Vier Jahre nach meinem Abschied aus der Otto Group durfte ich in der letzten Woche bei selbiger einen Vortrag zum Thema E-Commerce & Marktstrategien halten. Das Intro der Veranstaltung hat der Vorstandsvorsitzende Hans-Otto Schrader mit paar Worten zum Thema Digitalisierung gestaltet und dabei die Metapher der Weizenkornlegende bemüht, um zu zeigen wie stark der Markt sich verändert hat. Die Legende besagt, dass der Erfinder des Schachspiels sich für seine Belohnung die Befüllung des Schachbretts mit Weizenkörnern gefordert haben soll. Ein Korn auf dem ersten Feld, zwei Körner auf dem zweiten, vier Körner auf dem dritten usw., also 2^64-1 Der exponentielle Anstieg führt auf dem 64sten Feld zu einer Menge die ca. dem 1.500 fachen der weltweiten Ernte beträgt. Spannend bei der Metahpher ist, dass der Anstieg auf der ersten Hälfte des Schachbretts moderat ausfällt und die Veränderungen noch vorstellbar und vor allem managebar sind. Auf der zweiten Hälfte sind Wachstumsraten zu beobachten, die alle gängigen Dimensionen sprengen. Schraders Appell an die Zuhörer war, dass wir gerade dabei sind die zweite Hälfte des Schachbretts zu betreten und deshalb “Change” alleine als Arbeitsmodus kaum ausreichen wird.
Diese Aussage für sich finde ich schon beachtlich, aber ich verstehe meine Rolle bei solchen Veranstaltungen nicht darin blumige Chancen zu skizzieren, sondern den Realitätscheck zu suchen und dafür kommt mir die Weizenkornlegende gerade recht. Ich gehe davon aus, dass wir schon lange in der zweiten Hälfte des Schachbretts angekommen sind. Nur wie will man das beweisen? In letzter Zeit lese ich im Rahmen von AI und Machine Learning immer wieder davon, dass wir “kurz” vor dem Durchbruch stehen, und immer wird in diesem Kontext von exponentiellen Wachstumsraten gesprochen die kaum vorstellbar sind. Peter Kruse hat diese “Blindheit” damit erklärt, dass das menschliche Gehirn nur in der Lage ist linear zu denken und wir deshalb die krassen Veränderungen nicht sehen können. Wer es trotzdem mal versuchen will, der sollte sich den Artikel über AI bei Wait but Why durchlesen und dann überlegen, ob der gerade entstehende Computergott nett zu uns sein wird. “Will it be a nice God?”.
Ich kenne natürlich auch das Buch Zero to One von Peter Thiel. Der Autor wurde für seine Empfehlung für Startups (diese sollten nach Monopolen streben) arg gescholten, aber im Grunde genommen vertritt er nur die Argumentation die in exponentiell geprägten Umfeldern richtig ist. Er sagt, dass die Orientierung großer Unternehmen an “Best Practices” den sicheren Untergang bedeuten. Eyeyeyey…. eine sehr bittere Pille für die Innovationsabteilungen von Konzernen. Seine Empfehlung ist, dass die dot-com Learnings, zusammengefasst im Buch Lean Startups von Eric Ries, keine Leitidee für die Unternehmensentwicklung (Startups & Konzerne) darstellen sollten. Sie sind zwar extrem attraktiv, weil sie sich auf bestehende Organisationen anwenden lassen, aber sie führen grundsätzlich in die falsche Richtung. Seine erste Hälfte des Schachbretts vs. zweite Hälfte des Schachbretts Handlungsempfehlung sieht wie folgt aus:
Dot-Com Dogma |
Peter Thiel Dogma |
Make incremental advances | Risk boldness than triviality |
Stay lean and flexible | Better a bad plan than no plan |
Improve on the competition | Competition destroys profits |
Focus on product, not sales | Sales matter as much as products |
Merke: Best Practices sind schlecht und Change reicht nicht. Dann müssen es die ganz innovativen Ansätze richten, oder? Dazu gibt es ein Update vom Innovators Dilemma Autor Clay Christensen, der sich diese Woche bei hbr.org eher kritisch geäußert hat. (Lesetipp aus dem etailment Newsletter!):
There’s another troubling concern: In our experience, too many people who speak of “disruption” have not read a serious book or article on the subject. Too frequently, they use the term loosely to invoke the concept of innovation in support of whatever it is they wish to do. Many researchers, writers, and consultants use “disruptive innovation” to describe any situation in which an industry is shaken up and previously successful incumbents stumble. But that’s much too broad a usage.
[Er nennt dann UBER als Beispiel für nicht innovative Lösungen und warum UBER deshalb auch nicht die Früchte eines Innovators ernten kann.]
Readers may still be wondering, Why does it matter what words we use to describe Uber? The company has certainly thrown the taxi industry into disarray: Isn’t that “disruptive” enough? No. Applying the theory correctly is essential to realizing its benefits. For example, small competitors that nibble away at the periphery of your business very likely should be ignored—unless they are on a disruptive trajectory, in which case they are a potentially mortal threat. And both of these challenges are fundamentally different from efforts by competitors to woo your bread-and-butter customers.
Den Beitrag von Christensen muss ich noch etwas verdauen, aber die Argumente sind schon stichhaltig. Sie passen aber sehr gut zu den Beobachtungen von Bill Gross (Idealab Founder) der sagt, dass Timing das wichtigste Erfolgskriterium für neue Unternehmungen geworden zu sein scheint. Schnell sein ist bedauerlicherweise nicht die Stärke großer Organisationen. Sam Altmann (CEO Y Combinator) setzt dann noch einen drauf und sagt, dass die wesentlichen Erfolgsfaktoren (Idee, Produkt, Team, Execution) wie in einer Multiplikation zusammenhängen und ein schlechter Faktor reicht, um die Unternehmung nicht mehr zum Erfolg führen zu können. Merke: Erfolg ist nicht planbar und Risiken sind nicht mehr managebar.
So siehst sie aus, die Realität auf der zweiten Seite des Schachbretts die Konzerne wie Gründerteams verzweifeln lässt. Wenn man diese Realität akzeptiert hat das viele Auswirkungen, wie z.B. die, dass man auch als Konzern echte MVPs an den Markt bringen muss, egal was die anderen sagen. Prof. Hengstschläger leitet daraus ab, dass einzig alleine die Fähigkeit in Unternehmen gestärkt werden muss schnell zu reagieren bzw. zu mutieren.
Frage: Innovation aus Ihrer Sicht wäre etwas ganz anderes?
Ja. Denn das löst nur die Probleme der Gegenwart. Wenn es in der Pfütze um zwei, drei Grad wärmer wird oder der pH-Wert steigt und das erste Tierchen das nicht aushält, werden alle sterben, weil sie ja genetische Kopien sind. Das wäre der Durchschnittsansatz. Damit haben wir auf Veränderungen der Umwelt in der Zukunft keine Antworten.
Na dann.
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