Alte KasseSorry, diesen Titel konnte ich mir leider nicht verkneifen. Die Berichterstattung zum kassenfreien Demostore in Seattle diese Woche konnte man ja nicht überlesen. Es war ja fast so, als hätte Amazon beschlossen weltweit in den stationären Lebensmittelhandel einzusteigen und nun jeder die Auswirkungen dazu kommentieren musste. Wirklich alle… Zeitungen, Radio, Fernsehen, Blogs. Jetzt muss ich mir wieder überall anhören, dass Amazon doch an den stationären Handel glaubt und es deshalb für diesen eine Zukunft geben muss. Dabei hat Amazon nichts anderes gemacht als einen kleinen stationären Shopping Testcase zu veröffentlichen, der zur Abwechslung mal nicht mit RFID Technologie funktioniert und der sich vorerst an die eigenen Mitarbeiter richtet. Mehr nicht. Ich teile Jochens Meinung, dass es sich hierbei keinesfalls um den ersten Schritt in den stationären Handel handelt, sondern um eine weitere (mögliche) Technologie, um noch mehr Zugänge zum Kunden zu schaffen. Genau die gleiche Strategie übrigens, die hinter dem Dash Button (Der Button ist nur ein Zwischenschritt) steckt. Devicekontrolle + Plattformkontrolle = mehr Daten = bessere Services = eine mächtigere Plattform, an der sich dann ggf. auch der LEH andocken muss. 

Es ist erschreckend wie sehr sich alle Beteiligten von solchen kleinen Werbevideos ablenken lassen und nun ernsthaft diesen Democase diskutieren wollen. „Man kommt da nur mit der App in den Laden!“, „Was sollen die VerkäuferInnen denn nun machen?“, „…“. Technologieangst gepaart mit dem Tiefenverständnis der Facebook Kommentatoren, angefeuert durch unkritische, voneinander abschreibenden Berichterstattern. Aber macht euch gerne selbst ein Bild. Ich habe heute Vormittag die schönsten Berichte für euch gesammelt.

Techcrunch berichtet noch recht neutral:

According to the company, the store has been in the works for four years. “We asked ourselves: what if we could create a shopping experience with no lines and no checkout?” says Amazon on the official Go site. “Could we push the boundaries of computer vision and machine learning to create a store where customers could simply take what they want and go?”

Unter dem entsprechenden T3N Artikel lässt sich eine der typischen Diskussionen zu dem Thema verfolgen:

…und bringst einen gast mit? oder gibt vereinzelungsschleusen und was ist dann mit kindern? meine 3-jährige wird sich bestimmt nicht den platz davor mit bello teilen. ein Kinderparadies wie in Ikea, verschiebt nur die personalkosten. was amazon und ganzen internetgroßen nicht begreifen. in real-life will ich menschen um mich herum,…

Sogar ein Meinungsartikel in der Horizont weist auf die bösartigen Gefahren dieses Konzeptes hin.

Dazu kommt noch das Risiko, dass die digitale Beobachtungsmaschine im alltäglichen Massenbetrieb schnell an ihre Grenzen kommen könnte. Es ist eine Frage, in einem spärlich besuchten Laden zu verfolgen, ob eine Kundin ein Produkt aus dem Regal nur hochnimmt, um es zu betrachten, oder es tatsächlich einsteckt. Dass die Intelligenz der Systeme von Ladendieben getestet würde, kann schon jetzt als Gewissheit gelten.

Erfreulich nüchtern geht es bei Frank Rehme zu:

Hier denkt man erst darüber nach, ob der Kunde das will und schickt erst einmal die Marktforscher los. Die sollen dann abchecken, ob der Kunde etwas will, was er nicht kennt. Das Ergebnis kann man sich vorstellen. Was Amazon macht ist hingegen genau das Richtige: Man eröffnet einen Store mit einer freundlich gestimmten Kundschaft, in dem Fall mit Amazon-Mitarbeitern, testet die Lösung und entwickelt sie weiter.

Am entspanntesten läuft außerdem noch die Diskussion unter den erfahrungsgemäß technologiefreundlichen Heise Foristen:

Selbstverständlich bricht hier jetzt die Panik aus 🙂 Also entweder das bewährt sich in der Praxis nicht. Oder die Amis machen das, und nach ein paar Jahren erregter Diskussion und organisierter Bürokratie-Bespaßung kommt das auch nach Europa. Wenn das wirklich funktioniert ist es dermaßen effizient, da kommt man auf Dauer nicht dran vorbei.

Bei Bild Business Businessinsider versucht man alle Ängste auf einmal zu schüren:

Durch die Technologie, die andere Ketten über kurz oder lang adaptieren dürften, könnten 75 Prozent aller Supermarkt-Jobs wegrationalisiert werden, befürchtet die Konsumentengruppe „America’s Research Group“ gegenüber der „New York Post“. „Das ist nichts anderes als ein riesiger Job-Killer”, sagte die Präsidentin der Gruppe, Britt Beamer. Keine Beschäftigungsmöglichkeiten gäbe es für Kassierer und Kassiererinnen, wie auch Mitarbeiter, die Waren in die Einkaufstaschen räumten.

Im gleichen Magazin gibt es aber noch einen sehr erfrischenden Artikel, warum Amazon so vorgeht und was es mit der Unternehmens DNA auf sich hat:

Based on what we’ve seen with Amazon’s grocery store strategy, it looks like Bezos considers it a „Type 2“ decision, in which he can go back and change things as he goes. By not making it a „Type 1“ decision, Amazon can move fast and minimize the risk, preventing the company from wasting time and resources. The key is to make sure you don’t confuse the two, especially as the company grows in size.

Der Blick in die Schweiz offenbart die absehbarste Antwort von allen. „Brauchen wir nicht! Und wenn doch, haben wir das schon.“

Die Migros findet für das Amazon-Konzept klare Worte. «Nein, ein Laden ohne Kasse ist für uns keine Option», sagt Sprecher Luzi Weber. «Kunden, welche den persönlichen Kontakt mit einer Kassiererin bevorzugen, sollen auch in Zukunft diese Möglichkeit haben.»  Weber verweist zudem auf das Subito-System, mit dessen Hilfe Kunden bereits jetzt die Ware selbständig einscannen können. Verglichen mit Amazon Go ist das aber deutlich umständlicher.

An dieser Stelle noch mal vielen Dank an Amazon für die gute Unterhaltung!

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