Helmut Hagner, CEO der Unternehmensgruppe FREY, zu den Chancen des Einzelhandels

52:05

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Helmut Hagner kämpft für die Zukunft des stationären Einzelhandels. Er kämpft anders als viele Handelsverbände und Einkaufsstraßenverfechter. Ihm ist klar, dass er sich verändern muss, dass er schneller werden muss, dass sein USP sich verändern muss und, dass Zalando unumgänglich ist. Im Podcast erzählt er, wie er das macht und was er dabei gelernt hat. Für alle stationären Fans aus der Oberpfalz ist er bzw. ist die Unternehmensgruppe FREY ein Glücksfall. Nach der Veröffentlichung des Podcasts gab es viel Feedback zur der stationären Realität von Frey mit lobenden, aber auch kritischen Stimmen. Falls ihr schon in einem der Geschäfte von Frey einkauft habt, freue ich mich über Feedback in den Kommentaren.

Stationärer Handel online mit Helmut Hagner, CEO von FREY

Wer noch nicht in der schönen Oberpfalz gewesen ist, der kennt sie wohl noch nicht: Die Unternehmensgruppe FREY. Mit mehreren Möbel- und Modehäusern ist der Einzelhändler in der ländlichen Region zwischen Regensburg, Amberg und dem Erzgebirge vertreten. Trotz eindeutig stationärem Profil sowie fast 200 Jahren Firmengeschichte handelt sich im Falle FREY allerdings um alles andere als ein Fortschrittsverweigerer klassischer Prägung. So geht es nicht gegen sondern vielmehr mit den Zalandos dieser Welt in eine Zukunft, von der Firmenoberhaupt Helmut Hagner so konkrete wie kreative Vorstellungen hat. Ein spannender Podcast, in dem einmal wieder einer von denjenigen zu Wort kommt, von denen bei Kassenzone stets die Rede ist : Den stationären Einzelhändlern.

„Der Wille ist da, sich nicht einfach aufzugeben.“

2:50

Alex: Helmut, sag doch bitte erst einmal, wer du bist und was du machst.

Helmut: Ich bin die operative Leitung der FREY Gruppe. Wir haben vier Mode- und drei Einrichtungshäuser in der Oberpfalz und in Oberfranken: Die Standorte sind Cham, Bad Kötzing, Schwandorf, Weiden und Marktredwitz. Das sind alles Städte mit maximal 20.000 Einwohnern – sehr klein also.

Alex: Zum Vergleich: Ich wohne ja in der Nähe von Gettorf hier in Schleswig-Holstein. Das Dorf hat rund 7.000 Einwohnern und wir haben einen ganz kleinen Modeladen namens „Baloon“ – schöne Grüße, falls dort jemand zuhört; meine Frau ist da ganz gerne! Wie viele Leute arbeiten bei euch und über welche Umsatzgrößenordnung reden wir?

Helmut: Wir haben 550 Mitarbeiter und setzen circa 70 Millionen Euro im Jahr um.

Alex: Die Veränderungen im Einzelhandel haben ja schon vor Covid begonnen. Gab es auch an euren Standorten schon lange die klassische stationäre Erosion?

Helmut: Amazon und Google gibt es auch auf dem flachen Land! Davor können wir uns nicht verschließen – und wir schimpfen nicht aufs Internet sondern akzeptieren es als Marktbegleiter. Wir müssen uns also fragen, warum wir eine Existenzberechtigung haben und was wir genau tun müssen, um dieser auch gerecht zu werden. Ich bin in Bezug auf den stationären Handel nicht ganz pessimistisch – aber nur, wenn die stationären Händler auch ihre Hausaufgaben machen. Das heißt: wirkliche stationäre Exzellenz! Den Kunden abholen; in Lösungen denken; alles um den Kunden zentrieren. So gilt bei uns sowohl für Einrichtungs- als auch Modehäuser: Wie können wir dem Kunden das Einkaufen leichter und schöner machen?

6:10

Alex: Den Satz „Der Handel muss sich um den Kunden drehen“ würde heute jeder stationärer Handler sagen. Auch ehemaliger Kaufhof-Chef Lovro Mandac würde sagen: „Wir haben uns immer 100% auf den Kunden fokussiert!“

Helmut: Aber da muss man sich fragen, ob das wirklich ein Markenversprechen war oder einfach nur Werbegetöse à la „Wir sind die Besten!“ Wurde das auch jeden Tag aufs Neue von den Mitarbeitern auf der Fläche so gelebt? Für unseren Teil versuchen wir jedenfalls, das, was wir versprechen, wirklich zu halten.

Wenn ich an Kaufhof und Karstadt denke: Gehe ich da rein, gehe ich wieder rückwärts raus! Das ist höchstens Warenkauf, aber kein Erlebnis. Ich finde da auch keinen Mitarbeiter, der sich aktiv um mich kümmert. Ich als Helmut Hagner möchte aber als Kunden wahrgenommen werden. Das ist gelebte Markenkultur – und unterscheidet uns, glaube ich, von anderen.

Alex: Zu eurer Marke: Auf der Homepage lese ich „FREY… fürs Leben“ und dann vier Werte: Bodenständig, menschlich, begeisternd, dynamisch. Das sind weiche Werte. Wenn ich als Alexander Graf aber tatsächlich bei euch aufkreuzen sollte, was würde das denn konkret heißen? Was würde ich anders erleben als bei Karstadt?

Helmut: Wir wollen mit dem Kunden ganzheitlicher denken. Kommt er also zu uns ins Modehaus, geht es um ein Outfit, nicht nur um einzelne Stücke. Unsere Mitarbeiterinnen präsentieren also unseren Kundinnen zahlreiche Vorschläge, Kombinationsmöglichkeiten. Da schulen wir unsere Mitarbeiter auch – etwa zur neuen Herbstsaison: Wie kann ein Outfit aussehen? So positionieren wir uns als ganzheitliche Outfit-Berater. In Cham haben wir 8.000 Quadratmeter Modeerlebnis auf nur 17.000 Einwohner: Wenn wir da nicht gut genug sind, um Kunden auch aus einem weiteren Einzugsgebiet zu uns zu bringen, herrscht da Leere.

Das mag alles ein bisschen hohl und oberflächlich klingen, aber das musst du eben erleben. Das Feedback unserer Kunden – darunter auch Touristen – ist: „Wow! Dass es so etwas noch gibt! Das ist ganz anders bei euch! Da kümmert sich jemand! Da werde ich nicht alleine zur Hosenabteilung geschickt, um meine Größe zu finden…“ Das ist bei uns ein ganz anderes Gefühl und es wird von unseren Mitarbeitern gelebt. Und das muss man auch er-leben – weswegen unsere Webadresse „freyerleben.de“ lautet.

(Ein besonderer USP hier sei das Private Shopping: Es wird im Vorfeld besprochen, was die Kundin brauche: Kleidung für einen Anlass? Für den Beruf? Daraufhin wird von einer Beraterin vorsortiert für einen Termin im Private-Shopping-Lounge – mit Umkleidekabine, Ruhe und Umsonstkaffee. 1.600 solche Termine habe es im letzten Jahr gegeben. Die besten Beraterinnen seien ausgebucht. Das Motto: „Wir sozialisieren den Premiumeinkauf“ Denn der Service, antwortet Helmut auf Alex‘ Frage, sei kostenlos. Es gehe auch nicht darum, Premiumprodukte zu verkaufen, sondern normale Produkte mit einem Premiumservice. Termine könne es nach Absprache abends geben; mal fahre man nachher die Ware zum Kunden hin. Das sei alles gemeint, wenn Helmut sage, Einkaufen müsse ein Erlebnis sein und nicht bloß Warentausch – und dass sich alles um den Kunden und seine Bedürfnisse drehe. Für den notorischen Einkaufsmuffel Alex klinge das alles „erst einmal sehr attraktiv!“)

14:20

Alex: Für mich sieht euer Sortiment nach ganz klassischem Markenmix aus. Das ist weder „beinahe-Luxus“-Breuninger noch Billigmode.

Helmut: Richtig, so positionieren wir uns auch. Wir haben ein paar Premiummarken, aber unser Hauptkunde befindet sich eben im mittleren Preissegment – und da wollen wir auch bleiben. Wir wollen nur das Einkaufserlebnis auch für diesen Kunden schönmachen. Der kauft auch online und mit unseren normalen Mainstream-Marken wie S.Oliver oder Esprit sind wir so was von austauschbar. Aber wir haben eben dieses Besondere: Wir haben den Berater, der für den Kunden ein Outfit generiert und damit ein Problem löst. Hat der Kunde ein Figurproblem – oder auch nur einfach keinen Modegeschmack –, können wir ihm helfen. Damit schaffen wir es auch, ihn an den stationären Handel zu binden. Das ist gar nicht so einfach. Da muss man sich mehr bemühen, als früher. Da gab es kein Internet, keine filialisierte Marken – Die Kunden kamen so in die Läden. Aber jetzt ist es eben anders und wir müssen uns Gedanken machen.  Jammern hilft da nicht.

Alex: Gibt es das Private-Shopping-Konzept ebenfalls in euren Möbelhäusern?

Helmut: Wir sind dabei, das aufzubauen. In unserem Möbelladen in Cham haben wir jetzt eine Lounge mit Bildschirm, an dem wir dem Kunden die Raumplanung zeigen können. Der kann sich erst einmal in aller Ruhe setzen, etwas trinken und sich dann die Planung ansehen. Nur ist es im Möbel etwas komplizierter als in der Mode! Wir gelangen auch zur Ansicht, dass wir eigentlich eher zum Kunden hinfahren müssen. Wir müssen vom Sofa aufstehen, uns bücken, uns kümmern! Denn ich kann und will die Preisschlacht gar nicht gewinnen. Ich kann eigentlich nur besser sein – anders sein. Immer den großen hinterherzulaufen, führt nicht unbedingt dazu, dass ich 2022 noch Umsatz generieren kann.

(Alex umreißt seine Grundtheorie, dass Online in den Kategorien Preis, Angebot und Verfügbarkeit die Vorherrschaft sucht – und findet. Vor allem beim Sortimentsnagebot sieht Alex im Segment Möbel den Einzelhandel im Nachteil. Zudem müsse man beim Preis zumindest vergleichbar mit den Onlinern sein. Sei das nicht schwierig – vor allem bei Modeartikeln? Helmut verneint: Preisgetrieben seien die Kunden nicht und man könne mit den Konkurrenten ohnehin meistens mitgehen. Thema Sortiment: Klar könne man nicht immer das richtige auf jede Suchanfrage haben, da habe online die Nase vorn. Umso mehr müsse man beim Service punkten. Und: Einen Online-Shop mit FashionCloud habe FREY erfolgreich aufgesetzt; auch über Amazon und Zalando verkaufe man. Zudem habe Frey auch eine mit Onlinern wie Outfittery vergleichbaren Leistung: Über modefreyhaus.de bekomme man Stilvorschläge nach Hause geschickt. Jede Woche würden 100 bis 150 Pakete verschickt – mal mit netten Karten von einer Fachberaterin. Daraufhin kämen Kunden wieder ins Geschäft.)

22:10

Alex: Ihr macht ebenfalls beim Zalando-Programm Connected-Retail mit.

Helmut: Vor ein paar Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich das tun würde: Zalando beliefern! Aber Zalando entwickelt sich letztendlich zu einer Plattform, zu einem Marktplatz und wir lernen sehr viel aus der Zusammenarbeit. Während der Corona-Beschränkungen im Frühjahr haben wir darüber fast 10.000 Pakete verschickt: Das war ein Wahnsinn!

Alex: Welche Rolle spielt denn in Summe der Online-Handel für euch? Ich gehe bei euch auf der Seite und sehe bei Herrenmode… hier, einen Hoodie von Tommy Hilfiger. Ist er dort, damit Leute, die sowieso zu euch kommen, sich informieren können, was ihr habt? Oder verfolgt ihr damit auch eine E-Commerce-Strategie – also habt ein Marketing-Budget, versucht Kunden auch außerhalb eures bekannten Bereichs zu gewinnen, usw.?

Helmut: Also, die erste Herausforderung war einfach, unser Geschäft digital zu öffnen, damit die Kunden sehen konnten, von welchen Marken und in welchen Größen wir Produkte haben, an welchen Standort sie ausliegen und wieviel sie kosten. Zudem kann können Kunden Ware zur Abholung reservieren. Das ist einfach eine Hausaufgabe, die wir machen müssen. Es ist ein virtueller Türöffner. Aber da haben wir noch keinen Euro online auf der Webseite umgesetzt.

Dazu kommt die Thematik, dass wir einen erheblichen Sichtbarkeitsverlust riskieren, wenn wir online nicht vertreten sind. Die Anzeigenblätter, die Tageszeitungen: Das wird alles teurer für Werbetreibende oder verschwindet ganz. Machen wir unsere Produkte und Dienstleistungen nicht im Netz sichtbar, existieren wir in zehn Jahren womöglich nicht mehr bei den jüngeren Kundenschichten. Also schalten wir auf Facebook Werbung, haben einen Newsletter, sind auf Instagram. Daraus verlinken wir auf den Shop als digitales Schaufenster. Diese Sichtbarkeit ist ein Aspekt, dem meines Erachtens nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Wohlgemerkt: Da habe ich immer noch kein einziges Stück verkauft!

(Mittelfristig denke man natürlich danach, über den Webshop auch zu verkaufen – gerade bei Marken, die gut laufen, wie zum Beispiel Monari. Alex will mehr darüber erfahren, wie der Webshop heute schon als Kundenzugang fungiert. Es gebe 30.000 Aufrufe im Monat, so Helmut. Bald werde es zudem ein Customer-Information-Management geben, damit sich Kunden einloggen und ihre Kaufhistorie einsehen könnten. Private-Shopping-Termine würden ebenfalls übers Portal gebucht. Auch Möbel– und Küchenanfragen kämen immer wieder über die Webseite ein. Zum Glück änderten die Kunden ihr Verhalten immer mehr in Richtung Terminvergabe – was FREY mit forciere, damit der richtige Berater am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein könne. )

28:35

Alex: Das klingt erst einmal danach, dass ihr hervorragend auf den Corona-Fall vorbereitet wart. Haben doch viele Händler, die überhaupt keinen Online-Kundenzugang hatten, seit März erhebliche Schwierigkeiten, mit ihren Kunden in Kontakt zu bleiben. Theoretisch hattet ihr ja schon im Webshop den Endkundenzugang. Wie ist es euch denn seit März ergangen?

Helmut: Der 18. März war der Wahnsinn: Noch nie hatten wir einen Laden zugemacht. Aber wie du vermutest konnten wir Online relativ schnell den Stecker reinstecken und die Schleusen öffnen, sozusagen. Wir haben alles aufgemacht, was wir aufmachen konnten: Connected Retail bei Zalando zum Beispiel – was die ersten Monate kostenlos war, damit wir auch was dabei verdienen konnten. Und natürlich konnten wir über das modefreyhaus-Tool Outfits verschicken. Wir haben das auch in „beianrufmode“ umbenannt, weil Kunden auch telefonisch Ware bestellen konnten: Schlafanzüge, Wäsche, Sportbekleidung – alles Sachen, die in dieser Zeit hervorragend liefen. Die Infrastruktur, die wir schon hatten, konnten wir dann fürs Versenden anwenden. Also mussten wir nicht – wie so manche andere – etwas komplett Neues erfinden.

Natürlich hat sich dadurch der Online-Anteil bei uns im Unternehmen nachhaltig erhöht – sowohl über Plattformen als auch die eigenen Verkäufe. Wir versuchen jetzt, unser Geschäft möglichst auf Corona-Bedingungen anzupassen. So dürfen wir zum Beispiel mit einer Genehmigung des Gesundheitsamtes Private Shopping ohne Maske für die Kundin anbieten, solange wir damit nicht explizit werben und die Beraterin eine FFP2-Maske trägt.

Aktuell fahren wir – wie jedes stationäres Geschäft – Minus. Es ist schon dramatisch. Letztens war in der „Textilwirtschaft“ zu lesen, dass die Umsätze im Vergleich zum Vorjahr um 20% eingebrochen sind; die Frequenz in den Innenstädten fehlt. Über Online können wir einiges kompensieren, aber es rettet längst nicht alles. Die Mode ist also derzeit nach wie vor ein Minusgeschäft für uns.

(Alex fragt, wie sich die Verschiebung zu Online und die andauernden Einschränkungen wie Maskenpflicht auf die Planung für die kommenden Monate auswirken. Digitalisierung müsse dann noch konsequenter vorangetrieben werden, so Helmut: Kundenkarte und App habe nun Priorität, um Stationär und Online noch stärker zu verzahnen; auch immer mehr Öffnung zum Virtuellen in puncto Verkauf und Versand sei an der Tagesordnung. Es werde ja Kunden geben, die nicht in die Läden kommen möchten oder können. Hängen sie aber an der Marke, werden sie online eher bei FREY kaufen.)

36:00

Alex: In der Möbelbranche löst gerade XXXLutz einen starken Konsolidierungsdruck aus. Das Sortiment „verlongtailt“ sich auch gewalitg. Zudem kann ich mir vorstellen, dass es immer schwieriger wird, Kunden auf die Fläche zu bekommen. Euren Fachberateransatz mag ich: Für komplexere Anschaffungen wie Küche ist er auf jeden Fall passend. Aber: Kann es in 20 Jahren den mittelgroßen Möbelhaus so noch geben? Beziehungsweise: Wird es dann wirklich über den Handel mit Möbel noch verdienen?

Helmut: 20 Jahre nach vorne kann man nicht denken, aber für die nächsten zehn Jahre mache ich mir Gedanken. Wir sind in einem Verband organisiert: 30 Gesellschaften mit ungefähr 50 Standorten, die zusammen „Interliving“ bilden. Die Partner heißen dann „Interliving plus Namen“ – also „Interliving FREY“ in unserem Fall. Strategisch haben wir und die anderen Teilnehmer vielleicht etwas Macht abgegeben – aber zum Wohl des größeren Ganzen.

Denn wir versuchen uns neu zu erfinden. Dem geht die Frage voraus: Warum braucht man mittelständischen Modehandel? Wir begreifen uns als Antwort auf die Lutz und Höffners, auf beliebige Filialisten. Dann geht es um Kundenerwartungen: Wenn sie in ein mittelständisches Haus kommen, erwarten sie gute Beratung. Tja, wieder ein Fünfer fürs Phrasenschwein – aber ich kann es nicht ändern! Es kommt wieder darauf an, ob „gute Beratung“ nur eine Werbelosung oder gelebte Realität ist. Wenn der Kunde zu uns kommt, darf er jedenfalls erwarten, dass wir da anders als die großen Läden positioniert sind.

Es geht um Schulung, Schulung, und nochmals Schulung! Weg vom Möbelverkauf und hin zu Einrichtungsberatung! Das ist wie bei Mode das Outfit: Wir schauen auf den gesamten Wohnraum, auf die gesamte Küche. Dafür gibt es auch Bedarf. Viele Kunden wenden sich von Lutz & Co. ab, weil sie ihren Beratungsanspruch nicht erfüllt bekommen. Wo sollen sie denn sonst hingehen? Da müssen wir uns an der eigenen Nase fassen – oder an den eigenen Haaren, um uns selbst aus dem Schlamassel zu ziehen. Wir müssen besser werden – und die Schwächen der Großfläche als unsere Stärken begreifen. Das ist noch keine faktische Lösung, aber der Wille ist da, sich nicht einfach aufzugeben. Letztendlich suchen die Kunden das, was wir bieten. Ich weiß zwar nicht, wie Möbel in 20 Jahren verkauft werden. Aber ich weiß, dass uns nicht einfach auf den Rücken legen und aufgeben dürfen.

(Wieder macht Helmut den Faktor Mensch aus: Berater, die schöne Dinge und gute Einrichtung lieben. Und FREY müsse dafür sorgen, dass der Kunde – der ja genug Sorgen habe – ein möglichst schönes Einkaufserlebnis bekomme. Die Interliving-Partner versuchten, hier neues zu denken, so Helmut weiter.)

40:20

Alex: Deine Standorte sind nicht gerade zentral. Wie kommt du an die Leute ran, die du für die Transformation brauchst?

Helmut: Die Leute sagen immer viermal H: „Helmut Hagners Holzhammer hilft!“ Also: Beharrlichkeit, Penetranz! Zudem ist es so, dass alle gerade immer von Digitalisierung reden. Wenn man aber in der Praxis steckt und versucht, an Daten oder Content zu kommen, dann scheitern wir teilweise brutal. Es ist unglaublich, wie schwierig es in unserer Industrie ist, das Thema Digitalisierung jeden Tag auch wirklich zu leben. Was wir tun: Leute einstellen, Leute ausbilden – und versuchen, an das Thema ranzugehen.

Zum Beispiel im Segment Mode über FashionCloud. Oder bei Möbel über den Verband, wo wir versuchen, ein eigenes PIM zu entwickeln: Dort wollen wir die Daten von allen Herstellern sammeln und an die einzelnen Partner aussteuern. Wir müssen Digitalisierung realisieren – von theoretischer Diskussion in die Praxis führen.

(Alex geht auf den Themenschwenk weg von Anwerbung und hin zum Umgang mit Produktdaten ein – und fasst das Argument zusammen: Da Herstellerunternehmen keine Daten und Content anböten, machten sie es großen Ketten wie Lutz einfacher, weil kleinere Händler dann mit schlechteren Werkzeugen arbeiteten müssten. Helmut bejaht: Lutz habe Hunderte Läden, eine digitale Strategie und sei vertikalisiert. Interliving sehe er auf einem guten – aber schwierigen – Weg, ausrüstungstechnisch gleichzuziehen. Aber Alex stelle sich gar nicht vor, wie schwer es sei, selbst von großen Herstellern wie WMF ordentliche Produktdaten und -bilder zu bekommen. Auch deswegen sei  das gemeinsame Möbel-PIM entscheidend.)

44:50

Alex: Die Städte und Gemeinde müssen oft als Klagemauer des stationären Handels herhalten: „Ihr müsst mehr für uns tun! Das mit den Parkplätzen geht gar nicht…“ Siehst du das ähnlich?

Helmut: Da tut sich gerade etwas. Auch durch das Thema Corona, als acht Wochen keine Geschäft geöffnet waren, wurde klar, wie wichtig der stationäre Handel für die Frequentierung von Innenstädten ist. Ich kann ja nicht in jeden Laden eine Kneipe reinmachen! Das wäre zu viel und brächte nicht gerade die richtige Klientele…

So habe ich das Gefühl, das Kommunen jetzt verstehen, dass sie mehr tun müssen als früher, um guten Einzelhandel in der Innenstadt zu halten. Aber wir Einzelhändler brauchen da eine bessere Lobby, um bei den Politikern und Beamten Punkte zu landen. Wir müssen uns alle engagieren. Bei FREY kommunizieren wir mit den Bürgermeistern der verschiedenen Städte und merken schon, dass der gute Wille da ist. Oft scheitert es aber daran, gut qualifizierte Leute fürs Stadtmarketing zu gewinnen. Aber es passiert etwas. Ich hoffe nur, mit Blick auf die Infektionszahlen, dass uns kein erneuter Lockdown in die Parade fährt…

(Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch wurde Mitte Oktober aufgenommen. So wurde etwa aus dem geplanten verkaufsoffenen Sonntag in Cham dann nichts mehr. Allerdings, so Helmut weiter, verwende er seine Kraft nie darauf, sich über Sachen zu ärgern, die er nicht ändern kann. Lieber sucht er nach Gestaltungsmöglichkeiten, die er selbst in der Hand hat.)

47:20

Alex: Nochmal vier Hs: „Helmut Hagner gibt dem Handel Hoffnung!“ Du sagst: Es geht noch was, man ist seines eigenen Glückes Schmied. Du muss ich, sobald es geht, mal zu euch in den Laden und mal „FREY-er-leben“. Meine letzte Frage gilt der Konkurrenz in den Städten, in denen ihr Flächen betreibt: Ihr seid doch konkurrenzlos, oder?

Helmut: „Konkurrenzlos“ wäre zu viel gesagt. Aber klar: 8.000m² Modeerlebnisfläche bietet in Cham mit seinen 17.000 Einwohnern kein anderer. Aber ein zweites Möbelhaus gibt es dort schon; und noch eins 20km entfernt; dann kommt Lutz in Regensburg… Also: An einigen Standorten haben wir zwar eine gute Alleinstellung, aber konkurrenzlos sind wir keineswegs.

(Der Podcast geht mit einem detaillierten Blick auf den stationären Einzelhandel rund um Cham und Marktredwitz zu Ende – und mit der so simplen wie wahren Feststellung, dass man nur sich selbst und nicht die Konkurrenz beeinflussen könne. Abschließend rät er daher jedem Händler: „Kümmere dich um deinen Laden! Um deine Menschen! Und versuche, USPs zu schaffen!“)

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