Lawrence Leuschner, CEO TIER Mobility zu seinen Ambitionen die Mobilität nachhaltig zu verändern

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Zwei Jahre nach dem Start des E-Roller Hypes, haben diese Fahrzeuge endlich meine kleine Heimathauptstadt Kiel erreicht. Was in Kiel ankommt, ist durch die harte Mühle der Großstadtselektion gelaufen, also muss es funktionieren. MyTaxi gibt es hier auch erst seit 2018, war vom örtlichen Taxiverband natürlich nur belächelt wurde „Alter Hut für technikaffine Kunden.“ Ganz so ein Alter Hut sind die Roller nicht und die Story von TIER, seit der Gründung Ende 2018 ist mehr als beeindruckend. Aus diesem Grund habe ich Lawrence, den Gründer von TIER Mobility eingeladen, um mit ihm gemeinsam hinter die Kulissen des Rollergeschäfts zu schauen.

E-Tretroller mit Lawrence Leuschner, CEO von TIER Mobility

In den letzten zwei Jahren seit Aufkommen der Elektro-Roller gibt es vieles, was man sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht gefragt haben mag: Wie stehen die Einnahmen zu den Ausgaben? Mischen da nicht zu viele mit? Und hält so ein Roller eigentlich länger als eine Woche, bevor es irgendwo im Kanal versenkt wird – und wieder mal ein paar Hundert Euro Wagniskapital zu ihrem wässrigen Grab finden…? All das und viel, viel mehr, beantwortet Alex der CEO von TIER Mobility, Lawrence Leuschner, in diesem bewegten Podcast.

„Wir versuchen, die Welt zu verändern!“

4:35

Alex: Ich habe dich für den Podcast angefragt, als ich gemerkt habe, dass mittlerweile auch in Kiel die ersten Roller stehen. Kiel hinkt ja im Innovationszyklus allen anderen Städten deutlich hinterher – Beispiel: Der erste Starbucks in Kiel machte erst vor fünf Jahren auf. In anderen Städten steht die Kette seit bald 20 Jahren im Bahnhof!

Februar dieses Jahres warst du im OMR-Podcast zu Gast und hast dich als „impact entrepreneur“ bezeichnet. Deine Aussage: Du versuchst, Geschäftsmodelle aufzubauen, die unsere Welt positiv verändern. Aber in der allgemeinen Wahrnehmung steht gerade der E-Roller nicht unbedingt für eine bessere Welt…

Lawrence: Für mich heißt „impact“ ja, dass man es global oder großskaliert schafft, etwas zu verändern. Bei meiner ersten Firma RebBuy.de ging es darum, dass man Produkten neues Leben einhaucht: Wir haben 100 Millionen Artikel repariert, aufgefrischt und dann verkauft. Da haben wir also eine Art Kreiswirtschaft – „circ.economy“ – aufgebaut. Bei TIER geht es darum, Kilometer klimaneutral zu gestalten: Man versucht also möglichst viele Fahrten mit dem Auto durch Fahrten mit unseren devices zu ersetzen.

Aktuell ist es so, dass bei rund einem Drittel der Fahrten mit uns sich die Leute stattdessen sonst ein Auto genommen hätten. Unser Ziel ist es, bis 2023 und damit fünf Jahren Bestehen mit sehr vielen Fahrzeugen sehr viele Tonnen CO2 gespart zu haben. Ich habe die Firma klimaneutral aufgestellt: nicht nur werden die Batterien mit erneuerbaren Energie aufgeladen, sondern die durch die Produktion und den Transport der Fahrzeuge entstandenen Emissionen werden kompensiert. So stoßen wir gar kein CO2 aus und es hat durchaus eine große Wirkung, wenn wir Autos in der Stadt ersetzen. Das Auto war vor 100 Jahren ein tolles Produkt. Jetzt müssen wir uns aber darüber Gedanken machen, wie wir uns effizienter bewegen, den Platz besser nutzen, usw. Wenn ein Auto nämlich 95% der Zeit stehen bleibt und sonst viele Unfälle verursacht, muss man sich Gedanken machen, wie man das Problem löst. Unsere Mission lautet: „Change mobility“.

8:00

Alex: Euch gibt es ziemlich genau zwei Jahre und euren Berichten sind schon beeindruckende Zahlen zu entnehmen! Kannst du ein paar Eckdaten dazu geben, wo ihr gerade steht?

Lawrence: Unser Pilot Oktober 2018 war in Wien. In Berlin starteten wir dann erst letztes Jahr, als sich die Regulierung änderte. Derzeit haben wir 700 Mitarbeiter in 75 Städten. In der Disruption von Mobilität haben wir so ziemlich jeden Rekord gebrochen: Niemand sonst hat in den ersten zwei Jahren 30 Millionen Fahrten erreicht – auch kein Uber! Das zeigt, dass wir den Nerv treffen und sich unsere mehreren Millionen Kunden mit unseren knapp 50.000 Fahrzeugen bewegen wollen. Wir haben übrigens zwei verschiedene Typen: den E-Scooter, aber auch das E-Moped.

Alex: Der TIER-Roller ist, muss ich gestehen, mein Lieblingsroller: Der hat zwei Bremshebel – so muss man nicht hinten auf das Rad treten. Und Menschen in meiner Größe- und Gewichtsklasse bringt der die nötige Stärke mit: Mit ihm kann ich sogar eine Steigung hochfahren!

Jetzt mal auf der Erlösseite: Von meinem Verhalten her lande ich im Schnitt bei 3-4 Euro pro Fahrt. Kann man das auf eure 30 Millionen Fahrten hochrechnen und davon ausgehen, dass ihr rund 100 Millionen Euro umgesetzt haben?

Lawrence: Ganz falsch liegst du nicht. Die Durchschnittsfahrt ist allerdings etwas kürzer und man muss einige Freifahrten einrechnen – etwa, wenn wir in einer neuen Stadt starten. Aber wir werden für die ersten zwei Jahren wohl ungefähr um den Dreh landen.

10:40

Alex: Wenn ich heute bei Amazon so eine Elektroroller mit Straßenzulassung kaufe, geht es von 300 bis rund 1.000 Euro hoch. Ihr habt ja mittlerweile Modelle mit austauschbaren Batterien. Andererseits habe ich sehr oft gelesen, dass E-Roller nach 50-60 Tagen Einsatz schrottreif waren. Ab wann ist ein Roller für euch profitabel? Oder: Ab wann ist eine Stadt profitabel? Wie geht ihr da ran?

Lawrence: Es gibt ja zwei Perspektiven. Aus Asset-Sicht: Wie schnell hat man das im Roller angelegte Kapital wieder raus? Bei uns dauert das sechs bis sieben Monate. Aus Stadt-Sicht: Es hängt davon ab, wie viele Scooter man in der jeweiligen Stadt hat. Hier hat man nämlich nicht nur die Kosten pro Roller, sondern auch für das jeweilige City-Team – Operations-Manager, Lagerhaus, Fahrer usw. Da braucht man eine gewisse Größe. Bislang sind wir in jeder Stadt, in der wir aktiv sind, auch profitabel – nicht immer zu 100%; da gibt es Zeiten, wo man nicht rentabel ist. Aber wir erreichten insgesamt im Juni als erstes Unternehmen im Micro-Mobility-Bereich die Profitabilität; seit Juli sind wir zudem Cashflow-positiv. Für das Geschäftsmodell heißt das: Nicht nur wächst es stark, sondern kann auch profitabel betrieben werden.

Zur Lebensdauer eines Scooter: Der hält bei uns mehrere Jahre. Wir haben auch in der zweiten Kohorte eine Eigenentwicklung, die seit 12 Monaten auf der Straße ist und zeigt, dass sie noch viele Kilometer in sich hat. Unsere Wettbewerber sind alle noch mit nicht-austauschbaren Batterien unterwegs: Wir nicht. Zudem – und genau das ist ein Beispiel von unserem Nachhaltigkeitsansatz – können wir ausgediente Scooter generalüberholen und einer zweiten Nutzung zuführen. Bei uns wird nichts weggeschmissen, was nicht wirklich komplett kaputt ist. Wir haben auch dann einen hohen Anspruch ans Recycling. Zweitverwendung, Wiederverwertung: Gerade auf der Fahrzeugseite sind wir extrem nachhaltig. Vom Beginn an habe ich gesagt: „Ein Fahrzeug nur 60 Tage auf der Straße? Das ist kein Unternehmen, sondern ein Verbrennen von Wagniskapital!“

(Deswegen führe TIER europaweit in jeder Kategorie, so Lawrence weiter: Anzahl der Städte, der Downloads, der Nutzer… Alex stellt Fragen zur Herstellung der Roller. TIER habe einen Vertragspartner für die Fertigung in China, so Lawrence, aber in den Rollern steckte auch eigenes geistiges Eigentum – sowohl in der Mechanik als auch in der Firmenware. So etwa die Powerbox-Batterie, die Nutzer in Eigenregie wechseln können, was TIER Kosten spart und örtlichen Geschäften, die die Boxen lagern, mehr Umsatz beschert. Wo es geht, bestätigt Lawrence auf Anfrage, fahre man die Batterien mit einem Lastenfahrrad an – sofern man an eins der raren Dinge komme. Sonst benutze man nach Möglichkeit Elektrofahrzeuge, um die Batterien zu den Rollers zu bringen. Denn man tausche bei TIER die Batterien im Scooter möglichst auf der Straße aus, anstatt die Roller über Nacht mit einem dieselbetriebenen Kleinlaster einzusammeln. Die Fahrten, um Roller einzusammeln, aufzuladen und wieder auszufahren, die andere Anbieter durchführen müsse, wolle man sich sparen – nicht zuletzt deswegen, weil darin einen signifikanten Profitabilitätsanstieg zu erzielen ist.)

19:50

Alex: So wie es sich anhört, seid ihr technologisch und organisatorisch führend. Ist es dann für andere Anbieter unattraktiv, Roller in den Städten aufzustellen, in denen ihr schon aktiv seid? Man hat ja schon eine Konsolidierungswelle im Scooter-Bereich gesehen…

Lawrence: Ich glaube nicht, dass in der Zukunft nur einen Anbieter geben wird. Zudem stellen wir nicht nur Scooter auf, sondern sind Mobilitätsanbieter mit verschiedenen Fahrzeugen. Der Markt ist so groß, dass mehrere Player nicht nur überleben, sondern auch gut Geld verdienen können. Aber klar: Mit Circ und Bird und nachher Uber gab es schon eine Konsolidierungsrunde. Ohne klare Strategie und eine Herangehensweise, Kosten zu reduzieren, muss Wagniskapital immer nachgeschossen werden – bis man verkaufen muss. Da haben wir uns ja rausgehalten. Wir haben unsere Strategie und verfolgen die sehr konsequent. Bei uns ist jetzt die Expansion im Fokus. Wir gehen gerade in den Mittleren Osten – nach Dubai und Abu Dhabi. Im europäischen Markt sehe ich am Ende zwei oder drei große Player.

Alex: Aber hieß es nicht im OMR-Podcast, dass euer Fokus zu 100% auf Europa gerichtet ist? Der Markt sei doch so groß…

Lawrence: Der Fokus auf Europa wird bleiben, absolut. Nur merken wir, dass die Herausforderungen anderswo genauso groß sind. Und mit Mubadala, einem Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emiraten, haben wir einen starken Partner, der uns in dessen Städten helfen kann, Mobility zu verändern.

22:15

Alex: Wie sucht ihr euch den Städte aus? Stellen wir Kiel – 250.000 Einwohner – gegen Hamburg – fast 2 Millionen – auf: Wie schneidet Kiel denn ab?

Lawrence: Die Unit-Economics sind sehr ähnlich. Der Unterschied liegt aber natürlich in der Größenordnung: In Hamburg habe ich mehr Fahrzeuge und daher mehr Einnahmen, womit ich wiederum meine Fixkosten auf mehr Umsatz verteilen kann. Deshalb wird Kiel von Hamburg aus mitgesteuert – sie ist also für uns eine „Satellitenstadt“.

Alex: Kiel ist also so eine Art Harburg?

Lawrence: Nicht ganz so! Was wir jedenfalls merken: In vielen Städten mit paar Hunderttausend Einwohnern – sogar bis zu 100.000 runter – ist die Mobilität zum Teil noch schlechter als in den großen Städten. Oft gibt es keinen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr; viele Wege sind mit Autos vollgestellt und es gibt Stau. Dementsprechend sind auch kleinere Städte für uns durchaus interessant.

22:25

Alex: Ihr habt letztens in Paris die Ausschreibung für Scooter gewonnen. Denn viele Städte lassen nicht mehr jeden zu und wollen aktiv mitentscheiden, wie die Mobilität aussieht – auch aufgrund der schlechten Erfahrungen, die viele mit Uber und anderen Anbietern gemacht haben. Glaubst du, dass in Zukunft auch in Deutschland Städte ähnlich verfahren werden? Dass etwa München alle rausschmeißt und sich auf Zulassung bewerben lässt…

Lawrence: In der Tat gibt es einige Ausschreibungen. Dabei ist Frankreich immer sehr restriktiv gewesen in dem, was Mobilität angeht (Buslizenzen sind da ein Beispiel). Das hilft uns insofern, als man – wenn man denn den Zugschlag erhält – weniger Wettbewerb hat. In Lyon sind wir etwa einer von zwei Anbietern; in Paris sind wir zu Dritt; im kleineren Grenoble sind wir sogar alleine. Das sorgt natürlich für eine höhere Profitabilität, als wenn sich vier-fünf-sechs Anbieter da taumeln.

Alex: Weil die Auslastung höher ist? Oder weil die Preis dann höher ausfallen?

Lawrence: Weil das Angebot an Fahrzeugen kleiner ist. Damit steigt die Auslastung pro Roller. In Deutschland kann es sein, dass es in Zukunft vermehrt zu Ausschreibungen kommt. Daher ist Öffentlichkeit/Politik neben Technologie, Organisation und Direktkundenmarketing einer unserer Schwerpunkte. Wir haben starke Beziehungen zu den Städten und versuchen mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden. So haben wir in Zusammenarbeit etwa mit der BVG in Berlin oder der MVG in München Rabatte eingeführt, damit wir an relevanten Bushaltestellen und S-Bahnhöfen stehen. Das begünstigt den Umstieg auf den Scooter und solche Kooperation ist ein ganz wichtiger Baustein in unserem europaweiten Ansatz. So wird man eher als Partner wahrgenommen, als wenn man ganz aggressiv reingeht und erst einmal 100.000 Scooter verteilt.

(Alex fragt, wie es im konkreten Fall Hamburg um die Kooperation steht. Er mache nämlich die Erfahrung, dass weite Gebiete in der Innenstadt fürs Abstellen von E-Roller gesperrt sind. Auch hier, erklärt Lawrence, lege man Wert – mehr als manch ein anderer Anbieter – darauf, mit der Stadt eng zusammenzuarbeiten, damit man nicht etwa sehr befahrene Wege vollstelle. Ob sich Beamten in neuen Städten teils mit den Scootern schwertun, fragt Alex. Es sei wichtig, mit relevanten Entscheidungsträgern eine Beziehung aufzubauen, so Lawrence – und zu zeigen, dass man anders sei als die amerikanischen Betreiber.)

30:45

Alex: Wo sind denn beim Wachstum die Hemmschuhe? Geeignete Städte? Rollernachschub? Finanzielle Mittel?

Lawrence: Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, zu wachsen. Unsere drei Kernbereiche: Mehr Fahrzeuge, unterschiedliche Fahrzeugkategorien, aber auch neue Märkte. Wir wollen mit Technologie aus Deutschland zu einem führenden Mobilitätsanbieter werden.

Alex: Zu dem Thema: Ihr habt ja mit einem Tochterunternehmen von Bosch „Coup“ eine neue Fahrzeugklasse eingekauft. Kann man neben E-Tretrollern die E-Mopeds einfach bei euch in der App buchen?

Lawrence: In Köln, Berlin und München kann man das schon – und das ergänzt unser bestehendes Angebot sehr gut. Denn mit dem E-Scooter ist man bis zu drei Kilometern unterwegs, mit dem Moped eher vier bis sechs. 50% der Moped-Fahrer fahren auch Scooter, benutzen die Coups aber eher, um längere Strecken quer durch die Stadt zurückzulegen; die anderen 50% sind Neukunden, die der Scooter bislang nicht angesprochen hat Und: Für mich ist das Coup-Moped einfach ein tolles Fahrzeug-

(Welche andere Fahrzeugtypen stünden auf der Agenda, will Alex wissen. Mit Lastfahrrädern habe TIER ja innerbetriebliche Erfahrungen. Lawrence sagt, man priorisiere. Erst einmal versuche man die 80% aller Bewegungen innerhalb einer Stadt, die zwischen zwei und sechs Kilometern ausfallen. Das umfasst längerfristig auch den Transport von mehreren Menschen, von Gütern. So könnten Lastenfahrzeuge in Zukunft eine Rolle spielen.)

33:45

Alex:: Lohnt es sich in einer regnerischen Stadt wie Kiel, auch durch die Wintermonate überhaupt die Roller auf der Straße zu lassen? Und: Wie sich die Nutzung in der Corona-Zeit verändert?

Lawrence: Erstens: Durch unsere austauschbaren Batterien können wir es uns durchaus leisten, auch im Winter auf der Straße zu sein – und verdienen auch Geld. Auch für diese Zeit müssen wir ja Lösungen finden. Mit Corona war das auch ja auch ganz besonders der Fall. Wir hatten 70 Städte, die alle sehr nervös waren und nicht wussten, was sie machen sollten. Da haben wir uns wissenschaftlichen Beistand geholt und untersucht, ob die Scooter ein Ansteckungsrisiko darstellen. Da stellte es sich raus, dass das nicht der Fall ist. Daraufhin haben wir mit den Städten gesprochen und mit ihnen gemeinsam Entscheidungen getroffen. 80% der Städte haben gesagt: „Okay, dann helft uns! Wir haben ja Leute mit systemkritischen Jobs, die nicht alle ein Auto zu Hause haben und nicht in den öffentlichen Nahverkehr wollen…“ Dadurch haben wir die Zahl der Fahrten sogar erhöht! Auch in den Städten, in denen wir den Betrieb erst einmal einstellen müssen, haben wir keinen entlassen. So haben wir die Krise als Chance gesehen – und sehr viele Kunden gewonnen, die sich als loyal erwiesen haben.

36:00

Alex: Stichwort Kundetreue: Wie viele Nutzer „gehen fremd“ und wechseln mal auf einen anderen Roller? Wisst ihr das?

Lawrence: Da haben wir keine 100%-ige Transparenz und müssen uns auf Umfragen verlassen. Wir tun alles dafür, dass, wenn der Kunde vor uns und einem Mitbewerber steht, wir die perfekte Lösung sind. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir am richtigen Ort sind – und die richtige Qualität anbieten. Das Nutzererlebnis ist da sowohl auf der Hardware- als auch auf der Software-Seite entscheidend. Wir müssen also immer erreichbar sein, dürfen keine IT-Ausfälle haben.

Aber klar: Es ist eine Herausforderung, uns zu differenzieren. Wir haben uns den Kopf darüber zerbrochen, wie wir da einen Lock-in schaffen. Deswegen ist unser Energy-Netzwerk mit den Powerboxen entscheidend, damit die Leute Teil der Community werden.

37:45

Alex: Wie sieht es in der Plattformökonomie aus? Da will ja jeder Marktteilnehmer die gesamte Fahrt für sich beanspruchen. GoogleMaps zeigt ja auch Lime-Roller als Verkehrsmittel an. Was passiert, wenn morgen beispielsweise die Deutsche Bahn zu euch kommt und sagt: „Lawrence, ich will deine ganze Flotte in unsere App integrieren, damit unsere Kunden das buchen können!“

Lawrence: Wir arbeiten schon eng mit den Städten zusammen – und in der Schweiz auch mit der SBB, in Österreich mit der ÖBB. Oder in Helsinki kooperieren wir mit dem Verkehrsverbund HSL: Mit dessen App kannst du uns buchen. Da gibt es also schon genug Beispiele, wo wir uns zur Verfügung stellen. Wichtig ist, dass die User-Experience gewinnt. Man soll die App benutzen können, die einem am meisten Spaß macht und wo die Ergebnisse am besten sind. Bei Google ist es so, dass Google Ventures in Lime investiert hat und die Roller der Firma deswegen integriert hat. Wir wollen auf jeden Fall end-to-end mobility anbieten und arbeiten daran Tag und Nacht.

(Alex fragt, ob es sehr viele reine Software-Anbieter mit Buchungsschnittstellen im Markt gäbe – und ob diese oft auf TIER zukämen? Lawrence bejaht. TIER habe sich aber entschieden, nur mit den offiziellen Anbietern von öffentlicher Nahverkehr zusammenzuarbeiten. Daraufhin will Alex wissen, ob sich schon Städte gegen die Ankunft von TIER gewehrt haben. Eine oder zwei, so Lawrence, sperren sich. Bei einigen musste man etwas länger erklären, was man vorhabe und seine Argumente mit Statistik untermauern. Generell seien aber die meisten Städte offen: Sie stünden ja auch unter Zugzwang, Alternativen zu Autos anzubieten.

Danach möchte Alex in Erfahrung bringen, was genau mit den Anteilen von Lawrence an TIER passiert ist, da hierzu so viel Unklares berichtet wurde. Er hat sie so gestiftet, dass er keinen finanziellen Vorteil von einem Exit haben wird und sämtliche Erlöse an eine Stiftung fließen, die nachhaltige Konzepte unterstützen wird.)

42:45

Alex: Gibt es Mobilitätsanbieter, die als potenzieller Käufer für TIER in Frage kommen? Ihr seid ja mittlerweile so groß, dass es nicht mehr mit 50 Millionen Euro getan wäre…

Lawrence: Einen Exit haben wir noch gar nicht im Kopf. Ich sehe uns auch nicht als Verkaufsobjekt, sondern als langfristigen Markführer für nachhaltige Mikromobilität. Wir versuchen, die Welt zu verändern! Wir als Unternehmer sind mission-driven; alle unserer Mitarbeiter haben Anteile – und ein gemeinsames Ziel.

Wenn wir in Zukunft noch einmal eine Kapitalaufstockung brauchen, kann es sein, dass wird das an der Börse machen. Das ist aber alles derzeit so weit weg hier: Wir sind noch ganz am Anfang, erst zwei Jahre alt! Da gibt es noch sehr viel zu tun – und das werden wir auch ganz sicher eigenständig machen.

(Ob es eigentlich viele Versuche gebe, die Roller zu knacken oder ob sie noch so oft in städtischen Gewässern landen, will Alex wissen. Das sei alle stark zurückgegangen, teilt Lawrence mit. Anfangs nahmen sie die Leute gerne  mal mit nach Hause – bis sie merkten, dass jeder Roller einen GPS-Tracker hat… Zudem seien sie mittlerweile so schwer, dass es keinen Spaß mache, die wegzutragen.)

45:10

Alex: Der OMR-Podcast Anfang des Jahres war das erste Mal seit längerem, dass ich dich in der Öffentlichkeit mitbekommen habe.

Lawrence: Ich versuche mich stark zu fokussieren und gebe eigentlich selten längere Interviews. Ich fand nur die Ansprache von OMR sehr nett – und von dir. Denn ich nehme mir doch gern Zeit, mal Erfahrungen mitzugeben und Leute so zu erreichen, dass wir als deutscher, als europäischer Standort wirklich mal was aufbauen können. Nicht immer den Exit-Gedanken, nicht immer Imitate. Wir wollen nachhaltig agieren und Innovationen kreieren.

(Manche seien genervt von den Scootern und wüssten nicht, wer hinter dem Unternehmen steckte. Auch deswegen präsentiere sich Lawrence hin und wieder mal der Öffentlichkeit, sagt er abschließend.)

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