Der Automobilmarkt rückt zunehmend in meinen Fokus. In dem Beitrag zum Handel von jungen Gebrauchtwagen habe ich versucht auf die Herausforderungen für den Handel einzugehen. Mehr Material zu diesem Thema findet sich auch in einer Videosammlung von mobile.de aus Juli 2013, in der verschiedene Expertenperspektiven aufgezeigt werden. Ein wesentlicher Treiber der Entwicklungen im Automobilhandel dürfte das Thema Car-Sharing sein. In Berlin z.B. vergehen in den zentralen Lagen gefühlt keine 60 Sekunden bis man ein Auto der dort populären Carsharing Dienste zu sehen bekommt. Die Faszination beim Carsharing ist mE erst nachvollziehbar, wenn man es selber ausprobiert. Mit einer Chipkarte in der Brieftasche stehen pro Metropole sofort hunderte Autos zur Verfügung, die ad hoc genutzt werden können – ohne feste Parkplatzbindung, zu festen Kosten pro Minute Nutzung. Ein Segen für alle Citybewohner mit Parkplatzsorgen und wenig emotionaler Bindung zu ihrem Auto. Nun hat mir Thomas Beermann, Geschäftsführer von car2go, ein paar Fragen zum Carsharing beantwortet.
Zum Start ein kleines Update zu car2go: Wie viele Autos sind schon im System? Wie groß ist das Wachstum? Welche Städte werden als nächstes erschlossen? Sind noch alle Gesellschafter (Europcar & Daimler) glücklich mit dem Konzept?
Wir sind sehr glücklich mit dem Konzept, da car2go überall erfolgreich läuft und von den mittlerweile deutlich über 400.000 Kunden sehr gut angenommen wird. Momentan betreiben wir car2go in 22 europäischen und nordamerikanischen Städten. Die 12 Standorte in Europa werden von der car2go Europe GmbH, dem Joint Venture zwischen Daimler und Europcar, betrieben. Rund 8.500 smart fortwo Fahrzeuge sind gegenwärtig für car2go unterwegs, 1.100 davon bereits mit batterieelektrischem Antrieb. Wir werden noch in zahlreichen weiteren Städten starten, zum Beispiel im September in Minneapolis, USA. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen keine weiteren Städtenamen nennen kann, da wir uns gegenwärtig zeitgleich in Gesprächen mit vielen Städten befinden und nicht hundertprozentig genau sagen können, welcher Start wann umgesetzt werden wird.
Wie viel % der Nutzer kündigen wieder ihre Mitgliedschaft bei car2go? Wie lange bleiben die Nutzer dabei?
Seit dem Start des ersten öffentlichen Pilotversuchs im März 2009 in Ulm haben wir ein hohes und beständiges Kundenwachstum. Die Zahl derjenigen Kunden, die aktiv ihre Mitgliedschaft bei car2go beenden ist extrem gering und lässt sich prozentual nicht ausdrücken. Bislang merken wir einen Trend, dass Kunden, die länger bei car2go sind, den Service auch zunehmend häufiger nutzen.
Verändert die Nutzung von car2go wirklich das Kaufverhalten von Autos? Kaufen car2go Fahrer eher einen Smart, wenn sie irgendwann doch ein eigenes Auto brauchen? Hat das System messbare Positiveffekte für die Kaufentscheidung eines Mercedes?
Abgesehen von den beiden Pilotversuchen in Ulm und dem texanischen Austin, ist car2go für die Erfassung nachhaltiger Änderungen im PKW-Kaufverhalten noch zu neu auf dem Markt. Solche, eher langfristigen Veränderungen des individuellen Mobilitätsverhaltens werden gerade in einer unabhängigen Studie durch das Öko-Institut und das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) erfasst.
Wie groß muss eine Stadt mindestens sein, damit sich car2go profitabel betreiben lässt? Kommt das System auch bald in kleinere Städte wie Kiel mit ca. 250.000 Einwohnern?
Da für den wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb eines stationsunabhängigen Carsharingkonzeptes die Zahl der potenziellen Nutzer eher hoch sein muss, um die Autos mehrmals am Tag zu vermieten, gehen wir davon aus, dass car2go erfolgreich in Großstädten und verdichteten Ballungsräumen mit einer Mindesteinwohnerzahl von 500.000 betrieben werden kann. Das schliesst nicht aus, dass unter bestimmten Umständen oder veränderten Rahmenbedingungen das Konzept auch für „kleinere“ Großstädte interessant werden könnte.
Für mich erscheinen die 0,29€ pro Minute kaum kostendeckend zu sein, wenn man daran denkt, dass sogar ein eigener Kleinwagen mit 10.000-15.000 km/Jahr mit 0,35€ pro km angesetzt wird. In Städten dürften pro Minute weniger als ein km anfallen, aber dafür gibt es ja auch einen höheren Aufwand bei der Betreuung des Systems. Lohnt sich das überhaupt für die Gesellschafter?
car2go ist ein relativ neues Geschäftsmodell, das erst vor rund zweieinhalb Jahren unter „echten“ Marktbedingungen an den Start gegangen ist. Wie bei allen neuen Geschäftsmodellen mit Startup-Charakter braucht es auch bei car2go etwas Zeit bis sich die Anfangsinvestitionen auszahlen und die Gewinnschwelle erreicht wird. Sie können jedoch davon ausgehen, dass wir car2go nicht in weiteren Städten eingeführt hätten bzw. noch einführen würden, wenn wir hier nicht beträchtliches Potenzial sehen würden. Die Tatsache, dass wir in den ersten drei Städten bereits wirtschaftlich arbeiten, deutet darauf hin, dass wir auf einem guten Weg sind.
Zu meinem Erstaunen erzeugt das car2go Konzept keine Nutzerbarrieren. (Mindestlaufzeiten, …). Es ist extrem einfach daran teilzunehmen und es ist auch einfach sich wieder abzumelden. Damit wird aus meiner Sicht kein Lock In Effekt erzeugt, der es erlauben könnte sich gegenüber Mitbewerbern durchzusetzen. Für car2go Nutzer wird deshalb eine ‚drive-now‘ Mitgliedschaft, parallel zur car2go Karte, sehr sinnvoll. Ist das so geplant gewesen?
Als wir car2go geplant und umgesetzt haben, waren wir als Pionier dieser neuen Form des Carsharing exklusiv unterwegs. Mittlerweile gibt es einige Wettbewerber mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Unser Konzept ist es, die Nutzung unserer Fahrzeuge für den Kunden so einfach und bequem wie möglich zu machen. Herkömmliche Modelle hatten ja zum Teil bestimmte, von Ihnen angesprochene, Einschränkungen, die es für den Kunden eher unattraktiv gemacht haben, diese Form des Autoteilens einfach mal auszuprobieren. Wir sehen es nicht als Nachteil an, wenn unsere Kunden parallel auch bei anderen Anbietern eine Mitgliedschaft haben. Wir bieten mit car2go aus unserer Sicht genug Vorteile, die uns ausreichend vom Wettbewerb abgrenzen.
In einem Zeit Artikel vom Januar wird behauptet, dass ein großer Teil der aktiven Carsharing Kunden das eigene Auto abschafft. Ist das so bei car2go beobachtbar? Das wäre ja ein tolles Argument entgegen der car2go Kritiker, die dem Konzept eine mangelnde ökologische Passfähigkeit unterstellen.
Die Abschaffung oder Nichtanschaffung eines eigenen Autos hat viele Gründe und erfolgt eher mittel- bis langfristig. Auch wir haben viele Kunden, die aus unterschiedlichen Gründen kein eigenes Auto besitzen oder ihr Fahrzeug abgeschafft haben. Erste unabhängige Untersuchungen der Universität Ulm haben dies bestätigt. Um diese ersten Untersuchungen auf eine breitere Basis zu stellen und auch langfristige, Verhaltensänderungen erfassen zu können, wurde 2012 eine neue Untersuchung gestartet. Unter der Federführung des Öko-Instituts, des Instituts für sozial ökologische Forschung (isoe) und mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums werden wir im Rahmen einer bis 2016 ausgelegten Studie auch die Änderung des längerfristigen Nutzerverhaltens analysieren sowie die sich hieraus ergebenden ökologischen Auswirkungen dokumentieren und nachvollziehbar bewerten.
Was sind die aktuell größten Herausforderungen beim Ausbau des Systems? Ich habe u.a. erfahren, dass die missbräuchliche Nutzung der Fahrzeuge, z.B. durch ausfallende Zahlungen bei falschen Kontoangaben, ein wesentliches Thema ist. Gibt es viele Fraudfälle (Fahrten von Betrunkenen, …)?
Die aktuell größten Herausforderungen beim Ausbau des Systems sind unsere eigenen Kapazitäten hinsichtlich Personal und Anschaffung von Fahrzeugen. Die missbräuchliche Nutzung unserer Fahrzeuge oder unseres Systems sind ausnahmslos Einzelfälle, die von uns sofort und direkt mit Nutzungsausschluss geahndet werden. Der überwiegende Teil unserer Nutzer verhält sich absolut angemessen und rücksichtsvoll und fühlt sich sogar als Teil einer großen car2go Community.
Wie hoch ist der Rückführungsaufwand, damit die Autos morgens von der Reeperbahn oder vom Stadtpark wieder zentral in den Wohnbezirken geparkt werden, bzw. wieviel % der Gesamtkilometer werden von car2go-eigenen Mitarbeitern gefahren?
Grundsätzlich funktioniert car2go hervorragend durch Selbstregulierung, das heißt die Verteilung der Fahrzeuge erfolgt fast ausschließlich durch die Nutzer selbst. Überführungs- und Leerfahrten machen weder ökonomisch noch ökologisch Sinn. In wenigen Ausnahmefällen werden Fahrzeuge durch unser Serviceteam umgeparkt. Dies erfolgt vor allem dann, wenn ein Fahrzeug ohnehin betankt oder gesäubert werden muss. In diesen Fällen wird das car2go anschließend an einen Ort mit hoher Nachfrage gebracht.
Macht es Sinn für car2go übergreifende Buchungssysteme zu unterstützen? Schon jetzt haben einige Nutzer 2-4 Karten verschiedener Sharinganbieter im Gepäck und viele wünschen sich eine einheitliche Buchungs-App oder zumindest ein System, bei dem es ohne weiteres möglich ist, friktionslos auf viele Car- oder Bikesharing Dienste zurückzugreifen. Wird es bald einen einheitlichen Buchungsstandard geben?
In verschiedenen Städten arbeiten wir bereits heute mit lokalen Partnern, insbesondere des öffentlichen Personennahverkehrs, zusammen. Dort gibt es bereits die Möglichkeit mit einer Karte sowohl die car2go Fahrzeuge zu öffnen, als auch mit dem ÖPNV unterwegs zu sein oder ein Fahrrad anzumieten. Dies sind erste Schritte auf dem Weg zu einheitlichen Buchungssystemen. Zudem haben wir mit unserer Mobilitäts-App moovel eine eigene Plattform entwickelt, die genau diesen Komfort bieten möchte und dem Kunden zukünftig im Sinne eines One-Stop-Shopping nicht nur die beste Möglichkeit aufzeigt, um von A nach B zu kommen, sondern auch die verschiedenen Bezahlsysteme zusammenführt. Wir stehen hier erst am Anfang einer Entwicklung, vergleichbar mit der Einführung des Mobilfunks. Dort war es zu Beginn auch schwierig zwischen einzelnen Anbietern zu wechseln.
What’s next? Wäre ich ein großer Automobilkonzern, dann würde ich mir gar nicht mehr überlegen eine eigene Sharingflotte zuzulegen, sondern würde in all meinen Fahrzeugen eine Sharing-Option verbauen, so dass man a) das entsprechende Auto über GPS orten kann und b) berechtigte Nutzer über eine Karte das Auto jederzeit öffnen und starten können. Nutzer könnten sich dann aussuchen, ob sie ihr Auto in einem allgemeinen Pool zur Verfügung stellen und „mitverdienen“ oder ob sie einen geschlossenen Nutzerkreis von befreundeten Fahrern aufbauen. Für mich wäre das auf jeden Fall ein kritisches Kaufargument, anstatt über eine Massagefunktion im Fahrersitz nachzudenken. Spinnerei oder Zukunft?
Wir denken bei der Daimler Mobility Services in der Tat über zahlreiche künftige Geschäftsmodelle nach und werden einige davon in der kommenden Zeit umsetzen. Meiner Ansicht nach wird das gemeinsame Nutzen von Fahrzeugen in der Zukunft ebenso seinen festen Platz haben, wie der individuelle Autobesitz. Für beides gibt es gute Gründe und die Systeme schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich.