48:11 Min.
Verena Bahlsen

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Verena Bahlsen über das Scheitern klassischer Transformationsstrategien und die Zukunft der Kekse

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Kaum ein Podcastgast hat mich in 2018 so beeindruckt wie Verena Bahlsen, die in vierter Generation die Geschicke der Bahlsen Werke leitet bzw. leiten wird. Sie hat ein ausgeprägtes Verständnis über die Herausforderungen ihres Unternehmen, ihrer Industrie und natürlich ein Händchen für digitale Themen und kommt zu sehr unangenehmen Schlußfolgerungen. Spannend zu hören und beeindruckend in ihrer rethorischen Konsequenz. Es würde mich sehr überraschen, wenn wir sie in den nächsten Jahren nicht auf vielen Bühnen beobachten können, aber hört selber rein in die, passend zur Weihnachstzeit, Podcastfolge zum Thema Digitalisierung & Kekse.

Digitalisierung im Lebensmittelmarkt mit Verena Bahlsen, Kekserbin und Gründerin von Hermann‘s

Als sie vor vier Jahren in Berlin das Unternehmensvehikel Hermann’s gründete, widmete Verena Bahlsen die Ideenschmiede ihrem Urgroßvater, dem Unternehmensgründer Hermann Bahlsen, der nach einem längeren Aufenthalt in London vor 130 Jahren die „Buttercakes“ nach Hannover brachte. Mittlerweile bäckt die berühmte Keks-Familie in Deutschland und Polen und zählt 2.800 Mitarbeiter. Weshalb Innovation in ihrer Branche mehr ist als Chiasamen und Zuckeralternativen und wie sie den Spagat zwischen Tradition und Moderne zu meistern beabsichtigt, erklärt Verena in diesem appetitlichen Podcast.

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„Erzählt mir nicht, dass ihr keinen Zucker esst“

03:55

Alex: Ihr macht 550 Millionen Umsatz und seid als historisches und daher klassisches Einzelhandelsunternehmen mitten in der Digitalisierungsphase angekommen. Wie verkauft man heute Kekse? Gibt es so etwas wie einen „Corporate-Keksmarkt“?

Verena: Momentan sind wir komplett abhängig vom Einzelhandel, der jetzt genauso seine Zwänge und seine Themen hat, wie er sich in Zukunft positionieren muss. Und dieser Druck wird auf uns übertragen. Wir müssen zukünftig Wege finden, wie wir ein Direktkundengeschäft aufbauen können.

Alex: Wie hat das denn in der Vergangenheit funktioniert?

Verena: Wir kommen aus einem Markt, der absolut analoge und traditionelle Handlungsstrukturen hat, und haben in der Vergangenheit auch für verschiedene Anbieter Kekse mit anderen Rezepturen und anderen Innovationen gebacken.

Alex: Woher kommt bei euch der Trigger für Innovation, deiner Meinung nach?

Verena: Ich war 21, als ich angefangen habe, und wusste und weiß auch immer noch nicht, wie man traditionell Kekse verkauft. Ich weiß nicht, wie man normalerweise Produkte entwickelt oder Marken positioniert – und das ist die große Chance! Genau deswegen kann ich in ein Unternehmen gehen, das meinen Namen trägt und in dem ich deshalb jede Tür aufmachen und fragen kann, warum die Dinge so sind, wie sie sind, um schlussendlich vielleicht neue Wege einzuschlagen.

Alex: Das ist der Trigger für dich …

Verena: Es waren meine Begegnungen mit verschiedenen Fettnäpfchen und meine dummen Fragen, die einen langfristigen Strategieprozess und Diskussionen ausgelöst haben, die es heute noch gibt und die es auch in den nächsten Jahren noch geben wird.

Alex: Das heißt, du bist der Trigger!

Verena: Versteh mich nicht falsch – es ist nicht so, als hätten wir nicht Menschen in diesem Unternehmen, die nicht verstehen würden, dass wir unter Druck stehen. Das Problem ist nur, dass wir uns in all unseren Bemühungen, so effizient so qualitativ hochwertige Kekse wie möglich zu produzieren, irgendwann in unseren eigenen Strukturen verstricken könnten.

08:15

Alex: Sinkt oder steigt der Kekskonsum?

Verena: Er bleibt gleich, sinkt aber eher.

Alex: Weil sich die Leute bewusster ernähren und der Keks aus der bösen Zuckerindustrie kommt?

Verena: Nein, ich glaube derzeit ist eher die Sättigung des Marktes das Problem. Deshalb müssen wir auf jeden Fall in anderen Kategorien und Lösungen denken. Die Kategorie um Karamellbonbons wächst derweil um 20 Prozent, also erzählt mir nicht, dass ihr keinen Zucker esst!

Alex: Gibt es denn aus deiner Sicht weltweit schon total innovative – ich nenne diese Kategorie jetzt mal „Gebäck“ – Gebäckmodelle, die die Zukunft schlau angehen?

Verena: Die gibt es, aber eigentlich sind mir diese Kategorien egal. Ich finde es viel spannender, von Rohstoffen und Innovationsfeldern ausgehend zu denken. Es gibt die Leute, die über Zucker oder Eiweiß völlig neu nachdenken und es entstehen eigentlich ständig neue Märkte für „gesündere“ Schokolade oder andere Formen von Frühstück. Ich komme aber eher aus einer Systemdenke: Welche Rohstoffe, welche Bereiche, welche Food-Trends könnten für uns wichtig werden? Ich glaube auch nicht, dass wir in 10 Jahren ein Keksunternehmen sein werden, sondern ein Unternehmen, das auch Kekse verkauft.

Immerhin kümmerte sich seinerzeit auch Hermann Bahlsen nicht nur um die Verbreitung von Keksen in Deutschland: Nachdem er im Meat Packing District in Chicago zum ersten Mal Fließbänder gesehen hatte, kam er Henry Ford zuvor und war der erste Fabrikant in Deutschland, der mit diesem Hilfsmittel seine Produktion beschleunigte.

11:25

Alex: Gibt es Berliner Food-Start-Ups, von denen ihr euch deiner Meinung nach etwas abschauen könntet?

Verena: Das ist schwierig, denn ich sehe das Hermann‘s nicht als Start-Up, sondern eher als Hybriden aus Traditionsunternehmen und Innovationsvehikel. Aber auf jeden Fall gibt es Läden, von denen wir echt lernen können, anders über die Industrie nachzudenken.

Alex: Was macht ihr im Hermann’s genau?

Verena: Wir haben hier, separat von unserem Kerngeschäft, ein Team aufgebaut, das rausgeht in die Welt und nach Innovationen und Themen sucht, die Probleme lösen. Wir bauen quasi eine Datenbank auf, denn die wirklich spannenden Sachen findet man weder bei Google noch auf irgendwelchen Konferenzen.

Schließlich diskutieren wir in der Lebensmittelindustrie zwar gerne über dein Lieblingsthema – Digitalisierung – die ja auch super wichtig ist, aber wir diskutieren kein einziges Mal darüber, ob wir unsere Produkte angehen und in ihren Grundbausteinen neu denken müssen. Schlussendlich kippen wir einfach Chiasamen auf die immer gleichen Produkte. Und das habe ich mir zu meiner Agenda gemacht: Wir müssen unsere Grundprodukte angehen, und jetzt ist die beste Zeit, um genau das zu tun. Das heißt nicht, dass Digitalisierung nicht wichtig ist…

Alex: Du hast zwar recht, das hat mit Digitalisierung nichts zu tun: Ihr müsst sowieso immer gute Produkte entwickeln, und bisher hat das mit dem Keks gut funktioniert. In eurem Sinne bedeutet für mich Digitalisierung aber eher, dass man das Handelsmodell verändert. Vor fünf Jahren hätten wir deshalb vielleicht über ein Keks-Abo gesprochen …

Verena: Genau, das hätten wir vielleicht sogar gemacht – und auch das wäre keine langfristige Lösung gewesen, nicht wahr? Immerhin sind wir ein Produkt, das man irgendwie spontan noch einkauft, weil es ein Stück Geborgenheit und vielleicht Familie repräsentiert. Aber wie baut man das in ein E-Commerce-Modell ein? Also, eigentlich lautet unsere Vertriebsstrategie bis jetzt Emotionalität – so kitschig das auch klingt.

Aber – absolut: Digitalisierung ist wichtig und wird in naher Zukunft eine der größten Herausforderungen für uns sein, aber auch nicht die einzige. Und du kommst aus einem Markt, in dem Innovation von Natur aus den gesamten Markt vorantreibt. Ihr habt eine Pipeline aus Innovationen, durch die ihr neue Kategorien, neue Produkte baut. Wir nicht. Wir, die Lebensmittelindustrie, haben vor 100 Jahren mal gesagt: „So sehen unsere Produkte aus“ – und dann vergessen, dass sie eigentlich auch anders sein könnten. Und das ist relativ krass. Und super spannend.

16:50

Alex: Gut. Wie bist du dieses Problem angegangen?

Verena: Da bin ich gerade dran! Für mich ist eigentlich völlig klar, dass wir Produkte neu denken müssen. Und gleichzeitig befinde ich mich in einer Industrie, in der das scheinbar die größte Hybris ist und die größte Blasphemie, die es überhaupt gibt. Und zwar nicht, weil die Leute blöd sind oder Veränderungen scheuen, sondern weil sie sich nicht vorstellen können, dass Produkte, der Weltmarkt für Rohstoffe und Lieferketten wirklich anders aussehen können. Und das ist relativ crazy. Daran arbeite ich in meinem kleinen Kosmos, dem Hermann’s, indem ich Lösungen zur Gestaltung unserer Zukunft an Unternehmen verkaufe.

Alex: Du machst also Beratung?

Verena: Genau, wir machen so etwas wie Innovationsberatung. Ich habe mich zusammengetan mit einer Markenstrategieagentur und einer Digitalstrategie- und Kommunikationsagentur und gemeinsam verkaufen wir Innovationsstrategien an „die alten Marken“.

Geht es nach Alex, ist deren Problem oft nicht das Was, sondern das Wie, denn mittlerweile ist Schnelligkeit der Schlüssel zum Erfolg. In dieser Situation hat Verena den Vorteil, dass ihr Team verhältnismäßig ungebunden ist und frei entscheiden kann. Freies, effektives Handeln wiederum setzt voraus, das alle mitziehen und sich auch erlauben, zu scheitern, denn schließlich ist jedes Handeln besser als Nichtstun. Das wäre stattdessen „die Entscheidung für den sicheren Ausstieg aus dem Wettbewerb“, so Alex.

22:40

Alex: Seit zwei Jahrzehnten ist das ganze Thema Digitalisierung nun schon in vielen Unternehmen präsent und es hat sich gezeigt, dass man auch Handelsunternehmen nicht wirklich von innen heraus transformieren, also in den „Hermann-Modus“ überführen kann. Die bleiben halt im „Bahlsen-Modus“. Doch jetzt entsteht eine Welt, in der das ganze Tool-Set, die ganze Organisationsstruktur, die auf dieses lineare Denken ausgerichtet war, nicht einfach in das Digitale übernommen werden kann. Deshalb nutzen viele Unternehmen nun ihre Ressourcen, um eine „Koalition der Willigen“ zu bilden. Das bedeutet eigentlich, dass man Budget aus dem Unternehmen herauszieht, und auf Wette A, Wette B oder Wette E setzt, in der Hoffnung, dass irgendetwas dabei ist, was groß genug werden kann, um das eigene Unternehmen –

Verena: Natürlich, klar! Und wir können genau diese Diskussion jetzt auch noch einmal haben, aber das wissen wir doch alle längst, dass wir separate, inhärent bessere Systeme bauen müssen. Viel spannender ist es meiner Meinung nach, sich mit den Folgen dieser Systeme auseinanderzusetzen, denn während wir sie bauen und sie erfolgreicher und schneller werden, geht die Schere zwischen dem „Hermann-Modus“ und dem „Bahlsen-Modus“ immer weiter auseinander. Und auch da: Was bedeutet das für uns?

Alex: Und was bedeutet das?

Verena: Das bedeutet, dass man nicht die ganze Zeit nach Synergieeffekten sucht, sondern tut, was für das neue System, ohne jegliche Abhängigkeiten, das marktorientierteste ist. Und gleichzeitig habe ich in meiner Realität diese beiden Marken – die eine in Berlin, die andere in Hannover – die ein deutsches Kulturgut sind, und ich könnte jetzt so tun, als wäre das nicht so. Und trotzdem: Ich als Person kombiniere ja das Establishment und die Rebellion.

26:20

Alex: Ich muss zugeben: Ich bin ein großer Fan von dir. Für dich mag es total einleuchtend sein, dass man diese Modi trennen muss. Bei vielen anderen Familienunternehmen ist das noch überhaupt nicht angekommen. Die versuchen dann, das alte Unternehmen mit seiner Handels-DNA ein bisschen zu digitalisieren – und gründen eine WhatsApp-Gruppe.

Verena: Lass uns noch einmal drei Schritte zurückgehen: Es ist wichtig, neben dem bestehenden System ein neues System zu bauen. Ich halte es außerdem für wichtig, dass die Leute, die das bestehende System führen, das neue System nicht führen dürfen. Nicht weil sie ihre Arbeit nicht gut machen, sondern weil sie völlig andere Ziele verfolgen. Und ich glaube es ist wichtig, dass man jemanden findet, der das neue System völlig anders steuern kann.

Alex: Aber wie machst du das dann? Diese beiden Systeme driften nun auseinander und im Licht des neuen Systems entwickeln sich nach 10 Jahren auch wieder neue Systeme, sodass es praktisch keinen linearen Übergang von alt zu neu gibt. Wie gibst du den Leuten die Zuversicht, dass sie das Richtige tun, statt das Gefühl, in einem Modus zu arbeiten, den es in 20 Jahren wahrscheinlich gar nicht mehr gibt?

Verena: Ich habe bis jetzt versucht, beide Welten mit ganz viel Erklären und guten Argumenten zusammenzubringen. Damit höre ich jetzt auf. Weil man so nicht weiterkommt. Die Frage ist doch: Was ist dir in meiner Position am wichtigsten? Dass dich Leute gerne mögen und akzeptieren? Oder dass du den Inhalt vorantreibst? Es ist uns allen wichtig, was Leute über uns denken, mir auch. Und trotzdem: Der Inhalt ist mir noch ein Tacken wichtiger.

Ich bin da ziemlich rabiat, glaube ich, und das muss ich auch sein. Das ist die einzige Art, wie ich diese Aufgabe bewältigen kann: radikal zu sein in dem was ich tue und respektvoll und wertschätzend in dem, was ich sage und wie ich Leuten entgegentrete.

Alex: Deine Erkenntnis ist also: Klassisches Transformationsmanagement ist in eurem Fall nicht schnell genug.

Verena: Ich glaube, als wir uns bei meinem Vortrag kennengelernt haben, habe ich gesagt: „Ich verstehe Transformation nicht, denn ich bin auch nicht die, die transformieren wird“. Ich weiß nicht, wie man Menschen mitnimmt.

Alex: Aber das machst du doch!

Verena: Ich glaube, es gibt zwei Arten von Unternehmern – und zufällig ist meine Lieblingsautorin Ayn Rand, das sagt eigentlich alles über mich. Ich glaube, es gibt den Unternehmer, der Kram macht und im Sinne des für ihn besten Inhalts entscheidet – was auch immer der beste Inhalt ist – und es gibt den, der sich fragt, wie er ein Unternehmen transformieren kann. Beides ist wichtig, aber beides kann eine Person nicht abdecken. Ich bin zufällig die, die jetzt in Inhalten denkt. Ich kann nicht gleichzeitig daran denken, wie ich Menschen mitnehme. Dann komme ich nicht voran.

Dabei spielen Investitionen, egal welcher Größenordnung, für Verena vorerst keine Rolle. „Auf dem Weltmarkt sind wir ein Kiosk“, sagt sie. Zwar ist Mondelez ein wichtiger Wettbewerber, aber eben auch lokal tätige Unternehmen wie Griesson-de Beukelaer. Deshalb müsse sie genau überlegen, was sie mit ihrem Geld macht – vor allem, wenn damit zu rechnen ist, dass in näherer Zukunft einige Ideen nicht greifen werden.

34:40

Alex: Auch wenn ihr kein Investor seid, wirst du trotzdem den einen oder anderen Businessplan zugeschickt bekommen. Was überzeugt dich an dieser Stelle? Wann rufst du eine E-Mail wirklich auf?

Verena: Weißt du, ich habe mittlerweile eine Evernote-Vorlage für Absagen, und das nicht, weil ich die Start-Ups doof finde, sondern weil wir, meine Familie und ich, gerade erst festgelegt haben, dass wir nur Sachen machen, von denen wir wirklich überzeugt sind. Ich glaube total daran, erst dir am Anfang klarzumachen, was du eigentlich machen willst, bevor du irgendwas machst. Denn schlussendlich machen wir Unternehmen nur aus der Angst heraus, bald nicht mehr relevant zu sein, gerade lauter Scheiß.

Alex: The fear of missing out, gewissermaßen …

Verena: Total! Wenn Angst der Treiber unserer Strategie ist, dann ist das ein Problem. Selbst wenn es mir und meiner persönlichen Dringlichkeit in der Seele wehtut, nein zu sagen, müssen wir erst genau wissen, was wir machen wollen, wo wir hinwollen und wie wir uns das Unternehmen in 10 Jahren vorstellen.

Alex: Trotzdem kannst du dazu ja eine Aussage treffen: Wenn du dir solche Angebote durchliest, gibt es da auch Themen, die für dich in die richtige Richtung gehen?

Verena: Für mich – wie gesagt, Entschuldigung, kein Digitalo – für mich sind das Gesundheit und Nachhaltigkeit. Und damit meine ich nicht „so ein bisschen zuckerfrei“, sondern Produkte, die wirklich nachhaltig sind. Solche Geschäftsmodelle sehen wir jetzt zum Beispiel in den Staaten, wie die Milchalternative aus Erbsenprotein, die mit 200 Millionen gefördert wurde und deren erster Investor Google war.

Alex: Erbsenmilch?

Verena: Warum Erbsenmilch, fragst du? Weil Mandelmilch in Sachen Nachhaltigkeit genauso durchfällt wie Kuhmilch. Will sagen: Handel ist absolut wichtig, aber davon verstehe ich nichts. Stattdessen verstehe ich etwas von Erbsenproteinen.

38:40

Alex: Du hast vorhin erwähnt, dass ihr euch Gedanken darüber macht, ob Bahlsen in 10 Jahren noch ein Keks-Unternehmen sein wird. Wahrscheinlich nicht. Aber wenn nicht, wird es dann ein Produktunternehmen, ein Softwareunternehmen oder eher ein Dienstleistungsunternehmen sein?

Verena: Willst du jetzt als Allererster meine Vision für Bahlsen hören?

Alex: Ja!

Verena: Wir werden ein Produktunternehmen sein und andere Vertriebskanäle haben – ganz bestimmt – werden aber nach wie vor Genussmittel machen, eben nur für eine Sinnwirtschaft. Ich glaube total daran, dass wir auf diese Art Wirtschaft zusteuern, eine Wirtschaft, in der Kaufentscheidungen nicht nur nach Preis und Convenience getroffen werden, sondern erst nach der Beantwortung von Fragen wie „Was tut dieses Produkt mit der Erde?“ oder „Was tut dieses Produkt mit mir?“.

Und weißt du was? Wahrscheinlich wäre jetzt die schlauere Antwort gewesen „Wir werden ein Softwareunternehmen sein“, aber ich bin Bäcker, ich kann nicht anders! Ich liebe Essen und ich liebe Lebensmittel. Ehrlich gesagt glaube ich, dass ich mir Leute suchen muss, die mir erklären können, wie wir ein Handelsunternehmen werden können.

Auch wenn er Verenas Vision gerne teilen würde, meldet Rinderzüchter Alex – unter anderem aus eigener Erfahrung – ernsthafte Zweifel an der Auswahlkompetenz der Kunden an. Im Rahmen der bestehenden Handelsstrukturen fielen sie zu schnell in alte Muster zurück: „Solange sie uninformiert sind, werden die Leute immer den Keks essen, der sie zwar morgen umbringt, aber billiger ist.“

44:10

Alex: Ein holländisches Start-Up namens Meatable arbeitet derzeit daran, In-vitro-Fleisch zu produzieren (die hatten wir letztens in unseren englischsprachigen WimLex Show). Auch da hege ich die Vermutung: Klar kriegt man damit erst einmal diese ganzen klassischen, gentrifizierten Kunden überzeugt, die es sich leisten können, aber wirklich erfolgreich wird’s erst, wenn sie es schaffen, den Burger für einen geringeren Preis anzubieten als den aus der Schweinemast.

Verena: Und das zieht sich durch alles durch, auch durch Zuckeralternativen und jede sonstige Kategorie! Wir leben in einem System, das auf einer Hand voll Rohstoffe gründet, die durch ihre weltweite Abnahme so spottbillig geworden sind, dass es keinen finanziellen Anreiz gibt, irgendetwas anders zu machen. Zum Beispiel ist weißer Zucker mittlerweile so günstig, dass es für die großen Lieferanten gar keinen Anreiz mehr gibt, natürliche Süßungsmittel anzubieten. Dadurch – ja – stirbt die Umwelt, aber …

Alex: … aber das merkt man ja nicht.

Verena: Natürlich nicht! – Aber was denkst denn du? Den Unternehmen, die jeden Tag vor mir sitzen und denen ich Innovationen verkaufe, sage ich nicht etwa: „Lasst uns über Nachhaltigkeit und Gesundheit reden!“. Die würden schreiend aus dem Raum rennen, weil wir gelernt haben, dass Wirtschaftlichkeit und Weltverbesserung gegensätzlich sind und bitte in zwei Töpfen gedacht werden müssen.

Alex: Eine letzte Frage habe ich noch: Gibt es Dinge, auf die du dich 2019 richtig freust oder die du dir wünschst?

Verena: Ich freue mich darauf, zu überlegen, wie ich meine Rolle so bauen kann, dass ich nicht die ganze Zeit getrieben durch die Welt laufe. Schließlich können wir diese Herausforderung nur meistern, wenn wir die für uns relevanten Themen angehen können, ohne, dass wir wie hysterische Hühner um einander herumlaufen. Denn ich glaube, aus Getriebenheit werde ich auch keine besonders gute Strategie bauen. Das heißt ich plädiere für eine neue Sorgfalt und – eine neue Verletzbarkeit!

Wie viele Konferenzanfragen pro Tag bekommt Verena, will Alex – hörbar angetan – wissen. So drei, antwortet sie. Das werden bald mehr werden, prophezeit Alex schmeichelnd. Und bevor er ihr noch mehr Honig um den Mund schmieren kann, bedankt sich Alex bei Verena für ihre Zeit und sie verabschieden sich.

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