Erik Podzuweit war einer der witzigsten Kommilitonen während meiner Zeit an der Uni Kiel. Aber er war nicht nur witzig, sondern auch sehr schlau, was ihm eine Karriere in der Finanzindustrie beschert hat, während ich mich mit dem Handel begnügen musste. Mittlerweile ist mit dem Roboadvisor und Neo Broker Scalable Capital wieder in der Digitalindustrie aktiv und wir besprechen in unserer ersten gemeinsamen Folge, ob wir uns zusammentun können, um gemeinsam schlauer zu werden. Es gibt mittlerweile mehr Börseninformationen über E-Commerce Unternehmen als jemals zuvor, weshalb Eriks Finanzexpertise dem Kassenzone Podcast gut tun kann. Ob das wirklich so ist, entscheidet ihr. Ich freue mich über euer Feedback!
Kassenzone-Spezial (Nr. 1?) mit Erik Podzuweit, Mitgründer von Scaleable Capital – und potenzieller Stammgast
Erik war von 2002 bis 2006 ein Kommilitone von Alex an der Uni Kiel, der nach dem Studium Karriere in der Finanzbranche machte – und nun mit Scalable Capital digital unterwegs ist. Ein geeigneter Stammgast, um mit Alex einmal im Monat in Deep-Dive-Format eine E-Commerce-Aktie eingehend zu analysieren? Schließlich gibt es von vielen Unternehmen in der Branche mittlerweile Quartalszahlen. Zudem halten die beiden bereits ein wöchentliches Clubhouse-Gespräch zusammen ab. Über die Idee und Eriks Eignung spricht er mit Alex in diesem Podcast. Dazu gibt es mit einer Kurzanalyse des Falls Gamestop einen ersten Vorgeschmack, wie sich das Format anhören könnte. Feedback, wie Zuhörer und Leser die Idee einer regelmäßigen Reihe finden, ausdrücklich erwünscht!
Eins gehört allerdings klar herausgestellt: Um Anlageberatung handelt es sich hier keineswegs!
„GameStop: Für sehr viele war das einfach ein Spaß!“
2:10
Alex: Erik, herzlich willkommen bei Kassenzone! Stell dich doch bitte den Zuhörern hier kurz vor.
Erik: Also, ich bin in Berlin geboren aber auf Norderney aufgewachsen. Um dem Wasser treuzubleiben, meldete ich mich zum Studium in Kiel an: BWL, VWL, Statistik – letztere wurde dann zu meinem Schwerpunkt. Dort habe ich ja dich kennengelernt. Übrigens verkaufe ich dich immer im Gespräch als „derjenige, der so eine Art Facebook gebaut hatte, bevor es Facebook überhaupt gab“…
Alex: Stimmt, du meinst VSFS.de!
Erik: Das war ja damals so, dass es immer die ganzen Mitschriften aus Grundkursen und Tutorials gab, die wir Erstsemester unter uns geteilt haben – also, diejenigen, die in den Vorlesungen am besten mitschrieben beziehungsweise überhaupt auftauchten! Das typische Medium dafür war ja die Fotokopie. Und da hast du gesagt: „So geht das nicht mehr. Wir schreiben ja 2002!“ Daraufhin hast du ein Forum mit Log-ins usw. gebaut. Also doch nicht ganz Facebook – es ging ja nicht um den Beziehungsstatus und Bilderhochladen. Hättest du das noch eingebaut…!
6:50
Alex: Nach unserer Studentenzeit hat es dich in die Finanzwelt verschlagen.
Erik: Der Klassenschlaueste bei uns – Martin Löhrmann; hatte wohl schon mit 17 an der Uni angefangen – machte ein Praktikum bei Goldman Sachs und sagte mir: „Trading floor in London! Das macht alles Spaß! Muss du dir auch anschauen!“ So habe ich mich da beworben und einen Praktikumsplatz bekommen. Das war 2006 – also zwei Jahre vor der Finanzkrise noch. Die haben mich übernommen und dann war ich zwei Jahre bei Goldman in London, bevor ich nach Frankfurt für weitere fünf Jahre wechselte. Ich habe mit Derivaten gehandelt. Es war eine sehr lehrreiche Zeit mit vielen tollen Kollegen – und die Einsichten in die Finanzmärkte, die ich dort bekommen haben, nützen mir heute noch.
2013 hatte ich aber Lust auf einen Wechsel. Bei Goldman war es ja, wie man es von Beratungen kennt: Du kommst zum up-or-out-Punkt – entweder voll in die Karriere gehen und Partner werden wollen oder etwas anderes machen. Zur Info: Von den 3.000 bis 4.000 Goldman-Mitarbeitern sind rund 250-300 Gesellschafter, die die Firma leiten.
Ich wollte in die Digitalbranche und habe mich bei E-Commerce-Unternehmen beworben. Da gab es noch keine FinTechs, wenig VCs… „Internet“ in Deutschland hieß zu dem Zeitpunkt ja zu 80% „E-Commerce“. Da bin ich zu Westwing nach München gegangen und habe da anderthalb Jahre sozusagen meine „Internet-Ausbildung“ gemacht.
10:10
Alex: Und bei Westwing habe ich dich wiedergesehen. Da fühlte ich mich bestätigt: „Wenn die Besten aus meinem Studium auch im E-Commerce arbeiten, dann scheint es ja wirklich was mit der Branche auf sich zu haben!“ Was hattest du übrigens für einen Notenschnitt? 1,…?
Erik: 1,5 oder 1,6. Geht immer noch besser!
Alex: Nach Westwing ging es dann für dich mit dem Online-Wissen zurück Richtung Finanzen: Scaleable Capital. Da bist du jetzt.
Erik: Da waren zwei ehemaligen Kollegen von Goldman, die sich selbstständig machen wollten – im damals neu aufkommenden Bereich FinTech. Ziel: Finanzdienstleistungen online bringen, um dadurch das Nutzererlebnis zu verbessern und die Kosten zu senken. Das war ja auch die Zeit, in der Firmen wie N26 im Bankengeschäft hochsprossen. Es gab auch Neugründungen in Bereichen wie Fremdwährung und Anlage. Wofür wir uns entschieden: einen Robo-Advisor.
Ende 2014 waren Robo-Advisors ein ganz heißer Trend: Man lässt sein vornehmlich in ETFs angelegtes Geld von einer Software steuern, die ein nach Risiko zusammengestelltes ETF-Portfolio überwacht. Damit haben wir in Deutschland und Großbritannien angefangen – und haben Erfolg damit gehabt. Derzeit haben unsere Kunden, die zum größten Teil hierzulande ansässig sind, knapp 3 Milliarden Euro mit uns investiert.
Kurz nach dem Start sind andere Firmen auf uns zugekommen und sagten: „Mensch, das sieht ja interessant aus, was ihr das macht. Könnt ihr das vielleicht für uns bauen und betreiben?“ Für Unternehmen wie Siemens und EMG bieten wir den Mitarbeitern respektive Kunden unsere Online-Vermögensverwaltung an – unter unserer eigenen Marke. Danach kamen auch Banken wie Barclays in Großbritannien, Raiffeisen in Österreich und TargoBank in Deutschland zu uns: Sie wollten dann von uns eine White-Label-Lösung. Dieses B2B-Geschäft ist eine schöne Ergänzung zu unserem ursprünglichen B2C-Modell. Es ist wie im Handel, wenn man auch noch über ALDI verkauft. Die Marge ist zwar kleiner als im Direktkundengeschäft, man hat aber keine Kundenakquisitionskosten und es ist ein stabiles Geschäft; zudem wird unsere Plattform noch kostengünstiger und skalierbarer.
Denn sowohl Geld als auch Software sind äußerst skalierbare Geschäfte. Du kannst mir zum Beispiel heute eine Milliarde Euro geben, ich muss aber keinen Software-Entwickler dafür anstellen. Bin ich aber Autobauer und du bestellt 100.000 Autos bei mir, muss die Produktionsanlagen dafür haben, Rohstoffe einkaufen, unter Umständen mehr Leute einstellen… Aber unser Geschäft ist ultra-skalierbar – daher auch der Name Scaleable Capital.
18:35
Alex: Ihr habt aber jetzt auch ein zweites Model am Start, bei dem man mehr tradet.
Erik: Das ist ein sogenannter „Neo-Broker“. Online-Broker sind in Deutschland gar nichts Neues: Seit 20 Jahren schon muss man keinen Fax mehr schicken, um eine Aktie, ETF, oder Fonds zu kaufen. Neo-Broker sind erst seit paar Jahren auf dem Markt – der bekannteste davon ist Robin Hood in USA – und bieten im Vergleich zu herkömmlichen Online-Brokern erstens eine bessere Handhabbarkeit (z. B. eine auf Mobil optimierte user experience) und zweitens eine neue, bessere Technologieplatfform. Der andere große Vorteil: Die Kosten fallen signifikant niedriger aus. Eine typische Broker-Gebühr – etwa über die Sparkasse oder die Volksbank – liegt für eine durchschnittliche Transaktion von 3.000-4.000 Euro in der Spanne 10 bis 30 Euro. Neo-Broker machen das sehr viel günstiger.
Bei uns drückt sich das in einer Flat-Gebühr von 2,99€ – pro Monat, nicht pro Trade. Damit eröffnen wir unseren Kunden den gesamten Handel: Aktien, ETFs, Sparpläne… alles drin. Das hat es noch nicht gegeben! Du kannst also im Netflix-Stil handeln.
Alex: Mein Vertrauensmann Peter würde hier sagen, lieber beim ersten Modell bleiben. Denn beim zweiten Modell glaubst du, schlauer als der Markt zu sein, was empirisch widerlegt ist. Gut, nach Klausurnoten habe ich ihn offenkundig nicht so ganz verstanden.
Erik: Die Hälfte der Kundengelder, die jetzt im zweiten Modell angelegt werden, liegt wieder in ETFs. Und die verhalten sich genauso, wie Prof. Dr. Nippel das empfehlen würde: langfristig, passiv. Der Unterschied ist, sie machen das eben selber – nicht mit dem Robo-Advisor. Sie suchen sich also selber ihre ETFs zusammen: „iShares, DBS, Invesco – Da mache ich mir was Schönes!“ Sie gewichten ihre Portfolios dann mit eigenen Akzenten nach Vorlieben wie etwa Schwellenmärkte. Diese Gruppe an Kunden wird in Deutschland immer größer – und überhaupt ist Deutschland der größte ETF-Markt. In USA ist diese Gruppe noch viel größer.
Die andere Hälfte liegt direkt in Aktien. Und auch hier gibt es Leute, die langfristig unterwegs sind. Aber sie wollen direkte Werte kaufen – etwa von DAX-Konzernen. Auch sie gewichten: Sie sehen in Tech oder Pharma gute Chancen; oder sie wollen die Aktien von Finanzkonzernen wie die Deutsche Bank vermeiden. Die bauen das Portfolio auf und halten es auch.
Dann gibt es einen vergleichsweise kleinen Anteil der Kunden, der sehr aktiv ist und wirklich tradet. Sie kaufen Tesla und Amazon und trennen sich wieder davon – oder steigen bei GameStop ein…
25:00
Alex: Grundsätzlich scheint es derzeit so zu sein: Keiner weiß wohin mit dem billigen Geld und alles fließt daher an den Aktienmarkt! Allein deshalb gibt es langfristig keine andere Perspektive: Alle müssen an den Aktienmarkt.
Erik: Meiner Meinung nach ist das so. Jeder muss in irgendeiner Form dabei sein. Und – auch wenn das zum tausendsten Mal gesagt wird, ist es so wie folgt. Zwar ist der Aktienmarkt insofern risikoreich, als sich die Kurse bewegen – 10.000 Euro an einem Tag investiert ist am nächsten Tag immer entweder mehr oder weniger wert; in großen Finanzkrisen kann auch das breitest angelegte Portfolio um 20% oder 30% einbrechen, während auf dem Sparbuch der Betrag nominal immer gleich ist. Daher investieren viele Leute in sehr sicheren Anlagen. Aber langfristig sind die „sicheren“ Anlagen am Unsichersten. Denn mit einem breit gestreuten Aktienportfolio verdient man langfristig immer Geld. Selbst wenn die allerschlimmste Krise dazwischen kommt, ist man nach 20 oder 30 Jahren immer im Plus. In dem Zeitraum ist das vermeintlich sichere Geld auf dem Sparbuch durch Inflation ein Drittel bis die Hälfte weniger wert. Über einen Zeitraum von 100 Jahren gibt es dann immer irgendeine Währungsänderung, in denen die Sparer am meisten ins Klo greifen.
Wenn man also langfristig sein Vermögen erhalten und vielleicht auch mehren will, gibt es dafür keinen besseren Ort als der Aktienmarkt. Da sind dann die Regeln wichtig: Nicht zu viel in einzelne Titel investieren, sondern breit streuen; Aktien lange halten; in Krisen nicht verkaufen. Das ist alles schwerer getan, als gesagt. Aber etwas Besseres gibt es nicht – und in Deutschland ist nur knapp 15% der Bevölkerung am Aktienmarkt; noch etwas mehr sind indirekt über Versicherungsprodukte daran beteiligt. Dahingegen hat fast jeder zweiter US-Amerikaner ein Aktiendepot. Viele erhielten von ihren Arbeitgebern Aktienoptionen: Hier ist das nicht üblich und die Politik tut auch noch zu wenig.
31:00
Alex: Eigentlich hatte ich vor, mit dir Farfetch zu besprechen. Dann platzte das Thema GameStop auf die Bühne. Ich beschreibe den Fall erst einmal so, wie ich ihn verstanden habe. GameStop ist eine herkömmliche stationäre „Videothek für Video-Spiele“, die natürlich mittlerweile am Abgrund steht, weil sich das Modell überlebt hat. Dieser Meinung waren auch verschiedene US-Hedgefonds, die darauf gewettet hatten, dass das Unternehmen in absehbarer Zukunft pleitegeht. Dagegen hat sich eine Community von Retail-Investoren gestellt – angetrieben von Neo-Broker wie Robin Hood. Zusammen haben sie die Aktie nach oben getrieben – mit dem Ergebnis, dass wir jetzt über ein Unternehmen reden, das per Heute viele Milliarden Euro wert ist. Vor einem Jahr kostete die Aktie 4$. Zwischenzeitlich war sie auf 400$ gestiegen. Das hat zu enormen Verwerfungen am Finanzmarkt geführt.
Erik: Das machte auch Schlagzeilen bei allen großen Zeitungen. Der Vollständigkeit halber sollten wir sagen, dass die Firma GameStop Videospiele auch verkauft – neue und gebrauchte – und damit tatsächlich noch in USA und anderswo paar Milliarden Umsatz macht. Die Richtung ist aber klar: nach unten. Profitabel konnte die Firma das stationäre Modell nicht mehr betreiben.
Bestimmte Hedgefonds sind auf das „Shorten“ – also: Leerverkaufen – von Aktien spezialisiert. Zur Erinnerung: Ich wette damit auf den Kursverfall einer Firma – und zwar wie folgt. Du, Alex, besitzt Hundert GameStop-Aktien. Ich leihe mir diese Aktien von dir und zahle dir dafür eine zwischen uns vereinbarte Gebühr. Zudem bekommst du von mir eine Sicherheit – denn die Aktien hast du mir ja nur geborgt, nicht verkauft. Du bekommst also paar andere Wertpapiere oder – und jetzt bitte nicht lachen, ist echt so: – sogar das Anrecht auf physische Gegenstände als Sicherheit. Ich könnte also sagen: „Ich habe eine Kunstsammlung im Keller und du bekommst darauf Zugriff, wenn ich nicht bis zum abgemachten Termin mit den Aktien zurückgekommen bin.“ Dann verkaufe ich die geliehenen Aktien – sagen wir mal zu einem Kurs von 5€. Dafür kriege ich 500€. Wenn der Preis dann auf 1€ fällt, kaufe ich sie zurück, muss aber nur 100€ zahlen. Dann gebe ich sie dir wie vereinbart zurück – und behalte die 4€-Differenz pro Aktie. 400€ eingesackt; sehr lukratives Geschäft.
Besonders beliebt werden Hedgefonds dadurch nicht. Die ehrlichste – und sinnvollste – Vorgehensweise als short-seller besteht dabei darin, echten Betrug aufzudecken. Das bekannteste Beispiel davon in Wirecard: Da hatten Leerverkäufer Indizien, dass die Firma betrügt – dass diese ganzen Milliardenbeträge im Ausland ja nicht existierten –, haben gegen sie gewettet, und haben dann ihre Überlegungen publik gemacht. Das Veröffentlichen von eigenen Recherchen ist ein häufiges Vorgehen von Leerverkäufern. Wenn an ihren Vermutungen was daran ist, gewinnen sie. Unlauterere Methoden gibt es allerdings auch – wovon viele verboten sind, wie das Streuen von unbegründeten Gerüchten, zum Beispiel. Und deswegen genießen short-seller nicht unbedingt den besten Ruf.
Bei GameStop gestaltete sich der Fall so, dass nicht nur 100% der ausstehenden Aktien leerverkauft worden waren, sondern noch mehr: 140%. Sie war also extrem „geshortet“ worden – insbesondere von zwei Hedgefonds, Melvin Capital und Citron aus USA. Sie haben verkündet: „Diese Aktie ist überbewertet. Sie wird fallen.“
Alex: Und schaut man sich die Zahlen sowie das Geschäftsmodell an, ist das doch erst einmal richtig! Teure Läden an der Backe und in drei Jahren kein Geschäft mehr? Nein danke! In paar Jahren ist der letzte, der noch seine Playstation mit dem SCART-Kabel ans Analog-Fernseher anschließt, auch tot…
Erik: Aber es gab noch welche, die wirklich an die Firma glaubten – unter anderem der ehemalige Gründer vom Haustierfuttermittel-Online-Händler Chewy, Ryan Cohen. Er hat 12% an GameStop gekauft, weil er der Ansicht war, dass die Marke stark war: Sind doch gerade viele Millennials mit ihr aufgewachsen. Sein Ansinnen: Marke ins Online-Zeitalter bringen und Wert steigern. Paar andere teilten die Einschätzung.
Was den Kurs aber zum Explodieren brachte, war eine Community auf Reddit namens „wallstreetbets“. Dort wird seit rund acht Jahren über Aktienwetten gesprochen. Dort wurde verabredet, in GamesStop und andere Titel von „Untoten“ wie BlackBerry, Nokia, oder Blockbuster reinzugehen und durch ihre kombinierten Käufe den Kurs nach oben zu treiben. Für die Leerverkäufer macht ein solches Vorgehen es immer teurer, ihre Position zu halten, weil sie immer höhere Sicherheiten für die geliehenen Aktien zurücklegen müssen.
Alex: Und irgendwann kannst du mir nicht noch ein Bild aus deiner Kunstsammlung im Keller als Sicherheit anbieten…
Erik: Richtig, das collateral kannst du nicht mehr bedienen. Und du gerätst noch dazu immer weiter ins Hintertreffen. Es geht dann ganz schnell: Bei Melvin Capital war es zum Beispiel so, dass sie sich innerhalb weniger Tage im späten Januar von Citadel 2,7 Milliarden Dollar Liquidität geben lassen mussten, um die Position zu schließen! Und da hat der Fonds wohl vier oder fünf Milliarden verloren, weil, um die Position zu schließen, er die Aktie zurückkaufen muss, um sie wieder an den Verleiher auszuhändigen. Dabei hatte er ja darauf gewettet, dass sie beim Rückkauf weniger wert sein würde. Das Schlimmste dabei für den Fonds: Der Rückkauf treibt die steigende Aktie noch weiter in die Höhe! Und das nennt man den short squeeze – squeeze wie drücken, weil die Leerverkäufer aus ihren shorts rausgedrückt werden und Aktien kaufen müssen.
Das führte dazu, dass die Aktie innerhalb weniger Tage um 1000% stieg – und über die letzten Wochen und Monate um insgesamt 2000% angestiegen ist. Erst einmal war Jubel: „Der kleine Mann hat es geschafft, die Hedgefonds in die Knie zu zwingen!“ War ja auch ein toller Erfolg der Community – allerdings erst einmal zwischenzeitlich, denn sie halten jetzt diese Aktie und müssen den Ausstieg hinbekommen, was nicht allen gelingen wird.
Meine Einschätzung, nachdem ich mir die Reddit-Posts durchgelesen habe: Einige wenige denken wirklich, dass in der Aktie Wert steckt; für sehr viele war das einfach ein Spaß!
51:00
Alex: Makroökonomische Frage: Aktien ohne echten Wert werden mit teilweise hanebüchenen Finanzkonstrukten hochgehandelt, wallstreebets verbündet sich mit Elon Musk… Das alles ist für den durchschnittlichen Sparkassen-Beamten längst nicht mehr nachzuvollziehen. Ist das nicht alles, was man braucht, um zu sagen: „An den Aktienmärkten ist eine Blase entstanden“?
Erik: Ja und nein. Ist der Wert von GameStop aufgeblasen? Ganz klar: Ja. Wann platzt die GameStop-Blase? Weiß man nicht. Das kann noch eine ganze Zeit lang so weitergehen. Aber es handelt sich hier um eine einzelne Aktie. Was ist denn mit dem gesamten Kapitalmarkt? Auch der ist in den letzten Jahren enorm gestiegen – insbesondere die Tech-Werte, von denen vor paar Jahren die ersten (Apple, dann Microsoft) die Marke von einer Billion Marktbewertung überschritten. Zur Erinnerung: Eine Billion sind ein Tausend Milliarden. Zum Vergleich: Das wertvollste deutsche Unternehmen SAP bringt es auf knapp ein Hundert Milliarden. Mittlerweile gibt es paar Unternehmen, die auf zwei Billionen Dollar taxiert werden (Englisch: „two-trillion-dollar companies“).
Also GameStop beiseite (klar, der ist zu hoch): Ist der gesamte Markt zu hoch? Diese Frage ist nicht so einfach. Einige stellen den Vergleich mit der Dot-Com-Blase an: „1999, da waren die ganzen Tech-Werte auch alle zu hoch. Dann ist die Blase geplatzt!“ Nur: Der Vergleich hinkt insofern, als sich seitdem einiges getan hat. Viele Unternehmen damals in den ersten Stunden des Internets hatten schlechte Modelle und die Werte waren aufgeblasen. Auch Amazon vor 20 Jahren war nicht besonders profitabel. Jetzt ist das ein brutalst renditeträchtiges Unternehmen, das seine Profitabilität nur nicht nach außen zeigt, weil es alles wieder reinvestiert. Aber der Cashflow, den Amazon und einige andere Tech-Firmen generieren, ist gigantisch. Ebenfalls gigantisch: Die Marktmacht!
59:35
Alex: Zurück zu Amazon. Ich stelle fest: Amazon kann gar nicht so schnell die Ausgaben für Wachstum erhöhen, wie es gerade Geld verdient.
Erik: Überhaupt dieses Ökosystem bei Amazon ist so krass! Eine Zahl, die ich letztens aufgeschnappt habe: Amazon wird 2020 mehr Geld mit der von ihm angebotenen Werbefläche (etwa gesponsorte Artikel) verdient haben, als es selbst für Marketing ausgibt. Von den Händlern, die für die Markierung ihrer Produkte in den Suchergebnissen zahlen, hat Amazon wohl in einem Jahr 15 Milliarden Dollar eingenommen. Und eins muss man hier verstehen: Das ist bereits fast Reingewinn! Davon kommen ja keine Logistikkosten oder Ähnliches ab. Allein mit diesen Einnahmen herausgelöst wäre man in Deutschland eine Firma mit über 100 Milliarden Börsenwert. Das nur so als Anekdötchen.
Dem könnte entgegenstehen, dass insbesondere – und interessanterweise ausgerechnet – in USA mittlerweile über eine Monopolstellung geklagt wird. Es ist denkbar, dass dem Ganzen hier durch eine Teilzerschlagung einen Riegel vorgeschoben wird.
1:02:20
Alex: Blase, nicht Blase…? Butter bei die Fische: Soll ich jetzt schon alles Ersparte zu euch auf Scalable bringen und investieren, oder warte ich lieber ein Jahr auf eine Kurskorrektur für meinen Einstieg und ertrage bis dahin die paar Prozent Negativzinsen?
Erik: Auch das Abwarten ist – ob es dir bewusst ist oder nicht – eine Art von market timing. Was allerdings durch Studien empirisch belegt ist: Nicht nur für Privatinvestoren, sondern für fast alle Marktteilnehmer, ist es nicht möglich, das Timing richtig hinzubekommen. Du weißt schlichtweg nicht, wann der Markt blasig ist oder nicht.
Daher ein bekannter, von Warren Buffet mitgeprägter Spruch: “Time in the market is more important than timing the market.“ Erklärende Übersetzung: Es ist viel wichtiger, im Markt zu sein – und lange dort zu verweilen – als zu versuchen, den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg zu finden.
Meine daraus hergeleitete Empfehlung für private Investoren? Habt ihr Bares auf dem Sparbuch rumliegen, das ihr nicht braucht, nehmt dieses Geld und stellt euch ein ETF-Portfolio zusammen bzw. lasst euch eins von einem Vermögensverwalter, Roboadvisor usw. zusammenstellen. Dann fangt ihr an, das Portfolio zu besparen – monatliche Einzahlungen, da bin ich ein großer Fan von. Wichtig: Das muss Geld sein, worauf man nicht kurzfristig zurückgreifen können muss. Setzt euch dabei die Scheuklappen auf und schert euch gar nicht darum, wie die Börsenlage gerade ist. Macht ihr das Monat für Monat und Jahr für Jahr, liegt die Wahrscheinlichkeit, dadurch zu gewinnen, bei fast 100%.
Wenn ihr versucht, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen und mit einem Batzen Geld da reinzugehen, Einzelwerte wie GameStop billig zu kaufen und hoch zu verkaufen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ihr euch auf die Nase legt, stark an. Ihr könntet zwar Glück haben. Ihr werdet aber viel eher Pech haben.
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