Schneckenhaus auf BahngleiseNun hat es sogar das bisherige Multichannel Vorbild Macy`s zu einem Trauerartikel auf Spiegel Online gebracht. Dort heißt es im Artikel zum „Niedergang der großen US-Kaufhäuser: Schlussverkauf“:

„Vor zehn Jahren brauchte man einen großen Department Store, um erfolgreich zu sein“, sagte ein hochkarätiger US-Designer dem Branchen-Newsletter „Business of Fashion“ („BoF“). „Jetzt braucht man Instagram.“ Neiman-Marcus-Chefin Karen Katz sekundiert: „Der Kunde verliert das Interesse daran, im Laden einzukaufen, ob Kaufhäuser oder Luxusshops.“

An touristisch attraktiven Orten mögen schönen Versionen der Konsumtempel noch gut besucht sein, aber die Kunden kaufen immer weniger. Der „Tütenfaktor“ sinkt, wie mir der Aufsichtsrat einer großen Handelsgesellschaft verraten hat. Gerade Macy`s, das Unternehmen das wirklich auf jeder Onlinekonferenz als leuchtendes Onlinebeispiel dienen durfte. Die haben es geschafft. Es geht also doch: Online + Offline. Die Pure Player á la Amazon und Zalando werden sich schon noch umschauen. So hieß es dann recht offen in den entsprechenden Diskussionen bei Neocom & Co. Nachdem Nordstrom und sogar Neiman Marcus ein schlechtes Quartal nach dem nächsten ausweisen wird damit nun der letzte Multichannel Nagel aus der Wand gerissen. Aber warum?

macysstock

Macy´s Inc Aktienkurs. -50% innerhalb von 12 Monaten. Die aktuelle Bewertung des Unternehmens liegt bei ca. 10 Mrd. $, der Wert der Immobilien wahrscheinlich darüber…

Es hatte doch so vielversprechend angefangen und schließlich eröffnen doch nun auch AboutYou und Zalando stationäre Geschäfte – Beweis genug, dass das Ladengeschäft noch lange nicht zum alten Eisen gehören muss. Im englischen gibt es den Spruch „On the wrong side of the tracks“. Dieser Spruch bezog sich auf die Tatsache, dass es Menschen auf der ärmeren Seite der Eisenbahnschienen oft schwerer im Leben hatten als die vermeintlich vermögenden Menschen. Bisher hatte man bei Macy`s und Co. gedacht auf der richtigen Seite der Schienen zu sein. Gute Rendite, tolle Immobilien, treue Kunden. Was soll da schon passieren? Das Unternehmen hat es verpasst, dass neben der Stadt eine ganz neue Eisenbahnlinie gebaut wurde. Dahinter haben sich ganz neue Unternehmen angesiedelt, die bisher unbekannte Namen wie AboutYou, Asos, Zalando und Facebook tragen. Diese Unternehmen sind viel erfolgreicher bei der Gewinnung von Kunden, sie verdienen auf einmal mehr Geld und ihre Immobilien bestehen nicht mehr aus Glas und Stein, sondern aus Code & Daten. Für diese Unternehmen sind Glas & Stein nur noch ein möglicher Marketingkanal, den man aufbaut wenn es opportun erscheint, der aber auch genauso schnell wieder geschlossen werden kann. Und sie sind sehr erfolgreich dabei. Kürzlich hat Tarek Müller in einem Interview gesagt, dass für ihn die stationären Läden der AboutYou Marke „Edited“ nichts anderes sind als ein Kanal wie Google SEA. Auf der anderen Seite tun sich die Macy`s und Kaufhofs dieser Welt sehr schwer damit Code & Daten für ihren geschäftlichen Erfolg zu verwenden. Sie tun es nur halbherzig und oft völlig desolat. Man könnte fast meinen, dass Multichannel mittlerweile die Bezeichnung für ein Unternehmen ist, dass mit den schrumpfenden Gewinnen aus der Glas und Stein Welt eine schlechte Webseite finanziert.

Webseite von Macy´s

Eine sehr „einfallsreiche“ Startseite von macys.com. Ein hilfloser Schrei nach (Online) Aufmerksamkeit. – vom 24.07.2016

Aber warum ist das so? Warum sind 1+1 in diesem Fall nicht gleich 3. Warum honoriert der Kunde nicht den Aufwand über verschiedene Kanäle hinweg? Vor einigen Monaten hatte ich drei ähnliche Fälle analysiert, die analog zu Macy`s ihre Füller in die Welt von Code & Daten ausgestreckt haben. Auch in diesen drei Fällen, namentlich Nordstrom, BestBuy und Williams-Somona, scheinen diese Versuche nicht zu fruchten. Keinem ist es gelungen sinnvolle und profitable Onlinestrategien zu finden. Sogar die vielgelobten Investitionen von Nordstrom haben ihren Zenit überschritten. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten fallen die folgenden Themen auf:

  • Alle Unternehmen haben versucht ihre offline Kunden auch online zu erreichen, mit einer Art virtuellen Ladentheke
  • Bei allen Unternehmen gab es die Hoffnung, dass sie kanalübergreifend loyale Kunden finden können
  • Alle Unternehmen hatten gute Erklärungen dafür, warum gerade Amazon oder Asos oder Zalando kein ernsthafter Konkurrent für das eigene Geschäft wären

Vor einigen Jahren konnten Topmanager mit diesen Argumenten noch überzeugen. Mittlerweile hat der Markt das Gegenteil bewiesen. Kunden sind nicht mehr markenloyal, sondern honorieren nur noch das jeweils beste Angebot. Anderseits gilt die Ignoranz ggü. Dem neuen Wettbewerb auf für die Onlineunternehmen. Amazon & Co. wäre nie in den Sinn gekommen Macy´s und Nordstrom als Wettbewerb zu betrachten. Wenn nun alle diese schönen Multichannelstrategien endlich sind, was bleibt dann noch zu tun?

Mit dieser Frage müssen wir uns täglich bei Spryker auseinandersetzen. Oft wird Spryker als hoffnungsvolle, datenzentrierte Technologie evaluiert, die mehr Schwung ins Unternehmen bringen soll. Und ganz ehrlich: Wenn ich eine Idee für ein „Digitalplugin“ hätte, ich würde es sofort gründen und anbieten. Aber so einfach ist die Sache mit Code & Daten nicht. Wir zeigen dann auf, was auf unserer Seite der Bahnschienen gemacht werden muss, um erfolgreich zu sein. Spryker ist ein Teil davon, aber mindestens genausviel hängt von der Organisation und der Governance ab. Die richtigen Leute, hohe Freiheitsgrade, das richtige Ambitionslevel, der unbedingte Fokus auf die Kunden und die Fähigkeit schnell zu lernen, sehr schnell sogar. Lernfähigkeit ist möglicherweise der einzige stabile Wettbewerbvorteil auf unserer Seite der Gleise. Ich bin mir sicher, dass Macy´s auch schnell lernen wird, dass Glas und Beton ein zunehmend nachrangiger Faktor sind. Die Frage ist dann nur noch was Macy´s aus diesem Learning macht. So wie es aussieht, läuft es auf eine App für die Ladenfläche hinaus.

Wohin diese Art der Verzweiflung führen kann, hat man in den letzten Tagen sehr schön bei Walmart beobachten können. Mit der Akquisition von jet.com für 3 Mrd. Euro hat das Unternehmen eine Bankrotterklärung abgegeben. „Digital können wir nicht.“ Jochen Krisch sieht darin auch eine Bankrotterklärung von Jet.com (Deal der Verzweifelten), das es nicht schaffen konnte ein relevanter Amazon Wettbewerber zu werden und sich nun unter das Dach von Walmart flüchten musste. Und wahrscheinlich muss man das auch wirklich so sehen, wenngleich die Investoren und Gründer von jet bei dem Deal ordentlich verdient haben. Walmart musste den Preis für seine eigene Ambitionslosigkeit zahlen, für fehlenden unternehmerischen Mut der das Unternehmen einst großgemacht hat. Immerhin kann Walmart diesen Preis noch bezahlen. Bei Macy´s und Nordstrom sieht es diesbezüglich deutlich düsterer aus. Ben Thompson hat auf seinem Blog zu Walmart ein schönes Portrait geschrieben. „Walmart and the Multichannel Trap“ Er setzt sich darin u.a. mit der Digitalisierungsstrategie von Walmart auseinander, die er wie folgt zusammenfasst:

Instead of starting with customer needs and working backwards to a solution, Walmart started with their own reality and created a convoluted mess. Predictably it failed.

Dieser Artikel ist in ähnlicher Form bereits bei der Internetworld erschienen und in der Diskussion dazu kam die Frage aus, was Macy´s denn nun falsch macht. Dazu rufe ich gerne die Geschichte vom Obsthändler Franz Cochero in Erinnerung. „Was hat Franz nur falsch gemacht.“ Franz hat nicht viel falsch gemacht und trotzdem keine Relevanz mehr für die Endkunden. Macy´s macht auch nicht viel falsch, abgesehen von den klassischen Onlinehemmnissen (Ladezeiten, mobile Webseite, Personalisierung….). Aber auch wenn Macy´s all diese Hemmnisse beseitigt hat – nach Planungen der EDV Abteilung soll es spätestens 2019 soweit sein – würde das meines Erachtens nicht dazu führen, dass sie auch nur einen Deut besser gegenüber Amazon stünden. Das gleiche gilt für Walmart.

Und so schwimmen sie auch in Deutschland dahin, die Felle der so stolzen kleinen und großen Unternehmen. Während sich 98% der Unternehmen noch Hoffnung macht, dass das SAP Update in 2019 endlich eingeführt ist und spätestens in Q3 2017 die Hausagentur das „Responsive Projekt“ abgeschlossen hat, kümmern sich die rein digitalen Unternehmen um die Belange Kunden.  Und so bleibt der große Gewinner von Deals á la Walmart/Jet weiterhin Amazon.

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