Seniorin

Passend zu diesen Beitrag kommen die Nachrichten, dass in Folge des (E-Commerce) Strukturwandels in Deutschland jedes zehnte stationäre Geschäft (50.000 in Summe) in den nächsten Jahren verschwindet. Außerdem häufen sich die Meldungen zu den Schwierigkeiten Schweizer Händler, die nun irgendwie doch von der Zalando/Amazon Welle betroffen zu sein scheinen. Ich wiederum frage mich, was die verbleibenden neun von zehn Geschäften neben Amazon & Co. noch sinnvoll verkaufen können und warum die Marktbereinigung in der Schweiz nicht schon früher stattgefunden hat. Wenn man sich ein wenig zum Schweizer Markt umhört, erfährt man von einer gewissen Entkoppelung, die durch die Verwendung einer eigenen Währung und der restriktiven Zoll Gesetze zustande kommt. Der Schweizer wird somit künstlich gezwungen für identische Produkte & Leistungen einen deutlichen Aufschlag im Vergleich zu seinen (meist deutschen) Nachbarn zu zahlen. Das führt zu sehr skurrilen Szenen, z.B. in Konstanz, wo der stationäre Einkauf an bestimmten Wochentagen durch die vielen Schweizer Einkaufstouristen erschwert wird.

Rund 16 Millionen Ausfuhrscheine mussten deutsche Zöllner im letzten Jahr an der Schweizer Grenze abfertigen. So viele wie nie zuvor. 150 Beamte sind inzwischen nur damit beschäftigt, die Belege der Einkaufstouristen abzustempeln. Für Minister Friedrich ein unhaltbarer Zustand. Das sieht auch die deutsche Industrie-und Handelskammer Hochrhein-Bodensee (IHK) so. Doch ihr Lösungsansatz ist ein anderer, wie Hauptgeschäftsführer Claudius Marx erklärt: Schliesslich wolle man nicht den Vorteil aufgeben, der zu der Umsatzsteigerung durch die Schweizer Einkaufstouristen führe. Die IHK schätzt, dass rund 6500 Arbeitsplätze in Süddeutschland direkt von den Umsätzen mit Schweizer Einkaufstouristen abhängen.

Die Entscheidung der Schweizer Nationalbank im Januar den Franken vom Euro zu entkoppeln hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Nun ist es auf einmal noch attraktiver geworden als Schweizer bei Amazon.de einzukaufen, während der Schweizer Handel fixkostenbedingt gar keine Möglichkeit hatte dieses Effekt auszugleichen. Zu verstehen, dass diese Entscheidung die desaströsen Aussichten für den Schweizer Handel nicht verursacht hat, sonder nur beschleunigt, ist wichtig. Was aber verursacht dann die grauen Wolken am Schweizer Handelshimmel? Thomas Lang, wohl der Schweizer E-Commerce Experte schlechthin, sieht die meisten Onlineaktivitäten Schweizer Detailhändler als defizitär. Das muss nun niemanden verunsichern, diese Aussage ist wahrscheinlich für fast alle deutschen Händler mit stationärer DNA ebenfalls gültig. Was mich beim Durchlesen der Berichte zur Schweizer Marktentwicklung aber fassungslos macht, ist die Blauäugigkeit, mit der nun über Lösungen diskutiert wird. Ein wenig Omnichannel Chi Chi hier, ein bissel mehr Schweizer Servicementalität dort und alles wird gut. Ehrlich? Blättern wir mal gemeinsam durch die meistdiskutierten Kassenzone Beiträge 2015 und überlegen, wie diese für die Schweiz ausgelegt werden können:

#1: Im ersten Beitrag 2015 habe ich versucht herzuleiten, dass in einer Amazon dominierten Welt die Kundenbedürfnisse im Kaufprozess verändert werden. Service, Produktdarstellung usw. werden zu Hygienefaktoren degradiert. Am Ende zählt nur noch ein marktführendes Preis-/Leistungsset (nicht billigster Preis!) und die Best Level Verfügbarkeit (24h, Same Day..) und natürlich, dass die gewünschte Ware überhaupt da ist. Ein klares Amazon Spiel und die zunehmende Konzentration auf diesen einen Marktplatz (in Deutschland) führt bei den Kunden dazu, dass sie verstärkt über die Produktbewertungen der anderen Käufer einkaufen. Ich habe nun viele Schweizer befragt und niemand konnte mir glaubhaft bestätigen, dass er doch lieber eine in der Schweiz hergestellte Festplatte kauft oder bereit ist für etwas Beratung relevant mehr Geld auszugeben. Wie genau will der durchschnittliche Schweizer Detailhändler in diesem Szenario bestehen? Klar, man kann sich auf Verkaufsorte konzentrieren die weit genug von der deutschen Grenze entfernt liegen, aber nachhaltig ist das nicht. Amazon wird mit Sicherheit seinen Service in der Schweiz in 2016 verbessern. Diesbezüglich bietet zurzeit nur Siroop ein spannende Positionierung an.

#2: Wenn die Handelsfunktion von globalen Konzernen übernommen wird, dann dürfte sich die Schweiz doch auf seine exzellente Expertise als Produzent hochwertiger Güter verlassen, oder? Abgesehen davon, dass auch Schweizer Produkte nur mehr von ihrem Ruf leben, zeigt sich, dass in einer Welt mit dominanten Marktplätzen diese auch keine “echten” Marken mehr brauchen. Wer nicht auf den ersten beiden Suchergebnisseiten bei Amazon, Rakuten & Co. gefunden wird, spielt für die Kunden keine Rolle mehr. Klar, exklusive Marken sind bisher davon ausgenommen, aber das Gros des Umsatzes machen WMFartige Marken und diese werden von neuen Marken aus der Amazonwelt schnell verdrängt. Die Zahlen der Markenhersteller und die Zahlen der neuen Marken sind diesbezüglich eindeutig. Umfragen die darauf hinweisen, dass Kunden gerne heimische Produkte kaufen und den persönlichen Service bevorzugen sind mehr als irreführend. Neben dieser sehr enttäuschenden Nachricht zum zunehmend untreuen Kunden kommt in Deutschland und in der Schweiz ein schnell wachsender Einfluss der asiatischen Plattformen (aliexpress, banggood) hinzu. Der Umsatzeinfluss ist bisher gar nicht richtig messbar, auch aufgrund sehr unsauberer Zolldeklarationen, aber er ist heute schon massiv und wächst wahrscheinlich schneller als der Umsatz von Amazon. Übrigens; Weil die Hersteller in der Amazonwelt nicht mehr auf die Hilfe der stationären Händler zählen können, werden diese nun sukzessive ausgelistet – operativ wie strategisch.

#3: Man kann die ersten beiden Punkte als hanebüchen abtun und weitermachen wie bisher in der Hoffnung, dass die Kunden sich eines Tages doch wieder besinnen werden. Die Argumente für so eine Vorgehensweise sind allerdings sehr schwach. Wer versucht dagegenzusteuern, wird mit klassischen Strategien nicht weiterkommen. In meiner kleinen Geschichte zu Franz Cochero habe ich das beispielhaft nachgezeichnet.

Franz Cochero hatte vor langer Zeit den Obststand seines Vaters übernommen. Die Lage war perfekt. Am Ausgang des Bahnhofs, am Anfang einer beliebten Einkaufsstraße. Der Stand von ihm und seinem Vater stand für Obst von hoher Qualität, persönliche Beratung und die Fähigkeit neue Geschmackstrends frühzeitig zu erkennen.

Der Markt verändert sich gerade so schnell und nachhaltig, dass sich jeder Händler und Hersteller darüber Gedanken machen muss, was er für den Kunden wirklich leistet. Historische Handelsbeziehungen, auf denen sich viele Positionierungen von Händlern und Herstellern begründen, werden gerade aufgebrochen. Es gibt kaum noch Großhändler in den klassischen Konsumgüterbereichen, die nicht von Herstellern ausgelistet werden. Zurzeit prägt sich der Begriff GAFA Ökonomie für das bestehende Marktumfeld. Die Spielregeln sind andere und sie sind für bestehende Unternehmen sehr unfair, weil klassische Unternehmensplanung und Strategieentwicklung zu den falschen Lösungen führt.

Dieses Szenario sollte man nun für die Schweiz zu interpretieren. Ich kann in Summe keinen Unterschied zum deutschen Markt erkennen. Die bisherigen Schutzwälle Zoll und Währung haben die Schweizer Händler bisher ein Stück weit beschützt. Gäbe es dazu noch Sonntagsöffnungszeiten, dann wäre es so ziemlich genau das, was sich deutsche Händler & Handelsverbände zum Schutz ihrer Strukturen wünschen. Interessant finde ich, dass dieser Protektionismus genau den gegenteiligen Effekt hatte & hat. Der Schweizer Markt ist mehr denn je für Amazon bereitet und mit etwas Glück kann sich ggf. Siroop durchsetzen. Das wäre den Schweizern sehr zu wünschen. Klar gilt das in unterschiedlicher Schärfe für die einzelnen Sortimente. Lebensmittel funktioniert anders als Elektronik. Die Chance für den Schweizer Detailhandel besteht darin sehr genau nach Deutschland und England zu schauen und den verbleibenden Zollschutz noch zu nutzen, um wettbewerbsfähige Konzepte und Strukturen zu etablieren/zu kopieren. Vielleicht finden sich in den Kommentaren noch ein paar weitere Hinweise.

 

Danke für ein tolles Kassenzone.de Jahr 2015 mit fast 400.000 Besuchern und vielen tollen Verweisen, Kommentaren, Zuschriften und Schulterklopfern. 2016 wird noch mehr rocken, Gafa, Jochen Krisch & Co. sei Dank.

P.S.: Für Spryker suche ich 2016 noch viele Kollegen! Meldet euch gerne direkt bei mir, auch mit Intros zu passenden Kandidaten. Spryker.com/Jobs

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