shanghaiIch konnte die letzte Woche mit 30 jungen Unternehmern aus allen Teilen der Welt in Shanghai verbringen und vor Ort sehr viele chinesische Unternehmer kennenlernen und mit ihnen über die zukünftige Entwicklung Chinas diskutieren. Unter den chinesischen Unternehmern war vom Serienunternehmer für grüne Energie bis hin zum Chinachef von Flipboard alles vertreten. Bis zu dieser Reise hatte ich eher über die Probleme in China gelesen und erwartet, dass das Land noch weit weg ist von der Übernahme der Innovationsführerschaft – weg von Werkbank der Welt, hin zum neuen Silicon Valley. Das sehe ich nun anders. Ein paar Ansichten dazu:

  • Shanghai hat sicherlich eine Sonderrolle in China, weil es bewusst nach westlichem Vorbild gestaltet wurde und andere Städte in China in einigen Bereichen nicht so weit sind wie Shanghai. Das ist aber egal, weil Shanghai selbst wahrscheinlich schon mehr Innovationskraft entwickeln kann als alle Metropolen Europas zusammen. In der Stadt wohnen 24 Mio. Einwohner, davon 7-9 Mio. temporär und heute schon 300.000 bis 800.000 Expats, die der Stadt ein sehr westliches Gesicht geben. Das riesige Metrosystem (500km) wurde in den letzten 15 Jahren installiert. Das kann man sich kaum vorstellen, wenn man weiß, dass neue Linien in deutschen Städten alleine 10-20 Jahre für einen Planfeststellungsbeschluss brauchen. Die Architektur ist beeindruckend – 60-70 stöckige Hochhäuser nimmt man kaum noch wahr. Neben Shanghai erscheinen Berlin, San Francisco, London sehr sehr klein und sogar New York sieht zierlich dagegen aus. Wer gerade die Chance hat sich für eine gewisse Zeit eine neue Stadt anzusehen, für ein Studium, Sabatical…, der sollte Shanghai wählen.
  • China wird gerne als Ganzes betrachtet. Die dadurch entstehenden Durchschnittsberachtungen (Einkommen, Umweltverschmutzung…) verzerren das Bild erheblich. Von den 24 Mio. Einwohnern in Shanghai gibt es wahrscheinlich schon jetzt 3-5 Mio. die mind. europäischen Lebensstandard erreicht haben und von denen tummeln sich viele in Branchen, in denen westliche Länder bisher führend waren. Diese 3-5 Mio. (nur in Shanghai!) haben aber den Vorteil, dass sie bei neuen Entwicklungen durch die hohe Bevölkerungsdichte a) auf enorme Adaptionsraten zurückgreifen können und b) im Hinterland noch 10-20 Jahre lang extrem günstige Arbeitskräfte finden. Bisher waren die USA durch ihren hohen Lebensstandard mit über 300 Mio. Einwohnern deutlich im Vorteil bei der Entwicklung neuer Technologien und Konzepte, die auf Netzwerkeffekte setzen (Facebook, Apps, Google…..). Diesen Vorteil haben sie mE jetzt schon an China verloren.
  • Apple produziert seine Geräte in China und setzt dort neuste Produktionstechnologien und günstige Arbeitskräfte ein. Er wurde deshalb von Obama davon aufgefordert die Produktion in die USA zu verlagern. Obama hat in gefragt, was es ihn kosten würde das zu tun. Schließlich könnte das Arbeit für hunderttausende Amerikaner bedeuten. Die sinngemäße Antwort von Tim Cook darauf soll gewesen sein, dass es gar nicht auf die Kosten ankäme. Viel wichtiger sind ihm Produktionsoptimierung, Prozessinnovation und hohe Anpassungenfrequenzen. Diese Zutaten sind in den USA nicht reproduzierbar – statt alle 12 Monate würde es nur alle 5 Jahre ein neues iPhone geben. Eine offizielle Quelle habe ich dafür aber noch nicht gefunden.
  • Die reinen Fakten über die Wachstumsgeschwindigkeit Chinas sind erschlagend. Pro Jahr verbaut China aktuell so viel wie Kanada gesamt als Real Estate Property ausweist. Über 13 Millionen Chinesen ziehen pro Jahr vom Land in die Stadt. Der Strom- und Wasserverbrauch steigen dramatisch an…. Die Auswirkungen aus diesen Entwicklungen lassen sich kaum vorstellen. China durchläuft die Entwicklung die Europa und USA in den letzten 250 Jahren gemacht haben in nur 20-30 Jahren, mit doppelt so viel Einwohnern.
  • Es gibt auch diverse Effekte, die dieses Wachstum bremsen. Zu nennen wäre da neben den immensen Umweltbelastungen u.a. die One Child per Family Policy, um das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Das führt zu einer starken Verschiebung in der Alterspyramide und zu „verzogenen“ Kindern. Als einziges Kind/Enkelkind ist es teilw. etwas zu bequem wie mir viele chinesische Gesprächspartner versichert haben. Zudem ist das chinesische Ausbildungssystem noch sehr starr und befördert Innovationen und Kreativität kaum. Das dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis das angepasst ist und außerdem kauft sich China die Kreativität extern ein, indem es sehr viele Studenten ins Ausland schickt.

Das nächste Facebook, Google & Co. kommen wahrscheinlich aus China. WeChat ist jetzt schon besser als Whatsapp.. Warum ich glaube, dass Alibaba Amazon noch das Fürchten lehren wird, habe ich ausführlich vor sechs Monaten beschrieben. Zu meiner Beruhigung hat mir Harry Shi (COO, cars.cn) aber gesagt, dass es noch mind. 20 Jahre dauert, bis die chinesischen Autohersteller an das Niveau von BMW, Mercedes & Co. herankommen, aber heute schon sehr gute Autos für die mittleren Bevölkerungsschichten bauen können. Schon erstaunlich wie schnell das geht. China wird aus europäischer Sicht genauso unterschätzt wie vor 15 Jahren der E-Commerce vom klassischen Versandhandel unterschätzt wurde. In dieser Metapher spielt Shanghai die Rolle von Amazon – nur eine von vielen chinesischen Millionenstädten.

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