Im Zuge der Collins Diskussion über Lock-In Effekte & E-Commerce Modelle die wie (langweilige) Kaufhäuser funktionieren, hatte ich mehrfach die Gelegenheit mit vielen Leuten über ein paar grundlegende Fragestellungen im E-Commerce zu diskutieren. Die Kunden die mich in Workshops & Projekten erlebt haben, wissen um meine Neigung zu dem hier abgebildeten Kaufprozess, mit dem sich branchenübergreifend ein paar grundlegende Effekte von Online Geschäftsmodellen erklären lassen. In einem fast drei Jahre alten Artikel hier auf Kassenzone habe ich diesen Zusammenhang schon einmal erklärt, aber mittlerweile kann ich Auswirkungen plausibler nachweisen, den enormen Wachstumszahlen im E-Commerce sei Dank. Das Chart kommt übrigens nicht von mir, sondern vom Shopping24.de Geschäftsführer Björn Schäfers, der mich als mein erster Chef bei Otto mit diesem Thema nachhaltig geprägt hat.

Update: Im Fokus dieses Artikel stehen Unternehmen die ihr Geld mit dem Handel von Produkten verdienen, also keine Marken, Hersteller o.ä. Die Aussagen gelten also eher für MSH, Karstadt, P&C und nicht für Zara, Hugo Boss oder ähnliche. Letztere verdienen ihr Geld vor allem mit der Produktion bzw. Markenbildung.

Der Händler reduziert sich auf die Rolle eines Transaktionsgehilfen

Die Abbildung stellt den Kaufprozess im stationären Umfeld und im E-Commerce vereinfacht dar. Natürlich gibt es auch noch andere Verläufe des Kaufprozesses, aber in der Masse trifft die Darstellung zu. Der Kaufprozess konzentriert sich allerdings auf Käufe, die ein Kaufinteresse voraussetzen. Spontane Käufe die man stationär (bei Frauen) beobachten kann, spielen online bisher kaum eine Rolle. Kein Wunder also, dass Jochen Krisch so aktiv auf der Suche nach Online Geschäftsmodellen für Frauen ist. In meiner Darstellung gehe ich davon aus, dass ein Kaufinteresse ausgelöst wird – egal ob online oder offline. Das könnte z.B. durch den Defekt bei einer Digitalkamera passieren, oder durch die Einladung zu einem Event, bei dem neue Kleidung benötigt wird. Was lässt sich dabei beobachten:

  • Stationär: Der Kunde sucht sich ein oder mehrere Einzelhandelsgeschäfts in seiner Umgebung aus (Anbieterauswahl), sondiert das dortige Angebot (Produktauswahl) und kauft schließlich dort ein. Der stationäre Handel übernimmt ggü. dem Kunden verschiedene Funktionen wie z.B. Sortimentierung, Lagerung, Präsentation, Inkasso usw. und rechtfertigt damit seine Marge.
  • E-Commerce: Der Kunde informiert sich online über für ihn passende Produkte mit Hilfe von Produktsuchmaschinen, Bewertungsportalen (u.a. auch Amazon) oder Suchmaschinen generell (Produktauswahl). Hat er sich dann für ein passendes Produkt entschieden, sucht er sich die Kaufstätte aus (Anbieterauswahl). Diese Auswahl kann nach sehr individuellen Präferenzen erfolgen, z.B. Preis, Verfügbarkeit, Service. Bei Anbieter seiner Wahl kauft er dann ein (Produktkauf). Der Onlinehändler übernimmt ggü. dem Kunden deutlich weniger Funktionen also im stationären Handel. Die Präsentation und Sortimentierung spielt eine deutlich untergeordnete Rolle und deshalb ist auch das Margenpotential kleiner. Ein Teil der Marge geht durch die Kundenakquisition über Suchmaschinen & Co. verloren.

Kaufprozess

Etwas deutlicher ausgedrückt heißt das: Der Händler ist im E-Commerce oft nur eine billiger Transaktionsgehilfe. Die individuellen Anstrengungen der Händler in Form von Versandkostenfreiheit, Pricing, Telefonservice, Chat…. dienen lediglich dazu das marktkonforme Leistungsniveau zu halten bzw. zu erreichen, aber sie funktionieren bisher nicht als langfristige Kundenbindungsmaßnahme. Ganz wenige Ausnahmen, wie z.b. Amazon Prime, sind in der Regel nicht auf andere Marktteilnehmer übertragbar. Zwei Dinge lassen sich an dieser Stelle festhalten: A) E-Commerce und Stationärer Handel sind fast immer zwei vollkommen verschiedene Geschäftsmodelle. B) Stationäre Händler sollten in der Regel nicht anstreben ihr Geschäftsmodell zu einem E-Commerce Geschäftsmodell zu verändern.

stationaer

Wunsch und Wirklichkeit

Bis zu dieser Stelle hört sich das noch etwas abstrakt an. Insbesondere die stark vereinfachte Darstellung führt regelmäßig zu schwer lösbaren Diskussionen, die aus der n=1 Perspektive geführt werden. „Ich kaufe gerne in Läden ein.“ Deshalb versuche ich in der folgenden Tabelle die Wunschperspektive vieler Händler oder Flächenbetreiber mit der hier dargestellten Wirklichkeitsperspektive zu vergleichen. Ggf. etwas überzeichnet, aber dadurch hoffentlich verständlich.

Wunsch Wirklichkeit
Wir müssen unser Sortiment auch online anbieten, um die Kunden wieder zurückzugewinnen und mehr Umsatz zu machen. Kunden die online in dem neuen Shop einkaufen werden, müssen teuer akquiriert werden, zeigen keine Bindung zum stationären Laden und sind inkl. aller E-Commerce Kosten stark unrentabel
Wenn wir es schaffen unsere Handelskompetenz auch online zu vermarkten, können wir erfolgreich E-Commerce betreiben Die Kunden suchen bisher Produkte und Transaktionspartner und keine stationäre Beratungskultur. Mag sein, dass das irgendwann mal wieder gefragt ist, aber ihr solltet euch nicht daran versuchen das gelernte Kundenkaufverhalten ändern zu wollen.
Wenn Kunden online nach Ware suchen und sehen, dass wir diese stationär verfügbar haben, bestellt er/kommt in den Laden Abgesehen von den erheblichen Kosten, die eine offline/online Synchronisation von Ware verursacht, wird der Kunde nicht bereit sein mehr als den „Onlinepreis“ zu bezahlen. Ein Stationärgeschäft, das höhere Kosten pro m² hat als ein Grüne Wiese Versandlager wird das auf Dauer nicht anbieten können.
Wir sollten unsere Kunden auf allen Kanälen bedienen können (Multichannel) Kein Kunde erwartet das wirklich und honorieren tut er das erst Recht nicht. Warum also?
…. ….

 

Obwohl ich Kassenzone.de betreibe, bin ich ganz sicher kein reiner E-Commerce Verfechter. Mir ist es ehrlich gesagt ziemlich egal über welchen Kanal und mit welcher Innovationskraft das Geld verdient wird – Hauptsache es wird nicht sinnlos mit zum Scheitern verurteilten Maßnahmen verpulvert. Wer die Tabelle aufschlussreich findet, wird sich bestens mit unserem pessimistischen Artikel zur Zukunft des stationären Handels unterhalten (Das letzte Zucken). Insbesondere die zahlreichen Kommentare dazu liefern weitere gute Beispiele.

Die Lösungsansätze sind leider nicht sexy

„Herr Graf, was können Sie uns dann empfehlen?“ Vor dieser Frage habe ich immensen Respekt. Es ist viel einfacher in unserem Marktumfeld zu sagen, dass etwas nicht funktioniert, als funktionierende Lösungen zu skizzieren. Um diese Frage vollständig zu beantworten, müsste man sich auch noch die Learnings aus E-Commerce Modellen anschauen, die versucht haben den eben skizzierten Kaufprozess zu durchbrechen. (Groupon, Limango, Woot….). Verkürzt lässt sich aber Folgendes festhalten:

  • Es macht für stationäre Konzepte in der Regel wenig Sinn Online Handelsmodelle nachzubilden
  • Der Fokus muss bei allen Maßnahmen darauf liegen mehr Kunden in die Geschäfte zu bekommen, aber niemals darauf direkt online zu verkaufen
  • Alle Positionierungen als Transaktionsgehilfe sind zu vermeiden. Diese führen in ein sehr teures und nie profitables Hamsterrad.
  • Schlechte Produkte werden auch im Rahmen einer Multichannelstrategie online nicht verkäuflicher
  • Investieren Sie nicht blind in Service, sondern sorgen sie für noch bessere Produkte bzw. Angebote
  • E-Commerce wächst zwar sehr stark, aber E-Commerce Umsatz ist fast immer deutlich unprofitabler als stationärer Umsatz

Das E-Commerce BuchMehr zu den Themen stationärer Handel, E-Commerce Strategie und zur Bewertung diverser digitaler Geschäftsmodelle finden sich im Juni 2015 erschienenen „Das E-Commerce-Buch“ von Holger Schneider und Alexander Graf. Bereits nach kurzer Zeit führt das Buch diverse Bestseller Listen bei Amazon an und wurde im Schnitt mit 5 Sternen bewertet. 39,90€ Euro, 305 Seiten, 20 Jahre E-Commerce Know How.

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