In dieser monthly Heinemann Folge, mit Starinvestor Florian Heinemann, haben wir mit Tobias Matzke einen Gastsprecher für die ersten 15 Minuten, der uns mehr Gründe für das Aus von AO.com im Deutschen Markt erklärt. Ein Mann vom Fach! Außerdem reden wir über Wish, Oatly, Beyond Meat, die Aussichten von Zalando und seine eigene Risikopräferenz als privater vs. professioneller Investor.
Heinemann Monthly: Reich werden und bleiben, D2C-Modelle finanzieren, Auswandern ja/nein?
Im ihm zur Ehre getauften „Monthly Heinemann“ ordnet Florian Heinemann von Project-A-Ventures in (ebenfalls dem Namen entsprechend) lose monatlichen Abständen das generelle Marktgeschehen und die Aussichten für einzelne E-Commerce- und Tech-Werte ein. Dabei spricht Florian mit Alex immer aus seiner fachmännischen Sicht als Investor (Achtung: keine Anlageberatung!) – und in dieser Ausgabe mit einem dritten Gast: Tobias, der mit ausführlichen Rückmeldungen zur Besprechung von AO.com auf sich aufmerksam machte. Danach kommen Beyond Meat und Oatly auf den Tisch; auch Zalando ist mal wieder dran – sowie Dauerflop Wish. Außerdem: Welche Sorte Start-up buhlt gerade um Wagniskapital und worin investiert denn Florian?
01:30 Kurze Rückblende: AO.com kam 2014 in den deutschen Markt und schien auf bestem Wege, hier große Marktanteile im Segment Weiße Ware profitabel zu bewirtschaften. Kürzlich wurde dann der komplette Rückzug aus dem erst gerade aufgebauten Ländermarkt Deutschland angekündigt – worauf sich zufriedene AO.com-Kunden Florian und Alex nur schwer einen Reim machen konnten.
Auftritt des Marktbeobachters Tobias Matzke, der in drei Fachgeschäften in Salzgitter und Braunschweig Elektrogeräte verkauft – und deswegen den neuen Wettbewerber AO.com vom ersten Moment an genauestens in Blick hatte. Dabei ist der Markt für Weiße Ware sehr fragmentiert. Allein in der entsprechenden mittelständischen Händlervereinigung sind 2000 Fachhändler mit 2400 Ladengeschäften organisiert; dazu kommen Saturn/MediaMarkt sowie Online-Händler, Verbundgruppen wie EP und Auronics…
06:40 Warum hat sich AO.com aus Deutschland kurz vor den schwarzen Zahlen zurückgezogen und auf jährlich 250 Millionen Euro Umsatz verzichtet? Wie lautet denn Tobias‘ These?
Erste Analyse: In UK hat AO.com einen Marktanteil von 20%, während der Online-Pure-Play es in Deutschland trotz Corona-Aufwind lediglich auf 2,6% im Jahr 2021 zu bringen vermochte. Die Zahl entstammt aus dem AO-eigenen Jahresbericht; schätzungsweise entsprechen 2,6% Gesamtmarktanteil 10% des deutschen Online-Handels im Segment. Das sei aber nicht unbedingt genug, so Tobias, um die bundesweit aktiven Flotte auszulasten. Anzeichen dafür sieht Tobias darin, das AO.com eine Kooperation mit DeinSchrank.de einging.
Wie reagierten etablierte Händler damals auf den Markteintritt von AO.com? Tobias beschreibt eine eher abwartende Haltung. AO mischte den Markt ja nicht sofort auf: Lieferung und Einbau, wie AO das anbot, waren im deutschen Markt auch nichts Neues. So ging es im Segment Weiße Ware weiterhin eher gemächlich Richtung Online.
10:30 Gibt es von den Herstellern wie Miele & Co. eigentlich D2C-Konzepte? Ja – und oft werden dann örtliche Händler wie Tobias vom Hersteller mit Auslieferung und Installation beauftragt. Florian sieht dies als Beleg dafür, dass sowohl Hersteller und Kunde auf die Beratungs-, Logistik- und Einbauleistungen des lokalen Einzelhandels angewiesen sind, weswegen diese besser durchkommen, als etwa Textilhändler. Komplexität als Schutzfunktion also – zumal genossenschaftliche Einkaufspraxen es auch kleineren Geschäften ermöglichen, preislich mit den Großen mitzuhalten. Tobias bringt die Eintrittsbarriere für Online-Pure-Plays, bundesweite Ladenketten und Hersteller auf diesen Nenner: „Es ist eine sehr starke Vermischung von Handel und Handwerk.“ Das gehe lokal besser.
15:50 Warum, wundert sich Alex, konzentrieren sich Händler wie Tobias auf Weiße Ware und lasse angrenzende Kategorien wie Unterhaltungselektronik liegen? Große Fernseher ließen sich Kunden bestimmt doch auch gern nach Hause bringen und installieren… Moderne Fernseher könne man aber nicht reparieren, so Tobias, was gegen sein Versprechen geht, nicht nur Produkte zu verkaufen und einzubauen, sondern auch darüber hinaus zuständig zu sein. Zudem seien die Margen bei Fernsehern & Co. nicht immer so attraktiv – auch nicht bei Wasserkochern, Toastern und anderen elektronischen Küchengeräten. Daher die Spezialisierung auf ausschließlich Weiße Ware.
Zum Schluss des Abschnitts lassen Alex und Tobias den Corona-Schub Revue passieren. Stärkste Gewinner waren vermutlich die Otto Gruppe (Alexander Birken, April 2020: „Was erstaunlich war: wie groß der Bedarf an Waschmaschinen, Kühl- und Gefriergeräten ist.“) und der Fachhandel vor Ort. Dabei hält Tobias wegen Lieferkettenstörungen heute 50% mehr Lagerbestände, als vor der Krise…
21:15 Von Kühlschränken zum deren Inhalt: Milch- bzw. Milchersatzprodukte! Und zwar gibt es frische Zahlen von Oatly, die für Alex‘ Geschmack allerdings noch genauso alt aussehen, wie immer. Er sieht das Problem darin, dass es schwierig ist, für Basislebensmittelprodukte wie Milch – und eben bald auch: Hafermilch – echte Marken (mit echter Marge) zu etablieren.
Für Florian ist Oatly schon die Hafermilch, die man am ehesten kennt. Das rechtfertigte aber nie die Umsatz-Fatkor-Zehn-Bewertung, die das Unternehmen mal an der Börse hatte – und immer noch nicht den 3,5-mal-Umsatz-multiple, den es gerade genießt. In Sachen Markenpositionierung könne man im heiß umkämpften Lebensmitteleinzelhandel dauerhaft höchstens auf Andechser-Niveau hoffen. Oatly werde es also nach vorne raus im Massenmarkt sehr schwer haben: Die Eigenmarkenhafermilche werden ja immer besser…
28:25 Ebenfalls mit aktuellen Zahlen dabei: Der Lieblingsprügelknabe der beiden Wish! Dessen rasenden Verfall kann man jetzt so beziffern: monthly active users innerhalb eines Jahres von 90 auf 23 Millionen; revenue -80%; gross margin von 60% auf 31%… Wish fanden Alex und Florian schon damals fragwürdig, als es die Börse als Wunderkind feierte. Dabei war Alex immer radikaler in seiner Ablehnung als Florian, der im Kundenstamm und Cash die Möglichkeit einer Wende sah.
Gibt es immer noch einen „Heinemannschen Hoffnungsschimmer“? Florian: „Early-Stage-Investor kann man nur sein, wenn man ziemlicher Optimist ist!“ Aber hier sieht mittlerweile auch Florian nur noch schwarz. Der Kundenstamm, aus den man vielleicht was hätte machen können, purzelt dahin. Auch Mitarbeiter machen sich rar. „Geld an die Shareholder zurück – und gut ist!“ lautet sein Rat. Das Rebranding von letztens? Die neue, schnellere Lieferung? Hätte man alles sein lassen sollen.
Alex macht aus Spaß – und Nostalgie – wieder einen Ausflug in die magische Konsumwelt der Wish-App…
33:30 Jetzt zu einem stabileren Geschäftsmodell: Zalando. Wächst gut, verdient Geld – wird aber an der Börse nicht einmal mit seinem Umsatz bewertet. Alex fragt: Warum? Haben die Anleger Angst, dass im kommenden Konjunktureinbruch die Konsumenten kein Geld mehr für Kleidung ausgeben? „Das muss es eigentlich sein,“ bestätigt Florian. Lebensmittel, Tierbedarf usw. seien da robuster.
Zudem werden dauerhaft höhere Zinsen die Kapitalkosten erhöhen, was die Finanzierung von Modellen wie Zalando teurer macht. Nichtsdestotrotz findet Florian die 7,4-Milliarden-Bewertung bei einem Umsatz von rund 10 Milliarden Euro deutlich zu niedrig. Auch AboutYou wird trotz vernünftigen Wachstums und erreichter Profitabilität vergleichsweise schwach bewertet.
36:45 Eine weiter gefasste Frage. Zalando will nicht mehr in die USA expandieren; AO.com zieht sich aus Deutschland zurück: Bedeutet das nicht einen riesigen strategischen Vorteil für das expansive Amazon? Weniger Wettbewerb gleicht weniger Marketingaufwand, besserer Auslastung der Strukturen und höheren Margen. Florian bejaht.
Spezifisch zum Florian sehr gut bekannten Fall Zalando: Er hält den Gang in die USA für aufgeschoben, nicht aufgehoben. Die Plattform mit ihrer Technologie ist ja vorhanden und die Einkaufsmacht ist bereits enorm. Und angesichts der derzeit günstigen Expansionskosten würde das Unternehmen vermutlich gerade jetzt konjunkturell antizyklisch dorthin expandieren, wenn es nicht an der Börse wäre und Analysten zufrieden stellen müsste (vgl. kapitaleffizienten Aufschlag in Deutschland während der Finanzkrise).
45:20 Eine weitere makroökonomische Frage: Führt die derzeit angespannte Lage dazu, dass die Start-ups, die bei Project A vorstellig werden, verstärkt technologische Lösungen gegen Dürre oder Energiemangel im Gepäck haben?
Ja, Florian merkt ein Verschiebung – obwohl es auch dezidierte ESG-Fonds gibt. Problematisch für Project A spezifisch: „Wir haben Angst vor Hardware“. Dabei kreisen die meisten Konzepte in diesem Bereich eher um Hardware als um Software, wo sich Florian und seine Mitstreiter besser auskennen. Die meisten anderen VCs im digitalen Bereich fremdeln ebenfalls mit den langen Entwicklungszyklen von solchen Ansätzen, so Florian. Zudem sind die Strukturen untern den Wagniskapitalgebern nicht so, dass sie alleine geldhungrige Hardwarekonzepte über lange Strecken selber finanzieren könnten.
50:10 „Das, was man vielleicht in neue Gartenmöbel gesteckt hätte,“ stellt Alex als letzte These auf, „wird bei den hohen Gaspreisen jetzt tatsächlich verheizt.“ Schlechte Zeiten für Konsumprodukte, also – und Risiko-averse Investoren strömen aus Unternehmen wie Zalando raus. Beste Zeiten also, sich dort billig einzukaufen?
Florian empfiehlt: Wer als Privatanleger eine 5-10-Jahresperspektive mitbringe, könne sich gerade ruhig mit Zalando, PayPal, AboutYou und anderen betroffenen Werten günstig eindecken. Als VC- oder PE-Investor müsse man aber wegen des Rhythmus der Finanzierungsrunden nach kurzfristigeren positiven Ergebnissen gucken, weshalb man hier erst einmal konsumabhängige Geschäftsmodelle meiden dürfte. Unter diesen Effekten werden einige eigentlich gut laufende Firmen stark benachteiligt werden.
Dieser Podcast wird unterstützt von Husqvarna Forst & Garten.
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