Die Case Studies aus dem E-Commerce Buch gehören zu dem meistgelobten Lesematerial. Dabei sind die Inhalte aufgrund des Platzmangels oft stark gekürzt und bewusst vereinfacht. An dieser Stelle möchte ich daher die Vorlage aufgreifen und bestehende sowie neue Case Studies zur Diskussion bringen. In dieser Reihe habe ich bisher Bonobos, ULTA und Stitchfix betrachtet. Heute geht es mit Zappos.com um das Gründungsvorbild von Zalando und vieler anderer Schuh- und Fashionsshops die in den letzten Jahren bekannt geworden sind. Zappos war DER Onlineshop in den Jahren 2005-2008 wenn es um die Themen Schuhe online, Kundenorientierung und alternative Führungskultur ging. In den letzten Jahren ist Zappos nur noch mit letzterem Thema aufgefallen, nachdem es 2009 von Amazon akquiriert wurde. Warum eigentlich? Das Material für die Analyse wird von eTribes bereitgestellt – eine der führenden Digitalberatungen in Deutschland. Viele von euch kennen eTribes bereits aus den vielen Knut Digital Studien.

Was genau macht Zappos?

Zappos ist ein klassischer Pure Player für Schuhe, Accessoires und Mode. Zappos hat den E-Commerce wie wir ihn heute kennen in vielerlei Hinsicht geprägt. Bei seinem Start in 1999 herrschte noch großer Unglaube, ob Kunden Schuhe jemals online kaufen würden. 10 Jahre später machte der Onlinehändler 1,2 Milliarden Dollar Umsatz und wurde für die selbe Summe 2009 von Amazon gekauft. Doch wie Zappos den E-Commerce mitgeformt hat geht darüber hinaus, zu beweisen, dass Schuhe und Mode ein relevantes Online-Modell darstellt. Seine radikale Kundenorientierung ist Quelle etlicher Services, die sich seitdem immer mehr als Standard durchsetzen. Zappos war zum Beispiel der erste große Onlineshop, der kostenfreien Versand inklusive Retoure sowie 365 Tage Rückgaberecht einführte. Der Schuhhändler ist außerdem bekannt für seinen exzellenten Kundenservice, wirksame Social Media Inszenierungen sowie eine positive, kollaborative Arbeitsatmosphäre in seinem Headquarter in Las Vegas. Die Mitarbeiterkultur ist so einzigartig, sie wird teilweise als Cult / Sekte beschrieben Die Logistik läuft komplett über Amazon, über 75% des Umsatzes  wird mit Bestandskunden gemacht und einem $100 durchschnittlichen Warenkorb.

Wie immer ist die About Seite selbst sehr aufschlussreich:

The year was 1999, and our founder Nick Swinmurn was walking around a mall in San Francisco looking for a pair of shoes. One store had the right style, but not the right color. Another store had the right color, but not the right size. Nick spent the next hour in the mall, walking from store to store, and finally went home empty-handed and frustrated. At home, Nick tried looking for his shoes online and was again unsuccessful. Although there were a lot of „mom and pop“ stores selling shoes online, what was interesting to Nick was that there was no major online retailer that specialized in shoes. So, since it was 1999 and anything seemed possible at the time, Nick decided to quit his day job and start an online shoe retailer… and Zappos.com was born!

We believe that the speed at which a customer receives an online purchase plays a very important role in how that customer thinks about shopping online again in the future, so at Zappos.com, we have put a lot of focus on making sure the items get delivered to our customers as quickly as possible. In order to do that, we warehouse everything that we sell, and unlike most other online retailers, we don’t make an item available for sale unless it is physically present in our warehouse.

Regardless of our structure, our goal is to position Zappos as the online service leader. If we can get customers to associate the Zappos brand with the absolute best service, then we can expand into other product categories beyond shoes. And, we’re doing just that.

Am letzten Satz erkennt man möglicherweise schon das Problem von Zappos. Die Ausrichtung ist schon sehr nah dran am Selbstbild von Amazon.

Kurz zu den Fakten:

  • 1999: gegründet in San Francisco
  • 2000: $1.6 Mio Umsatz
  • 2001: $8.6 Mio Umsatz, 2003: $70 Mio Umsatz
  • 2004: $184 Mio Umsatz, $34 mio VC Investment und Umzug nach Las Vegas
  • 2007: $840 Mio Umsatz, sowie neue Produktkategorien wie Accessoires und Mode
  • 2008: $1 Mrd Umsatz ($635 mio Nettoumsatz) und gerade so profitabel
  • 2009: $1,2 Mrd Umsatz, Amazon Akquisition fuer $1.2 Mrd, ausgezahlt in Aktien (heute mehr als ein Zehnfaches wert, $89,01 versus $1039,87 (10 Mio Amazon Aktien im Juli 2009)). Hsieh soll der Übernahme skeptisch gegenüber gestanden haben. Ihm war es wichtig, dass Zappos unabhängig bleibt, liess sich aber in einem Gespräch mit Bezos überzeugen und stimmte letztendlich zu
  • 2012: Zappos gibt sein Warehouse auf und überlässt von nun an Amazon die Logistik. Tony Hsieh investiert persönlich (!) $350 Mio für die Erschließung eines riesen neuen Campus in Downtown Las Vegas
  • 2013: neue Organisationsstruktur “Holacracy” wird vorgestellt und nach einem Piloten mit 150 MA soll die Idee von flachen Hierarchien und Jobs ohne Titel (selbst der CEO selbst gibt seinen Titel auf) bis 2015 komplett umgesetzt werden
  • 2015: $2+ Mrd Umsatz, Holacracy wird schwerlich und zögernd angenommen, Tony Hsieh schreibt Email “If you’re not on the Holacracy bus by April 30, get out.” 210 (14% aller) Mitarbeiter nehmen das Angebot einer Abfindung an und verlassen Zappos
  • 2017: geschätzte $3 Mrd Umsatz (vorausgesetzt, Zappos ist seit 2009 gleich weiter gewachsen), Zappos ist nach Traffic in den USA der 7. größte Online Fashion Retailer

Was macht das Geschäftsmodell besonders?

Initial wäre da die First Mover Advantage: Zappos war in den ersten Jahren in vielerlei Hinsicht echter Vorreiter – Erschließung neuer Produktkategorien online, technologische Expertise wie kaum andere Onlineshops, und hatte nicht zuletzt durch Tony Hsiehs Hintergrund und die unternehmerische Ausrichtung großen Vorsprung im Online-Marketing. In diesen Bereichen konnten lange Zeit nicht viele Pure Player Shops mithalten. Über Tony selbst gibt es unzählige Geschichten, wie z.B. die Tatsache, dass er trotz seines riesigen Vermögens in einem Trailer Park wohnt. 

„Right now I live in an Airstream,“ he tells Guy Raz on an episode of NPR’s „How I Built This“ podcast. „I just love it because there’s so many random, amazing things that happen around the campfire at night. I think of it as the world’s largest living room.

Zappos rühmt sich damit, sich in allen Entscheidungen auf den Kunden und die User Experience zu fokussieren. Das Unternehmen investiert besonders stark in den Kundenservice sowie in Mechanismen, das Arbeits- und Einkaufserlebnis so authentisch und persönlich wie möglich zu gestalten. Auch darüber gibt es sehr viele, teils wilde Geschichten, weil vieles davon aus klassischer kaufmännischer zu absurd klingt.

It’s no secret that Zappos CEO, Tony Hsieh, has literally written the book on delivering world-class customer service. And the stories of just how far they will go to make a customer happy are legendary. To best understand the intrinsic value that Zappos delivers, I gave each employee a $100 budget and asked them to order two pairs of shoes from Zappos.com – one to keep and one to return. Then I asked them to share that experience with the rest of the team.

Die Kultur ist in zweierlei Hinsicht ein Erfolgsfaktor: 1. Mitarbeiter werden animiert, Verbesserungen direkt und unkompliziert umzusetzen mit flachen Hierarchien. Die “Getting things done” Einstellung erhöht die Umsetzungsgeschwindigkeit neuer Entwicklungen, 2. Die Kultur ist besonders Social Media wirksam und Zappos erlangt einen positiven Marketingeffekt / “Word of mouth”. Zumindest kann man kaum etwas Negatives zu Zappos hören oder lesen. Auf jeden Fall ist Zappos ein Traum für PR Verantwortliche, eine unendliche Quelle für schöne Geschichten. Aber ist das auch kommerziell erfolgreich?

Was wurde aus Zappos nach der 1,2 Mrd. $ Übernahme durch Amazon?

Zappos hat heute 1,500 MA in Las Vegas und weist keine eigenen Zahlen für  aus, daher sind Umsatz und Ergebnis seit 2009 nicht bekannt. Schätzungen bewegen sich zwischen $2 und 3 Mrd Umsatz. Es scheint, als würde die Performance seit der Akquisition schlicht nicht mehr angesprochen. In der Presse zu Zappos passiert wenig. Was berichtet wird, dreht sich meist um die Unternehmenskultur oder Tony Hsieh’s Ambitionen, Las Vegas Zentrum in den neuen Zappos / Tech Hub  und die “Community-fokussierteste Stadt der Welt” zu verwandeln. Einige Analysten sehen die Stille eher als schlechtes Zeichen und handeln Zappos als den nächsten Kandidaten für Schließung, analog zum Quidsi Shutdown im März 2017.

360commerce.com Finally, how do you know when Amazon deems something a failure? Bezos likes to say accepting failure allows the company to push past time- and resource-wasting projects to better focus on more lucrative endeavors. We saw this unfold with Diapers.com parent Quidsi, which Amazon bought in 2010. Last month, Amazon said the business wasn’t profitable and shut it down. […] This, coupled with the sermon about failure in Bezos’ annual letter, got me thinking: What’s the next branch of Amazon to go? I’d put my money on Zappos.  The shoe seller was a formidable contender when Amazon bought it in 2009. Popular brands like Nike and Merrell feared the internet giant was a “dangerous discounter” and refused to sell to it, according to Bloomberg’s Brad Stone. Plus, Amazon’s website hadn’t yet been built to handle selling shoes, deterring customers. But things have changed. Amazon now knows how to run a shoe business, and leads the market with 26% of online sales, according to Slice Intelligence.  So with Zappos, like Quidsi before it, Amazon will likely learn, burn and churn.

Hat Zappos es geschafft, unabhängig von Amazon zu bleiben?

Ja: Die Unternehmenskultur scheint so individuell geblieben zu sein wie eh und je, was sich nicht zuletzt in der radikalen Umsetzung der hierarchie-losen Organisationsstruktur Holacracy zeigt.

Nein: Seit 2012 übernimmt Amazon die gesamte Logistik für Zappos und seit 2014 arbeitet Zappos an der Migration der kompletten IT auf Amazon’s “Supercloud”. Vor allem die Migration scheint deutlich langwieriger und frustrierender zu sein als anfänglich geplant und für ca 3 Jahre passierte technologisch gesehen praktisch nichts neues bei Zappos. Inc Magazine nennt es “The single largest e-commerce replatforming in history”

“Zappos’s customer-facing web site has been basically frozen for the last few years while the company migrates its backend systems to Amazon’s platforms, a multiyear project known as Supercloud.”

Wie geht es weiter? Amazon hat eindeutig seine eigenen Ambitionen im Modebereich und die scheinen alle von Zappos komplett losgelöst. Zappos schien nie besonders profitabl zu laufen, was allerdings nach 8 Jahren Reporting-Funkstille schwer zu beurteilen ist. Ob Zappos sich nach jahrelangem Entwicklungsstillstand fangen kann, so dass Amazon weiterhin Learnings aus dem Pure Play Modell ziehen kann ist ebenfalls fraglich. Ein kompletter Shutdown ist wohl nicht in Sicht, aber die $2-3 Mrd Umsatz sind für Amazons Ambitionen sicher zu vernachlässigen – das sind heute maximal 2% von Amazons Gesamtumsatz, ohne Aussicht auf überdurchschnittliches Wachstum. In Summe beschäftigt sich Zappos aber sehr viel mit sich selbst und Dingen die nichts mit dem Kunden zu tun haben.

Still, there’s been a lot to get through lately. The shift to holacracy, combined with a wildly ambitious software project called Super Cloud—not to mention a reconceived business strategy—has left employees confused, demoralized, and whipsawed by the constant pace of change. Over the past year, in part owing to a buyout offer, 29% of the staff has turned over. Zappos has always been a risk-taking enterprise. It was born from an experiment in 1999 (sell shoes via the Internet!) and has, under the deceptively anodyne leadership of Hsieh, embarked on one mold-shattering change after another. He made Zappos the first website to offer free shipping both ways. He moved the company to the suburbs of Las Vegas to build a culture apart from Silicon Valley, then uprooted it again to a gritty area of downtown Vegas in hopes of creating a work-life paradise. In his mind, the move to holacracy, in which teams are replaced by “circles,” and managers by “lead links,” is his attempt to avoid the eventual fate of most large companies: death.

Fazit:

Mareike, meine langjährige Kollegin, geheime Kraft hinter dem E-Commerce Buch und Analystin zu diesem Beitrag sagt:

Zappos hat sich einen Platz in der E-Commerce Geschichte definitiv verdient. Als Vorreiter der radikalen Kundenzentrierung und User Experience im Modebereich ist Zappos Vorbild nicht nur für Modelle wie Zalando gewesen, sondern war jahrelang Inspiration für Shopmanager in den unterschiedlichsten Bereichen und Produktkategorien. Diese Vorbildrolle hat es sicher noch, wenn es sich um Kundenservice und Mitarbeiterbindung handelt, doch die Vorreiterrolle im Bereich User Experience und Technologieführerschaft hat der Onlinehändler aus Nevada verloren. Allein der Vergleich zu Zalando fällt für CEO Hsieh ernüchternd aus: Zalando macht mit EUR 3,6 Mrd schon heute deutlich mehr Umsatz mit einem deutlichen Ergebnis von EUR 207 Mio. Auch Similarweb zeigt, dass Traffic-seitig Zalando schon fast an Zappos herankommt. Woran liegt’s? Seit der Amazon-Akquise scheint Zappos sich produktseitig praktisch nicht weiterentwickelt zu haben. Und dazu hat die Shop-Migration auf Amazons Infrastruktur Zappos quasi 3 Jahre Stillstand gekostet. Das klingt ja schon für eine Restaurantkette heikel, aber mit Blick auf den E-Commerce sind 3 Jahre Fokus auf Shop-Relaunch statt Weiterentwicklung absolut katastrophal. Bei Sympathie und Spaßfaktor gewinnt Zappos das Rennen leicht. Ob es für nachhaltigen Erfolg reicht und ob Amazon auch in 2-3 Jahren noch hinter den extravaganten Management-Entscheidungen Tony Hsieh’s steht ist abzuwarten.

Ich selbst bin hin- und hergerissen. Vor ein paar Jahren war ich selbst auf einer Office Tour bei Zappos in Las Vegas dabei und war sehr angetan von den Ideen. Ich finde viele Dinge sehr inkonsequent umgesetzt und vom Holocracy Modell halte ich für so ein Unternehmen gar nichts. Dem Unternehmen fehlt für den heutigen Markt (Plattformökonomie) die Vision und Eigenständigkeit und ich kann mir nicht vorstellen, dass Amazon ein unprofitables Business ohne strategischen Wert lange weiterführen wird. Zappos wird nur durch Amazons eigene Unfähigkeit den Produktkatalog und das Kategoriemanagement der eigenen Webseite zu modernisieren am Leben gehalten. Der Fokus auf die Desktop Version und die fehlenden Skills für neue (mobile & screenarme) Devices besiegeln aus meiner Sicht das Ende von Zappos. Aber wer weiß, vielleicht kommt alles anders und Tony brütet in seiner selbstlernenden Organisation doch das nächste große Ding aus. Zappos.com dürfte dafür nur noch eine unbedeutende Vorlage sein.

Der nächste Kandidat für die Kassenzone Analyse ist übrigens Farfetch. Auch dafür wird das Analysematerial von eTribes bereitgestellt – eine der führenden Digitalberatungen in Deutschland. Viele von euch kennen eTribes bereits aus den vielen Knut Digital Studien. Weitere Vorschläge für neue Analyseziele und Fragen zu Stichfix gibt es im Whatsapp Kanal. Bildquelle: Zappos.com

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