.
57:35 Aus Logistiksicht, so Flobo, hat Temu durch die expansive chinesische Politik große Vorteile: die neue Seidenstraße, Hafenbeteiligungen, Reedereien! Damit sichere China seine Unternehmen immer bessere Zugänge zu europäischen Märkte – und immer kürzere Lieferzeiten.
59:00 Temu ist schon etwas länger in USA: Gibt es schon erste Ergebnisse? Die Pinduoduo-Börsenstory ist jedenfalls, so Florian, dass Temu bei 28 Millionen active monthly user in der App eine gewisse Kauf- und sogar Wiederholungskaufrate erzielt hat.
1:01:30 Alex umreißt zwei größere Risiken für Temu. 1. Die Abhängigkeit von TikTok & Co. Die Plattform stößt vor allem bei US-Politikern auf zunehmende Ablehnung und könnte ja verboten werden. 2. Der Gamification-Ansatz. Nutzt der sich nicht irgendwann ab…?
1:04:20 Letzte Frage: Ist Temu für Donkey Products eigentlich gefährlich? Bislang nicht: Produktentwicklung oder Markenbildung gebe es auf der Plattform keine und die Qualität stimme nicht. „Ich habe da überhaupt keine Angst vor,“ so Flobo.
Dieser Podcast wird unterstützt von Husqvarna Forst & Garten.
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