Die meisten Kassenzone Leser dürfte die Geschichte rund um die gescheiterte SAP Einführung bei LIDL kennen. Zu laut, zu krass erscheinen 500 Millionen die einfach so verpuffen. Wer hat das denn verbockt. Für SAP kommt diese Meldung zu Unzeit, weil man sich ja so langsam trennen wollten vom Image „langsam & teuer“ hin zu „agil & cloud(y)“. Dabei ist „LIDL“ noch nicht mal der größte SAP Aufreger gerade in der Szene, sondern der öffentlichkeitswirksam ausgetragene Lizenzstreit mit der belgischen Brauerei Anheuser-Busch, bei der SAP aufgrund sehr alter Lizenzkonstrukte 600 Millionen Dollar erstreiten möchte. Den gerade gewonnen Rechtsstreit versucht SAP nach meiner Erfahrung für sich zu nutzen, um das eigene Produktportfolio bei Bestandskunden noch besser zu platzieren, aber in Wahrheit profitieren vor allem Salesforce und Microsoft davon, die in den SAP Kernmärkten sehr gut Fahrt aufgenommen haben und auch uns immer häufiger in Spryker Projekten begegnen. Aber zurück zum LIDL Case.
Heise hat ein paar Hintergrundinformationen zusammengetragen: „So starb Elwis.“
Die Handelskette hatte 2011, wenige Monate, nachdem SAP erstmals Anwendungssoftware auf der Basis seiner taufrischen In-Memory-Datenbank HANA vorgestellt hatte, das Projekt zur Umstellung ihrer Warenwirtschaft auf diese Technik gestartet. An der Entscheidung war außer SAP und Lidl die Unternehmensberatung KPS Consulting als Implementierungspartner beteiligt. Doch dann teilte der Lidl-Vorstand mit, dass sich „die ursprünglich definierten strategischen Ziele nicht mit vertretbaren Aufwand“ realisieren ließen und zog die Reißleine. Bis jetzt hat das Vorhaben über fast sieben Jahre hinweg rund 500 Millionen Euro verschlungen.
Fefe kommentiert das deutlich bissiger und trifft damit wohl einen sehr wahren Punkt:
Von Programmierern hört man in den letzten Jahren immer häufiger, Performance sei ja gar nicht so wichtig. Besonders von Leuten, die dann sedimentäre Abstraktionsentwicklung in Java praktizieren. Das stimmt halt nicht. Ich empfehle immer, harte Performance-Anforderungen in die Abnahmebedingungen zu schreiben. Wenn die gelieferte Software das mit der vorgeschriebenen Hardware nicht in der vorgegebenen Zeit schafft, wird sie nicht abgenommen, und der Softwareentwickler trägt das volle Risiko dafür. Im Moment beobachtet man häufig, dass die Software-Klitschen ihre Inkompetenz einfach an die Auftragnehmer externalisieren, die dann halt mehr Hardware kaufen, weil das billiger ist als sich jahrelang mit irgendwelchen Zulieferern zu streiten. Das Ergebnis sind die üblichen Schnarch-IT-Systeme, die wir alle kennen.
Die mit großem Abstand schlechteste Figur macht der umsetzende Dienstleister KPS, der behauptet, dass alles wie geplant läuft und außerdem wäre das Projekt ja bereits ausgezeichnet worden. #OMG
Die LZ und andere Medien haben in der Vergangenheit mehrfach über diese Erfolge berichtet, auch wurden sowohl Lidl als auch KPS mit renommierten Awards für das Projekt ausgezeichnet. Das EHI Institut, größtes Forschungs- und Beratungsinstitut für den Handel, verlieh Lidl in der Kategorie Best Enterprise Solution den Retail Technology Award Europe und KPS den Top Supplier Retail Award.
LIDL kommt aus der Nummer am besten raus, genauso wie „damals“ Otto. LIDL muss man hoch anrechnen, dass sie in der Lage waren das Projekt zu beenden. Zu spät, zu teuer, zu xyz…. Kann alles sein. Die meisten Konzerne schaffen es aber gar nicht und führen dann eine halbgare SAP Lösung ein, die alle weitere Softwareprojekte nur noch behindert und nicht mehr fördert. Statt schnellerer „time to market“ heißt es dann eher „end of market“. Sogar Otto ist vor sechs Jahren gut aus der SAP Nummer rausgekommen, auch wenn es nicht alle beteiligten Führungskräfte so sehen dürften.
Ich kann gar nicht beurteilen, ob SAP nun für die LIDL Anforderungen gepasst hat oder nicht vor sieben Jahren, aber die Anforderungen dürften sich mit der Zeit so stark geändert haben, dass auch die allerbeste SAP Lösung von 2011 kaum noch den Bedarf von LIDL 2018 abdecken würde. Das geht einfach nicht, Software hin oder her. Wenn LIDL wirklich vorhatte sich mit dieser neu eingeführten Wawi vom Markt abzuheben, dann ist die Entscheidung auf eine sehr teure Standardsoftware zu setzen die extrem stark (zehntausende Manntage) auf die eigenen Bedürfnisse angepasst werden muss aber eher fraglich. Auf der anderen Seite. Vielleicht gab es 2011 noch nichts besseres und niemand hatte mehr Lust auf die vermeintlich schwer zu wartende Eigenentwicklung. Für uns gibt es drei Ebenen für Softwareprojekte die man managen muss, damit es nicht so läuft wie bei LIDL.
- Die Software selbst. Entweder man betrachtet Software als Cost Center mit dem man sich nicht differenziert, dann tendiert man heute zur Einführung von möglichst „agilen“ Cloud Lösungen. In dem Bereich ist Salesforce mit großem Abstand führend, verfolgt von Microsoft. Oder man möchte sich mit Hilfe von Software vom Wettbewerb abheben (bessere Planungstools, Personalisierung, neue Interfaces), dann landet man eher in einer Lösungskategorie wie bei Spryker. Das eine ist nicht besser als das andere. Man muss halt nur wissen was man will. Will man bessere Hosen verkaufen oder verkauft man Hosen besser?
- Die Menschen im Projekt. Die meisten Unternehmen haben in den letzten Jahren bei der Digitalisierung gespart und die Leute aus der IT waren immer die Leute im Keller, die halt die Dinge gemacht haben, die Leute aus der IT so tun. Jetzt sollen die gleichen Menschen bei oftmals nicht veränderten Rahmenbedingungen (Kosten, Office, Arbeitsmethoden, Führung…) den Karren aus den Dreck ziehen und die Probleme lösen vor denen sie immer gewarnt haben. Das geht nicht. Das dauert zu lange, ist unfair diesen Menschen gegenüber und führt zu massiven Konflikten. Das ist aber lösbar, indem man die Projekte klein schneidet und bessere Projektsetups findet.
- Die Governance. Die Frage wie solche Projekte geführt und gemessen werden, ist entscheidet. Das gilt für die Einführung von neuen PIM Systemen genauso wie für den Aufbau neuer Onlinemodelle. Wenn Konzerne diese Governance Frage in zahnlose Steering Runden auslagern und die Vorstände zur halbjährlichen Offsite die vier zentralen Powerpoint Charts mit Ampelicons bewerten, ist Misserfolg vorprogrammiert. Mein Co-CEO Boris meint, dass Tesla so weit gekommen ist, weil Elon Musk mit dem Schlafsack an der Produktionsstraße pennt und Probleme löst. Auch wenn das nicht 100% der Realität entspricht, genau dort (im Keller) ist der Platz des CXOs bei solchen Projekten. Jeden Tag!
Diese Fragestellung hat Boris auch in einer neuen Podcast Reihe mit Joel von Digitalkompakt besprochen. Wie baut man eine agile IT-Organisation auf?
Viel schlimmer für LIDL als die 500 Millionen sind aus meiner Sicht sieben verlorene Jahre, aber falls sie die gleichen Fehler nicht noch einmal machen und nun anfangen die Projekte kleiner zu schneiden und maximale Releasezeiten von 3/6/9 Monaten zuzulassen, könnte sich das am Ende noch gelohnt haben, weil der ein oder andere Wettbewerber noch mitten in der 7-Jahres-Lernkurve gefangen ist und sich nicht traut die Reißleine zu ziehen. Hat also jemand schuld. Schwer zu sagen, weil in solchen Themen auch immer sehr viel Nebengeräusch mitschwimmt, aber scheiße ist es natürlich trotzdem.