oryx-sprykerVor sechs Jahren habe ich meine erste Einschätzung zum Status Quo der Shopsysteme gegeben und vor zwei Jahren folgte dann ein Update, das Shopware als ganz klaren Gewinner im KMU Segment aufgezeigt hat. Das Update “Das beste Shopsystem 2014 – Anspruch und Wirklichkeit” wurde weit über 100.000x aufgerufen und nach nun zwei weiteren Jahren ist es an der Zeit für ein Update des Updates. “Damals” 2014 war ich selbst noch nicht aktiv im Shopsystem Markt und der Fokus lag bei Systemen für kleinere und mittlere Unternehmen. Mittlerweile habe ich fast zwei Jahre Erfahrungen als Gründer von Spryker gesammelt und kann die Leitfragen auf den Markt für Enterprise Kunden übertragen. Bevor ich aber damit anfange, schauen wir noch mal kurz auf die Erkenntnisse des alten Artikels und überprüfen, ob die Aussagen noch aktuell sind.

Ist Shopware noch das beste Shopsystem in der Profiklasse? Nein!

Im Artikel von 2014 habe ich versucht den Markt der Hersteller in vier Kategorien zu unterteilen. In der kleinsten Kategorie tummeln sich eine Menge SaaS Anbieter wie 1&1 Shops, tictail, Shopify & Co. Die zweite Kategorie “Profiklasse” wird dominiert von Magento, Shopware, Presta & Co, während sich im Enterprise Bereich Hybris, ATG & Intershop positioniert haben. In der vierten und anspruchsvollsten Kategorie geht es um Pure-Play Systeme, bis dato fast immer Eigenentwicklungen, die stark vom Standardumfang eines Enterprise Systems abgewichen sind, um sehr individuelle Modell zu bauen wie z.B. Otto.de, Zalando und Co. Diese Aufteilung gilt mE noch immer so, wobei wir uns mit Spryker in der vierten Kategorie als Lösung positioniert haben. Dazu aber später mehr. Alle Kategorien bedienen idR sehr verschiedenen Usecases, wobei die größten Anbieter der Enterprise-klasse ihren Ursprung mit dem ersten E-Commerce Boom (1998-2002) haben und oft auch für Probleme aus dieser Zeit verwendet wurden und werden. Wer eine fast vollständige Übersicht über die Neuentwicklungen in der Shopsysteme Szene sucht, ist mit diesem Beitrag bei Fortrabbit gut bedient.

In der Profikategorie habe ich in dem Artikel von 2014 aufgrund der hohen Installationsbasis angenommen, dass Google Trends ein guter Indikator sein dürfte, um herauszufinden welches System am meisten Momentum hat. Auf dieses Momentum sollte man bei neuen Projekten setzen, weil damit viele positive Effekte einhergehen. “Damals” hatte Shopware schon das größte Momentum und heute ist es in Deutschland kurz davor Magento zu überholen. Extrem beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Shopware 2010, gemessen an Magento, noch ein Nischenanbieter war.

shopsystemtrendsVor zwei Jahren musste man noch erwarten, dass das lang ersehnte Magento Update (Magento 2) dazu führt, dass diese Plattform wieder Aufwind erfährt. Das Ergebnis wurde vor einigen Wochen live gestellt und enttäuschend. Es kommt Jahre zu spät, verwendet teilweise alte PHP Frameworks (Zend Framework 1), hat immer noch überholte Konzepte wie EAV und Full-Page-Caching an Bord und sieht an vielen Stellen des Codes noch extrem gewurstelt aus. Ich habe mit sehr vielen Magento Agenturen dazu gesprochen und wirklich begeistert ist niemand. Unfassbar ist mE, dass Magento 2 sogar langsamer ist als Magento 1.

When compared to Magento 1, Magento 2 preformed slower for the same load test scenario and data sets. The results clearly indicates that Magento 2 must run on a more powerful server in order to operate properly or at the same level of Magento 1. Even when a proper server is selected, Magento 2 performance is still lagging behind when compared to Magento 1.

Sehr schade, wenn man bedenkt, dass die aktuelle Eigentümerstruktur nicht dazu führen wird, dass die Dinge in Zukunft besser gemacht werden. Die bestehenden Kunden und Partner werden nun nur noch gemolken. Das wiederum ist super für Shopware, das eindeutig als Gewinner dieser Entwicklung in Deutschland hervorgeht. Spannend hierbei für Shopware und alle anderen Anbieter in dem Segment ist zudem die Tatsache, dass der Herstellersupport für Magento 1.x Ende 2018 ausläuft. Viele Kunden und Agenturen die ich in dem Umfeld kenne, werden aufgrund der entäuschenden Magento 2 Architektur nicht mehr auf dieses System upgraden und ein Relaunch auf Basis einer 1.x Installation ist bei größeren Kunden oft nicht durchsetzbar, weil dort längere Supportzeiten gefordert werden.

Was diesen Bereich wohl am spannendsten macht, ist die Tatsache, dass die Probleme und Herausforderungen der Kunden sich verändert haben. Es geht in den Projekten oft nicht mehr “nur” um einen Onlineshop und dank neueren Anbietern wie CommerceTools gibt es Alternativen, die ganz neue technische Ansätze bieten. Der größte Spagat für diese Anbieter und Agenturen sind die extrem verschiedenen Kunden wie z.B. Katrin mit Vintagliebe.de auf der einen Seite, die Shopware als Alternative zu Shopfify im Selfservice nutzen und Enterprise Kunden auf der anderen Seite die Anforderungen für 1.000.000€ haben, aber max. 250.000€ zahlen wollen für ein Projekt.

Was ist im Enterprise Markt anders?

Es ist gar nicht so einfach zu beschreiben was genau diesen Markt so vom vorherigen unterscheidet. Die Lösungen haben meist einen anderen technischen Ursprung und sind oft eingebettet in die Suiten der großen IT Anbieter wie IBM, SAP & Co. Man muss sich anschauen welche Probleme Intershop, IBM und Oracle vor ca. 20 Jahren im E-Commerce gelöst haben, um zu verstehen warum sie anders funktionieren als Magento & Co. Ursprünglich waren diese Lösungen dazu gedacht auf bestehenden ERP Umgebungen zu laufen, sozusagen als der “Katalog im Netz”. Mit der Zeit wurden die Lösungen dann aufgeladen, meist zu einem Zeitpunkt als die E-Commerce Umsätze in den betreffenden Unternehmen immer größer wurden (Neckermann, Quelle, Otto, Würth…) und mit eigenen PIM-, CRM- & OMS-Systemen ausgestattet. Magento hat genau hier angesetzt vor ca. 10 Jahren und eine solche “vollausgestattete” Lösung extrem günstig und auf Basis von PHP bereitgestellt. Diese hat sich sogar auch bei vielen Enterprise Kunden durchgesetzt, auch wenn u.a. Hybris hier sehr erfolgreich war und ist. Hybris war mit seiner Architektur weitaus modularer und moderner als die damals noch oft eingesetzten IBM und Oracle Systeme. IBM, Oracle und auch Microsoft sind mit ihrem Fokus auf die Einführung der kompletten ERP Landschaften (vorher Papier, nachher PC) die Probleme anders angegangen. 1997 konnte sich niemand vorstellen wie E-Commerce 10 oder 20 Jahre später funktioniert. Das gilt mE auch heute noch so. Insbesondere aus den Erfahrungen von IBM kann man noch sehr viel lernen, weil sie versucht haben damals “moderne” E-Commerce Anforderungen vollständig in den bestehenden IT Infrastrukturen abzubilden. Der “Erfinder” der populären IBM Websphere Plattform bringt das gut auf den Punkt:

What’s the biggest technology mistake you ever made – either at work or in your own life? When I was at IBM, I started a product called Websphere [which helps companies to operate and integrate business applications across multiple computing platforms]. Because I had come from working on big mission-critical systems, I thought it needs to be scalable, reliable, have a single point of control … I tried to build something like a mainframe, a system that was capable of doing anything, that would be able to do what might be needed in five years. I call it the endgame fallacy. It was too complex for people to master. I overdesigned it.

In dieser “endgame fallacy“ befinden sich heute die meisten Konzerne die zwanghaft versuchen ihre Legacy IT Struktur so umzubauen, dass man damit erfolgreich digitale Projekte bauen kann. Das ist aufgrund der Marktgegebenheiten einfach nicht lösbar. Niemand weiß was in 3 Jahren relevant ist und das was heute ein USP ist, ist höchstwahrscheinlich in 12 Monaten Standard. Dazu hatte ich im Artikel “Die zweite Hälfte des Schachbretts” einige Gedanken aufgeschrieben. Ein tödliches Umfeld für die klassischen EDV Abteilungen. Man sollte sich als Kunde gut überlegen in welcher technischen Generation man sein eigenes E-Commerce Geschäft ansiedeln will. Wenn es lediglich ein Feature des Unternehmens ist, was den Regeln des ERPs folgt (1. und 2. Generation), dann hat das erhebliche Auswirkungen auf die Systemauswahl. Wenn es auf dem Level heutiger Pure-Player wie Zalando & Co. spielen soll, wird das ERP stark entmachtet und die Shop Plattform wird zur Basis der IT Infrastruktur. Er bildet eine Art Verbinder im Ökosystem, hin zu OMS, Apps, CMS, PIM, BI, CRM usw. Das führt zu dem Dilemma, dass bestehende Systeme und Geschäftsmodelle keinen Updatepfad in die “neue” E-commerce Welt haben. Das ist doof, aber leider nicht zu ändern. Bestehende Systeme lassen sich möglicherweise noch updaten und etwas modernisieren. Neue Geschäftsmodelle müssen fast immer auch technisch komplett neu aufgebaut werden und sollten die Nähe zu den alten Systemen möglichst vermeiden. Das sind Probleme die sich neuerdings in Enterprise Projekten finden.

ecommerce-generations

Dieses Dilemma müssen zurzeit viele Agenturen und Hersteller ausbaden indem sie bei vielen RFI Prozessen die Welten der 2. und 3. E-Commerce Generation verbinden müssen.

Welche Systeme spielen eine Rolle?

Viele, sehr viele sogar. Bei den Systemen der 2. Generation macht Hybris derzeit einen extrem guten Job und auch Demandware pitcht ganz exzellent und sorgt insbesondere in den USA für Furore. Bei den Systemen der dritten Generation versucht sich Oro Commerce (ehemaliges Magento Team) im B2B Umfeld zu positionieren und wir nehmen gerade mit Spryker an vielen Auswahlprozessen teil, wenn es darum geht neue Geschäftsmodelle aufzubauen, Konzernstrukturen zu “digitalisieren” oder einfach als neue technische Basis für größere Pure Player. Es gibt aber an dieser Stelle kein besser oder schlechter, richtig oder falsch. Wir reden hier über ganz verschiedene Szenarien denen sich die Unternehmen bewusst sein sollten.

  1. E-Commerce Technologien der ersten und zweiten Generation zeichen sich dadurch aus, dass die einsetzende IT (aka ADV)  in der Regel ein Cost Center ist und nicht (An-) Treiber des Geschäftsmodells. Zudem gibt in diesen Modellen nicht den Anspruch die Technologie zu besitzen und komplett für sich zu verändern. Sie wird nur angepasst und darauf gesetzt, dass der Hersteller gefälligst für Abwärtskompatibiliät sorgt, so dass man an neuen Entwicklungen kostengünstig teilnehmen kann. Das klappt zwar nur sehr selten, aber versucht wird es trotzdem immer wieder
  2. E-Commerce Modelle (Zalando, aboutyou, fahrrad.de, Limango…) der heutigen Generation sind in der Regel technologiegetriebene Unternehmen. Sie sehen die Technologie als Kernstück ihrer Wertschöpfung und die IT Abteilung ist nicht als Cost Center organisiert. Dafür muss man sich führende E-Commerce Unternehmen einfach mal anschauen. Diese investieren extrem stark in ihre IT, so dass die Business Seite niemals in die Situation kommt lange auf neue Features oder neue Geschäftsmodellanpassungen warten zu müssen.

Wir haben nutzen zur Vereinfachung die folgende Abbildung. In dieser Darstellung ist ein Unternehmen wie z.B. adidas ein Unternehmen, das sein Geld nicht mit der Technologie verdient und es Sinn macht diesen Teil des Business an Demandware auszulagern. Ganz anders sieht es bei Zalando oder AboutYou aus. Diese Unternehmen könnten niemals eine Standard SaaS Lösung nutzen oder eine Standardsoftware (Hybris, Magento…) einsetzen, weil sie die Technologie besitzen müssen, um sich darüber vom Wettbewerb anzuheben. Genau das hat Robert Gentz (Zalando Gründer) am Kassenzone.de Interview gemeint, als er sagte, dass heute das Zalando Retail Geschäft nur ein Nutzer der Zalando Technologieplattform ist.

shopsysteme-matrix

Und genau hier tun sich viele Unternehmen schwer. Sie investieren sehr zögerlich, hoffen auf eine Standardsoftware als Eierlegendewollmilchsau, aber erwarten die Möglichkeiten eines Pure Play Unternehmens. Das funktioniert nicht. Wer auf das Niveau von Pure Play Unternehmen kommen will, muss deren technische Strategien einsetzen und organisatorisch nach diesen Regeln spielen, entsprechende Teams aufbauen, sehr agil steuern und mutig sein.

Interessanterweise finden sich nun Unternehmen ohne große Online Historie in einer Art technischer und organisatorischer “endgame fallacy” wieder. Sie wollen ihre oft stark veralteten technischen Systeme zukunftsfähig machen, im MVP Modus neue Geschäftsmodelle aufbauen, dabei natürlich auch technisch zukunftsfähig sein und möglichst kostengünstig vorgehen. Das Ganze soll dann von einem CIO verantwortet werden oder von einer “Digital Unit” die dann nebenbei noch Konzernstrukturen transformieren soll. Endgame Fallacy at its best. Unternehmen die diese Zielkonflikte für sich lösen können, haben gute Chancen technisch in die richtige Richtung loszulaufen und kommen ins machen – ob mit eigenem Developer Team oder ohne spielt dabei gar keine Rolle. Der Wandel den das “Profisegment”, u.a. getrieben durch Shopware und Magento, erlebt hat, ist nun auch im Enterprise Bereich angekommen. Schön für uns!

Die Einschätzungen spiegeln meine Sicht der Dinge wieder und ich freue mich auf eine rege Diskussion dazu. Das ist diese Woche Dienstag & Mittwoch bei der Internetworld in München auch persönlich möglich (Halle B6, E265) und natürlich bei der Code Talks Commerce in Berlin im April. Da versammeln sich die diversen Shopsystem Gründer (Moritz von Hybris, Dirk von Commercetools, Pawel von Sylius, Yoav von Magento/Oro uvm.). Das werden sehr knackige Diskussionen 🙂

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