Evil-Amazon-extremeIn den letzten Tagen hatte ich verschiedene Gesprächsrunden mit großen Herstellern und Händlern, in denen es um die Veränderung der Handelslandschaft ging und um die Herausforderungen durch Amazon. Im meinem Artikel “Hersteller und Amazon” habe ich aufgezeigt, in welche Richtung sich Amazon momentan gegenüber den Markenherstellern bewegt. Die Diskussion zum Artikel hat noch mal ein paar Punkte verdeutlicht. Zu den wichtigsten Erkenntnissen gehört sicherlich, dass die beschriebenen Verhaltensweisen erst der Anfang sind und es ohne Zweifel im Interesse von Amazon sein wird die eigene Rendite zu steigern. Wenn das heißt, dass eigene Produkte bzw. Produkte mit besseren Margen in der Produktübersicht über andere “Marken” Produkte gestellt werden, dann wird Amazon das tun. Zudem steigt bei fast allen befragten Herstellern der Umsatzanteil über Amazon erheblich. Die 2-8% Umsatzanteil heute werden innerhalb von 2-3 Jahren locker an die 15-30% reichen. Kein Hersteller kann schlüssig erklären, warum Amazon innerhalb seiner Sortimentes keine Eigenmarken entwickeln sollte, solange Aufwand und Ertrag in einem sinnvollen Verhältsnis stehen. Und zuletzt ist es nicht im Interesse der Hersteller, dass es einen übermächtigen Händler gibt. Die Lebensmittelhersteller bekommen heute schon keinen Kaffee und keine Kekse mehr angeboten, wenn Sie zu Verhandlungen mit Rewe, Edeka & Co. kommen. Den Gebrauchsgütermarken besteht das nun scheinbar bevor. Kaufhof & Co. servierten bisher noch den besten Kaffee bei den Einkaufsgesprächen.

Dieses Szenario führt mich zurück ins Studium, als wir uns mit dem spieltheoretischen Problem des Gefangendilemmas beschäftigt haben. In unserem Fall heißt das Gefängnis Amazon und die Hersteller sind die Gefangenen. Das klassische Gefangendilemma funktioniert wie folgt: (ausführliche Variante bei Wikipedia)

Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Beide Gefangene werden in getrennten Räumen verhört und haben keine Möglichkeit, sich zu beraten bzw. ihr Verhalten abzustimmen. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt sechs Jahre. Wenn die Gefangenen sich entscheiden zu schweigen (Kooperation), werden beide wegen kleinerer Delikte zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Gestehen jedoch beide die Tat (Defektion), erwartet beide eine Gefängnisstrafe, wegen der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden jedoch nicht die Höchststrafe, sondern lediglich von vier Jahren. Gesteht nur einer (Defektion) und der andere schweigt (Kooperation), bekommt der erste als Kronzeuge eine symbolische einjährige Bewährungsstrafe und der andere bekommt die Höchststrafe von sechs Jahren.

Das Entscheidungsproblem lässt sich ein einer einfachen Matrix darstellen.

B schweigt B gesteht
A schweigt A: 2 Jahre Haft / B: 2 Jahre Haft A: 6 Jahre Haft / B: ein Jahr Haft
A gesteht A: ein Jahr Haft / B: 6 Jahre Haft A: 4 Jahre Haft / B: 4 Jahre Haft

Individuell scheint es für beide vorteilhafter zu sein auszusagen. Für den einzelnen Gefangenen stellt sich die Situation individuell so dar:

Unter der Annahme, dass der andere gesteht, reduziert er mit seiner Aussage die Strafe von sechs auf vier Jahre; sofern der andere aber schweigt, dann kann er mit seiner Aussage die Strafe von zwei Jahren auf ein Jahr reduzieren!

Individuell gesehen ist als Strategie also auf jeden Fall „gestehen“ zu empfehlen. Diese Aussage hängt nicht vom Verhalten des anderen ab, und es ist anscheinend immer vorteilhafter zu gestehen. Eine solche Strategie, die ungeachtet der gegnerischen gewählt wird, wird in der Spieltheorie als dominante Strategie bezeichnet.

Das Dilemma beruht darauf, dass kollektive und individuelle Analyse zu unterschiedlichen Handlungsempfehlungen führen. Für beide Spieler wäre also ein kollektives Schweigen zu empfehlen, aber sie wählen beide zu gestehen und stellen sich damit schlechter. Der Gesamtverlust bei schweigen/schweigen ist vier Jahre, bei gestehen/gestehen sind es acht Jahre. Solche Entscheidungssituationen sind in der Wirtschaft vielfach zu beobachten, aber im Fall Amazon vs. Hersteller sind sie besonders krass. Aus meiner Sicht stellt sich die Situation hier wie folgt dar:

Das Amazongefängnis

1.000 Marken/Hersteller/Produzenten [ANBIETER] verkaufen ihre Ware an Amazon. Ihnen ist bewusst, dass sie ihre Preisstellung bei Amazon gefährden und somit die Gesamtrendite des Unternehmens zunehmend sinkt, je höher der Marktanteil von Amazon ist. (Amazon erzielt bessere EK Preise) Der Außenumsatz ist vorerst nicht beeinflusst. Die Ware wird verkauft. Aufgrund der großen Menge von Anbietern teilweise ähnlicher Ware besteht keine Möglichkeit sich sinnvoll abzusprechen, genauso wie bei den Gefangenen. Aus meiner Sicht gibt es kaum Hersteller die für ihre Produktkategorie nicht bzw. schwer substituierbar sind. Die Anbieter haben nun zwei Möglichkeiten.

  1. Die Ware weiterhin an Amazon verkaufen: “gestehen”
  2. Die Ware nicht mehr an Amazon verkaufen: “schweigen”

Wir können trotz der großen Anzahl von Anbietern den Fall auf zwei Akteure vereinfachen, weil die Entscheidung eines Anbieter die Handlungsoptionen der verbleibenden 999 Anbieter gleichmäßig beeinflusst. In dem Fall, dass nur ein Anbieter nicht mehr an Amazon verkauft, werden die anderen besser gestellt, die weiterhin an Amazon verkaufen. Der “Schweiger” würde also bestraft, wenn die anderen “gestehen”. Die Anbieter die weiterhin verkaufen stellen sich sogar leicht besser als vorher, weil sich nun der gleiche Umsatz auf weniger Anbieter verteilt.


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Das führt zu folgenden “Auszahlungssituationen”: Im Fall, dass alle Anbieter nicht mehr weiter an Amazon verkaufen (schweigen), wird ein leichter Umsatzverlust in Höhe von 10%* des Gesamtumsatzes in Kauf genommen. Über alle Anbieter liegt der Verlust bei 10%. In dem Fall, dass alle Anbieter weiterhin an Amazon verkaufen, verlieren alle 50% ihres Umsatzes (und wahrscheinlich noch mehr Marge), weil Amazons Marktanteil so noch schneller wächst und Amazon noch besser die bestehenden Anbieter durch Eigenmarken ersetzen kann bzw. Marge auf die eigene Seite ziehen kann. In dem Fall, dass nur ein Teil der Anbieter nicht mehr an Amazon verkaufen (schweigen) würde, werden die anderen Anbieter besser gestellt, weil sich der Umsatz auf diese verteilt. Die “Schweiger” verlieren 70% ihres Umsatzes, weil Amazon auch weiterhin den Markt dominiert und sie nicht mehr dabei sind und die “Gesteher”, also die Anbieter die weiterhin aktiv sind, vorerst nur 5% des Umsatzes, weil sie einen größeren Anteil am Amazonumsatz ausmachen dürfen. Langfristig verlieren sie natürlich auch.

In Matrixform* stellt sich also Folgendes dar.

B verkauft nicht B verkauft
A verkauft nicht -10%/-10% -70%/-5%
A verkauft -5%/-70% -50%/-50%

Das Optimum für alle Anbieter ist also den Verkauf an Amazon ad hoc einzustellen, aber aus einer individuellen Sicht ist der fortgesetzte Verkauf immer dominant.

Soweit zur Theorie. In der Praxis gibt es natürlich einige Dinge, die Anbieter für sich nutzen könnten. Dominante Anbieter könnten ihr Sortiment auslisten und Amazon so zu langfristigen Zugeständnissen zwingen. Gut vernetzte Anbieter könnten sich für ihr Angebot absprechen, um bessere Verhandlungspositionen zu erreichen. In der Praxis könnte so die Anbieter aus einer abgeschotteten Konkurrenzsituation eine Vertrauenssituation machen.

Beim wiederholten Spiel des Gefangenendilemmas beruhen die meisten Strategien darauf, dass man Informationen aus vorhergehenden Runden verwendet. Wenn der andere in einer Runde kooperiert, vertraut die erfolgreiche Strategie Tit for Tat („Wie du mir, so ich dir“) darauf, dass er es weiterhin tut, und gibt ihrerseits einen Vertrauensbeweis. Im entgegengesetzten Fall bestraft man sie, um zu verhindern, dass sie ausgenutzt wird.

Einen spannenden Praxisfall gibt es gerade live zu beobachten. Der hat zwar nichts mit Amazon zu tun, funktioniert aber analog dazu. Verbände und Händler zwingen gerade den Fußbodenhersteller “Parador” seinen frisch gelaunchten Onlineshop vom Netz zu nehmen.

*Hinweis: Im Gegensatz zum Gefangenendilemma, wo die Haftstrafen zum Entscheidungszeitpunkt klar sind, ist in diesem Beispiel noch ungewiss, wie sich die Marktmacht von Amazon und entsprechend die Umsätze perspektivisch entwickeln werden. Das kann von Händler zu Händler ggf. anders eingeschätzt werden, was die Entscheidung beeinflussen könnte. Alle % Verschiebungen sind natürlich rein fiktiv und dienen zur Verdeutlichung der Rechnung. Zudem habe ich nicht zwischen Umsatzverschiebungen und Margenveränderungen unterschieden. In der Realität sind die Außenumsätze für die Anbieter nicht ganz so wichtig wie die erzielte Rohmarge. Diese verändert sich auch bei gleichbleibendem Umsatz, wenn die Händlermacht steigt.

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