Schon die erste Ausgabe des zum Thema Onlinehandel für Lebensmittel (K#164) mit Udo Kießlich war enorm lehrreich. In der zweiten Ausgabe setzt Udo noch einen drauf und erklärt was Picnic aus Holland (seit kurzem in Düsseldorf) soviel besser macht als REWE aus Deutschland oder Ocado aus UK. Dieses Modell scheint den bisherigen Liefermodellen deutlich überlegen. Auch das Ocado Prinzip scheint begrenzt zu sein. Auch darüber sprechen wir im Podcast. Picnic ist zurzeit eines der spannendes Investmentmodelle in Europa (nicht nur im Bereich Lebensmittel). Insbesondere die Fähigkeit das Modell in kleinen Schritten auszurollen macht es so smart. Viel Spass beim Podcast! 

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Online-Lebensmittelhandel international mit Udo Kiesslich, E-Food-Experte und -Berater

Fünf Jahre lang war Udo Kiesslich einer der Geschäftsführern des Online-Lebensmittel-Vollsortimenters AllyouneedFresh. Noch in dieser Funktion eruierte er 2017 mit Alex die Frage: Wie groß wird der Lebensmittelhandel online bis 2020? Nun firmiert er als freier Berater im Segment E-Food. Im Januar war er erneut bei Alex zu Gast, um die jüngsten Entwicklungen im Markt sowie die Aussichten für REWE, Amazon Fresh und andere (Nicht-)Teilnehmer 2018 zu besprechen. Es wurden insbesondere das Thema Logistik – Stichwörter Personalengpässe und Automatisierung in den Lagern, Letzte-Meile-Problematik – vertieft. In dieser Folgeausgabe geht es vorrangig um Picnic und Ocado aus Holland beziehungsweise Großbritannien.

Übertragen auf Deutschland ist Picnic sehr interessant

03:15

Alex: Seit unserem letzten Podcast sind ein paar Sachen passiert: Wir wissen etwas mehr zum Wachstum im Markt und REWE ist mit einer spannenden Information rausgekommen.

Udo: Richtig. Zum einen haben wir jetzt die BEVH-Markzahlen von 2017: Da war das erweiterte Lebensmittelbereich knapp das zweitstärkste Vertical. Vorletztes Jahr hatte er das stärkste dargestellt. Das Wachstum lag wieder bei über 20%. Das zeigt, dass auf Kundenseite die Dynamik weitergeht.

Zum anderen hat REWE nun offiziell bestätigt, dass irgendwann in der erste Jahreshälfte im Großraum von Köln sein erstes vollautomatisiertes Fulfilment-Center in Betrieb genommen wird. Köln ist übrigens nicht weit weg von Düsseldorf, wo es eine andere interessante Entwicklung gab: Der holländische Anbieter Picnic hat erklärt, seinen Dienst auf das Ballungsgebiet rund um Düsseldorf und Neuss ausweiten zu wollen – und das direkt umgesetzt. Das ist insofern interessant, als sie starkes Wachstum verzeichnen und ein etwas anderes Geschäftsmodell fahren. Zudem hat sich Edeka zu 20% an der Firma beteiligt.

So kann man sagen: Es wird 2018 nicht langweilig!

Alex: Gute Überleitung, denn in dieser Ausgabe wollen wir uns eher den niederländischen und den britischen Markt ansehen. Dazu sind auch ganz viele Fragen aus der WhatsApp-Gruppe eingereicht worden.

Fangen wir aber mal mit Picnic an. Das Unternehmen dürfte den meisten noch nicht bekannt sein. Ich glaube, viele können sich zwar vorstellen, was ein REWE- oder Edeka-Lieferservice macht. Aber Picnic funktioniert anders. Kannst du uns das Konzept erklären.

Udo: Die Firma wurde 2014 in den Niederlanden gegründet und kam mit einer ganzen Bandbreite an interessanten operativen Features um die Ecke. Beginnen wir mal mit ein paar Highlights daraus: So haben sie lustigerweise nicht in einem großen Ballungsraum angefangen, sondern sich bewusst Ammersfort – eine kleinere Stadt in der Größenordnung 150.000 Einwohner, im zentral-östlichen Teil von Holland gelegen – ausgesucht. Es gibt ja den schönen Spruch: „Lieber der erste auf dem Dorf als der zweite in der Stadt.“

Was man dazu wissen muss: In den mittleren und großen Städten fällt die Einwohnerdichte von den Niederlanden ungemein höher aus als in Deutschland. Nur so als Beispiel: In der Stadtregion, in der sie angefangen haben, liegt die Einwohnerdichte höher als in der Innenstadt von Frankfurt am Main! Das ist eine strukturelle Eigenschaft, die in der Zustellung – egal mit welchem Modell – sicherlich hilft.

Das Gründerteam bestand eher aus erfahrenen Leuten, die schon irgendwo einen Exit gemacht hatten. Der PR-Story zufolge haben sie den Markt gründlich analysiert und ihr Konzept den Ergebnissen angepasst. So ist das ganze Online-Angebot bei ihnen nur mobil verfügbar. Auf die Gründe können wir später eingehen…

8:00

Alex: Und woher kommt ihre Ware?

Udo: Sie kommt aus dem Großhandel. Für den deutschen Markt sind sie aber jetzt eine Kooperation mit Edeka eingegangen. Ich schätze mal, das gilt für bis zu 80% der Ware. Die 20% Frischesortiment besorgt man sich dann bei Local-Heroes.

Ein weiterer Punkt bei Picnic: Wenn man einkaufen will und eine Adresse eingibt, dann heißt es erstmal: Warten! Man kann nicht direkt einkaufen, sondern muss man sich zunächst auf einer Warteliste anmelden. Das ist übrigens kein Fake, bei dem man einen Tag später freigeschaltet wird, sondern man muss sich wirklich teilweise bis zu sechs oder acht Wochen gedulden.

Das liegt daran, dass sie ein anderes Zustellmodell haben. Bei den meisten Shops sucht man sich einen Tag und dann ein Lieferzeitfenster aus. Diese Fenster sind dann je nach Saison und Anbieter unterschiedlich bepreist. Vereinfacht gesagt: Der Kunde bestimmt und zahlt dafür einen Preis. Die Mindestbestellwerte liegen dann bei 40-50-60 Euro relativ hoch. Lieferkostenfreiheit erreicht man erst jenseits der 80-90-100-Euro-Marke.

Picnic macht es grundsätzlich anders. Der Mindestbestellwert ist immer 25 Euro – und die Lieferung ist immer versandkostenfrei. Dabei kriegt man pro Tag nur einen Lieferslot angeboten. Man muss bis 22:00 bestellen, um am nächsten Tag beliefert zu werden. Gebe ich etwa samstags eine Bestellung auf, kriege ich am Montag ein einziges Zeitfenster von – sagen wir mal: 18 bis 19 Uhr. Am Dienstag gibt es einen weiteren, zum Beispiel: 14-15 Uhr. Und am Mittwoch gibt es einen dritten: 10-11 Uhr. So wird das ganze Prinzip umgedreht: Der Kunde kann formal wählen, kriegt aber keine wirkliche Auswahl.

Alex: Ist das jeden Tag in jedem Viertel immer das gleiche Zeitfenster?

Udo: Nein. Sie haben feste Touren und je nachdem, wie weit das Viertel vom Lagerzentrum entfernt ist, gestaltet sich die Dichte und die Abdeckung anders. Aber je dichter die Kundenpenetration von Picnic in einem gewissen Viertel wird, desto engmaschiger wird das Netzwerk an Liefertouren. Nichtsdestotrotz kriegt man auch in der bestbedienten Ecke pro Tag immer nur ein Zeitfenster. Man könnte einwenden, dass das nicht besonders serviceorientiert ist, aber darauf gehen die Kunden eben ein. Und der Vorteil davon: Man kann sich schon für 25 Euro Einkaufswert das umsonst zu sich nach Hause liefern lassen.

Denn dabei muss man im Hinterkopf haben, dass Durchschnittskunden im normalen stationären Lebensmitteleinzelhandel selten für 100 Euro einkaufen. Der Bon liegt meistens bei 20 bis 30 Euro. Das heißt: Durch diesen operativen Kniff schafft es Picnic, die Breite des Marktzugang unheimlich zu erweitern. So sprechen sie nicht nur Mehrpersonenhaushalten mit gutem Einkommen an, die sich regelmäßig 100-Euro-Warenkörbe leisten, sondern auch im Prinzip auch jeden Single.

(Daraufhin fragt Alex, wo Mindestbestellwerte in Deutschland bei den verschiedenen Anbietern liegen. Danach geht es um die Entstehungsgeschichte von Picnic: Da die Gründer die erste Runde mit eigenen Mitteln bestritten, konnten sie sich Zeit lassen, sehr gute Lösungen zu entwickeln und beispielsweise eine elektrische Lieferflotte zu beschaffen. Der Erfolg nach Launch sei dann raketenhaft gewesen. Zum Jahreswechsel 2015-2016 haben sie dann 100-110 Millionen Euro von niederländischen Family-Offices als zweite Finanzierungsrunde eingestrichen. Derzeit haben sie vier Fulfilment-Center von rund 5.000m² und 20 Depots. Mit 4.000 SKUs sei das Sortiment vergleichsweise begrenzt. Der Umsatz liegt im neunstelligen Bereich. Laut Eigenangaben brauchen sie auf einem Gebiet rund 5.000 Kunden, bis sie dort profitabel arbeiten. In Städten wie Utrecht, Leiden und Amsterdam haben sie mittlerweile über 5% Marktanteil im kompletten Lebensmittelhandelssegment.

Auf Nachfrage von Alex erklärt Udo, dass verschiedene Anbieter in Deutschland zwar gewisse Elemente aus dem Picnic-Konzept umsetzen, dass es aber kein vergleichbares Modell gebe. Der Geniestreich der Holländer sei vor allem die Umkehrung des Liefermodells.)

16:30

Alex: Wen gibt es denn sonst auf dem niederländischen Markt? Ich habe schon vor Jahren gehört, dass in Holland Albert Heijn sehr weit sei: smarte Kühlschrankbelieferung usw. Wie hält denn der Marktführer dagegen?

Udo: Grundsätzlich kann man sagen, dass die Niederländer in Sachen Online ohnehin ein bisschen weiter sind: Wir sprechen von einer E-Commerce-Penetration von 3% im Lebensmittelbereich (in Deutschland sind es 1-2%). Albert Heijn ist stationär der Marktführer und war bis vor rund 18 Monaten vermutlich auch online führend. Im Internet setzen sie rund 200 Millionen Euro um und fahren dabei einen eher klassischen Ansatz: Große Zentrallager, eigene Lieferflotte mit einer Auswahl an Lieferzeitfenstern, hohe Mindestbestellwerte (40 Euro, Versandkostenfreiheit erst ab 70 Euro), ein Sortiment von über 26.000 Artikeln.

In den Niederlanden haben wir somit einen interessanten Fall, den wir noch nicht in anderen Ländern hatten: Die Geschäftsmodelle fangen an, sich wirklich spürbar zu differenzieren. Aber diese entgegengesetzten Konzepte machen den Markt jetzt unter sich aus: Alles andere sind kleine Mickey-Mouse-Unternehmen.

18:35

(Im folgenden geht Udo detailliert darauf ein, wie Picnic es schafft, den Mindestbestellwert 25 Euro auch wirtschaftlich anzubieten. Er geht die Drop-Dichte-Rechnung durch. DHL schaffe insgesamt rund drei Halte pro Stunde. Ocado im UK komme schon auf drei bis vier. Picnic behaupte, bis zu sieben Stopps die Stunde zu erreichen. Das senke die Kosten pro Lieferung. Das Unternehmen komme dann in eine Aufwärtsspirale: Geringe Mindestbestellwerte führt zu bereiteren Nutzung, höheren Penetration und zahlreicheren Bestellungen – und ergibt dann noch geringere Kosten pro Lieferung.

Zudem setze Picnic Big-Data-Ansätze ein, um wichtige örtliche Details wie Verkehrsaufkommen zu verschiedenen Zeiten, Abstände in verschiedene Stockwerke auszuwerten und den Kunden 10 Minuten vor der Lieferung Bescheid zu geben. Bei einer ohnehin sehr genauen Zeitangabe von einer Stunde müssten Kunden dann nicht so lange auf den Boten warten. Der Bote spreche Kunden dann sehr personalisiert an: Erstkunden kriegen Geschenke; beim nächsten Mal wird was für etwaige Kinder mitgebracht.

Alex fragt, welchen Anteil der Gesamtkosten die Drop-Kosten ausmachen. Die Zustellung insgesamt sei neben Fulfilment einer der zwei größten variablen Kostenblöcke, antwortet Udo. Insofern seien die Best-in-Class-Drop-Kosten schon entscheidend für die vermutlich vergleichsweise gute Marge von Picnic. Um bei der Kommissionierung im Lager zu sparen, könne man auf Automatisierung setzen, was Picnic aber bei nur 4.000 Artikeln nicht zu machen braucht. Das Pickung-&-Packing-Konzept sei zwar manuell, aber äußerst effizient. Eine gute Idee, wie es im Lager, bei der Zustellung und sonst im Unternehmen aussieht, vermittelten die Facebook– und Instagram-Auftritte.)

27:30

Alex: Haben dann die holländischen First-Mover Albert Heijn angesichts des Drucks von Picnic irgendwas geändert?

Udo: Das habe ich aus der Ferne zwar nicht mitbekommen, aber interessant ist, dass Picnic anfangs dem Wettbewerb ausgewichen ist. Sie haben ja bewusst in einer mittelgroßen Stadt angefangen: Da wird jeder Bürgermeister oder Kommunalrat, der was zu sagen hat, so ein Unternehmen aufs Schild heben. So haben sie aus der lokalen Verankerung – „aus der Tiefe der Ebene“ – Holland erobert.

Übertragen auf Deutschland ist das sehr interessant. Ich habe ja schon einmal gesagt, dass Nordrhein-Westfalen so eine Art Online-Nirwana für den Lebensmittelhandel ist: Da gibt es noch nicht so viele E-Food-Anbieter. So würde ich sagen, dass Picnic nicht umsonst gerade in Düsseldorf anfängt. Sie hätten ja auch nach Berlin oder Hamburg gehen können. Das haben sie aber nicht gemacht, weil sie da eine andere Wettbewerbsintensität gehabt hätten.

(Alex fasst im Schnellschritt noch einmal die Stärken des Picinic-Konzepts zusammen: Hohe Bestellfrequenz mit starker Wiederbestellquote, was bessere Daten und geringere Lagerkosten verspricht. Zumal sich das Sortiment klein ausnehme. So attraktiv sei das Konzept, sagt Alex, dass es bestimmt bald von Unternehmen in Deutschland ausprobiert werden werde. Udo bestätigt, dass alle, die er in der Branche kennt, in die Niederlanden gepilgert seien, um sich Picnic näher anzusehen. Wer übrigens an der Drop-Frequenz zweifele, könne ein Picnic-Lieferwagen im Mietauto beschatten – was Udo selber nicht gemacht haben will.)

31:15

Alex: Dieser Fall zeigt, dass neue Konzepte im Markt noch viel Raum haben. Es ist keineswegs so, dass derjenige mit der großen Infrastruktur automatisch gewinnen muss.

Udo: Das sehe ich genauso. Ich war immer der Meinung, dass man eine sehr personalisierte und gut vernetzte letzte Meile braucht, was folglich bedeutet, dass man es eigentlich selber machen muss. Das Bestellkonzept auf den Kopf zu stellen, war daher wie gesagt in meinen Augen ein Geniestreich. Was sich zeigen wird, ist ob die bestehenden Anbieter in Deutschland – aber auch in Märkten, die viel weiter sind – das auch schaffen.

Zwar wird in der Branche gern viel imitiert und übernommen. Aber könnte ein Ocado oder ein REWE das ganze Auslieferungsmodell umdrehen? Denn am Anfang muss man viele Kunde in einem Viertel gewinnen, sonst kann man nichts machen.

Alex: Jetzt mal eine Frage aus der WhatsApp-Gruppe: Kommen neue Marktteilnehmer an gute Einkaufskonditionen im Großhandel? Wenn ich als Newcomer zu Ferrero gehe und 1.000 Gläser Nutella kaufen will, bin ich damit schon interessant genug?

Udo: Sie freuen sich zwar über jede Anfrage, aber das sind zu geringe Mengen. So würden die dir keinen Preisangebot geben, sondern sagen: „Das geht mit unserer Zustelllogistik gar nicht.“ Bei so einem Proctor & Gamble oder Pampers ist die geringste Zustelleinheit ein 25- oder 40-Tonne-Truck voll mit Windeln. Das ist aber nur ein Artikel – höchstens fünf, man die ganzen Windelgrößen einzeln rausstellt. Das heißt, selbst wenn der Wille da ist, haben sie gar nicht die Logistik, solche Anrissmengen Kleinanbietern zur Verfügung zu stellen.

Was man unter Berücksichtigung kleiner finanziellen Nachteile aber machen kann: Es gibt in Deutschland drei-vier große Großhändler – darunter Edeka, aber eben auch Anbieter wie Gasgau – von den man das ganze Sortiment beziehen kann. Dafür gibt es ein paar Margenpunkte weniger. Das hat zum Beispiel Amazon gemacht: Sie kooperieren mit Teegut und mit Großhändlern, weil sie noch nicht so große Mengen haben.

34:20

Alex: Das hast ja gerade Ocado genannt: In Holland kann man schon viel lernen, aber lass uns mal zum Fall UK übergehen. Dieser Markt wird unter Analysten und auf Konferenzen zum Thema Lebensmittel am Intensivsten besprochen – insbesondere, weil Ocado da seit zwei Jahrzehnten agiert und mittlerweile ein Milliardenunternehmen ist.

Wie schätzt du diesen Markt ein? Wer sind die Player? Und warum ist man da generell weiter?

Udo: Das Vereinigte Königreich generell und vor allem Südengland haben ein paar strukturelle Vorteile, die es in anderen Ländern in der ausgeprägten Form nicht gibt. Es ist zum Beispiel extrem dicht besiedelt. Allein in und um Greater London gibt es 8-10 Millionen Menschen, im Süden insgesamt viel mehr. Und die Einwohnerdichte ist viel dabei höher als in irgendeiner Stadt in Deutschland. Statistisch besehen ist die Kaufkraft im Vergleich zu Deutschland oder zum EU-Schnitt extrem hoch. Warum? Weil da unheimlich viele Anwälte, Berater, Investmentbanker und dergleichen sitzen. Sie haben wenig Zeit, ein hohes Einkommen und ein ausgeprägtes Convenience-Bedürfnis.

Dann kommt hinzu, dass der E-Commerce allgemein dort deutlich früher angefangen hat und weiter entwickelt ist. Ebenfalls von Bedeutung: In UK ist alles nicht so streng reguliert. Sowohl Arbeitszeiten als auch Verbraucherrecht sind liberaler.

Alex: Was heißt das denn? Darf ich Hackfleisch 10 Grad höher lagern?

Udo: Ein kleines Beispiel: Es gibt kein Glasflaschenpfand! Hierzulande erfordert das eine andere Logistik und verlängert auch den Drop, weil die Kisten ja auch mitzurückmüssen. Anderes Beispiel: Sonntagszustellung ist nicht verboten. Ocado etwa liefert auch sonntags. Man kann viel leichter Sonderschichten fahren und für ein Dreischichtenmodell muss man keinen Anruf bei ver.di tätigen. Der Markt ist groß, zahlungsbereit und attraktiv reguliert. Das so als Einordnung.

Jetzt zum Wettbewerb dort. Ocado wurde 2000 gegründet und ist durch eine stringente, Bottom-Up-Vorgehensweise zur heutigen Stärke gelangt. Sie arbeiten mit einem Hub-and-Spoke-System – also mit Zentrallagern anstatt in Darkstores oder Supermärkten zu picken.

38:05

Alex: Für unbedarfte Hörer: Was ist nochmal ein Darkstore?

Udo: Keine Schweinerei! Das ist so ein kleiner Supermarkt ohne Kunden, in dem die Picker alles möglichst schnell finden. Obst und Gemüse am Eingang, Eis hinten, Süßigkeiten an der Kassenzone: Aufgebaut und eingeräumt wie ein echter Supermarkt, aber komplett ohne Kunden! Aber das ist eher so ein Übergangsmodell, weil nicht so effizient – und das hat Ocado nie gemacht.

Zudem haben sie den Markt eher vom Premium-Bereich ausgehend erschlossen. Sie sind dabei sehr technikaffin, sowohl von der IT-Seite als auch von der Hardware. Spätestens um 2010-2011 hatten sie mehrere Hundert Millionen Euro Umsatz und haben sich eine riesengroße und überaus teure Fulfilment-Center gebaut. Ich gebe mal eine Zahl: Sie haben derzeit ein solches Center im Bau und es hat einen Investitionsaufwand von rund 225 Millionen Pfund.

Alex: Da muss man viel Nutella für verkaufen!

Udo: Die bauen sich richtige Raumschiffe hin, was Segen und Fluch ist. Denn die Effizienz ist brutal hoch, die Qualität ist top, die Produktivität blendend. Außerdem skaliert so eine Infrastruktur relativ gut. Nachteil ist: Sie bindet Kapital und ist unflexibel. Deshalb bietet Ocado so ein Servicepaket an, das sie IP nennen, in dem sie versuchen, die Nutzung ihre Hard- und Software-Lösungen an große amerikanische und europäische Wettbewerber zu verkaufen. Alle wissen, dass das Paket gut ist, aber das Preisschild ist abschreckend. Jetzt haben zwei Gruppen gekauft – Casino in Frankreich und Morrisons in UK. Aber generell hält sich das Interesse in Grenzen, weil der Preis hoch ist und man damit Flexibilität verliert. Stichwort Flexibilität: Ocado führt ein Sortiment von 47.000 Artikel.

Alex: Also zehnmal so viel wie Picnic!

Udo: Ja. Und ich war in so einem Lager von Ocado drin: Sie haben auch eine Frischfischabteilung! Da sind über 80 frische Fischsorten verfügbar, die ganz oder in Stücken bestellt werden können. Ich glaube, dass es bis aufs KaDeWe keine Fischtheke im stationären Handel in Deutschland gibt, die immer 80 Frischfischartikel zur Verfügung hat.

Alex: Doch, bei Deutsche See kriegt man auch. Sogar deutlich mehr!

Udo: Okay, aber ein anderes Beispiel: Bei Hawesko, die man fairerweise als Deutschlands führenden Weinhändler bezeichnen kann, sind online 900 verschiedene Rotweine aufgeführt. Das Ocado-Angebot liegt schon bei 750. Sie sind also sortimentsmäßig super aufgestellt und haben eine extreme hohe Drehung. So sind die Sachen immer knackfrisch.

Um das mal zu veranschaulichen: Montagmorgens sind in den deutschen Supermärkten die Regale noch einigermaßen gut gefüllt. Aber – wer kennt das nicht – zum Donnerstag-/Freitagabend hin sind über alle Ketten hinweg die ersten Artikel ausverkauft. Ocado wird dahingegen drei- bis viermal am Tag beliefert – mit denselben Artikeln!

43:10

(Klar, wenn alles immer frisch und immer lieferbar ist, liege der Preis etwas höher, führt Udo fort, während Alex sein Smartphone zückt und das Frischfischsortimente von Ocado und Deutsche See genauer unter die Lupe nimmt. Letztere führt tatsächlich doch nur 40 Sorten online auf. Ocado-Kunden seien mit einem Durchschnittsbon von 110 Pfund zahlungskräftig, schließt Udo an. Danach erklärt er den Bestellprozess, die Kommissionierung und die Lieferung. Besonderes Feature: Man könne bis zu 21 Tagen im Voraus verbindlich bestellen. Das kriege in Deutschland keiner hin – nicht mal die Kunden, scherzt Alex. Zudem, erzählt Udo begeistert, könne man bis zu wenigen Stunden vor Auslieferung eine bereits bezahlte Bestellung noch um einige spontane Zukäufe ergänzen.

Danach liest Alex vom Smartphone die aktuellsten Ergebnisse von Ocado vor: 1,3 Milliarden Pfund Umsatz mit 644.000 aktiven Kunden 2017 versus 580.000 2016. Zudem verdienen sie 100 Millionen Pfund mit IP-Paketverkäufen. Die Drop-Rate sei ansehnlich. Seit rund vier Jahren sei Ocado nun aus den roten Zahlen raus und habe eine Nettomarge von bis zu 1,5%. Den Breakeven hätten sie aber, so Udo, nur durch Werbekostenzuschüsse und Softwarelizenzierungen erreicht. Das Absatzwachstum liege derzeit um 10% und der Börsenwert bei rund 4 Milliarden Pfund. Daraus könne man die ungefähre Bewertung von Picinic schon heute herleiten.)

48:45

Alex: Wow! Wenn man sich so überlegt, was da bei Picnic für Wachstumsraten gegeben sind, ist das schon erstaunlich! Und dann der freie Kapitalzugang – bei REWE und Edeka wird der ja durch das Genossenschaftsmodell stark eingeschränkt.

Udo: Zudem super skalierbar.

Alex: Klar, wir reden nicht mal über fünf Jahre: Sie brauchen nur zwei oder drei, um den Markt in Deutschland zu erobern!

Udo: Und vergegenwärtigen wir uns da noch einmal: Der Start war in einer Stadt mit 150.000 Einwohnern. Die müssen also nicht nach Berlin oder München…

Alex: … was ja alle gerade wollen!

Udo: Die könnten zum Beispiel hier in Aachen, Regensburg, Ingolstadt den Markt abräumen. Und alle anderen können nichts machen, wenn sie nicht ihr Modell anpassen.

46:35

Alex: Und gibt es in UK neben Ocado andere relevante Player?

Udo: Ja, wobei man zunächst unterstreichen sollte, dass der Online-Anteil im dortigen Lebensmittelhandel mittlerweile bei 6-7% liegt und stramm auf die 10% zugeht. Dabei handelt es sich hier nur um einen Durchschnittswert für ganz Großbritannien. In den Ballungsräumen ist der Online-Anteil schon deutlich über 10% geklettert. Es ist auch in Ocado-Berichten zu lesen, dass sie in einigen Stadtvierteln Penetrationsraten von deutlich mehr aus 10% haben. Und diese Kundschaft besteht nicht aus Schnäppchenjägern, die Käse Blatt für Blatt beim Discounter kaufen…

Sonst ist der Lebensmitteleinzelhandel in UK traditionell unter den sogenannten „Big Four“-Supermärkten aufgeteilt: Tesco, Sainsbury’s, ASDA und Morrisons. Seit spätestens 2014 haben alle vier zumindest vernünftige Online-Angebote. Vom Prinzip her gehen sie alle in Richtung Albert Heijn: Alle mit einem Vollsortiment von 20.-30.000 Artikeln, alle mit einem Zentrallagermodel basierend auf zwei-drei automatisierten Lagern quer durch England und alle mit eigener Zustellflotte auf der letzten Meile mit aktiven Kühlung (also Kühlräume in den Fahrzeugen statt passiver Kühlung mit Kühltaschen, Trockeneis & Co.). Mindestbestellwerte liegen bei allen auch über 40 Pfund und die Lieferkosten werden ebenfalls nach Tag und Uhrzeit gestaffelt. Billigster Zustellslot ist dann montags sechs bis sieben Uhr für rund ein Pfund! Donnerstagsabends wird es mit bis zu sieben Pfund teurer.

Auch interessant: Es gibt so einen Lieferpass, bei dem man wie im Abo-Modell sich bereit erklärt, für drei, sechs oder zwölf Monate online zu kaufen. Dann gibt es eine Gebühr von fünf bis sieben Pfund pro Monat, aber alle Lieferungen erfolgen dann umsonst. Die Idee ist natürlich, den Kunden an sich zu binden, damit er nicht immer hin und her wechselt – und diese Woche hat REWE angekündigt, so etwas ähnliches einzuführen. Da hat natürlich gewisse Parallele zu Amazon-Fresh, was ja für Prime-Kunden mit einem kleinen Zuschlag zugänglich ist.

53:35

(Abschließend will Alex von Udo hören, welche Elemente aus den Geschäftsmodellen von Picnic und Ocado auf Anbieter auf dem deutschen Markt übertragbar sind. Was könnte man sich abgucken? Die operative Exzellenz, sagt Udo: 99% Pünktlichkeit an der Tür, keine Ersatzprodukte – Zitronen dürften nie durch Limetten substituiert werden. Mittelfristig sei der Fulfilment-Bereich wichtig: Automatisierung werde entscheidend sein, wobei Ocado-mäßige Kolosse wahrscheinlich eher nicht die Zukunft seien: Für Same-Day müsse man kleinteiliger und nah an Ballungsgebieten arbeiten. Ocado könnte sich bei Markveränderungen an wenigen Standorten mit vielen Investitionen festgenagelt sehen. Was Ocado aber sehr gut mache: Shop-Logik wie Empfehlungen. Wer Nudeln kaufe, kriege keine sechs andere Nudelmarken angezeigt, sondern Tomatenmark und Parmesan. Das System sei mittlerweile verfeinert und das Shoppen mache dort Spaß, was zu höheren Bonwerten führt.

Alex merkt zum Schluss an, dass die sich Kundenzielgruppen von Ocado und Picnic durch Kaufkraft sehr unterscheiden. Udo zweifelt zustimmend an, ob so ein verwöhnter Londoner  Investment-Banker mit dem Picnic-Angebot zufrieden wäre. Allerdings seien Spitzenangebote wie Same-Hour-Delivery nur mit echten Aufpreisen von sieben-acht Euro anzubieten.

Es wird eine dritte Folge versprochen, in der sich Udo der Markt im USA vornimmt.)

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