Zum dritten Mal bringt die brand eins ein Magazin mit dem Themenschwerpunkt Handel und es ist lesenswerter als je zuvor. Vor zwei Jahren gab es den ersten Handelsschwerpunkt mit einer Analyse von Thomas Ramge, in der er dem stationären Einzelhandel sehr viel Hoffnung gemacht hat (“Wandel lohnt sich”). Wandel lohnt sich eben nicht, wenn man in den Erfolgfaktoren Preis, Angebot und Verfügbarkeit nicht mit den besten Onlinern mithalten kann, und bisher ist das noch nicht einem einzigen stationären Händler gelungen. Die brand eins ist die einzige Zeitschrift, die ich a) abonniert habe und b) regelmäßig als Papierprodukt lese. Ich bin sozusagen ein brand eins Fanboy und dieser Artikel hat damals einen Leserbrief von mir provoziert. Den einzigen den ich in meinem Leben je geschrieben habe. Das hat die Redaktion der brand eins nicht vergessen und mich gestern zur aktuellen Ausgabe zu einer Blattkritik eingeladen – für mich ein Ritterschlag, genauso wie die Nennung im brand eins Newsletter. So stolz war ich schon lange nicht mehr.
Die große Frage, ob der stationäre oder der Onlinehandel gewinnt, hatten wir nicht mit Daumen rauf oder runter, sondern mit jeder Menge Informationen und Fallbeispielen beantwortet. Große Handelsunternehmen kauften daraufhin ganze Pakete mit der Ausgabe, um sie an die Mitarbeiter zu verteilen. Kleinere Händler wurden, je nach Geschäfts- und Gemütslage, unruhig oder schöpften Mut. Und ein Digital-Stratege wie Alexander Graf, mitverantwortlich für den Branchenblog „Kassenzone“, fand die Ausgabe zwar „wirklich toll“, aber auch deutlich zu optimistisch für den stationären Handel. Nun ist also erneut der Handel Schwerpunktthema, Alexander Graf haben wir uns als Heftkritiker eingeladen. Einen Abgesang auf den stationären Handel stimmen wir auch diesmal nicht an. Wohl aber plädieren wir dafür, über all den neuen Möglichkeiten nicht den Kunden zu vergessen, um den sich alles drehen sollte.
Um es vorweg zu nehmen: Die neue Ausgabe ist wirklich gut geworden und der paketweise Versand an die noch übriggebliebnenen Handelsunternehmen ist der brand eins nur zu wünschen. Der Alternative Titel “Viel Glück – Das @supergraf Narrativ” konnte sich in der Redaktionskonferenz nur knapp nicht durchsetzen, wie ich gestern erfahren habe, aber das wirkt sich nicht auf die Inhalte aus. Die brand eins ist wahrscheinlich eines der letzten Wirtschaftsmagazine, das ohne die laute schwarz/weiß Malerei in ihren Geschichten auskommt und dem Leser die Freiheit gibt zu entscheiden, wie er die entsprechende Geschichte einzuschätzen hat. So verhält es sich auch mit der aktuellen Ausgabe. Hier meine Highlights:
- Im Artikel “Die drei Zauberworte” erklärt Thomas Ramge, warum die Begriffe Disruption, Plattformen und Netzwerkeffekte eben kein Bullshitbingo sind und die Regeln in der Digitalisierung neu definiert werden. Dazu auch sehenswert eine kürzlich veröffentlichte Präsentation von Matthias Schrader auf Slideshare.
- Im Leitartikel zum Einzelhandel “Der Ortswechsel” gibt es viele lesenswerte Stellen, aber eine ist besonders schön: “Früher war Regen gut fürs Geschäft, weil die Leute shoppen gingen statt baden, heute ist er schlecht, weil sie gar nicht mehr rausgehen und stattdesse – jetzt kommt das mit Abstand größte Schlagwortwolkenwort – im Onlinehandel einkaufen. Im Guten wie im Schlechten: Dieses Wort steht ganz offensichtlich für Leben und Tod im Einzelhandel.„
- Im Artikel “Der Ton macht die Musik” über das Musikhaus Thomann, wird deren Aufstieg zum Amazonbesieger erklärt. Auch wenn darin die Zusatzfeatures auf der Webseite (Tonproben, Videos…) als Differenzierungsfaktoren herausgestellt werden, wird die Preis, Angebots & Verfügbarkeitsthese eher bestätigt als widerlegt.
- Ganz großes Kino ist das Interview “Wehrt euch! Oder ist es dafür zu spät?” zwischen Jochen Krisch und Gerrit Heinemann mit der Einstiegsfrage: Brand eins: Herr Heinemann, Herr Krisch, hat der stationäre Handel in Deutschland eine Zukunft? Gerrit Heinemann: Ja. Jochen Krisch: Nein. Die nachfolgende Diskussion im Interview sorgt für klare Aussagen!
- Im Artikel “Die Kundenflüsterin” erklärt Anika Kredler warum stationärer Einzelhandel á la Claudia Ernenputsch die Zukunft sein muss. Echte Mehrwerte aus Kundensicht, stabile Nischen, keine Skalierbarkeit erzwingen. Bravo!
- Erstaunlich offen geht der Artikel “Bin ich jetzt drin?” mit dem Wuppertaler (Online City) Versuch um, dem hiesigen Einzelhandel den Weg ins Internet zu erleichtern. Wer dazu passende Stimmen sucht, ist bei Jochen Krischs Podcast zum Thema “Helfersyndrom” richtig.
- Tarek Müller räumt im Interview “Der Kunde ist schon weiter” mit ein paar gängigen Thesen zum Onlinehandel auf. Brand ein: In den vergangen Jahren ging es im E-Commerce vielfach nur um den preis. Läuft sich diese Schnäppchenjagd langsam tot? Tarek: Ich weiß nicht, ob es nur um den Preis ging. Das war vielleicht vor 10-15 Jahren so. Amazon ist trotz Buchpreisbindung der absolute Marktführer der Buchbranche geworden. Es geht also eher um Convenience, also um Komfort für den Käufer.
Insgesamt ist es eine sehr gute Ausgabe mit vielen spannenden Einsichten. Apropos spannende Einsichten: In der letzten Ausgabe gab es eine Bilanzanalyse zu Alibaba die es in sich hatte. Diese ist nun online verfügbar und nimmt die Hoffnung, dass Alibaba in Europa kurz- bis mittelfristig für Unruhe sorgen könnte. Lesen!
Mehr zu den Themen stationärer Handel, E-Commerce Strategie und zur Bewertung diverser digitaler Geschäftsmodelle finden sich im Juni 2015 erschienenen „Das E-Commerce-Buch“ von Holger Schneider und Alexander Graf. Bereits nach kurzer Zeit führt das Buch diverse Bestseller Listen bei Amazon an und wurde im Schnitt mit 5 Sternen bewertet. 39,90€ Euro, 305 Seiten, 20 Jahre E-Commerce Know How.