Das Gesundheitswesen mit Kai Hankeln, Vorstandvorsitzender von Asklepios

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Der Gesundheitsmarkt in Deutschland ist ca. 440 Mrd. groß und durch die verschiedenen Akteure (Versicherungen, Staat, Kliniken, Praxen…) sehr komplex organisiert. Gute Gesundheitsversorgung muss in den Einklang mit einer hohen Effizienz gebracht werden und die Privatisierung vieler Krankenhäuser in den letzten Dekaden hat Anbieter wie Asklepios neue Möglichkeiten gegeben. Mit dem CEO Kai Hankeln unterhalte ich mich darüber, wie man in diesem komplexen Feld überhaupt Geld verdient, seine Kunden bindet und überhaupt digitale Strategien anwendet.

Das Gesundheitswesen mit Kai Hankeln, Vorstandvorsitzender von Asklepios

Mit Asklepios verantwortet Kai insgesamt 170 Einrichtungen, 67.000 Mitarbeiter und einen Umsatz von ungefähr 5 Milliarden Euro. Neben stationären Behandlungen bietet die Klinikkette eine ganze Bandbreite an Gesundheitsdienstleistungen an – von Untersuchungen beim Arzt über akute Psychiatrie bis hin zur Nachsorge und Rehabilitation. Kai fasst das Geschäftsmodell so zusammen: Gewinne erzeugen aus Synergien (z. B. gemeinsame IT) und Einkaufsmacht (bessere Konditionen als kleinere Klinikbetreiber). Überraschend für viele: Hinter Asklepios steht kein internationaler Konzern, sondern ein Familienunternehmen! Und in diesem weitläufigen Gespräch übers Gesundheitswesen erwartet uns auch einiges Überraschende mehr…

02:30     Kleine Topografie der komplizierten deutschen Kliniklandschaft: Den Markt teilen sich ungefähr zu je einem Drittel drei Trägergruppen – allgemeinnützig, öffentlich und privat. Jährlich erwirtschaften die Marktteilnehmer im gesamten Gesundheitssektor in Deutschland 450 Milliarden Euro (rund 10% des Bruttoinlandsprodukts!). Davon entfallen 80-90 Milliarden auf Krankenhäuser.

Alex ist ja Ärztingatte und kennt daher privat viele Ärzte. Einige sagen, das deutsche Gesundheitswesen ist im internationalen Vergleich bestens finanziert und äußerst leistungsfähig. Andere wiederum blicken neidisch ins Ausland. Wie sieht es Kai? „Jetzt sprenge ich die Sendezeit!“ Kurzfassung: Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen in Deutschland sei gut, weil gleich. Jeder, egal wie versichert, komme an dieselben Behandlungen. Privatversicherte bekämen bloß mehr Komfort. Im Gegenzug seien die Kosten fürs deutsche Gesundheitswesen wahnsinnig hoch. Dazu arbeite das System ineffektiv. Das werde man sich so nicht mehr länger leisten können.

Wo sieht er das meiste Einsparpotenzial und den höchsten Verbesserungsbedarf? Deutschland leiste sich zu viele Krankenhäuser und zu viele Krankenkassen. Zudem gebe es den Pflegenotstand bereits, weil nicht genug Ressourcen ins Personal fließe, sowie zu viele unnötige Klinikaufenthalte – „und das sage ich als stationäre Krankenhausbetreiber!“

07:20     Wenn – fragt Alex – es zu viele Praxen und Kliniken im Markt gebe und größere Häuser effizienter arbeiten: Warum hat der Markt bislang denn nicht dafür gesorgt, dass mehr große Gesundheitszentren entstehen und mehr kleinere Betreiber ausscheiden? Kai sieht die Schuld bei Politikern, die partout keine Krankenhäuser schließen wollen. Die Überlegenheit eines Modells mit weniger, dafür größeren Kliniken begründet Kai nicht nur mit besserer Wirtschaftlichkeit, sondern mit mehr Qualität: „Ein Arzt, der sehr, sehr häufig einen Eingriff macht, macht den immer besser.“

Da müsse die Politik den Bürgern ehrlich erklären, warum kleine örtliche Versorger nicht für alle Eingriffe die richtigen seien. Holland und Dänemark machten es vor, wie man mit einer gut vorbereiten und öffentlich diskutierten Umstrukturierung die flächendeckende Versorgung in hoher Qualität sichert. Derzeit drohe in Deutschland eine solche Bereinigung „durch die Hintertür“ – dadurch, dass Klinikbetreiber ausgetrocknet und in die Insolvenz getrieben würden.

15:10     Wie steuert man als Unternehmen im Gesundheitssektor Nachfrage und Angebot? Werbekampagnen für besonders gefährliche Sportarten fahren, um mehr Einweisungen zu generieren, das verbiete sich ja… „Nein, wir können nicht einfach den Markt schaffen!“ Als Klinikbetreiber bekommt man die meisten Patienten über Rettungsdienste in die Notaufnahme. Weder kann man noch will man das erhöhen. Dazu gibt es aber den kaufmännisch wichtigen elektiven Bereich: planbare Eingriffe wie Hüfte-OPs. Dafür könne man Online-Marketing machen sowie mit niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten.

17:15     Und wie rechnet man? Kai umreißt das umstrittene (und vermutlich bald veränderte) System der Fallpauschalen, wonach es einen Festbetrag pro Eingriff gibt. Eingeführt wurde es, um die Fehlanreize der Abrechnung nach Verweiltagen zu korrigieren. Wenn es nach dem derzeitigen Gesundheitsminister geht, soll das neue System die Vorhaltung von Kapazitäten, nicht die Leistungen vergüten. Keine so gute Idee, findet Kai: Da verschwinde doch jede Wirtschaftlichkeit! Bei aller Kritik an den Fallpauschalen: Die sorgten dafür, dass Krankenhäuser die Patienten früher nach Hause schickten – was auch gut für die Patienten sei. „Das ist eingesparte Lebenszeit und Lebensqualität!“

Alex möchte einen klassischen elektiven Fall – die Hüfte-OP – durchgerechnet bekommen. Wo liegen die Kostentreiber, wo findet sich das Margenpotenzial? Kai listet auf: Skaleneffekte beim Einkauf, Vermeidung von Zwischenfällen während und nach dem (möglichst minimalinvasiven) Eingriff, eine optimierte Verweildauer. Bei Hüften stellen sich dann Fragen wie: zementiert oder geschraubt…?

22:05     Ergibt es nicht Sinn für Patienten, die eine neue Hüfte brauchen, die besten Kliniken dafür – nötigenfalls Hunderte Kilometer entfernt – aufzusuchen? Alex‘ Überlegung dabei: Auch für die Kliniken ergebe es doch Sinn, eine starke Spezialisierung zu haben und dafür auf Kundenakquise zu gehen, oder? Einerseits, so Kai, informieren sich Patienten heutzutage schon viel: Google-Bewertungen werden eifrig gelesen, Rankinglisten „Wer ist der beste Operateur?“ und Fallzahlen pro OP durchforstet. So könnte man geografisch unabhängig gute Kliniken für seinen Eingriff finden. Andererseits legen Patienten aber nach wie vor sehr viel Wert darauf, wozu ihnen ihre behandelnden Ärzte raten. „Das kanalisiert außergewöhnlich.“ Zudem liege es nicht im Interesse von Kliniken, sich eng zu spezialisieren und die Nahversorgung zu vernachlässigen. Denn dann bekommen sie vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) die Vergütung verkürzt…

25:40     Thema Entgelte: Auch hier hat Ärztingatte Alex diametrische Sichtweisen vorgetragen bekommen. Bürokratisches Monstrum oder funktionierendes System, für das man bloß eine gut ausgebildete medizinische Fachangestellte braucht? Was sagt Kai dazu? „Im Krankenhaus ist die Abrechnung als solches schon eine administrative Herausforderung…“ Und dann kämen Jahre später nachträgliche Prüfungen vom Medizinischen Dienst, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass Vergütungen zurückgezahlt werden müssen. Es herrsche eine „Misstrauenskultur“ gegen Leistungserbringer, weshalb Krankenschwester mittlerweile 30% und Ärzte 40% ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation verbringen. „Das ist nicht mehr normal!“

32:50     Kai beklagt sich über steigende Kosten: Alex will wissen, was die Steigerung treibt. Kai kommt auf die „verrückten Ineffizienzen“ des deutschen Gesundheitssystems zurück: „Wir haben 100 Krankenkassen: 10 würden eigentlich reichen!“ Zudem gebe es in Ländern mit weniger Versicherern größere Datenpools, die es etwa in Pandemiezeiten erlauben, das Geschehen schneller nachzuvollziehen: Als Beispiele nennt er Israel, Dänemark und Großbritannien. Zumal diese Länder viel digitaler arbeiten. Derweil heiße Digitalisierung in Deutschland noch PDF-Krankenakten, aus denen man keinen einzigen Datensatz auswerten könne…! Gibt es denn nicht mittlerweile digitale Patientenakten? „Ja, digitale Akten gibt es viele“ – und das sei das Problem. Jeder Anbieter hat nämlich sein eigenes System. Zudem verstecke man sich hierzulande gern hinter dem Datenschutz.

36:15     Jetzt schneidet Alex ein ganz großes Thema an: Warum gibt es eigentlich die private Krankenversicherung…? Schließlich könnte man es sich als Privatversicherter allein von der Tatsache, dass man als Patient so begehrt ist, logisch herleiten, dass man bloß die Melkkuh gibt. Kai stimmt zu, dass es teuer ist. Für die Kliniken seien aber Privatpatienten derzeit unverzichtbar, weil sie Komfortdienstleistungen in Anspruch nähmen und die Kliniken damit anderes quersubventionieren könnten: „Alles, was wir an Deckungsbeitrag gewinnen, können wir wieder in die Gesamtversorgung geben – und das kommt damit den GKV-Patienten zugute.“ Allerdings wäre Kai, der selbst privatversichert ist, im Rückblick doch lieber in der gesetzlichen Krankenkasse geblieben. Denn die eigentliche Leistung – neue Hüfte, Chirurg – unterscheide sich nicht.

38:40     Weil sich die haus- und fachärztliche Versorgung in Deutschland verschlechtert – und weil viele Patienten aus Bequemlichkeit oder Unwissen nicht in die Notfallpraxen, sondern in die Notaufnahme gehen, verstopfen die Kliniken mit Patienten, die nicht dahin gehören, sagt Kai. Welche Lösungsansätze gibt es denn da? Kai berichtet von gelungenen Konzepten wie eine Notfallpraxis, die direkt neben einer Notaufnahme platziert wurde.

41:30     Wenn Kai Gesundheitsminister wäre, was würde er tun, um das System besser zu machen?

  1.  Verringerung der Zahl der Krankenkassen.
  2. Eine für den regionalen Bedarf geplante Neuaufstellung der Kliniklandschaft – mit weniger Krankenhäusern und mehr Ambulanzen und Ärztezentren.
  3. Eine vernünftige Digitalisierung aller im Gesundheitswesen anfallenden Daten – durch zentral von der Regierung vorgegebenen Standards ermöglicht.
  4. Durch die Digitalisierung könnte denn ein einheitlicher, online zugänglicher Gesundheitsmarkt entstehen.

47:40     Wie sieht es mit Kundentreue/-bindung aus? Darf Asklepios Patienten anschreiben, die sich schon einmal in einem seiner Häuser haben behandeln lassen? „So ein CRM-System hätte ich ganz gerne!“ Viel mehr als die Einwilligung zur anschließenden Befragung dürfe man sich nicht einholen.

Was Asklepios zu Kundenbindungszwecken macht: in den sozialen Netzwerken aktiv sein und Fachexperten an die Medien vermitteln oder YouTube-Videos drehen lassen; Print-Kampagnen in Zeitungen buchen oder gelegentlich Busse mit Asklepios-Werbung fahren lassen. „Mit Influencern zusammenarbeiten?“ fragt Alex. Wertvoller sei doch die Erfahrung, die Patienten machten, wenn sie zu Asklepios ins Krankenhaus kämen, antwortet Kai.

Ein weiterer Hebel: die verweisenden niedergelassenen Ärzte, die regelmäßig zu Fachveranstaltungen eingeladen werden, sowie die Rettungsdienste. Der neueste Bereich für Asklepios: Online-Marketing. Dabei verfüge die Abteilung Marketing und Kommunikation über bloß 12 Vollzeitangestellte. Für ein 67.000-starkes Unternehmen ein „extrem schlankes“ Team…

54:45     Amazon, Kry, DocMorris: Welchen Einfluss werden neue Marktteilnehmer im deutschen Gesundheitswesen haben? „Plattformarchitekturen werden dieses System für die Zukunft bestimmen – gar keine Frage!“ Bei digitalen Arztterminen, wie sie Kry anbietet, hat Asklepios also bereits eine eigene Lösung namens Samedi. Im Bereich Arzneimittel/Apothekerbedarf mache Amazon in USA vieles richtig – vor allem kundengerecht. Dem Konzern seien die regulatorischen Hürden in Europa aber zu hoch. Schade eigentlich: Denn prinzipiell findet Kai neue Marktteilnehmer gut, wenn sie das System verbessern.

59:20     Der Kostendruck in der Pharmabranche führt dazu, dass kaum noch Medikamente und medizinische Ausrüstung in Deutschland hergestellt werden. Wie findet Kai das? „Es führt dazu, dass unsere Risiken steigen maximal steigen – Wir haben das bei Corona gemerkt.“ Asklepios hat mit einem Zentrallager auf die Störung der Lieferketten reagiert: „Wir sind in der Lage, das Unternehmen sechs Monate zu versorgen – und noch ein anderes dazu!“ Kostenpunkt: 40 Mio. € plus 150 Mio. € an eingelagerter Ware. Sollte denn nicht in Deutschland mehr produziert werden? Ja, aber dann müssten die Krankenkassen teurere Preise akzeptieren, anstatt alle Umfänge auszuschreiben und den billigsten Anbieter zu nehmen, der zwangsläufig in China oder Indien sitzen wird.

1:02:30 Theoriefrage zum Schluss: Wenn Kai ernsthaft erkranken sollte, in welchem Land würde er dann gern leben? „Die Schweiz macht es gut, aber es ist noch teurer als bei uns.“ In Deutschland sei es in Ordnung. Die USA biete es Top-Versorgung – aber nur denjenigen, die es sich leisten können. Und das einst so leistungsstarke NHS in Großbritannien tue Kai als System nur noch leid…

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