LogistikSeit einigen Jahren geistert auf E-Commerce Kongressen der Spruch „Logistik ist der Schlüssel“ in verschiedenen Paneln und Diskussionen herum. Dahinter verbirgt sich u.a. die Erwartung, dass eine noch bessere/schnellere/flexiblere Logistik zum Endkunden weitere Wachstumspotentiale für E-Commerce öffnet. Mit dem Logistik Hype der Jahre 2012 & 2013 „Same Day Delivery“ tut sich auch etwas in diesem Bereich. (E-Commerce) Bestellungen können so noch am Tag der Bestellung an den Endkunden ausgeliefert werden. Im Idealfall ist sogar eine Belieferung in einem auswählbaren Zeitfenster, z.B. 18-20 Uhr, möglich. Zu meinem Erstaunen verspricht sich aber auch der stationäre Einzelhandel Wachstumspotential aus dieser Entwicklung, weil es so ja möglich sei, online darstellbare Ware durch die Nähe zum Kunden relativ schnell zu liefern. Bisher fehlte dort nur das Puzzelteil für die Synchronisation der Warenbestände und entsprechende Dienstleister. Wenn wir vereinfacht davon ausgehen, dass das Einzelhandelsvolumen nicht mehr stark wächst, können aber nicht der Onlinehandel und der stationäre Handel gleichzeitig von Same Day Delivery profitieren.

Wer profitiert eigentlich von Same Day Delivery?

Ich identifiziere grob vier Interessengruppen bei diesem Thema. Wenn sie sich zum Thema Same Day Delivery äußern müssten, dann könnte das wohl wie folgt lauten:

  • Onlinehandel: Same Day Delivery ermöglicht uns den Zugang zu vollkommen neuen Kundengruppen und Sortimenten. Man denke nur an Drogerieartikel und Lebensmittel. Diese Sortimente waren dem Onlinehandel bisher durch logistische Restriktionen verschlossen. Die Menschen brauchen das Klopapier halt am gleichen Tag.
  • Stationärer Handel: Same Day Delivery ist für uns der fehlende Servicebaustein, um mit dem E-Commerce konkurrieren zu können. Wir können uns so die lokale Vorhaltung von Waren zu Nutze machen und Kunden schnell und kostengünstig die gewünschten Produkte nach Hause senden. Das reicht vom Home Delivery Service, damit der Kunde keine Einkäufe mehr in der Stadt herumtragen muss und geht bis zur Filialbestellung die 2 Stunden später an der Haustür ausgeliefert wird.
  • Kunden: Je schneller ich meine Ware bekomme, desto besser. Wichtig ist aber auch, dass es verlässlich ist. Wenn die Ware morgen angekündigt ist, dann will ich sie auch morgen haben. Ansonsten muss die Lieferprognose besser werden. Vielleicht würde ich auch einen kleinen Aufschlag für die tagesaktuelle Lieferung zahlen, aber das sind wenn überhaupt nur 1-2 Euro. Sonst warte ich halt einfach einen Tag länger.
  • Logistiker: Jeder profitable Umsatzeuro ist gerne gesehen. Je größer mein Liefernetzwerk wird, desto besser kann ich es auslasten und Same Day Delivery wird wohl vor allem von uns ganz großen Logistikern angeboten werden können. Alles eine Frage der Planung und Skalierung. Aber hey: Mehr Umsatz ist super!

Die Meinungen sind sicherlich überzeichnet, aber ich denke sie geben ganz grob die Zusammenhänge bei den betrachteten Interessengruppen wieder. Beim stationären Handel halte ich das Szenario für schwer haltbar, wenn man davon ausgeht, dass Kunden auch im Falle einer regionalen Zustellung nicht bereit sein werden höhere Preise zu bezahlen. Insofern konkurriert z.B. ein Spielzeugladen in der Stadt mit der Flächeneffizienz eines großen Lagers außerhalb der Stadt. Hierbei erschließt sich mir noch nicht wie das gehen soll. Der Online Handel freut sich ggf. etwas zu früh, weil er wahrscheinlich wie bei allen neuen Zusatzservices im Onlinehandel nur sehr kurz den Zusatzaufwand auf den Kunden umlegen kann. Der strenge Wettbewerb wird dafür sorgen, dass am Ende die Händler den größten Teil der Logistikaufwände tragen darf. Für gegenteilige Positionen bin ich sehr offen, aber in der Vergangenheit hat sich das mit allen Distanzhandelsservices (Versandkosten, Retourenkosten, Paymentkosten….) so gezeigt. Ob die Kunden am Ende tatsächlich mehr dieser neu erschließbaren Sortimente online kaufen ist vollkommen offen. Dafür gibt es bisher noch keine Daten. DM zieht sich z.B. gerade etwas aus dem Onlinehandel zurück. Klar ist bisher nur: Die Logistiker gewinnen. In der T3N gab es vor einem Jahr schon eine eher kritische Betrachtung zum Same Day Delivery, der aber stärker die logistische Komponente bezweifelt:

Somit ist auch hier Gefahr gering, dass die großen Retailer oder Handelsriesen unter den Anbietern auf den Marktplätzen „Tageszustellung“ als Differenzierungsmerkmal einsetzen werden können, um kleinere Shop-Betreiber vom Markt zu verdrängen. Für Kunden ändert sich ebenfalls wenig. Same-Day-Delivery wird derart teuer sein, dass der Gang ins nächste Ladengeschäft in den meisten Warenkategorien auch künftig die erste Wahl sein wird, wenn es darum geht, das Objekt der Begierde noch am selben Tag in den Händen halten zu wollen.

Welche Same Day Angebote gibt es bereits?

In der nachfolgenden Liste finden sich einige Händler, Portale bzw. Dienstleister die besonders schnelle Lieferung zum Kunden versprechen.

  • Tiramizoo: Ein deutsches Unternehmen mit einigen selbstbetriebenen Fahrzeugen und vielen Partnerfahrzeugen. Kunden wählen im Check Out Tiramizoo & eine Wunschlieferzeit. Der Fahrer holt dann die Ware vom stationären Geschäft ab und bringt sie zum Kunden. Preislich liegt der Service zwischen 5-15€.
  • Amazon Express: In einigen Regionen Deutschlands liefert Amazon bereits am Tag der Bestellung aus. Die Lieferzeit liegt in der Regel zwischen 18-21 Uhr (DHL, Stadtbote) und der Service kostet ca. 5-13€ Aufschlag.
  • eBay Now: eBay Now arbeitet analog zu Tiramizoo und befindet sich in einer Testphase in Kalifornien. In der Betaphase kostet eine Zustellung 5$ bei 25$ Mindestbestellwert. Ob sich das lohnen kann, wage ich zu bezweifeln.
  • Shutl: Das Unternehmen Shutl aus London ist technisch wohl am weitesten und arbeitet ebenfalls analog zu Tiramizoo. Bisher liegt der Fokus auf London und auf technischen Spielereien wie der Live Verfolgung von Lieferungen (ähnlich mytaxi).
  • Google: Der Riesenkonzern will das Feld natürlich auch testen und will zukünftig einen solchen Service anbieten, wenn man den Gerüchten bei Techcrunch glauben will.
  • Nicht zu vergessen sind auch bestehende Services von IKEA (Tageslieferung), DHL (Express) und natürlich die diversen Kurierdienste per Fahrrad & Taxi, die preislich allerdings etwas anders dastehen.

Es gibt natürlich noch mehr Dienste und ich erwarte auch, dass in diesem Bereich noch einige Startups finanziert werden, weil die Venture Capital Kaskade für dieses Geschäftsmodell noch am Anfang steht. Hinderlich könnten die enormen Setupkosten sein die entstehen, wenn man anfängt mit einer eigenen Infrastruktur (Fahrzeuge, Fahrer…) zu experimentieren.

Interessant bei den verschiedenen Pricings der neuen Anbieter finde ich, dass die 5-15€ doch sehr stark von den vergleichbaren Angeboten bei DHL oder z.B. IKEA abweichen. IKEA nimmt für eine Lieferung im Nahbereich 39€ und dort entstehen noch nicht mal die Kosten für die Anfahrtslogistik beim Händler. Das wird ja direkt vom Ladenlager aus verwaltet. Meine Annahme ist, dass die 39€ von IKEA kostendeckend ist. Bevor ich also eine Aussage darüber treffen kann, ob & wie Same Day Delivery den Handel verändert, muss man sich anschauen zu welchem Preis das langfristig möglich sein wird.

Same Day Delivery kann für die meisten Sortimente nicht kostendeckend angeboten werden

Bei Möbeln, hochwertigen technischen Produkten oder ähnlichen Sortimenten mit hohen Warenkörben kann ich mir zumindest vorstellen, dass die Kalkulation gerade noch aufgeht. Bei Warenkörben unter 100/50€ mit wettbewerbsintensiven Sortimenten (Food, Drogerie, Bürobedarf…) verstehe ich ehrlich gesagt nicht wie die Kosten sinnvoll verteilt werden können. Entweder müssen die Händler dafür das Thema Service und Kundenbindung massiv übergewichten oder die Kunden müssten aufgrund einer mysteriösen Sinneswandlung bereit sein erhebliche Mehrkosten für ihre Bestellung in Kauf zu nehmen. In der folgenden Abbildung habe ich versucht diesen Zusammenhang darzustellen. Bei einem 50€ Warenkorb bleibt kaum noch Puffer für logistische Zusatzleistung. Diese Zusatzleistung beim Same Day Delivery verursacht aber diverse Aufwände, die kaum skalierbar darstellbar sind.

SameDay

Ein Beispiel dafür wie teuer so ein System für Händler werden kann, lässt sich in UK beobachten. Die dortigen Food Lieferungen diverserer Anbieter sind höchst unprofitabel, wie man es kürzlich in einem tollen brandeins Artikel nachlesen konnte. Diese Beobachtung finde ich auch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass viele Deutsche Kunden lieber 30min mehr Fahrzeit in Kauf nehmen, damit sie die Butter für 59 statt 79 Cent beim Penny kaufen können. Stellt sich also die Frage, ob es genug Yuppies gibt, denen der Preis egal ist und die ihren Freizeitwert gemäß der rationalen BWL Econs berücksichtigen.

Amazon, DHL & Co. gewinnen – der Rest verliert Kunden

Momentan sehe eine gewisse Analogie zur Einführung der Versandkostenfreiheit bei vielen Online Händlern. Die bringt zwar mehr Umsatz, aber kostet bisher vor allem im E-Commerce eine Menge Geld. Solche Servicelevel können langfristig nur die Kostenführer durchhalten, zu denen ich Amazon, ggf. Otto und vielleicht auch Google zählen würde. Diese Unternehmen können durch ein kostengünstiges/kostenfreies Same Day Delivery Angebot ihren Umsatz steigern. Der Rest zahlt wahrscheinlich drauf und wird ggf. gar nicht umhin kommen das zu tun, weil der Kunde dieses Serviceniveau erwartet. Diesen Effekt hatten wir in unserem Beitrag zum Transparenzdilemma schon einmal erläutert. Für den Onlinehandel verhält sich Same Day Delivery also umsatzfreundlich aber profitfeindlich. Gut für alle Unternehmen, die sich gerade Expansionsstrategien leisten können und wollen.

Für den stationären Handel sehe ich das deutlich kritischer. Es sollte aus meiner Sicht nicht im Interesse eines stationären Händlers sein seine Kunden virtuell zu bedienen. Er kann nur dann Geld verdienen, wenn Kunden in den Laden kommen. Ein online verkauftes Spielzeug, das dann per Same Day Delivery an den Kunden gefahren wird, sorgt kurzfristig vielleicht für einen höheren Umsatz. Die langfristig aber viel wichtigere Kundenbindung, die sich nur im Ladengeschäft profitabel nutzen lässt, wird damit aber eher gestört. Die Maxime „Der Kunde steht im Mittelpunkt.“ oder „Maximaler Service.“ halte ich an dieser Stelle für falsch interpretiert.

Die großen Logistikdienstleister wird es aber freuen. Ob nun DHL oder Tiramzoo oder Google diesen Dienst profitabel betreiben werden ist prinzipiell egal. Grundsätzlich werden sich wohl durch solche Angebote noch mehr Jobs in die wenig attraktive Logistikbranche verlagern. Um es mit den Worten eines Kommentar aus dem Beitrag „Das letzte Zucken“ zu sagen:

Oder selber zum Importeur werden. Wenn durch das Netz die Welt zu Globalen Dorf wird, braucht es nicht 10000 Spielwarenhändler in Deutschland sondern nur 20 spezialisierte, die anderen fahren Pakete aus. (Direktlink)

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