Spryker AntilopeWo liegen eigentlich die Chancen für den Franz? Diese Frage wird in den Kommentaren zu den eher „düsteren“ Kassenzone Artikeln oft gestellt. Die Artikel sind oft kritisch, weil ich mit den gängigen Strategien und Glaubensansätzen im Markt nicht übereinstimme und dann, gewollt oder nicht, erst einmal lange erkläre warum Multichannelhandel & Co. keine Zukunftsoptionen für Branche XYZ darstellen kann. Ich hoffe natürlich auch auf kritisches Feedback, weil ich etwas ggf. Chancen übersehe. In den letzten Wochen gab es zwei Anlässen, um mir konkret über diese Chancen Gedanken zu machen. Zum einen gibt es im E-Commerce Buch einen langen Absatz über Positionierungsstrategien im E-Commerce, die u.a. auf einem fast sechs Jahre alten Artikel bei Kassenzone beruhen. Dazu komme ich gleich noch ausführlich. Zum anderen war ich in der letzten Woche zu Gast bei einem Immobilienforum, bei dem Prof. Hengstschläger aus Wien einen furiosen Vortrag zum Thema Positionierungsfallen aus Sicht eines Genetikers gehalten hat. Er hat zum Start des Vortrags zuerst mit ein paar Vorurteilen aufgeräumt – insbesondere der unsinnigen Annahme, dass die Großen die Kleinen fressen bzw. die Schnellen über die Langsamen gewinnen. Das ist aus Sicht der Genetik nicht haltbar und aus Sicht der Wirtschaft schon mal gar nicht als generelle Regel interpretierbar. Die einzige für die Wirtschaft ableitbare Regel ist die, dass widerstandsfähige Systeme länger überleben können (Resilienz). Er hat diese Regel mit einigen sehr unterhaltsamen Beispielen belegt und unter anderem das „Dilemma“ der Hydra skizziert.

Frage: Was kann man denn aus der Genetik für den Bereich der Innovation ableiten?

Gut beschreiben lässt sich das anhand der Hydra, eines zentimetergroßen Polypen, der sich sowohl sexuell als auch asexuell fortpflanzen kann. Wenn die Hydra in einer Pfütze schwimmt und sich fortpflanzen will, braucht sie im Prinzip keinen Zweiten. Sie kann sehr effizient ein genetisch identes Tierchen schaffen. Und wenn die Pfütze leer ist, also der Markt der Zukunft unerschlossen, und ich ein Produkt habe, von dem ich glaube, dass es gut ist: Warum sollte ich es dann nicht möglichst effizient reproduzieren?

Frage: Innovation aus Ihrer Sicht wäre etwas ganz anderes?

Ja. Denn das löst nur die Probleme der Gegenwart. Wenn es in der Pfütze um zwei, drei Grad wärmer wird oder der pH-Wert steigt und das erste Tierchen das nicht aushält, werden alle sterben, weil sie ja genetische Kopien sind. Das wäre der Durchschnittsansatz. Damit haben wir auf Veränderungen der Umwelt in der Zukunft keine Antworten.

Tenor der Geschichten war, dass Unternehmen sich nicht gegen Marktentwicklungen absichern können indem sie Trendforschung betreiben oder sich schlaue Berater einkaufen. Dieses Verhalten würde nur dazu führen, dass man „bekannte“ Strategien extrapoliert und wie die Hydra am Ende alle Plätze in der Pfütze besetzt. Das ist zwar schön für das Hier und Jetzt, aber wenn der Markt sich stark verändert (aka die Pfütze wärmer wird), dann sterben diese Unternehmen aus. Genau das lässt sich ja heute beobachten. Viele Händler, Versicherungen und Verlage extrapolieren ein teilweise 100 Jahre altes Geschäftsmodell mit Hilfe von über 50 Jahre alten Strategien ins Internet. Wohin das führt kann man gerade beobachten. Eine große Frage ist u.a. warum diese klassischen Strategien nicht mehr funktionieren. An dieser Stelle kommt der Artikel „Transparenzdilemma oder der beschleunigte Wettbewerb“ ins Spiel, der erklärt, warum es a) nicht ausreicht dem Wettbewerb zu folgen und b) zu wenig einfach nur neue Bestleistungen in bestimmten Dimensionen (Preis, Service…) zu produzieren. (Notiz an mich: Öfter Kassenzone Klassiker zitieren). Um den Zusammenhang darzustellen, haben Holger und ich „damals“ eine Positionierungsspinne verwendet. In Kürze ist der Artikel anhand der folgenden Absätze zusammenzufassen.

Nun muss man sich gefühlt alle 5 Minuten mit einem neuen Player auseinandersetzen. Diese neuen Anbieter versuchen nun die bisher geltenden USPs zu übertreffen und versuchen, um beim Beispiel Service zu bleiben, schneller zu arbeiten, noch besser zu beraten und dem Kunden damit eine bessere Leistung zu bieten als die bisherigen Anbieter. Grafisch lässt sich das damit abbilden, das die bisher beste Leistung im Bereich Service nun gefühlt nach innen rückt und damit für den Kunden unattraktiver wird. Unternehmen die ihr Leistungsniveau nicht anpassen „rücken“ automatisch nach innen und scheiden irgendwann aus dem Markt aus. Das ist auch nicht weiter schwierig zu verstehen: Wer nutzt heute noch Altavista, wenn Google doch alles besser kann?

Bisher konnten sich die „alten“ Anbieter auf funktionierende Kundenbeziehungen verlassen, die trotz Existenz neuer und besserer Anbieter verlässliche Einnahmen generiert haben und für genug Zeit sorgten, die Leistungen der neuen Anbieter zu kopieren und damit zum Wettbewerb aufzuschließen. Durch die Existenz mächtiger Intermediäre ist diese Strategie leider zum Scheitern verdammt. Das Internet selber ist eigentlich ein intermediärer bzw. vermittelnder Service, aber wir nehmen vor allem Google, guenstiger.de und ähnliche Dienste als (Informations-) Intermediäre war. Diese Dienste ermöglichen uns jederzeit und überall einen einfachen Vergleich von faktischer Leistung (z.B. Service oder Preis) und lassen damit Anbieter in unseren Suchfokus rücken, die bisher keine Rolle gespielt haben.

Unternehmen, die nicht in der Lage sind ihre Leistungen dem Marktniveau anzupassen, werden schneller als bisher vom Wettbewerb verdrängt. Unternehmen, die in der Lage sind mit ihren Leistungen den Benchmark zu setzen, sind noch erfolgreicher als bisher. Unternehmen, die bisher vollkommen unbekannt waren, können binnen kurzer Zeit durch minimale Leistungsvorteile nahezu unbegrenzte Reichweiteneffekte erzielen. Der Aufbau von Marken im Internet funktioniert vorrangig durch Bestleistungen (ggf. auch in Nischen) und nicht durch aufwändige Imagekampagnen. Das Dilemma an diesen Effekten ist, dass sowohl Aufschwung als auch Abschwung gleichermaßen beschleunigt werden.

transparenzdilemma

Ein uns oft entgegneter Vorwurf ist, dass diese Beobachtung keine neuen Erkenntnisse bringt. „Das war doch schon immer so.“ Neue Wettbewerber attackieren den Markt durch bessere Leistungen. Man müsste halt nun innovativer werden, ggf. so wie Amazon, oder einfach nur etwas „digitaler“. Genau das stimmt eben aus unserer Sicht nicht, weil dieses Verhalten voraussetzt, dass man in diesem Marktumfeld agieren/managen kann wie bisher. Die folgende Management-Kaskade müsste dafür gelten.

  1. Markt verändert sich
  2. Management bekommt die Veränderung mit und reagiert
  3. Die Organisation setzt die neuen Anweisungen um
  4. Nach der Umsetzung ist das Unternehmen wieder für einen Zeitraum X sicher

Im Internet gilt diese Kaskade nicht, weil sie voraussetzt, dass Unternehmen ausreichen Zeit für die Schritte 2-4 haben. Je nach Größe eines Unternehmens dauern diese Schritte mal ein paar Wochen, meistens aber ein bis drei Jahre. Wenn aber #1 permanent passiert, sagen wir mal einmal pro Monat, dann funktioniert die Kaskade nicht mehr. Dann bleiben grob zwei Möglichkeiten. Entweder man verschlankt den Prozess 2-4 soweit, dass man innerhalb von Wochen reagieren kann, oder man beeinflusst #1. Beides ist für große/alte Organisationen kaum möglich, weshalb ich in meinem letzten Artikel „Der langsame Tod des (klassischen) Großhandels“ die Option „grüne Wiese“ so stark favorisiert habe. Der Faktor Zeit wird durch das Internet zu einer wesentlichen Inputkomponente für Managemententscheidungen. Und das war eben nicht schon immer so. Das hat Professor Kruse vor einem Ausschuss des Bundestages exzellent dargestellt.

Für ein Unternehmen mit einer spezifischen Leistung/Dienstleistung ist es oft gar nicht so einfach den Faktor #1 überhaupt signifikant zu beeinflussen. Im Artikel „From Value Chain to Ecosystems“ gab es aus diesem Grund die Empfehlung ein eigenes „Ökosystem“ für den jeweils eigenen Markt aufzubauen. Je nach Betrachtungsweise könnte man dem Projekt Collins von Otto unterstellen, dass es dieser Strategie folgt. Sie ist aber limitiert, weil nur wenige Unternehmen die Position des Ökosystemanbieters belegen können. Die meisten müssen sich mit der Position des „Zulieferers“ zufrieden geben.

Daraus ergeben sich in der Tat konkrete Alternativen zur eben genannten Management Kaskade. Man könnte versuchen ein Ökosystemanbieter zu werden, was für große und kapitalstarke Unternehmen immer geprüft werden sollte. Alternativ kann man bestehende und neue Ökosysteme möglichst intelligent für sich nutzen. Am Beispiel Amazon SEO habe ich beschrieben wie so eine Nutzung für Hersteller konkret aussehen könnte.

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Schmerzhaft für die meisten Unternehmen dürfte der Verlust des direkten Kundenzugangs bzw. der Kundenkontrolle sein, den man als Nutzer eines Ökosystems hinnehmen muss. Insbesondere Markenhersteller sind mit einem anderen Selbstverständnis groß geworden. Händler dürften sich mit dieser Tatsache etwas leichter tun. Wie wird man nun Ökosystemanbieter bzw. opportunistischer Nutzer? Dieser Frage gehe ich ein andermal auf den Grund, weil dafür noch ein paar andere Themen beleuchtet werden, die keinen Platz mehr in diesem Beitrag haben.

Viele Unternehmen, die ich kennengelernt haben, versuchen krampfhaft ihre Strukturen anzupassen (Transformationsprojekte), um irgendwie schneller zu werden. Der Versuch das Unternehmen doppelt so schnell zu machen, kostet aber gefühlt 90% aller Ressourcen und verprellt wertvolle Mitarbeiter. Dabei könnte es sinnvoller sein die existierenden Chancen opportunistisch zu nutzen, und so (zufällig) echte Optionen zu identifizieren die langfristig funktionieren könnten. Eine alte Organisation kommt in Summe zu schwer auf Trab, aber Teile davon könnten sich schon heute nutzen lassen.

Optionen & Chancen gibt es also genug. Sie entsprechenden zwar nicht den bekannten Mustern (langfristig gültig, mit der bestehenden Organisation umsetzbar, Kompetenzen dafür vorhanden….), aber mangels solcher Alternativen ist etwas Experimentierfreude sehr zu empfehlen. Es gibt nur einen Faktor, der wirklich kaum noch zur Verfügung steht: Zeit.

Damit ergeben sich schon die wesentlichen Fragen, die ich an alle Speaker des Digital Commerce Day in Hamburg am Donnerstag (ausverkauft) stellen werde: Wie viel besser/anders als der Wettbewerb bist du? Was tust du, um noch besser zu werden? Wie oft/schnell tust du das?

Das Gegenteil zur Hydra in Sachen Anpassungsfähigkeit und Geschwindigkeit ist übrigens die Antilope. 🙂

Das E-Commerce BuchMehr zu den Themen Hydra, E-Commerce Strategie und zur Bewertung diverser digitaler Geschäftsmodelle finden sich im Juni 2015 erschienenen „Das E-Commerce-Buch“ von Holger Schneider und Alexander Graf. Bereits nach kurzer Zeit führt das Buch diverse Bestseller Listen bei Amazon an und wurde im Schnitt mit 5 Sternen bewertet. 39,90€ Euro, 305 Seiten, 20 Jahre E-Commerce Know How.

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