Zalando bewegt die Gemüter. Das lässt sich in den diversen (oft trivialen) Beiträgen und den zugehörigen Kommentaren zu diesem Rocket Internet Projekt ablesen. Besonders oft liest man von angeblich überzogenen Bewertungen und Mitleidsbekundungen für die aktuellen und/oder die zukünftigen Investoren die das investierte Geld niemals wiedersehen werden. Die Mehrzahl dieser Beiträge sind lediglich subjektive Meinungen, teilweise auch Gerüchte, gestützt durch… nix. Das nehme ich in den folgenden Sätzen gerne zum Anlass, um möglichst Objektiv die Fakten von den Gerüchten zu trennen. Vielleicht lässt sich so eine faire Bewertung für das Projekt „Zalando“ ableiten.
Geschäftsmodell:
Zum Start vor knapp zwei Jahren, sicherlich inspiriert durch zappos.com, hat Zalando Amazon-like diverse Entwicklungsstufen im Zeitraffer durchlaufen und hat heute noch kaum etwas mit einem serviceorientierten Schuhshop zu tun. Mit der Sortimentsausweitung in den Bereich Fashion, dem Aufbau von Eigenmarken (sehr komplex) und den kürzlichen Ausflügen in Richtung E-Commerce Service Provider hat Zalando bereits wichtige Meilensteine geschafft. Ob das nun mit der guten Ausbildung des Teams (Grüße ans Gymnasium Kronshagen!) oder mit dem Support durch das Samwerteam zu tun hat, darüber kann gestritten werden. Ich denke eher, dass es notwendige Anpassungen sind, um mit so einem Händlermodell überhaupt Geld verdienen zu können. Sortimentsbreite durch Fashion = höhere Warenkörbe (mehr Ausschöpfung), Eigenmarken stärken die Marge und B2B Services sorgen für bessere Auslastung/geringe Stückkosten. Es geht bei einem solchen (unattraktiven) Händlermodell mE nicht darum die Gewinne zu erhöhen, sondern erst einmal in die Gewinnzone zu kommen. Das dürfte auch bei einer durch Florian Heinemann optimierten Onlinemarketingstrategie nicht einfach sein. Das Modell kann nur funktionieren, wenn alle Prozesse (inkl. Retouren) effizient laufen und große Umsatzvolumina erreicht werden. Den zweiten Part dürfte Zalando bereits geschafft haben. Beim ersten Part sind kundenseitig bereits sehr viele Themen in der Spur. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die enge Verzahnung der diversen Absatzkanäle zu verschiedenen Preisstufen (Zalando, Lounge, Offers…) sehr intelligent. Wenn Zalando es schafft für die diversen Marken in Deutschland/Europa der größte Absatzkanal zu werden (für einige Marken ist das mE bereits der Fall), treten zudem noch Skaleneffekte ein, die deutliche Margenvorteile gegenüber anderen Händlern bringen kann. Trotz aller Optimierung wird es aber vor Investitionen auch langfristig nicht möglich sein zweistellige Margen mit diesem Modell zu erwirtschaften. Dafür die Kundenakquisition in diesem Markt zu teuer.
Strategie & Operations:
Ich gehe davon aus, dass Rocket das Zalando Projekt relativ opportunistisch entwickelt hat. Dass am Ende nun so ein dickes Ding daraus wird, war nicht absehbar und liegt nicht zuletzt an ein paar branchenbedingten Veränderungen und der Bereitschaft einiger Investoren mit viel Kapital in das Modell einzusteigen. Auf den ersten Blick sieht eine Inkubatorenstruktur denkbar ungeeignet aus ein solch kapitalintensives Modell zu entwickeln und langfristig zu halten. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass nun nach fast zwei Jahren die Zentralstrukturen von Rocket bei Zalando nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Zalando führt also nicht mehr dazu, dass andere Projekte liegengelassen werden müssen. Es hat sich eher zu einer aktiv gemanagten Beteiligung entwickelt. Das wird u.a. auch durch mittlerweile einigermaßen professionelle Teamstrukturen bei Zalando deutlich, auch wenn sich die Mitarbeiter eher bedeckt halten bei Xing & LinkedIn. Auch Rocket hat sich in den letzten beiden Jahren weiterentwickelt. Nicht zuletzt darum äußert sich Oliver Samwer in Interviews offen für langfristige Engagements und ein Partnermodell bei Rocket. Das macht Sinn, weil das Geschäft weniger volatil wird und trotzdem genauso lukrativ sein kann. Die Frage „Wann verkaufen die endlich?“ ist aus meiner Sicht daher falsch. Es gibt keinen Verkaufsdruck mehr, solange der Business Case erfüllt wird. Ob es am Ende ein Börsengang wird oder einfach ein profitables Modell muss jetzt nicht entschieden werden. Auch diese Entscheidung (muss) wird opportunistisch fallen.
Operativ hat Zalando viele Sachen sehr gut gemacht. Sie sind beim Thema Online Kompetenz der mit Abstand beste Händler am Markt. Sie haben TV-Performance-Marketing groß gemacht und werden demnächst damit sicherlich in einigen Lehrbüchern zitiert. Grundsätzlich gab es solche Deals (auch im Radio Bereich) schon sehr lange, aber die gem. Branchengerüchten 60 Mio. Bruttowerbewert 2010 sind neu und definieren den Markt für Folger. Im Backend (Prozesse, Abwicklung, Retouren…) musste Zalando bisher sicherlich Lehrgeld zahlen, aber wer so stark wächst, wird das ausgleichen können. Zalando ist bereits jetzt DAS Online Brand für Fashion & Schuhe, hat ordentliche Werte im Bereich Kundenzufriedenheit und macht in der Abwicklung viele Sachen sehr gut. Im Bereich Steuerung & Performance der Kundenakquisition über alle Kanäle hinweg sind sie in dieser Größenordnung der Maßstab für den Markt. Man wird auf der Einkaufsseite sicherlich auch mal den ein oder anderen unzufriedenen Händler finden, aber die Marktmacht von Zalando (in Deutschland) ist bereits enorm. In der Summe werden die Partner mit Zalando zufrieden sein. Das nächste „Meisterstück“ wird die Etablierung starker Eigenmarken, die ordentlich Geld in die Zalando Kasse spülen (müssen). Das ist leider nicht so gut multivariat testbar wie der Aufbau von Landingpages und daher entsprechend teuer. Genauso verhält es sich mit der Senkung der Retourenquote und dem Aufbau von zugehörigen Prozessen. Mit etwas Geduld und Kapital sind aber auch diese operativen Herausforderungen zu meistern.
Zahlen:
Es kursieren die verschiedensten Zahlen im Markt. Ich versuche mal ein paar von den „Gerüchten“ zusammenzufassen.
Kapitalrunden: Laut Exciting Commerce gab es bisher 14 Kapitalrunden. Aus der Anzahl der Runden lässt sich leider nicht die Kapitalausstattung ablesen und schon gar nicht die Verteilung der Anteile. Da Zalando aber weiterhin ordentlich Gas gibt, insbesondere mit der kapitalintensiven Internationalisierung, scheint es kapitalseitig noch zu funktionieren. Die Kapitalrunden sind sicherlich auch im Interesse der Kapitalgeber, da sie so in jeder Runde zu aktuellen Bewertung, ggf. sogar unter Vorzugsbewertung, ihre Anteile aufstocken können. Kritisch ist ggf. die Höhe des bereits eingezahlten Kapitals durch die Hauptkapitalgeber. Damit sind sie gewissermaßen in einer Lock-In Situation und „müssen“ finanzieren. Die bisher getätigten Investitionen werden in dieser Größenordnung nicht mehr als Sunk Costs betrachtet, auch wenn es betriebswirtschaftlich sinnvoll wäre. Heißt: Auch wenn Holtzbrinck dem Modell mittlerweile kritisch gegenüber stände, würden sie weiter finanzieren. Ich gehe davon aus, dass mittlerweile ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag in allen Zalandoaktivitäten steckt. Allein der Aufbau des Lagers wird bisher einen signifikanten zweistelligen Millionenbetrag gekostet haben.
Mediadeal: Zu diesem Thema gibt es sehr viele unterschiedliche Meinungen. In der Summe wird davon ausgegangen, dass der Mediapartner eine Kaufoption auf ca. 5% der Zalando Anteile zu einer vorher vereinbarten Bewertung hat. Im Gegenzug wird massiv Mediavolumen (ca. 60 Mio. brutto 2010) zur Verfügung gestellt und mit den daraus resultierenden Mehrumsätzen anteilig vergolten. Der Mediapartner braucht also ein ordentliches Tracking. Der Handelspartner wird versuchen die meisten Umsätze anderen Kanälen als Direct bzw. Google Brand zuzurechnen. Es ist nicht auszuschließen, dass es dabei auch mal zu Streitigkeiten kommt, wenn solchen Volumina dranhängen. Unabhängig davon scheint es für beide Seiten zu funktionieren, sonst wäre der Werbedruck nicht mehr so hoch. Ich gehe davon aus, dass alle etwas größeren Startups mittlerweile versuchen solche Deals zu bekommen. Auf der Medienseite steigt nach meiner Beobachtung auch die Bereitschaft solche Deals zu machen. Ungenutzte Werbeplätze stehen in Massen zur Verfügung. Ich bin gespannt wie sich z.B. die Beteiligungen des neuen German Media Pools entwickeln.
Umsatz: Auch beim Umsatz gibt es sehr unterschiedliche Annahmen. In den einschlägigen Blogs und Kommentaren gibt es aber viele Kommentare die auf Basis von Durchschnittswarenkörben, Retourenquoten, Trafficquellen & Co. gute Ansätze für eine Umsatzschätzung liefern. Außerdem gibt es Möglichkeiten die Bestellanzahl mit Hilfe der Artikelnummern zu schätzen. Das geht dann zwar langsam in den Bereich der Glaskugel, aber es liefert teilweise interessante Ergebnisse. Basierend auf solchen Schätzungen und einigen Marktinfos dürfte Zalando 2010 zwischen 250 und 400 Mio. Euro Bruttoumsatz gemacht. Ich gehe davon aus, dass sie bereits jetzt teilw. Wochenumsätze jenseits der 20 Mio. Euro Marke fahren und wenig Probleme haben werden in 2011 die Milliarde Bruttoumsatz zu überspringen. Vielleicht wird es sogar noch mehr, aber dafür muss die Kundenbasis noch deutlich wachsen. Den leichten Einbruch bei Google Trends sehe ich noch nicht kritisch. Ich denke, dass Zalando mittlerweile in der Lage ist sehr viel direkten Traffic auf seine Website zu ziehen (Brand!), so dass Google mit dem Tracking nicht hinterherkommt. Interessanterweise korreliert der Google Traffic auch mit dem Mediadruck. Heißt: Die Kunden neigen dazu das beworbene Produkt/Unternehmen erst einmal bei Google einzugeben anstatt direkt auf die beworbene Website zu gehen.
Ergebnis: Es ist nicht zielführend in der aktuellen Phase über EBT & Co. zu diskutieren, weil wir ja gar nicht wissen welches Ziel mit dem Unternehmen verfolgt wird. Im Deckungsbeitrag 2 wird Zalando sicherlich profitabel laufen, aber was dahinter kommt ist von außen nicht ersichtlich. Vor Investitionen wird es allerdings schwer zweistellige Margen zu erreichen. Mich würde momentan interessieren, was generell vor Investitionen bei Zalando hängen bleibt. Das momentan viel Geld für den Aufbau der Unternehmung gebraucht wird, ist nicht zu übersehen. Das hat allerdings nichts mit der Profitabilität des Geschäftsmodells zu tun. Das wird in der Diskussion über Zalando aus meiner Sicht oft vermischt.
Bewertung: Szeneorakel Jochen hat gerade einen vielzitierten Wert von 1,6 Mrd. Euro zur Sprache gebracht. In den Kommentaren wird dieser dann auf ca. 1 Mrd. reduziert, weil die Annahmen noch einmal überprüft worden sind. Für ein Unternehmen, dass innerhalb von 2,5 Jahren auf ca. 1 Mrd. Euro Umsatz wachsen wird und hinter dem noch sehr viel Phantasie steckt, ist eine solche Bewertung durchaus moderat. Abgesehen davon ist diese Bewertung 100% virtuell, weil niemand 1 Mrd. Euro für Zalando gezahlt hat, sondern alle darauf wetten, dass das Unternehmen noch viel viel größer wird. Damit verabschiedet sich Zalando langsam von der Möglichkeit gekauft zu werden und muss auf einen IPO hinarbeiten, damit die Investoren ihren Einsatz kapitalisieren können. Als Käufer bleiben neben eBay und Amazon (unwahrscheinlich) nur noch sehr sehr wenige Unternehmen im Spiel. Verglichen mit den Bewertungen zu LinkedIn, AirBnB, Facebook und Groupon ist Zalando eher unterbewertet. Das hat allerdings nichts mehr mit den Zahlen zu tun, sondern ist eher ein Zeichen einer Blase. Auch beim erwarteten KGV (vor Invest) können bei 1 Mrd. Euro Umsatz und hoher Wachstumserwartung ordentliche Werte unter 20 erreicht werden. (eigene Schätzung)
Fazit:
Ich zolle größten Respekt vor dem was das Zalando Team und Rocket Internet innerhalb der letzten beiden Jahre aufgebaut hat. Dazu gehört schön sehr viel unternehmerische Kompetenz und operative Exzellenz. Mit dem oft gehörten „Geld verbrennen“ hat das aus meiner Sicht nichts zu tun. Man kann bei der Bewertung des Geschäftsmodells oder der Wachstumsstrategie sicherlich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ich halte es aber für äußerst gewagt Zalando als Blase zu bezeichnen bei der nur Geld verbrannt wird. Für Leute die lernen wollen wie heute E-Commerce funktioniert bietet Zalando sicherlich eines der attraktivsten Arbeitsumfelder in Europa. Ob es am Ende funktioniert und die Wette auf das Modell und den Markt aufgeht ist noch nicht abschließend zu sagen. Das liegt nicht zuletzt daran wie einfach die Beschaffung weiteren Wachstumskapitals wird. Momentan sieht es ganz gut aus. Eine kleine Finanzkrise kann sich allerdings sehr negativ auf den Erfolg auswirken. Es bleibt also spannend.