Zum Jahresende bzw. Jahresbeginn kümmern sich viele Menschen um Rückblicke und Ausblicke. Eine beliebte Frage in diesem Zusammenhang dreht sich um die Zukunftschancen des (stationären) Handels. In meinem „Rückblick“ 2016 hatte ich das Thema ebenfalls behandelt und kritisch gefragt: „Handel 2025, welcher Handel?„. Damals hatte ich geschrieben, dass Geschäftsmodelle die auf dem Erlösmodell „Handelsmarge“ basieren in digitalen Umfelder keine Chance mehr haben. Konkret hieß es:

Man muss sich nicht mit diesem Szenario wohlfühlen, aber ich habe bisher wenig Argumente gefunden, die ich nutzen könnte um einem klassisch analogen Händler sagen zu können: „Alles wird (wieder) gut. Verkauf ein wenig bei Amazon und schon sieht die Welt rosig aus.“ Ich kann nur sagen, dass die aktuellen Fähigkeiten von Zalando in fünf Jahren nicht mehr erfolgskritisch sind und jeder die Chance hat sich neue Fähigkeiten zu suchen und aufzubauen, unabhängig von seiner Legacy. Sogar die bisher scheinbar gut aufgestellten Hersteller mit ihren Traditionsmarken müssen erkennen, dass ihre Tradition in einer Plattformökonomie zunehmend weniger Wert ist

Aber was heißt das nun ganz konkret für Peek & Cloppenburg und Co.? Mit meinem Artikel zu den drei Generationen von E-Commerce Modellen ist die Frage für mich etwas einfacher zu beantworten: Die betroffenen Unternehmen müssen sich entscheiden, ob sie auch in digitalen Umfeldern den Zugang zum Endkunden behaupten können, oder ob sie „nur“ noch Zulieferer sein können, die gewöhnlich nicht in der Lage sein werden teure Innenstadtmieten zu bezahlen. Wer nicht mit Zalando mithalten kann, wenn er ein Multibrandkonzept betreibt, wird online kaum Chancen haben. Vielleicht hat man auch (noch) Glück und arbeitet in einer speziellen Nische wie Thomann. Ich stellen mittlerweile in fast jedem Podcast die Frage, wie viele Mitarbeiter im entsprechenden Unternehmen in der IT arbeiten, von EDV über Webshop bis hin zum DWH. Dabei kommt fast immer raus, dass Onlineunternehmen oft mit einem Mitarbeiter pro Million Euro Umsatz rechnen bzw. bei 30-50% Anteil der Mitarbeiter in der IT entsprechend mit zwei bis vier Millionen Umsatz pro IT Mitarbeiter. Beispiele gefällig?

  • Bol.com hat ca. 2,3 Mrd. Euro Umsatz und ca. 1000 Mitarbeiter in der IT. 200 für ERP Themen, 500 für Shop und Mobile App und 300 für „neue Themen“ wie z.B. Eingabe per Sprache. Macht 2,3 Mio. Euro pro IT Mitarbeiter.
  • Picnic hatte im letzten Jahr ca. 70 Leute im IT Team, bei Umsätzen unter 150 Mio. Euro, was einem Umsatz von unter 2 Mio. Euro pro IT Mitarbeiter entspricht.
  • AboutYou hat ca. 250 Mitarbeiter in IT Funktionen bei 750 Mio. Umsatz in 2018 und schon über 600 Mitarbeitern in Summe. Da kommen wir also auch bei 2-4 Mio. Umsatz pro IT Mitarbeiter bzw. 1-2 Mio. Umsatz pro „alle Mitarbeiter“ raus.
  • Je nach Quelle arbeiten bei Amazon über 120.000 Mitarbeiter im IT Umfeld, was für einen Handelsumsatz von über 300 Milliarden Dollar reichen dürfte in 2019. Die 2-3m Regel lässt sich also auch bei den großen Plattformen anwenden.
  • Unternehmen die noch im „alten“ Onlineshop Modell verharren, wie z.B. Notebooksbilliger, kommen aber mit ihren knapp 900 Mio. Euro Umsatz auf 60-100 Mitarbeiter in der IT, also ca. 10m Euro pro IT Mitarbeiter – offensichtlich zu wenig, um mit den großen Plattformen mithalten zu können.
  • Sogar bei einem „normalen“ Marktplatzmodell wie real.de werden 130 IT Mitarbeiter benötigt, um die 500 Mio. Euro Außenumsatz zu stemmen, also ca. 3,3 Mio. Euro Umsatz pro IT Mitarbeiter.
  • Unternehmen die nicht den Zugang zum Endkunden besitzen, wie z.B. KW-Commerce, kommen mit weniger IT Mitarbeitern pro Umsatzeuro aus, aber auch diese Unternehmen müssen gerade dort investieren, um Wettbewerbsfähig zu bleiben, hat KW Commerce Gründer Jens Wasel im aktuellen Kassenzone Podcast erzählt.

Die Liste lässt sich noch viel weiter fortsetzen, aber grundsätzlich wird man sich damit anfreunden müssen diese Menge an IT Power vorzuhalten, sofern man nicht von Amazon, Zalando und Co. in die Rolle eines Zulieferers gedrängt werden möchte. Und bevor das Argument kommt: Mir ist schon klar, dass IT Mitarbeiter nicht gleich IT Mitarbeiter ist, aber genau deshalb schlüsseln wir die Rollen in den Podcasts auch auf. Heute braucht es viel weniger Power im ERP Bereich, aber dafür umso mehr Know How bei Shop und DWH. In der Etribes Präsentation „Becoming a Platform 2020“, habe ich dazu noch ein spannendes Chart gefunden, dass den Zusammenhang deutlich macht. Es ist quasi die Fortführung der „Drei E-Commerce Generationen“.

Lesehilfe: Die Handelsfunktion beschreibt wie weit entfernt die Modelle vom Endkunden sind. KW Commerce ist hier z.b. links von Amazon angesiedelt, während ein Auftragsfertiger aus China, wahrscheinlich die größte Distanz zum Endekunden hat. OTTO, Amazon & Co. sind teilweise Eigentümer von Marken und greifen in Teilen ihres Geschäftsmodellen tiefer nach hinten in die Wertschöpfungskette. Dieses System kann man nun übersetzen in „Bedarf an Entwicklern“.

Der Bedarf an IT Power ist im „Entwickler Dreieck“ oben am größten, während sich einfache Onlineshops wahrscheinlich mit deutlich weniger IT Leuten begnügen können, genauso übrigens wie der chinesische Auftragsfertiger. Das lässt sich nicht pauschal auf jede Branche und jedes Modell übertragen, aber ein paar Grundannahmen sind aus meiner Sicht allgemeingültig:

  • Wer den Zugang zum Endkunden „ownen“ will, muss überproportional in IT investieren. Ein 500 Mio. Euro Onlinebusiness, muss heute schon 250 Leute für das IT Setup einplanen, perspektivisch eher mehr.
  • Der IT Bedarf von normalen Onlineshops ist deutlich geringer als der von Plattformen. Dazu werde ich in Kürze noch mal eine ausführliche Liste anfertigen.
  • Der Handel hat eine Zukunft – sie liegt aber nicht in der Filiale.

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