„Wir haben den Online Trend verschlafen“. So oder ähnlich klingt es in den letzten beiden Jahren in vielen Meldungen etablierter Handelsunternehmen. (via @jkrisch) Ein nüchternen Blick auf die Umsatzentwicklung der jeweils beteiligten Unternehmen bestätigt diese Aussage auch im ersten Augenblick. Mediamarkt/Promarkt schrumpfen, Amazon wächst. Die Online Fashionshops der großen Ketten dümpeln bei zweistelligen Mio. Beträgen vor sich hin, Zalando knackt die Milliarde. Quelle/Neckermann sind pleite, andere haben überlebt. Bei dieser Marktlage kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass die Spätstarter etwas falsch gemacht haben. Diese Diskussion schwingt auch am Rande der Stationär vs. Online Debatte (Das letzte Zucken) mit, bei der in den letzten Tagen in diesem Blog viele weitere lesenswerte Kommentare hinzugefügt worden sind. Das erinnert mich alles etwas an eine Dienstmädchenhausse. Spätestens dann, wenn Vorstände über unvermeidliche Trends, Tatsachen und Entwicklungen reden, ist es Zeit für die Kassenzone diese Dinge genauer zu betrachten.

Den meisten Lesern hier ist klar, dass es sich beim Thema Online/Internet nicht um einen Trend handelt, sondern um eine radikale Verschiebung des Marktes. Insofern erspare ich mir die Detailbetrachtung der vielen frühen Online Fehlversuche von C&A, Mediamarkt und Co. Viele große Handelsunternehmen haben auch schon zwischen 1995 und 2005, also dem Internetsteinzeitalter, durchaus große Anstrengungen unternommen und mussten dann doch Amazon das Feld überlassen. Die „Gewinner“ sehen aber bei genauer Betrachtung gar nicht so aus wie richtige Gewinner. Bei den Umsätzen und Marktanteilen teilen sich wenige große Unternehmen zwar das Feld auf, aber die Renditen sind in Summe doch sehr überschaubar. Bei globaler Betrachtung dürfte es nie im Interesse eines Handelsunternehmens gewesen sein, sein stationäres Geschäft mit Renditen zwischen 5-15% gegen ein Onlinegeschäft mit Renditen zwischen 0-5% einzutauschen. Dieses Argument ist zwar etwas träge, weil die Unternehmen mit den 0-5% Rendite auch den Unternehmen mit 5-15% zerstören, aber herbeigesehnt bzw. verschlafen hat das mE niemand.

Wir müssen so sein wie Amazon.“ bzw. „Wir müssen das so machen wie Amazon.“. Diese Aussagen dürfen wirklich in keinem Online Workshop fehlen, weil Amazon als vermeintlicher Gewinner in diesem großen Neuverteilungsspiel dasteht. Stimmt das denn? Bis dato lässt sich dagegen kaum etwas sagen, weil Amazon aktuell das Handelsmodell mit der größtmöglichen Effizienz betreibt und in einem transparenten Markt gewinnt dieses Modell theoretisch. Um das Amazon Modell zu erklären, nutze ich in der Regel das sehr bekannte Amazon Napkin Diagramm:

amazon napkin

In Kürze: Große Auswahl führt zu toller Customer Experience und damit zu wiederkehrenden Kunden (Traffic). An diesem Traffic wollen mehr Verkäufer partizipieren, was wiederum zu mehr Auswahl führt. Beschleunigt wird das Wachstum noch durch Skaleneffekte (Lower Cost Structure), die wieder in den Preis investiert werden. Bam – so muss also ein superduper Onlinehandelsmodell aussehen.

Ich habe das auf jeden Fall sehr lange geglaubt, bis mir ein Baustoffhändler gesagt hat, dass ihn das System doch sehr an die Handelsmechanik eines Großmarktes erinnert. Da hat er leider recht. Amazon ist also vielleicht gar nicht so ein fancy Online Geschäftsmodell, sondern nur die Übertragung des Großmarktprinzips auf den Endkunden. Je nach Betrachter, könnte man auch klassische stationäre Marktplätze, Supermärkte oder sonstige Märkte als Vergleich heranziehen. Zentral zu erkennen ist mE nur, dass Amazon aktuell das effizienteste Handelsgeschäftsmodell betreibt und die Wechselkosten (für Anbieter) bereits jetzt sehr hoch sind. Vor diesem Hintergrund verlieren Aussagen wie „desire to impress customers“ deutlich an Wert. Das soll keineswegs die Leistung von Amazon schmälern, aber sie dient kaum als Maßstab.

Interessant wird es nun, wenn man herausfinden will was nach Amazon kommt. Wenn man den Aussagen vom Rakuten Gründer Hiroshi Mikitani glaubt, dann dürfte es vor allem um Themen wie Personalisierung und Big Data gehen. Diese Argumentation erschließt sich mir zumindest noch nicht vollkommen. Das sind zwar durchaus relevante Entwicklungen, aber ich glaube kaum, dass dadurch noch einmal so eine evolutionäre Entwicklung wie die vom Tante Emma Laden über den Großmarkt bis hin zu Amazon möglich ist. An Spezialanbieter glaube ich auch zunehmend weniger. Wenn Händler nur noch Transaktionsstätten sind, ist Kundenbindung nahezu unmöglich. Und Kundenbindung über spezialisierte Sortimente/Beratung/Service ist das einzig echte Argument der Spezialanbieter wie z.B. mytoys.

Dieses Argument gilt allerdings genauso für Amazon und Zalando. Sollte der Kunde das gewünschte Angebot an anderer Stelle zu einem besseren Preis bei vergleichbaren Hygiene Konditionen (Shop, Zahlungsarten, Versand….) bekommen, kauft er dort. Kann das denn passieren, wenn Amazon schon heute scheinbar uneinholbar vorne liegt? Wer kann da schon etwas ausrichten? Trommelwirbel, Trommelwirbel, Trommelwirbel, Trommelwirbel, geheimnisvollen Pfeifen….. Es muss ein Unternehmen sein, dass entweder selber als Hersteller agiert oder aber extrem viele Hersteller nahezu exklusiv unter Vertrag hat. Die meisten Hersteller der Konsumgüter die wir bei Amazon/ebay kaufen, sitzen heute in China. Zu den europäischen Händler gelangt die Ware in der Regel über den klassischen Handel (100 Container Strandkörbe) oder kleine Zwischenhändler, die Dinge direkt in China einkaufen. Diese kleinen Zwischenhändler kaufen in der Regel nicht in der Fabrik, sondern bei großen Marktplätzen wie http://www.aliexpress.com/, einem Endkundensystem von http://www.alibaba.com/. Die Alibaba Group liegt bereits jetzt schon bei über 3 Mrd. Euro Umsatz und schickt sich an dem E-Commerce Geschäft der Tencent Holding Konkurrenz zu machen, die mit einer Marktkapitalisierung von 45 Mrd. Euro immerhin schon 50% der Börsengröße von Amazon erreicht hat.

Update: Hinweis von Jochen Krisch zum lesenswerten Portrait zu Alibaba:

Analysts predict that the IPO will value the company (Anm: Alibaba) somewhere between $55 billion and more than $120 billion. Tencent, a Chinese gaming and social-media firm now getting into e-commerce, has a market capitalisation of $62 billion, just shy of Facebook’s current valuation. Mark Natkin of Marbridge, a Beijing-based technology consultancy, thinks Alibaba could easily be worth more than Tencent, given that “there is so much room to grow its businesses in China”.

Nahezu jedes Konsumprodukt findet man auf diesen Marktplätzen zu Preisabschlägen zwischen 30-90% im Vergleich zu Amazon bzw. eBay. Die Zahlungs- und Versandmodalitäten haben mittlerweile einen hohen Standard erreicht, wenn ich den verschiedenen Gesprächen mit Chinaimporteuren aus den letzten Wochen glauben kann. Das mag für den Kauf einer Kaffeekanne oder einer Tischlampe egal sein, weil die Transportkosten die Einsparungen übersteigen, aber wenn man wie ich z.B. einen TV Stick kaufen will, dann lohnt sich der Kauf dort bereits heute.

Muss sich Amazon nun vor Aliexpress & Co. fürchten? Kurzfristig natürlich nicht, aber wenn zukünftig solche Marktplätze erlauben direkt von der Fabrik/vom Hersteller zu kaufen, dann kann Amazon einen großen Teil seiner Handelsmarge streichen. Amazon könnte das natürlich auch selber machen, aber das wird mE schwer, weil die Fabriken natürlich auch heute schon entsprechende Wechselkosten haben.

Was können die hiesigen Händler  daraus lernen? Meines Erachtens ist es nicht sinnvoll dem Vorbild von Amazon zu folgen. Die klassischen Handelswertschöpfungsstufen werden mE noch stärker als heute kannibalisiert. Händler scheinen für bestimmte Produktkategorien sogar komplett aus der Handelskette zu verschwinden. Vielleicht bereue ich diese Aussage aber auch, wenn der TV Stick in drei Wochen defekt ist und ich keinen Ansprechpartner finde mit dem ich einen Austausch vereinbaren kann. Egal – für den Preisvorteil kann ich mir auch 2 Stück kaufen.

aliexpress

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